Urteil des LG Bielefeld vom 14.12.2004
LG Bielefeld: werkstatt, reparatur, verkehrsbetrieb, dispositionsfreiheit, arbeitskraft, fahrzeug, selbstbehandlung, bus, geschädigter, ausnahmefall
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 20 S 156/04
14.12.2004
Landgericht Bielefeld
20. Zivilkammer
Urteil
20 S 156/04
Amtsgericht Herford, 12 C 751/04
Die Berufung der Klägerin gegen das am 31. August 2004 verkündete
Urteil des Amts-gerichts Herford wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug
genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass zwar
grundsätzlich der Geschädigte, der eine Reparatur selbst durchführe, die in einer Werkstatt
anfallenden Kosten ersetzt verlangen könne. Dies gelte aber nicht, wenn ein geschädigter
Verkehrsbetrieb eine eigene Reparaturwerkstatt unterhalte. In diesem Falle könne der
Geschädigte nur dann den Unternehmergewinn verlangen, wenn er in seiner Werkstatt
auch gewerbsmäßig Fremdreparaturen durchführe. Dies habe die Klägerin jedoch nicht
vorgetragen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihre
erstinstanzlich vertretene Rechtsansicht weiterverfolgt. Sie meint, aus den neueren
Entscheidungen des BGH in VersR 2003, 920 und NJW 2003, 2085 ergebe sich, dass die
Dispositionsfreiheit des Geschädigten weiter gestärkt werden solle. Sie ist der Ansicht,
dass sich die Dispositionsfreiheit auch auf die Frage erstrecke, ob der Geschädigte selbst
unter Einsatz seiner eigenen Arbeitskraft repariere oder unter Schonung seiner Arbeitskraft
die Reparatur vergebe. Sie meint, die Dispositionsfreiheit werde erheblich eingeschränkt,
wenn der Geschädigte gezwungen würde, seine Arbeitskraft zugunsten des Schädigers
unentgeltlich einzusetzen; daher vertrete das Bundesarbeitsgericht die Ansicht, dass ein
Rechtsanwalt, der sich bei der Schadensregulierung nicht eines anderen Anwalts bediene,
sondern selbst tätig werde, eigene Gebühren auf Kosten des Schädigers abrechnen könne;
gleiches gelte für die Selbstbehandlung eines durch einen Unfall verletzten Arztes.
Außerdem macht die Klägerin geltend, das Amtsgericht sei fälschlicherweise davon
ausgegangen, dass sie, die Klägerin, in ihrer Werkstatt keine Fremdreparaturen durchführe.
Nachdem die Kammer mit der Terminsverfügung darauf hingewiesen hat, dass sie die vom
Amtsgericht vertretene Rechtsansicht für richtig hält und die Klägerin unternehmerischen
Gewinn als Schadensposition nur verlangen könne, wenn sie gewerbsmäßig auch
Fremdreparaturen durchführe, hat die Klägerin Kontenblätter für die Zeit von Januar 2003
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bis Oktober 2004 vorgelegt, aus denen sich die Verbuchung von Beträgen für
Fremdreparaturen ergibt. Hinsichtlich des genauen Inhalts der vorgelegten Kontenblätter
wird auf Bl. 57 – 63 d.A. Bezug genommen. Sie behauptet, im Jahr 2003 insgesamt einen
Nettoerlös von 111.272,00 € und in der Zeit von Januar – Oktober 2004 einen Nettoerlös
von 82.659,45 € erzielt zu haben. Im übrigen gibt die Klägerin an, dass sie
Vergleichszahlen zu Eigenreparaturen nicht vorlegen könne, da hierüber keine
Rechnungen erstellt würden. Unbestritten hat die Klägerin in der Berufungsinstanz
vorgetragen, dass der Bus in der Zeit vom 24.02. – 13.03.2003 repariert wurde.
Die Klägerin beantragt,
das am 31.08.2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts Herford aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.328,27 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten
über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und ist ferner der Ansicht, die
Klägerin sei mit neuem Vortrag zur Durchführung von Fremdreparaturen bereits gem. §§
529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Im übrigen bestreitet sie, dass von der
Klägerin zum Zeitpunkt der Instandsetzung des fraglichen Fahrzeuges im Frühjahr 2003
tatsächlich Fremdreparaturen durchgeführt wurden. Sie weist ferner darauf hin, dass die
Klägerin auch mit der Berufungsbegründung nicht vorgetragen habe, dass ihr
Reparaturbetrieb zum Zeitpunkt der Instandsetzung ausgelastet gewesen sei.
II.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 21.02.2003 kein
weiterer Schadensersatzanspruch zu, da sie keinen Anspruch auf Ersatz des fiktiven
Unternehmergewinns hat.
Aus der Subjektbezogenheit des geltenden Schadensbegriffs (vgl. dazu BGHZ 45, 212
(219) = NJW 1966, 1260) folgt, dass sich der zur Schadensbeseitigung erforderliche Betrag
im Einzelfall aus den Aufwendungen ergibt, die ein verständiger und wirtschaftlich
denkender Eigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten für eine zumutbare
Schadensbehebung zu machen hätte (vgl. dazu RGZ 99, 172 (183); BGH, NJW 1970, 1454
= VersR 1970, 832 f.). Das hat wiederum zur Folge, dass einerseits besondere
Erschwernisse bei der konkreten Schadensbehebung dem Schädiger zur Last fallen,
andererseits jedoch eine dem Geschädigten verfügbare besonders vorteilhafte
Herstellungsweise auch dem Schädiger zugute kommen muss (BGH, NJW 1970, 1454 =
VersR 1970, 832 f.); dies gilt anerkanntermaßen aber nur dann, wenn dem Geschädigten
die Inanspruchnahme seiner besonderen Möglichkeiten der Schadensbehebung zumutbar
ist und von ihm keine überobligationsmäßigen Anstrengungen verlangt. Grundsätzlich ist
es dem Geschädigten, der, ohne gewerbsmäßiger Kraftfahrzeughandwerker zu sein, sein
Fahrzeug vermöge besonderer Handfertigkeit und unter Umständen unter Aufopferung von
Freizeit selbst instandsetzt, im allgemeinen nicht zuzumuten, dass er solche besonderen
Anstrengungen auch da macht, wo ihr wirtschaftliches Ergebnis nicht ihm selbst, sondern
einem fremden Schädiger zugute kommen müsste. Das gleiche gilt für den Geschädigten,
der sich selbst gewerbsmäßig mit der Instandsetzung von Kraftfahrzeugen befasst, soweit
kein Anhalt dafür besteht, dass er infolge einer besonderen Beschäftigungslage in der
fraglichen Zeit nicht in der Lage gewesen wäre, die Instandsetzungskapazität seines
Betriebs anderweit und bestimmungsgemäß gewinnbringend einzusetzen; der Verzicht
hierauf im Interesse des Schädigers wäre ebenfalls nicht zumutbar (BGHZ 54, 58). Eine
Ausnahme gilt aber dann, wenn ein geschädigter Verkehrsbetrieb eine Werkstatt zur
Durchführung von Eigenreparaturen unterhält. Handelt es sich um Reparaturarbeiten, die
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üblicherweise in der eigenen Betriebswerkstatt des Unternehmers vorgenommen werden,
so richtet sich der verkehrsübliche Herstellungspreis nach den Selbstkosten einer solchen
Betriebswerkstatt; nur diese Kosten sind im Sinne des § 249 Satz 2 BGB zur Herstellung
erforderlich (BGH aaO).
Soweit die Klägerin demgegenüber unter Berufung auf die Entscheidungen des BGH in
NJW 2003, 2085 und VersR 2003, 920 meint, ihr stehe auch bereits dann ein Anspruch
auch auf den Unternehmergewinn zu, wenn sie keinerlei Fremdreparaturen ausführe, so
vermag die Kammer dem nicht zu folgen. In der in NJW 2003, 2085 veröffentlichten
Entscheidung vom 29.04.2003 führt der BGH lediglich aus, dass der Geschädigte
grundsätzlich nicht dazu verpflichtet ist, das Fahrzeug selbst zu reparieren noch es zur
Reparatur in eine Kundendienstwerkstatt zu geben. Hiermit folgt er seiner bisherigen
Rechtsprechung und zitiert insoweit auch die Entscheidung BGHZ 54, 82 ff. Hieraus lässt
sich jedoch nicht entnehmen, dass der BGH von den in dieser Entscheidung entwickelten
Grundsätzen für den Ausnahmefall, dass es sich bei dem Geschädigten um einen
Verkehrsbetrieb handelt, der eine eigene Reparaturwerkstatt unterhält, abrücken will. Auch
in der in VersR 2003, 921 veröffentlichten Entscheidung ebenfalls vom 29.04.2003 verweist
der BGH ausdrücklich darauf, dass eine subjektsbezogene Schadensbetrachtung
anzustellen ist, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere
auf seine speziellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die gerade für ihn
bestehenden besonderen Schwierigkeiten zu nehmen ist. Ferner stimmt der BGH in dieser
Entscheidung grundsätzlich auch dem Ansatz zu, dass der Geschädigte, der mühelos eine
ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf
diese verweisen lassen muss. Er hat lediglich in dem dort zu entscheidenden Fall
festgestellt, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen.
Diese Voraussetzungen sind im hier zu entscheidenden Fall jedoch gegeben, da die
Klägerin als Verkehrsbetrieb eine Werkstatt für die Durchführung von Eigenreparaturen
unterhält, die jedenfalls nicht vorrangig auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Bereits
deshalb ist der Fall auch nicht mit der von der Klägerin angeführten "Selbstvertretung"
eines Rechtsanwaltes oder "Selbstbehandlung" eines Arztes vergleichbar, da in diesen
Fällen die Selbstvornahme i.d.R. nicht zumutbar ist.
Erstmals in der Berufungsbegründung hat die Klägerin nun vorgetragen, dass sie nicht nur
Eigen-, sondern auch Fremdreparaturen durchführe. Es kann insoweit aber dahinstehen,
ob dieser neue Vortrag der Klägerin hinsichtlich der durchgeführten Fremdreparaturen gem.
§§ 529, 531 ZPO überhaupt noch zuzulassen ist, da jedenfalls dieser Vortrag der Klägerin
nicht ausreicht, um eine hinreichende Schätzgrundlage dafür zu bieten, dass ihr infolge der
Eigenreparatur ein Unternehmergewinn entgangen ist. Ein Anspruch auf Ersatz des
Unternehmergewinns käme nämlich nur dann in Frage, wenn die Klägerin vorgetragen
hätte, in so erheblichem Umfang Fremdreparaturen durchzuführen, dass unter normalen
Umständen davon auszugehen ist, dass sie ohne die Eigenreparatur des Fahrzeuges die
Werkstatt hätte gewinnbringend durch Durchführung von Fremdaufträgen einsetzen
können. Derjenige, der in seiner Werkstatt sowohl Eigen- als auch Fremdreparaturen
durchführt, muss nämlich konkret darlegen, dass ihm wegen der Eigenreparatur (aufgrund
von Kapazitätsauslastung) ein ersatzfähiger Gewinn aus anderen Reparaturen entgangen
ist (OLG Karlsruhe Schaden-Praxis 1999, 128). Solche hinreichenden Anhaltspunkte dafür,
dass der Klägerin Fremdaufträge entgangen sind, weil sie den Bus selbst repariert hat, hat
diese nicht vorgetragen. Die Reparatur des Busses ist in der Zeit vom 24.02. - 13.03.2003
erfolgt. Ausweislich der von ihr selbst vorgelegten Unterlagen konnte die Klägerin aber am
25.02. 28.02. 06.03, 10.03. und 19.03.2003 parallel zu dieser Instandsetzung durchaus
Fremdreparaturen durchführen, während sie z.B. im April nur an einem einzigen Tag,
nämlich dem 17.04.2003 Fremdaufträge durchgeführt hat. Ferner hat die Klägerin auch
keinerlei Zahlen zum regelmäßigen Umfang der von ihr durchgeführten Eigenreparaturen
vorgetragen, so dass nicht nachvollziehbar ist, welche Kapazitäten die Werkstatt der
Klägerin überhaupt hat und welchen prozentualen Anteil die von ihr behaupteten
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Fremdreparaturen am Gesamtvolumen der durchgeführten Reparaturen haben. Allein aus
den vorgetragenen Umsatzzahlen für Fremdreparaturen ist nicht zu ersehen, dass die
Klägerin in so überwiegendem Umfang Fremdreparaturen durchführt, dass bei normalem
Verlauf der Dinge ohne die durchgeführte Reparatur des streitgegenständlichen Busses die
Kapazitäten der Werkstatt gewinnbringend hätten eingesetzt werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.