Urteil des LG Berlin vom 05.08.2009

LG Berlin: gebühr, vergütung, vertretung, anmerkung, korrespondenz, wohnung, zustellung, datum, verkündung, gesetzesänderung

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Gericht:
LG Berlin 82.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
82 T 453/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15a Abs 2 RVG, § 60 Abs 1 S 1
RVG, § 61 Abs 1 RVG, Teil 3
Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr
2300 RVG-VV
Rechtsanwaltsgebühr: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die
Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren in
Übergangsfällen
Leitsatz
1. Die (auch) die Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die
Verfahrensgebühr im Kosten- festsetzungsverfahren regelnde Bestimmung des § 15a Abs. 2
RVG ist ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 05. August 2009 anzuwenden.
2. Die Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, nach der es auf den Zeitpunkt der
Erteilung des unbedingten Auftrages oder auf die Bestellung oder Beiordnung des
Rechtsanwalts ankommt, ist für die Anwendung des § 15a Abs. 2 RVG nicht einschlägig.
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert des
Beschwerdegegenstandes von 319,52 € zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger sind Eigentümer eines Mietswohnhauses, die Beklagte ist Mieterin einer
Wohnung in diesem Haus. Mit Schreiben vom 07. September 2006 forderten die Kläger -
vertreten durch ihren späteren Prozessbevollmächtigten - die Beklagte auf, näher
beschriebene Renovierungsarbeiten in der Wohnung durchzuführen. In der Folgezeit
entwickelte sich eine Korrespondenz, bei der sich die Beklagte durch ihre späteren
Prozessbevollmächtigten vertreten ließ. Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2008 forderten
die anwaltlich vertretenen Kläger die Beklagte unter Beifügung eines
Kostenvoranschlages zur Vermeidung einer Klage auf, Schadensersatz wegen nicht
durchgeführter Renovierungsarbeiten in Höhe von 8.952,99 € zu zahlen. Die Beklagte
kam dieser Aufforderung nicht nach. Vor dem Amtsgericht Berlin-Wedding erhoben die
Kläger somit durch ihren Prozessbevollmächtigten am 02. Dezember 2008
Zahlungsklage über 8.952,99 €. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. März
2009 erkannte die Beklagte den überwiegenden Teil der Klageforderung an, woraufhin
die Kläger den Restbetrag zurücknahmen. In dem am selben Tage verkündeten
Anerkenntnisurteil erlegte das Amtsgericht den Klägern 8 % und der Beklagten 92 % der
Kosten des Rechtsstreits auf.
In dem nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren machten die Kläger - soweit hier
von Interesse - eine nach Nr. 1008 VV RVG um den Satz von 0,3 erhöhte 1,6
Verfahrensgebühr in Höhe von 718,40 € geltend. Die Beklagte meldete dem gegenüber
wegen der vorangegangenen außergerichtlichen Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten
eine um den Satz von 0,65 verminderte Verfahrensgebühr an. In dem angefochtenen
Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin die Kosten der Parteien ohne
Absetzungen ausgeglichen. Mit ihrer hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde
macht die Beklagte unter Vorlage der vorgerichtlichen Korrespondenz geltend, dem
Prozessbevollmächtigten der Kläger sei für seine vorgerichtliche Tätigkeit eine 1,3
Geschäftsgebühr angefallen, so dass auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3
Abs. 4 VV RVG die Hälfte hiervon anzurechnen sei. Die Kläger haben sich zum Anfall
einer Geschäftsgebühr nicht geäußert und verweisen auf die ständige Rechtsprechung
des 1. ZS des Kammergerichts, nach der die Anrechnung der Geschäftsgebühr im
Kostenfestsetzungsverfahren hier nicht zu berücksichtigen sei. Die Rechtspflegerin des
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Kostenfestsetzungsverfahren hier nicht zu berücksichtigen sei. Die Rechtspflegerin des
Amtsgerichts hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem
Landgericht Berlin zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde hat keinen
Erfolg. Zwar kann sich die Beklagte auf die ständige Rechtsprechung des BGH,
ausgehend von der Entscheidung des VIII. ZS des BGH in seinem Beschluss vom
22.01.2008, NJW 2008, 1323 = zfs 2008, 288 mit Anmerkung Hansens = AGS 2008, 158
= RVGreport 2008, 148 berufen. Danach ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr im
Kostenfestsetzungsverfahren unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die
Geschäftsgebühr nach materiellem Recht vom Prozessgegner zu erstatten ist und ob sie
unstreitig geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist. Diese Auffassung ist
jedoch weder mit dem Wortlaut des RVG vereinbar, noch beachtet sie die Grundsätze
des Erstattungsrechts. Ferner ist die Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die
Neuregelung in § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr anzuwenden.
1. Der VIII. ZS des BGH hat in seinem Beschluss vom 22.01.2008 ausgeführt, dass “die
Verfahrensgebühr wegen der in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehene
Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2400
VV RVG (a. F.) von vorn herein nur in gekürzter Höhe” entstehe, so dass “im Rahmen
der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht”
komme. Einige Zeilen später ist von einer “von selbst einsetzenden Kürzung” die Rede.
Für diese Auffassung findet sich im RVG für die hier nach dem Gegenstandswert
abzurechnenden Gebühren keine Stütze. Lediglich in Nr. 3103 VV RVG für die Tätigkeit in
sozialgerichtlichen Angelegenheiten ist geregelt, dass sich die als Betragsrahmengebühr
ausgestaltete Verfahrensgebühr bei einer vorangegangenen Tätigkeit des
Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren oder im Nachprüfungsverfahren nach
einem niedrigeren Gebührenrahmen bestimmt. Hingegen findet sich bei den
Gebührenregelungen für die nach dem Gegenstandswert zu berechnenden Gebühren
keine dem vergleichbare Bestimmung. Vielmehr ist in Nr. 3100 VV RVG geregelt, dass
die Verfahrensgebühr mit einem Satz von 1,3 entsteht, während in Nr. 3101 VV RVG
diejenigen Fälle aufgeführt sind, in denen die Verfahrensgebühr nur mit einem Satz von
0,8 anfällt. Der Fall der Anrechnung der Geschäftsgebühr ist hier nicht geregelt.
Im Übrigen wäre die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG
überflüssig, wenn bei vorangegangener vorgerichtlicher Vertretungstätigkeit des
Prozessbevollmächtigten die Verfahrensgebühr “von vorn herein nur in gekürzter Höhe”
entstehen würde. Außerdem führt die Rechtsprechung des BGH zu nicht überwindbaren
Schwierigkeiten in dem in der Praxis nicht seltenen Fall, dass der Prozessbevollmächtigte
seinem Auftraggeber für die vorgerichtliche Vertretungstätigkeit keine Geschäftsgebühr
berechnet und somit auch von dem ihm gem. § 14 Abs. 1 RVG eingeräumten Recht zur
Bestimmung der als Rahmengebühr ausgestalteten Geschäftsgebühr keinen Gebrauch
macht. In diesem Fall entsteht nach Auffassung des BGH die Verfahrensgebühr von vorn
herein in gekürzter Höhe, ohne dass mangels Berechnung der Geschäftsgebühr durch
den Anwalt ersichtlich wäre, in welcher Höhe dann die Verfahrensgebühr anfällt. In
anderen Fällen, siehe die Entscheidung des OLG Koblenz, RVGreport 2009, 229, führt die
Rechtsprechung des BGH dazu, dass der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren
überprüfen soll, ob der Prozessbevollmächtigte für seine vorgerichtliche
Vertretungstätigkeit nicht eine zu niedrige Geschäftsgebühr bestimmt hat. Ist dies nach
Meinung des Rechtspflegers der Fall, so soll er nach Auffassung des OLG Koblenz die
Geschäftsgebühr mit einem höheren Satz als vom Rechtsanwalt vorgenommen mit der
Folge bestimmen, dass der sich daraus ergebende höhere Anrechnungssatz die
Verfahrensgebühr weiter vermindert. Abgesehen davon, dass § 14 Abs. 1 S. 4 RVG die
Herabsetzung einer vom Rechtsanwalt unbillig zu hoch bestimmten Gebühr im Auge hat
und nicht etwa die Heraufsetzung einer angeblich zu niedrig bestimmten Gebühr, zeigt
die Entscheidung des OLG Koblenz a.a.O., dass die Verfahrensgebühr wegen der in
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnung eben nicht “von vorn herein
nur in gekürzter Höhe” entsteht.
Im Übrigen ist der VIII. ZS des BGH, ohne dies in seinem Beschluss vom 22. Januar 2008
zu erörtern - von der gefestigten Rechtsprechung des BGH zur vergleichbaren
Anrechnung der Geschäftsgebühr in § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO abgewichen.
In seinem Urteil vom 14.09.2004, NJW-RR 2005, 499 = RVGreport 2004, 472 hat der VI.
ZS ausgeführt, für die Vertretung der dortigen Klägerin im Schlichtungsverfahren bei
einer ärztlichen Schlichtungsstelle sei zwar eine Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr.
1 BRAGO angefallen, diese sei jedoch nach § 118 Abs. 2 BRAGO auf die entsprechenden
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1 BRAGO angefallen, diese sei jedoch nach § 118 Abs. 2 BRAGO auf die entsprechenden
Gebühren im anschließenden gerichtlichen Verfahren anzurechnen. Da diese Vorschrift -
insoweit abweichend von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG - die vollständige Anrechnung
der Geschäftsgebühr auf die Prozessgebühr regelt, hätte dies in Anwendung der
Auffassung des VIII. ZS zur Folge, dass dem Prozessbevollmächtigten überhaupt keine
Prozessgebühr angefallen sein müsste. Der VI. Zivilsenat des BGH ist jedoch vom Anfall
der Prozessgebühr und der nachfolgenden Anrechnung ausgegangen.
In seinem Urteil vom 05.12.1996, NJW 1997, 743 = Rpfleger 1997, 231 hat der IX.
Zivilsenat des BGH ausgeführt, dass dann, wenn der Rechtspfleger im
Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 19 BRAGO die vom Rechtsanwalt geforderte
Vergütung - hier einschließlich einer Prozessgebühr - in voller Höhe festgesetzt und eine
nach § 118 Abs. 2 BRAGO in Betracht kommende Anrechnung einer bereits gezahlten
Geschäftsgebühr unterlassen habe, die nachträgliche Anrechnung nicht im Wege der
Vollstreckungsklage gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss geltend gemacht
werden könne. Auch hier geht also der IX. Zivilsenat des BGH von einer
vorzunehmenden Anrechnung der Geschäftsgebühr aus und nicht etwa davon, dass die
der vollen Anrechnung unterliegende Prozessgebühr erst gar nicht entstanden sei.
Schließlich hat der I. ZS des BGH in seinem Urteil vom 26.04.1990, NJW-RR 1990, 1184
unter Rn. 40 seiner Entscheidung ausdrücklich eine Anrechnung einer Geschäftsgebühr
für ein vorgerichtliches Abmahnschreiben auf die Prozessgebühr des gerichtlichen
Verfahrens vorgenommen und - wegen unterschiedlicher Gegenstandswerte - einen
Differenzbetrag ermittelt. Dieser Rechenvorgang wäre dann nicht erforderlich gewesen,
wenn die Prozessgebühr - wie vom VIII. ZS des BGH angenommen - “von vorn herein nur
in gekürzter Höhe” entstanden wäre.
2. Außerdem führt die Rechtsprechung des BGH zu Ergebnissen, die mit den
Grundsätzen der Kostenerstattung nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. So erhält
die erstattungsberechtigte Partei, die ihren Prozessbevollmächtigten mit der
vorgerichtlichen Vertretung beauftragt hat, trotz der in § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO
angeordneten Erstattung der gesetzlichen Gebühren und Auslagen von der
Verfahrensgebühr nur deshalb lediglich einen Teilbetrag erstattet, weil sie eben ihrem
Prozessbevollmächtigten ein Vertretungsmandat erteilt hat. Dies gilt selbst in den
Fällen, in denen der erstattungsberechtigten Partei für die außergerichtlich angefallenen
Kosten ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch nicht zur Verfügung steht,
wie es beim Beklagten regelmäßig und bei der klagenden Partei sehr häufig der Fall ist.
Umgekehrt führt die Rechtsprechung des BGH in vielen Fällen zur Festsetzung eines zu
hohen Betrages. Nach den Ausführungen des VIII. ZS des BGH in seinem Beschluss vom
22.01.2008 ist nämlich eine Anrechnung nicht von Amts wegen, sondern erst auf
substantiierten, über eine Äußerung bloßer Vermutungen hinausgehenden Einwand des
Festsetzungsgegners zu beachten. Bei Unaufklärbarkeit der
Anrechnungsvoraussetzungen gehe die Beweislastentscheidung zu Lasten der
erstattungspflichtigen Partei. Kann somit der Erstattungspflichtige nicht hinreichend
substantiiert vortragen, dass dem Prozessbevollmächtigten des Erstattungsberechtigten
für vorgerichtliche Vertretungstätigkeit eine Geschäftsgebühr angefallen ist, wird somit
die Verfahrensgebühr in unverminderter Höhe festgesetzt, obwohl sie nach Auffassung
des BGH “von vorn herein nur in gekürzter Höhe” entstanden ist. Die Rechtsprechung
des BGH führt also in den Fällen, in denen zwar eine Geschäftsgebühr entstanden, ihr
Anfall nicht substantiiert dargetan wird, in der Auslegung des BGH zur Festsetzung von
Kosten, die der erstattungsberechtigten Partei in dieser Höhe in Form der
unverminderten Verfahrensgebühr gar nicht angefallen sind. Die Festsetzung nicht
entstandener Kosten ist jedoch dem Recht der Kostenerstattung fremd.
3. Der mehrfach erwähnten Grundsatzentscheidung des VIII. ZS des BGH haben sich
bisher sämtliche mit der Sache befassten Senate des BGH angeschlossen. Auch die
meisten Senate der OLG vertreten hinsichtlich der Berücksichtigung der Anrechnung der
Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren die selbe
Auffassung wie der BGH. Nur der 1. ZS des KG RVGreport 2009, 29 = NJW-RR 2009, 427
= AnwBl. 2009, 236 hat sich der Auffassung von Hansens, RVGreport 2007, 241 ff., 282
ff. angeschlossen, die Anrechnung der Geschäftsgebühr sei im
Kostenfestsetzungsverfahren nur ausnahmsweise dann zu berücksichtigen, wenn der
Erstattungspflichtige die Geschäftsgebühr gezahlt oder wenn die Geschäftsgebühr im
Rechtsstreit tituliert worden ist.
III.
Beim Bundesministerium der Justiz ist frühzeitig bemerkt worden, dass sich die
vorstehend erläuterte Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr in
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vorstehend erläuterte Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr in
eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Richtung entwickelt hatte. Mit seinem
“Problempapier” vom 05. Juni 2008 hat das BMJ eine erste Lösungsskizze zu einer
gesetzlichen Neuregelung entworfen (siehe hierzu Hansens, RVGreport 2008, 293).
Nunmehr ist in Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im
anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der
Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I
S. 2249, 2270), die die Anrechnung von Gebühren regelnden neue Vorschrift des § 15a
RVG eingefügt worden. Diese Vorschrift regelt in ihrem Abs. 1 die Anrechnung im
Innenverhältnis (siehe hierzu ausführlich Hansens, RVGreport 2009, 161, 162; 201 ff.
sowie AnwBl. 2009, 535 ff.), während in ihrem Abs. 2 die Wirkung der Anrechnung im
Verhältnis zu Dritten geregelt ist (siehe Hansens, RVGreport 2009, 161, 162 und 201,
202). Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den
Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen
ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in dem selben Verfahren gegen
ihn geltend gemacht werden. Keiner dieser abschließend geregelten Fälle ist hier
gegeben, so dass sich die Beklagte in Anwendung des § 15a Abs. 2 RVG hier nicht auf
die Anrechnung der gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehenden 1,3
Geschäftsgebühr berufen kann.
4. Die Bestimmung des § 15a Abs. 2 RVG ist hier anwendbar. Gem. Art. 10 S. 2 des
Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht
tritt diese Vorschrift - neben vielen anderen - am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Das genannte Gesetz ist im BGBl. am 4. August 2009 veröffentlicht worden, so dass es
am 5. August 2009 in Kraft getreten ist.
Dem gegenüber regelt sich das Inkrafttreten jedenfalls der hier anwendbaren
Bestimmung des § 15a Abs. 2 RVG nicht nach der allgemeinen Übergangsvorschrift des
§ 60 RVG, die auf den Zeitpunkt des unbedingten Auftrages abstellt. Diese Vorschrift
bestimmt nämlich, dass die Vergütung unter den näher aufgeführten Voraussetzungen
“nach bisherigem Recht zu berechnen ist”. Hier geht es jedoch nicht um die
Berechnung
Verhältnis zu dem Dritten, hier also um die Höhe des Erstattungsanspruchs der Kläger.
Diese Frage hat mit der Berechnung der Anwaltsvergütung nichts zu tun. Ebenso wie die
Neuregelung bei Vergütungs- und Erfolgshonoraren zum 01.07.2008 ohne Anwendung
der Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG sofort zum 01.07.2008 in Kraft
getreten ist (siehe hierzu Hansens, RVGreport 2008, 226 ff.), ist auch die Neufassung
des § 15a Abs. 2 RVG direkt ab Inkrafttreten der Vorschrift anwendbar (so auch Hansens
RVGreport 2009, 241, 246 und AnwBl. 2009, 535, 540).
Für eine sofortige Anwendung der Neuregelung spricht auch der Umstand, dass der
Gesetzgeber mit der Einfügung des § 15a RVG lediglich das geregelt hat, was sich seiner
Auffassung nach bereits aus der früheren Fassung des RVG ergeben hat. Aus der
Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/12717 S. 67 f.) folgt nämlich, dass der
Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH ausdrücklich rückgängig machen wollte:
“Dieses Verständnis der Anrechnung (in der Rechtsprechung des BGH) führt zu
unbefriedigenden Ergebnissen, weil es den Auftraggeber benachteiligt..... Eine
kostenbewusste Partei müsste deshalb die außergerichtliche Einschaltung eines
Rechtsanwalts ablehnen und ihm statt dessen sofort Prozessauftrag erteilen. Soweit
Rahmengebühren anzusetzen sind, wird das Kostenfestsetzungsverfahren überdies mit
einer materiell-rechtlichen Prüfung belastet, für die es sich nicht eignet. Beides läuft
unmittelbar den Absichten zuwider, die der Gesetzgeber mit dem
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt hat.”
Dem gegenüber führte die Anwendung der Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG
dazu, dass die Neuregelung des § 15a Abs. 2 RVG unter Umständen für einen langen
Zeitraum nicht anwendbar wäre. Denn die Frage der Berücksichtigung der Anrechnung
einer Gebühr stellt sich erst, wenn überhaupt eine zweite der Anrechnung unterliegende
Gebühr entstanden ist. Folglich wäre in dem hier zu entscheidenden Fall bei Anwendung
des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG darauf abzustellen, wann die Kläger ihrem
Prozessbevollmächtigten den Prozessauftrag für den vorangegangenen Rechtsstreit
erteilt haben. Dies ist hier jedenfalls vor dem 02. Dezember 2008, dem Datum der
Klageschrift, erfolgt, was zur Folge hätte, dass die Neuregelung des § 15a Abs. 2 RVG in
diesem Fall keine Anwendung findet. Es ist jedoch nicht sachgerecht und dem Bürger
auch nicht zuzumuten, eine vom Gesetzgeber als unrichtig angesehene und mit der
Neuregelung wieder rückgängig gemachte Rechtsprechung auch nach dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes noch weiter anzuwenden.
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Im Übrigen hat auch der BGH eine Gesetzesänderung sogar rückwirkend in Altfällen
angewandt. So hat er in seinem Urteil vom 24.04.2008, NJW-RR 2008, 1647 = AnwBl.
2008, 630 = RVGreport 2008, 256 = zfs 2008, 465 mit Anmerkung Hansens, die zum
18. Dezember 2007 in Kraft tretende Änderung des § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO wegen
Verfassungswidrigkeit der Vorgängerregelung auch auf Altfälle vor dem Inkrafttreten der
Neuregelung angewandt. Ob vergleichbar eine rückwirkende Anwendung des § 15a Abs.
2 RVG in Betracht kommt, bedarf keiner Entscheidung. Denn hier geht es um die
Anwendung der Vorschrift ab dem Inkrafttreten der Neuregelung.
Dem gegenüber folgt die Kammer der - nicht näher begründeten Auffassung, es sei die
Übergangsregelung des § 60 RVG anzuwenden, so Hess. LAG RVGreport 2009, 302;
Volpert VRR 2009, 254, 257, nicht.
IV.
Zusammenfassend kann somit festgestellt werden: Die bisherige Rechtsprechung des
BGH zur Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die
Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren und dem folgend die Entscheidungen
der meisten OLG zu dieser Frage beruhen auf einer unrichtigen Auslegung des
Gebührenrechts und ist auch mit den hergebrachten Grundsätzen des Rechts der
Kostenerstattung nicht vereinbar. Diese Rechtsprechung ist deshalb nach dem erklärten
Willen des Gesetzgebers, der in der Neufassung des § 15a Abs. 2 RVG zum Ausdruck
kommt, ab dem Inkrafttreten dieser Neuregelung nicht mehr anwendbar. Dies führt im
hier zu entscheidenden Fall dazu, dass die Verfahrensgebühr des
Prozessbevollmächtigten der Kläger - wie von der Rechtspflegerin im angegriffenen
Beschluss auch vorgenommen - in unverminderter Höhe auszugleichen ist.
V.
Die sofortige Beschwerde ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde an den
BGH (§ 574 ZPO) liegen vor, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zwar
hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 15a RVG unmissverständlich zum
Ausdruck gebracht, dass die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Frage der
Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nicht dem Willen des
Gesetzgebers entsprochen hat. Jedoch stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die
Neuregelung anzuwenden ist, auch in der Übergangszeit in einer Vielzahl von Fällen. Sie
bedarf deshalb grundsätzlicher Klärung.
Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses
Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof durch
einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen (§ 575 ZPO).
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