Urteil des LG Berlin vom 14.03.2017

LG Berlin: werbung, begriff, anzeige, dienstwagen, auslieferung, weiterverkauf, verbraucher, entstehungsgeschichte, anwendungsbereich, konkretisierung

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Gericht:
LG Berlin 15.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 O 863/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 1 Abs
1 Pkw-EnVKV, § 2 Nr 1 Pkw-
EnVKV, § 5 Abs 1 Pkw-EnVKV
Wettbewerbsverstoß durch unterlassene
Energieverbrauchskennzeichnung für einen Neuwagen: Begriff
des "neuen Personenkraftwagens" und Annahme einer von
vorneherein bestehenden Verkaufsabsicht bei zwischenzeitlicher
anderweitiger Nutzung
Tenor
1. Der Beklagten wird bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft,
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an ihren
Geschäftsführer, untersagt,
im geschäftlichen Verkehr für neue Personenkraftwagen einzeln unter Angabe
ihrer Motorisierung, z.B. Motorleistung, Hubraum, Motorbeschleunigung, in
Druckschriften, die für die Vermarktung von Fahrzeugen und zur Werbung in der
Öffentlichkeit verwendet werden, zu werben, ohne die vollständigen Werte über den
offiziellen Kraftstoffverbrauch, mithin die Werte des Testzyklus innerorts und außerorts
sowie kombiniert, sowie die offiziellen spezifischen CO2-Emissionen im kombinierten
Testzyklus anzugeben, sofern dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben und der
Pkw 16 Tage nach Zulassung zum Verkauf angeboten wird und zu diesem Zeitpunkt
einen Kilometerstand von 240 Kilometern aufweist:
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors zu Ziffer 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 30.000,00 Euro und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu
vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10 vom Hundert vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Werbung für Neuwagen ohne
Angabe von Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO
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-Emissionen in
Anspruch. Vorausgegangen ist ein Eilverfahren vor der Kammer (15 O 521/06); die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil vom 26.9.2006 hat das Kammergericht durch
Beschluß vom 11.5.2007 – 5 U 190/06 gem. § 522 ZPO zurückgewiesen.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben
Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf
gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.
Die Beklagte betreibt mehrere Autohäuser in B und B. Sie warb in der Zeitung "Der T"
vom 24.06.2006 mit der aus dem Tenor ersichtlichen Anzeige (Anl. K3) für den Pkw
"Peugeot 1007 1.4 Filou " unter Angabe der Motorleistung von 55 kW, der Erstzulassung
vom Juni 2006 und einer Gesamtleistung von 1500 km, aber ohne jegliche Angabe
hinsichtlich Kraftstoffverbrauch und CO
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-Emissionen.
Der Kläger behauptet, dass der Pkw am 27.6.2006 lediglich 240 km gefahren sei, und
bestreitet, dass die Beklagte den Pkw vom Hersteller gekauft habe. Er ist der Ansicht,
dass die Anzeige der Beklagten eine Werbung darstelle, die gegen § 1 Abs. 1 der
Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO
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Emissionen neuer Personenkraftwagen (im folgenden Pkw-EnVKV) verstoße. Nach dieser
Vorschrift seien, sofern für einen Neuwagen geworben werde, immer der
Kraftstoffverbrauch und die CO
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-Emissionen zu nennen.
Der Kläger beantragt,
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was erkannt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass der Pkw tatsächlich insgesamt 700 km als Vorführ- und
Dienstwagen genutzt wurde. Hinsichtlich des Kaufs des Pkw hat sie eine Rechnung der P
D GmbH vom 12.5.2005 (Anl. BK2, Bl. 60 dA) vorgelegt.
Sie ist der Ansicht, dass der beworbene Pkw nicht unter die Kennzeichnungspflicht des §
1 Abs. 1 Pkw-EnVKV falle, da dieser kein Neuwagen sei. Nach der Begriffsbestimmung
des § 2 Nr. 1 Pkw-EnVKV seien nur Kraftfahrzeuge erfasst, "die noch nicht zu einem
anderen Zweck als dem des Weiterverkaufs oder der Auslieferung verkauft wurden". Bei
dem beworbenen Pkw sei dies jedoch nicht der Fall. Der streitbefangene Pkw sei nämlich
zu einem anderen Zweck als dem Weiterverkauf oder der Auslieferung an die Beklagte
verkauft worden. Sie habe den Wagen als Vorführwagen, Werkstatt-Ersatzwagen und
Dienstfahrzeug für Betriebsangehörige genutzt. Ferner verweist die Beklagte auf die
Entstehungsgeschichte der europäischen Richtlinie, die der Pkw-EnVKV zugrunde liegt:
Dort habe sich der Änderungswunsch des Parlaments, die Begriffbestimmung um
"Fahrzeuge mit Tageszulassung und Jahreswagen" zu ergänzen, nicht durchsetzen
lassen. Im Übrigen werde ihre Ansicht auch durch eine Parallelwertung zum Kaufrecht
belegt, wonach ein Vorführwagen kein Neuwagen sei und als solcher nicht beworben
werden dürfe. Demzufolge könne ein Fahrzeug, das nicht als "Neuwagen" beworben oder
verkauft werden dürfe, nicht gleichzeitig einer Kennzeichnungspflicht für "neue
Personenkraftwagen" unterfallen, ohne zu Wertungswidersprüchen zu führen. Auch im
Rahmen irreführender Werbung mit dem Begriff "Neuwagen" komme es entscheidend
darauf an, dass der Pkw niemals gefahren worden sei. Schließlich scheitere der hier
geltend gemachte Unterlassungsanspruch an der Bagatellklausel des § 3 UWG.
Darüber hinaus sei der Klageantrag zu unbestimmt gefasst, da die zu unterlassende
Wettbewerbungshandlung fast ausschließlich mit gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen
umschrieben werde. Insbesondere sei der Gebrauch des Begriffs "neue
Personenkraftwagen" dann nicht hinnehmbar, wenn die Bedeutung dieses Begriffs
streitig sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger steht der tenorierte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, §§
3, 4 Nr. 11 UWG iVm § 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 Pkw-EnVKV zu.
1.
Gemäß § 4 Nr. 11 UWG liegt eine unlautere Wettbewerbungshandlung u.a. in der
Zuwiderhandlung gegen eine gesetzliche Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im
Interesse der Markteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Dies ist hier der Fall:
a) Die verfahrensgegenständliche Werbung der Beklagten verstößt gegen §§ 1 Abs. 1, 5
Abs. 1 Pkw-EnVKV. i.V.m. Abschnitt I der Anlage 4, da für den Pkw nicht der offizielle
Kraftstoffverbrauch und die offiziellen spezifischen CO
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-Emissionen angegeben waren.
Insbesondere wird der streitbefangene Pkw vom Anwendungsbereich der Pkw-EnVKV
erfasst, da es sich hierbei um einen "neuen Personenkraftwagen" gemäß § 2 Nr. 1 Pkw-
EnVKV handelt. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 1 Pkw-EnVKV sind neue
Personenkraftwagen Kraftfahrzeuge, die noch nicht zu einem anderen Zweck als dem
des Weiterverkaufs oder der Auslieferung verkauft wurden. Jedenfalls angesichts der
vorliegenden besonderen Fallumstände ist hier von solch einem Pkw auszugehen, ohne
dass es darauf ankommt, ob es sich um einen von der Beklagten lediglich in
Kommission für die Herstellerin verkauften Pkw handelt, der ohne weiteres dem
Anwendungsbereich der Pkw-EnVKV unterfallen dürfte:
Zwar will die Beklagte das in der Anzeige genannte Fahrzeug als Vorführauto,
Werkersatzauto und Dienstwagen für Betriebsangehörige genutzt haben. Die Umstände
lassen aber nur den Schluss zu, dass die Beklagte den Pkw zum Zweck des
Weiterverkaufs erworben hatte. Denn bei einer Zulassung am 8.6.2006 und einer
einwöchigen Überlassung für Testzwecke an eine Kundin am 17.6.2006 bei einem
Kilometerstand von 18 km sowie einer Laufleistung von 240 km am 27.6.2006 ist davon
auszugehen, dass die am 27.6.2006 gegenüber dem Zeugen S bekundete
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auszugehen, dass die am 27.6.2006 gegenüber dem Zeugen S bekundete
Verkaufsabsicht bereits von vornherein bestanden hatte und die anderweitige Nutzung
lediglich der Überbrückung bis zum Verkauf des Pkw diesen sollte. Andere Umstände,
die eine Änderung der ursprünglichen, nicht auf den Weiterverkauf gerichteten Absicht
der Beklagten nachvollziehbar machen würden, hat diese nicht vorgetragen. Die
Laufleistung von 240 km am 27.6.2006 ist auch der hiesigen Entscheidung zu Grunde zu
legen, da die Beklagte zwar vorgetragen hat, dass der Pkw tatsächlich insgesamt 700
km als Vorführ- und Dienstwagen genutzt worden sei, was aber nicht ausschließt, dass
der Pkw noch nach dem 27.6.2006 bis zu seinem tatsächlichen Verkauf von der
Beklagten in einer zu dieser Laufleistung führenden Weise verwendet wurde.
Der Verweis der Beklagten auf die Entstehungsgeschichte der der Pkw-EnVKV
zugrunde liegenden Richtlinie verfängt nicht. Denn der Umstand, dass "Fahrzeuge mit
Tageszulassung und Jahreswagen" (denen Vorführwagen allerdings insoweit gleichstehen
dürften) nicht in die Begriffsbestimmung aufgenommen wurden, zwingt nicht zu dem
Schluss, dass diese dem Regelungsbereich der Richtlinie entzogen bleiben sollten (OLG
Köln, Urteil vom 14.2.2007 – 6 U 217/06).
Dieses Ergebnis führt auch nicht zu Wertungswidersprüchen hinsichtlich des
Neuwagenbegriffs im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht. Es kann für das hiesige
Verfahren dahin stehen, inwieweit ein als Neuwagen verkaufter Vorführwagen einen
Sachmangel i.S.d. § 434 BGB darstellt. Denn diese Vorschriften schützen das
Äquivalenzinteresse des Käufers, das schon bei einer geringfügigen Vornutzung
beeinträchtigt wird, während eine leichte Umgehungsmöglichkeit dem Sinn und Zweck
der Pkw-EnVKV zuwiderliefe.
Auch ein Wertungswiderspruch zum Wettbewerbsrecht besteht nicht. Die Frage,
wann die Bezeichnung "Neuwagen" irreführend ist, hat mit der hier maßgeblichen
Subsumtion unter die Regelung der Pkw-EnVKV nichts zu tun.
b) Die Pkw-EnVKV ist eine gesetzliche Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im
Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Denn sie soll durch
genaue, zweckdienliche und vergleichbare Informationen über den Verbrauch und CO
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Emissionen das Kaufverhalten der Verbraucher beeinflussen (Kammergericht, Beschluss
vom 11.5.2007 – 5 U 190/06; OLG Köln, aaO).
2.
Der Wettbewerb wird durch den Verstoß nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Denn durch
die Nichtangabe des Verbrauchs und der CO
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-Emissionen wird die von der Pkw-EnVKV
beabsichtigte Vergleichsmöglichkeit für den Verbraucher ausgeschlossen (OLG Köln,
aaO).
3.
Der dem Klageantrag entsprechende Unterlassungstenor genügt auch den
Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO. Entgegen der Auffassung der Beklagte ist der
Begriff "neue Personenkraftwagen" hinreichend bestimmt, obwohl er den
Gesetzeswortlaut wiedergibt und obwohl die Bedeutung zwischen den Parteien streitig
ist. In einem solchen Fall reicht es nämlich aus, dass der Kläger hinreichend deutlich
macht, dass er nicht ein Verbot im - umstrittenen - Umfang des Gesetzeswortlauts
beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten
Verletzungshandlung orientiert (BGH GRUR 2001, 529, 531 - Herz-Kreislauf-Studie). Das
trifft hier zu, da sich der Tenor auf die beanstandete Werbeanzeige bezieht ("sofern dies
geschieht wie in Anlage A 3 wiedergegeben") und zudem ausdrücklich auf die konkreten
Umstände des Falles begrenzt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
auf § 709 ZPO. Die Konkretisierung des Unterlassungsantrags durch den Kläger stellt
keine kostenpflichtige Teilklagerücknahme dar. Denn der Kläger erhält nach der
Konkretisierung nicht weniger als ursprünglich beantragt. Insbesondere hat er der
Beklagten nicht untersagen lassen wollen, Fahrzeuge mit einer Laufleistung von 1500
km ohne Angabe der Verbrauchsdaten anzubieten. Vielmehr ist der Antrag auch nach
dem vorgetragenen Sachverhalt auszulegen. Der Kläger hat im hiesigen Verfahren das
Angebot eines Pkw 16 Tage nach Zulassung mit einem Kilometerstand von 240 gerügt,
nicht aber das Angebot von Fahrzeugen mit einer Laufleistung von 1500 km. Letzteres
wäre daher vom ursprünglich beantragten Verbotstenor auch nicht erfasst gewesen.
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