Urteil des LG Berlin vom 15.03.2017

LG Berlin: wichtiger grund, abgabe, drucksache, gesetzesänderung, anhörung, alter, stadt, sammlung, quelle, link

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Gericht:
LG Berlin 84.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
84 AR 4/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 46 Abs 2 S 1 Alt 1 FGG, § 65a
Abs 1 FGG, § 65a Abs 2 S 2 FGG
Abgabe eines Betreuungsverfahrens: Berücksichtigung der
Belange des Betreuers bei der Abgabeentscheidung
Leitsatz
Abgabestreitigkeit zwischen Amtsgerichten in Betreuungsverfahren, verweigerte Zustimmung
des Betreuers
Tenor
Das Amtsgericht Hohenschönhausen ist nicht zur Übernahme des Verfahrens
verpflichtet.
Gründe
I.
Für die Betroffene ist Betreuung angeordnet. Das Verfahren wird beim Amtsgericht
Neukölln geführt.
Das Amtsgericht Neukölln hat das Verfahren durch Beschluss vom 30. November 2006
(Bl. 3 Band II der Akten) an das Amtsgericht Hohenschönhausen abgegeben. Nachdem
die Betroffene ihren Wohnsitz im Jahr 1998 verlegt und sich der Betreuer gegen eine
Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Charlottenburg ausgesprochen hatte, hatte
das Amtsgericht das Verfahren bei sich belassen, auch nachdem die Betreute im Jahr
1999 ihren Wohnsitz in den Bezirk des Amtsgerichts Hohenschönhausen verlegt hatte
(Bl. 158 Band II der Akten).
Zu der dem Betreuer durch Verfügung vom 02. Oktober 2006 mitgeteilten
beabsichtigten Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hohenschönhausen hat der
Betreuer mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 (Bl. 223 Band I der Akten) keine
Zustimmung zur Abgabe erteilt, sondern dieser widersprochen und um Mitteilung einer
schriftlichen Entscheidung innerhalb von zwei Wochen gebeten (Bl. 223 Band I der
Akten).
Daraufhin hat das Amtsgericht das Verfahren formlos an das Amtsgericht
Hohenschönhausen übersandt (Bl. 224 Band II der Akten).
Das Amtsgericht Hohenschönhausen hat keine Übernahmebereitschaft erklärt und das
Verfahren an das Amtsgericht Neukölln zurückgegeben. Dieses hat sodann durch
Beschluss vom 30. November 2006 die Abgabe an das Amtsgericht Hohenschönhausen
ausgesprochen (Bl. 3 Band II der Akten).
Zur Begründung des Abgabebeschlusses hat es ausgeführt, die Zustimmung des
Betreuers sei nach der neuen Rechtslage gemäß § 65 a FGG nicht mehr erforderlich.
Das Amtsgericht Hohenschönhausen ist dagegen der Auffassung, dass das Amtsgericht
Neukölln weiterhin für das Verfahren zuständig ist und hat das Verfahren dem
Landgericht Berlin zur Entscheidung über den Abgabestreit vorgelegt.
II.
Das Landgericht Berlin ist als gemeinsames oberes Gericht für Abgabestreitigkeiten
zwischen den beteiligten Amtsgerichten zuständig, §§ 65 a Abs. 1, 46 Abs. 2 S. 1, 1. Alt.
FGG. Das Amtsgericht Hohenschönhausen hat die Übernahme des
Betreuungsverfahrens mit Recht abgelehnt. Das Amtsgericht Neukölln ist weiterhin für
das Verfahren zuständig.
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Nach §§ 65 a Abs. 1, 46 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. FGG kann ein Betreuungsverfahren
abgegeben werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund ist es in der
Regel anzusehen, wenn der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt geändert hat und
die Aufgaben des Betreuers im Wesentlichen dort zu erfüllen sind. Vorliegend sind diese
Voraussetzungen gegeben, denn die Betreute hält sich schon seit einem längeren
Zeitraum auf Dauer unter der im Rubrum genannten Anschrift auf. Auch sind die
Aufgaben der Betreuung im Wesentlichen an diesem Wohnort zu erfüllen.
Die Voraussetzungen für eine wirksame Abgabe des Verfahrens, auch wenn das
Amtsgericht sie durch Beschluss ausgesprochen hat, liegen dennoch nicht vor.
Zwar bedarf es nach § 65 a Absatz 2 Satz 2 FGG neuer Fassung nicht mehr der
Zustimmung des Betreuers zur Abgabe des Verfahrens an ein anders Amtsgericht (vgl.
hierzu Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2494 vom 12.02.2004, Seite 40;
Bassenge/Roth, Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen
Gerichtsbarkeit/Rechtspflegergesetz, Kommentar, 11. Auflage 2007, § 65 a FGG Rn. 5).
Doch die zum 01. Juli 2005 in Kraft getretene Änderung des § 65 a Absatz 2 FGG durch
das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 21. April 2005 beschränkt sich auf
den Fortfall der formellen Zustimmungsbedürftigkeit des Betreuers zur Abgabe. Daraus
ist nicht zu schließen, dass die Belange des Betreuers bei der Abgabe nicht mehr zu
berücksichtigen und durch das abgebende Gericht nicht mehr zu prüfen sind. Das folgt
daraus, dass der Gesetzgeber durch das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz
vom 21. April 2005 die Vorschrift des § 65 a Absatz 2 Satz 1 FGG dahingehend ergänzt
hat, dass das abgebende Gericht dem Betreuer vor der Abgabe Gelegenheit zur
Äußerung zu geben hat.
Anlass zur Gesetzesänderung war für den Gesetzgeber die Annahme, dass durch die
bisherige Regelung in § 65 a Absatz 2 Satz 2 FGG die Verwirklichung des Grundsatzes,
dass die Betreuung möglichst ortsnah zum Aufenthaltsort des Betreuten durchgeführt
werden soll, erschwert werde und unterbliebene Abgaben nicht selten zu einem
erheblichen Verfahrens- oder Kostenaufwand (Reisen des Gerichts) führten, wenn sich
der Betroffene zwischenzeitlich weitab von seinem ehemaligen Wohnort aufhält. Für den
Gesetzgeber bestand kein sachlicher Anlass dafür, für das Abgabeverfahren dann, wenn
ein tatsächlicher Grund für die Abgabe vorliegt und das annehmende Gericht
übernahmebereit ist, weitere Hürden aufzubauen (vgl. Deutscher Bundestag,
Drucksache 15/2494 vom 12.02.2004, Seite 40). Dass ein solches Abgabeverfahren den
Interessen des Betreuers zuwiderlaufen könnte, hat der Gesetzgeber erkannt und sieht
den Interessen des Betreuers durch das Anhörungserfordernis hinreichend Genüge
getan (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2494 vom 12.02.2004, Seite 40).
Der vorliegende Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 12. Dezember 2006
berücksichtigt die Regelung der §§ 65 a Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 FGG dagegen nur
unzureichend und trägt dem Anhörungserfordernis nicht genügend Rechnung. Das
abgebende Amtsgericht hat das Erfordernis zur Anhörung der Betreuer unzureichend
gewürdigt. Auch wenn der Gesetzgeber das Zustimmungserfordernis aufgehoben hat,
folgt aus dem Anhörungserfordernis, dass die vom Betreuer hervorgebrachten
Bedenken vom abgebenden Gericht gewürdigt werden müssen. Anderenfalls würde das
Anhörungserfordernis keinen Sinn entfalten.
Das abgebende Gericht muss sich daher im Rahmen der Anhörung des Betreuers nach
§ 65 a Absatz 1 FGG mit den von dem Betreuer gegen die Abgabe vorgebrachten
Bedenken auseinandersetzen. Daran fehlt es vorliegend.
So geht das Betreuungsrecht weiterhin davon aus, dass die persönliche Betreuung
durch Angehörige gefördert werden soll (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2494
vom 12.02.2004, Seite 14). Die Frage, aus welchem Grund sich der ehrenamtliche
Betreuer gegen eine Abgabe des Verfahrens ausspricht, ist daher vom angebenden
Gericht nachvollziehbar zu würdigen und mit dem Grundsatz der §§ 65 a Abs. 1, 46 Abs.
1 S. 1, 1. Alt. FGG abzuwägen. Entscheidend kommt es daher darauf an, ob sich der
Betreuer aus sachwidrigen, unvertretbaren Gründen gegen eine Abgabe ausspricht oder
hierfür nachvollziehbare Gründe anführt. Zu berücksichtigen sind insoweit die nach der
bisherigen ständigen Rechtsprechung der Kammer im Verfahren über die Ersetzung der
Zustimmung des Betreuers aufgestellten objektiven Kriterien (Entfernung der beteiligten
Amtsgerichte zum Wohnort des Betreuers und Verkehrsverbindungen) und subjektiven
Kriterien, wie das Alter des Betreuers und die Dauer der bisherigen Betreuung. Hierbei
ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der zur Gesetzesänderung anlassgebende
Kostenfaktor in Berlin keine zwingende Bedeutung hat, sondern zu den konkret zu
würdigenden Umständen zählt, da die Entfernungen zwischen den einzelnen
würdigenden Umständen zählt, da die Entfernungen zwischen den einzelnen
Amtsgerichten in der Stadt sehr unterschiedlich ausfallen.
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