Urteil des LG Bielefeld vom 18.10.2006

LG Bielefeld: grobe fahrlässigkeit, leichte fahrlässigkeit, feuer, alter, haftpflichtversicherung, eltern, versicherungsnehmer, verantwortlichkeit, vermieter, versicherer

Landgericht Bielefeld, 21 S 166/06
Datum:
18.10.2006
Gericht:
Landgericht Bielefeld
Spruchkörper:
21. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 S 166/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 17 C 334/06
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 31. Mai 2006 ver-kündete
Urteil des Amtsgerichts Bielefeld unter Zurückwei-sung des
Rechtsmittels im übrigen teilweise abgeändert.
Die Beklagten zu 2) und 3) werden als Gesamtschuldner ver-urteilt, an
die Klägerin 11.763,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über
dem Basiszinssatz seit dem 17.2.2006 zu zahlen.
Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin
tragen diese selbst zu 1/3 und die Beklagten zu 2) und 3) als
Gesamtschuldner zu 2/3.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) tragen diese
selbst.
Ausgenommen hiervon sind die durch die Verweisung angefal-lenen
Mehrkosten, die die Klägerin allein trägt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
1
Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
2
I.
3
Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 2.) und 3.) einen Anspruch auf Zahlung von €
11.763,61. Ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1.) besteht hingegen nicht.
4
1.) Ansprüche gegen den Beklagten zu 1.)
5
Ein Anspruch auf Zahlung des oben genannten Betrages gegen den Beklagten zu 1.)
besteht weder aus den §§ 823 Abs.1, 828 Abs.3 BGB i.V.m. § 67 Abs.1 VVG noch aus §
829 BGB i.V.m. § 67 Abs.1 VVG, den beiden einzig in Betracht kommenden
Anspruchsgrundlagen.
6
Ein Anspruch aus den §§ 823 Abs.1, 828 Abs.3 BGB i.V.m. § 67 Abs.1 VVG besteht
nicht, da der Beklagte zu 1.) den von ihm verursachten Schaden nicht grob fahrlässig
herbeigeführt hat.
7
Eine Verantwortlichkeit i.S. des § 828 Abs.3 BGB ist zwar gegeben. Danach ist ein über
sieben Jahre alter Minderjähriger für den Schaden, den er einem Dritten zugefügt hat,
nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die
zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.
8
Erforderliche Einsicht im Sinne dieser Norm bedeutet, dass der Minderjährige nach dem
Stand seiner Entwicklung die geistige Reife besitzen muss, die ihn in den Stand setzt,
das Unrecht seiner Handlung gegenüber den Mitmenschen und zugleich die
Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seiner Handlung selbst
einstehen zu müssen (Palandt-Sprau, BGB, 64. Auflage, § 828, Rdnr.6).
9
Dabei genügt allerdings ein allgemeines Verständnis dafür, dass das Verhalten
irgendwelche Gefahren herbeiführen kann, dagegen wird nicht verlangt, dass der
Minderjährige die Fähigkeit zur realen Vorstellung von den rechtlichen und
wirtschaftlichen Folgen seines Verhaltens hatte (BGH, Urt.v.28.02.1984, in: NJW 1984,
S.1958 ff.; BGH, Urt.v.29.04.1997, in: NJW-RR 1997, S.1110). Abzustellen ist allein auf
die intellektuelle Fähigkeit, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der
Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein, und nicht auch auf die
individuelle Fähigkeit, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten (BGH, a.a.O.).
10
Der Beklagte zu 1.) war zum Tatzeitpunkt knapp 7 Jahre und 11 Monate alt. Kinder in
diesem Alter wissen gemeinhin, dass der Umgang mit offenem Feuer gefährlich ist.
Normalerweise wird Kindern von klein auf immer wieder deutlich gemacht, dass Feuer
schlimmen Schaden anrichten kann und daher nur in Erwachsenenhände gehört.
11
Unerheblich ist, dass sich Kinder im Alter des Beklagten zu 1.) keine konkreten
Vorstellungen davon machen, welche verheerenden Folgen Brände anrichten können.
Maßgeblich ist allein, dass sie wissen, dass etwas "Schlimmes" passieren kann und
man deshalb als Kind nicht mit Feuer spielen darf.
12
Trotz bestehender Deliktsfähigkeit besteht aber kein Anspruch der Klägerin gegen den
Beklagten zu 1.).
13
Dieser haftet nur im Falle einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen
Schadensherbeiführung.
14
Bislang war umstritten, ob zwischen dem Gebäudefeuerversicherer und dem
Versicherungsnehmer ein konkludenter Regressverzicht des Versicherers für die Fälle
vereinbart ist, in denen der Wohnungsmieter einen Brandschaden durch einfache
Fahrlässigkeit verursacht hat und zwar unabhängig von der Frage, ob der Mieter eine
Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat.
15
Der Bundesgerichtshof bejaht dies und begründet dies mit einer ergänzenden
Vertragsauslegung des Gebäudeversicherungsvertrages (BGH, Urt.v.08.11.2000, in:
NJW 2001, S.1353 ff.). Für den Versicherer sei das Interesse des Vermieters erkennbar,
das in der Regel auf längere Zeit angelegte Vertragsverhältnis zu seinem Mieter so weit
wie möglich unbelastet zu lassen. Im Schadensfall wäre der Vermieter bei einer Haftung
des Mieters auch für leichte Fahrlässigkeit aber schon dadurch erheblich belastet, dass
ihn in seiner Eigenschaft als Versicherungsnehmer die Obliegenheit trifft, den
Versicherer bei der Durchsetzung der Regressforderung zu unterstützen. Dies führe
notwendig zu einem Konflikt mit den Interessen des Mieters, der bemüht sein werde,
den Regress des Versicherers abzuwenden (BGH, a.a.O.). Um dies zu verhindern, sei
im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein konkludenter Regressverzicht des
Versicherers für die Fälle anzunehmen, in denen der Wohnungsmieter einen
Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat. Die Frage des
Regressverzichts könne dabei nicht davon abhängen, ob der Mieter eine
Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, die auch eintrittspflichtig wäre (BGH, a.a.O.,
allerdings lediglich in einem obiter dictum).
16
Diese Auffassung ist auf Kritik gestoßen. Nach einem Teil der Rechtsprechung
(beispielhaft: OLG Hamm, Urt.v.28.10.2005, NJW-RR 2006, S.399) kommt ein
konkludenter Regressverzicht nicht in Betracht, wenn der Mieter durch eine
Haftpflichtversicherung an einer persönlichen Inanspruchnahme für den Brandschaden
geschützt ist. In diesem Fall sei kein schützenswertes Interesse des Vermieters an einer
Nichtinanspruchnahme des Mieters ersichtlich. Eine Belastung des Mietverhältnisses
sei nicht zu befürchten.
17
Trotz der Gegenmeinung hält der Bundesgerichtshof auch in seiner neuesten
Entscheidung zu dieser Frage ausdrücklich daran fest, dass der Regressverzicht
unabhängig von der Frage zu sehen ist, ob eine einstandspflichtige
Haftpflichtversicherung des Mieters besteht (BGH, Urt.v.13.09.2006, Az.: IV ZR 378/02).
18
Die Kammer schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofs an, womit eine
Haftung des Beklagten zu 1.) lediglich für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz besteht.
Eine solche grobe Fahrlässigkeit – für ein vorsätzliches Handeln ist nichts ersichtlich –
ist nicht gegeben.
19
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht
angestellt werden und nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten
musste (Palandt-Heinrichs, § 277, Rdnr.5).
20
Der Beklagte zu 1.) war zum Zeitpunkt seiner Tat knapp acht Jahre alt. Kinder in diesem
Alter unterschätzen in der Regel die Gefährlichkeit des Umgangs mit offenem Feuer.
Theoretisch sind ihnen die Gefahren bekannt. Allerdings überschätzen sie gemeinhin
ihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mit offenem Feuer und gehen davon aus, dass sie
genügend aufpassen und daher nichts passieren kann. Aufgrund ihres kindlichen Alters
21
sind sie außerstande, die realen Gefahren eines Brandes richtig einzuschätzen. Sie
stellen Überlegungen, die sich jedem Erwachsenen aufdrängen, nicht an, sondern
verharmlosen die Gefahren und meinen, sie zu beherrschen. Hinzu kommt, dass die
Gedanken des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt der Tat von der Frage beherrscht waren,
welche Weihnachtsgeschenke er am nächsten Tag bekommen werde, wodurch seine
Fähigkeit zu vernünftigem Verhalten eingeschränkt wurde.
Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten des Beklagten zu 1.) möglicherweise als
fahrlässig, nicht jedoch als grob fahrlässig einzustufen.
22
Ein Anspruch aus den §§ 823 Abs.1, 828 Abs.3 BGB i.v.m. § 67 Abs. 1 VVG scheidet
aus.
23
Gleiches gilt für einen Anspruch aus § 829 BGB i.V.m. § 67 Abs.1 VVG.
Billigkeitsgesichtspunkte, die eine Inanspruchnahme des Beklagten zu 1.) erfordern,
sind nicht ersichtlich. Zudem besteht die Haftung aufsichtspflichtiger Dritter (s.u.).
24
2.) Ansprüche gegen die Beklagten zu 2.) und 3.)
25
Die Beklagten zu 2.) und 3.) haften gesamtschuldnerisch auf Zahlung von € 11.763,61
aus §§ 832 Abs.1, 840 Abs. 1 BGB i.V.m. § 67 Abs. 1 VVG.
26
Sie haben am 23.12.2004 die ihnen gegenüber ihrem Sohn, dem Beklagten zu 1.),
obliegende elterliche Aufsichtspflicht verletzt.
27
Diese Aufsichtspflicht beinhaltet die Verpflichtung, das Kind zu beobachten, zu belehren
und aufzuklären, zu leiten und auf sein Verhalten Einfluss zu nehmen (Palandt-Sprau, §
832, Rdnr. 8). Das erforderliche Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich bei Kindern
nach deren Alter, Eigenart und Charakter, nach der Voraussehbarkeit des schädigenden
Verhaltens sowie danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in
der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen,
um Schädigungen Dritter durch ihre Kinder zu verhindern (Palandt-Sprau, a.a.O.).
28
Im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht obliegt es Eltern kleinerer Kinder, die Möglichkeit einer
Besitzerlangung von Streichhölzern bzw. Feuerzeugen im häuslichen Bereich im
Rahmen des Zumutbaren zu unterbinden oder jedenfalls zu erschweren (BGH,
Urt.v.17.05.1983, in: NJW 1983, S.2821). Denn das Entzünden eines Feuers übt auf
Kinder erfahrungsgemäß einen besonderen Reiz aus. Bei Kindern in noch unreifem
Alter liegt es nahe, dass sie ein Feuer nicht unter Kontrolle halten und dadurch schwerer
Brandschaden entsteht (BGH, a.a.O.). Ein strenger Maßstab ist insbesondere bei Eltern
anzulegen, deren Kinder noch im Grundschulalter sind (BGH, Urt.v.19.01.1993, in: NJW
1993, S.1003).
29
Die Beklagten zu 2.) und 3.) haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass
der Beklagte zu 1.) ungehinderten Zugang zu Feuerzeugen hatte. Diese lagen – für ihn
frei zugänglich – auf dem Esszimmertisch. Auch die Teelichte konnte der Beklagte zu 1.)
leicht an sich bringen, sie lagen in der Schublade des Sideboards im Esszimmer. Die
Beklagten zu 2.) und 3.) gaben an, dass das Sideboard maximal einen Meter hoch ist.
Der fast achtjährige Beklagte zu 1.) konnte die Schublade somit mühelos erreichen und
ein Teelicht entnehmen.
30
In dieser Situation, in der Feuerzeuge frei zugänglich herumliegen, obliegt es den Eltern
im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht, das Tun ihres Kindes ständig im Blick zu haben.
Unstreitig hielten sich die Beklagte zu 2.) zum Zeitpunkt des Zündelns im Kinderzimmer,
der Beklagte zu 3.) in der Küche auf. Beide konnten nicht beobachten, was ihr Sohn tat.
31
Die Aufsichtspflichtverletzung ist unabhängig von der Frage zu bejahen, ob der
Beklagte zu 1.) bereits zu einem früheren Zeitpunkt versucht hat, ein Feuerzeug zu
betätigen oder ob er dieses stets unbeachtet hat liegen lassen. Die Gefahr, dass ihn
irgendwann einmal der Reiz des Zündelns erfasst, und damit die Gefahr eines Brandes,
war stets gegeben.
32
Die Beklagten zu 2.) und 3.) haben auch grob fahrlässig im Sinne des § 276 BGB
gehandelt.
33
Wie bereits dargelegt, hatten sie im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht dafür Sorge zu tragen,
dass der Beklagte zu 1.) weder an Zündquellen noch an Teelichte gelangen konnte.
34
Gegen diese Verpflichtung haben die Beklagten zu 2.) und 3.) gröblichst verstoßen. Das
Feuerzeug, durch das letztlich der Wohnungsbrand entfacht wurde, lag deutlich sichtbar
auf dem Esszimmertisch. Der Beklagte zu 1) musste nur zugreifen und war schon in der
Lage, ein offenes Feuer zu entzünden. Auch das Teelicht war nicht hinreichend gegen
den Zugriff des Beklagten zu 1.) gesichert. Es lag zwar – anders als das Feuerzeug –
nicht offen und für jedermann zugänglich herum. Allerdings befand es sich in einer
Schublade, an die der Beklagte zu 1.) ohne weitere Anstrengung gelangen konnte. Sie
war weder abgeschlossen noch außer Reichweite des Beklagten zu 1.). Das Sideboard
war nach den Angaben der Beklagten zu 2.) und 3.) so niedrig, dass der Beklagte zu 1.)
die Schublade mühelos erreichen und öffnen konnte.
35
Insgesamt haben die Beklagten zu 2.) und 3.) gar nichts getan, um einen Zugriff des
Beklagten zu 1.) auf eine offene Feuerquelle zu verhindern. Sie haben schlichtweg
darauf vertraut, dass Beklagte zu 1.) – wie auch in der Vergangenheit – keinerlei
Interesse an der Feuerquelle zeigen werde.
36
Eine solche Annahme ist keinesfalls gerechtfertigt. Den Beklagten zu 2.) und 3.) hätte
sich vielmehr aufdrängen müssen, dass man Feuerzeuge nicht offen herumliegen lässt,
wenn sich kleine Kinder in der Wohnung befinden. Auch Kerzenmaterial muss versteckt
und für Kinder unzugänglich aufbewahrt werden.
37
Das Verhalten der Beklagten zu 2.) und 3.) ist als grob fahrlässig zu qualifizieren,
weshalb sie ihrem Vermieter auf Ersatz des durch den Brand entstandenen Schadens in
Höhe von € 11.763,61 haften. Dieser Anspruch ist nach § 67 VVG auf die Klägerin als
Gebäudefeuerversicherer übergegangen.
38
II.
39
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, 288 Abs.1, 247 BGB.
40
III.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92, 708 Nr.10, 713 ZPO.
42