Urteil des LG Berlin vom 14.03.2017

LG Berlin: anschluss, minderjähriger, eltern, volljährigkeit, auflage, vertreter, repressalien, staat, privatklage, strafverfahren

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Gericht:
LG Berlin 30.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
530 - 37/09, (530) 5
Ju Js 343/07 (37/09)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 395 StPO, § 396 StPO
Leitsatz
Ein minderjähriger Nebenkläger kann selbständig und ohne die Zustimmung seiner Eltern den
Anschluss an die öffentliche Klage erklären, sofern er über genügend Verstandesreife verfügt.
Tenor
In der Strafsache … wird festgestellt, dass sich die Verletzten … und … als Nebenkläger
wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen haben.
Gründe
Die Berechtigung zum Anschluss als Nebenkläger folgt aus § 395 Abs. 1 Nr. 1a StPO.
Dem Angeklagten werden durch die zugelassene Anklageschrift vom 26. August 2008
unter anderem Taten gem. § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu Lasten der Zeugen … und …
vorgeworfen.
… (geboren am … … ) und … (geboren am …) haben durch Schriftsatz ihrer
Rechtsanwältin … vom 16. Oktober 2008, eingegangen bei Gericht am selben Tage, den
Anschluss an die öffentliche Klage erklärt. Die Zustimmung ihrer Eltern haben sie nicht
eingeholt, weil sie unter keinen Umständen wollen, dass ihre Eltern von den der Anklage
zugrunde liegenden Missbrauchstaten erfahren. Sie haben eindringlich vorgetragen,
dass sie erhebliche familiäre Probleme und Repressalien befürchten müssen, falls in
ihrem sozialen und familiären Umfeld bekannt werden würde, dass sie Opfer von Taten
des sexuellen Missbrauchs geworden sind. Sie müssten sogar um ihr Leben fürchten,
falls die gegen sie verübten Taten in ihrem Umfeld bekannt werden würden. Die
Verletzten stammen aus einem kulturellen Umfeld, in dem besonders strenge
Moralvorstellungen herrschen, wonach missbrauchte oder vergewaltigte Mädchen und
Jungen als „entehrt“ angesehen werden.
Der Wirksamkeit der Anschlusserklärung steht nicht entgegen, dass die Nebenkläger
noch minderjährig sind und eine Zustimmung ihrer Eltern nicht vorliegt. Vielmehr genügt
es, dass die Verletzten ausreichende Verstandesreife in Bezug auf ihren Anschluss als
Nebenkläger besitzen.
Die Vorschriften zur Nebenklage enthalten kein Erfordernis dergestalt, dass die Abgabe
der Anschlusserklärung nach § 396 StPO Volljährigkeit voraussetzt. Eine Regelung, dass
Minderjährige ihre Anschlusserklärung allein unter Vertretung ihrer
Erziehungsberechtigten abgeben dürfen, ist nicht ersichtlich.
Die einzige Altersbestimmung der Nebenklagevorschriften bezieht sich auf die Frage,
wann ein Nebenkläger anwaltlichen Beistands bedarf. Nach § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO
unterliegt die Bestellung des Beistands geringeren Voraussetzungen, falls der
Nebenkläger bei Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Diese
Vorschrift hat der Gesetzgeber unlängst neu gefasst (2. Opferrechtsreformgesetz vom
29. Juli 2009, BGBl. I, S. 2280), um sie mit internationalen Opferschutzvorschriften
dahingehend zu harmonisieren, dass der Schutz minderjähriger Verletzter durch
Erweiterung der „ Unterstützung“ im laufenden Verfahren verbessert wird;
die Prozessfähigkeit der minderjährigen Opfer wurde dabei nicht problematisiert (vgl. BT-
Dr. 16-12098, S. 2, 32, 41; BT-Dr. 16-13671, S. 2, 22). Es ist aufschlussreich, dass der
Gesetzgeber darauf verzichtet hat, eine dem neuen § 397a StPO vergleichbare
Altersgrenze in die Vorschriften über die Anschlusserklärung in §§ 395, 396 StPO
aufzunehmen. Im Gegenteil sieht auch § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO, obgleich man bei der
Neufassung ausdrücklich Verletzte unter 18 Jahren im Blick hatte, die
Beistandsbestellung zugunsten des Nebenklägers „auf Antrag“ (§ 397a Abs.1
1.HS) vor. Ein Erfordernis, dass der Nebenkläger für diesen Antrag volljährig oder aber
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1.HS) vor. Ein Erfordernis, dass der Nebenkläger für diesen Antrag volljährig oder aber
vertreten sein muss, hat der Gesetzgeber hier nicht statuiert.
Das Strafprozessrecht enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz dergestalt, dass
Prozesshandlungen zu ihrer Wirksamkeit der Volljährigkeit des Handelnden bedürfen.
Vielmehr ist für die Ausübung strafprozessualer Rechte im Regelfall die Strafmündigkeit
bzw. Verstandesreife des Prozessbeteiligten entscheidend (vgl. zum Ganzen Eisenberg,
GA 1998, S. 33).
Für die Fälle, in denen der Gesetzgeber Volljährigkeit ausnahmsweise für notwendig hält,
hat er eine ausdrückliche Regelung getroffen. Dies gilt insbesondere für die Privatklage
(§ 374 Abs. 3 StPO) und für den Strafantrag (§ 77 Abs. 3 StGB). Eine vergleichbare
Regelung enthalten die §§ 395 ff. StPO auch nach den jüngsten Neufassungen gerade
nicht. Soweit in anderen Verfahrensarten Volljährigkeit gefordert wird, sind deren
funktionelle Unterschiede zur Nebenklage zu beachten. So initiiert die Nebenklage im
Gegensatz zu Privatklage (vgl. insoweit auch BT-Dr. 16/12098, S. 31), Strafantrag oder
auch Klageerzwingung nicht das Verfahren, sondern begleitet lediglich die bereits
erhobene öffentliche Klage als „Annex“. Das Adhäsionsverfahren wiederum steht
aufgrund seines zivilrechtlichen Hintergrunds dem Rechtsgedanken aus § 52 ZPO näher
als die strafrechtlich geprägte Nebenklage; abgesehen davon können nach § 52 ZPO (i.
V. m. § 112, § 113 BGB) auch Minderjährige prozessfähig sein (vgl. Zöllner/Vollkommer,
ZPO, 27. Auflage 2009, § 52, Rdnr. 4).
Volljährigkeit ist auch für den Beschuldigten, an den lediglich der Maßstab der
Strafmündigkeit gelegt wird, keine Voraussetzung zur Ausübung seiner
Beteiligungsrechte. Vielmehr besitzt ein Minderjähriger hier die gleiche Stellung wie ein
Volljähriger, da er gemäß § 67 Abs. 1 JGG seine Beschuldigtenrechte selbständig
wahrnehmen und dabei insbesondere Anträge stellen darf (vgl. Eisenberg, JGG, 13.
Auflage 2009, § 67, Rdnr. 3). Der minderjährige Beschuldigte ist auch zur selbständigen
Einlegung der Rechtsmittel berechtigt (vgl. Eisenberg, JGG, 13. Auflage 2009, § 55, Rdnr.
5). Zudem darf ein minderjähriger Beschuldigter die Entscheidung über Wahl und
Auswahl seines Verteidigers selbständig treffen (vgl. Eisenberg, JGG, 13. Auflage 2009, §
68, Rdnr. 18). Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt insoweit nichts anderes, da es
einem Minderjährigen ebenfalls möglich ist, selbständig gemäß § 67 Abs. 1 OWiG
Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid einzulegen (LArbG Nürnberg, Az. 6 Ta 137/99
vom 28. Juni 1999).
Die trotz Minderjährigkeit selbständige Ausübung von strafprozessualen Rechten hat der
Gesetzgeber aber nicht allein dem Beschuldigten vorbehalten. Vielmehr darf gemäß §
52 Abs. 2 S. 1 StPO der minderjährige Zeuge über die Ausübung seines
Zeugnisverweigerungsrechts unabhängig von seinem gesetzlichen Vertreter
entscheiden, falls er über ausreichende Verstandesreife verfügt, um die Bedeutung des
Zeugnisverweigerungsrechts zu erfassen (Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 52, Rdnr.
18 m. w. N). Ein minderjähriger verstandesreifer Zeuge entscheidet zudem selbständig
über die Ausübung seines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 Abs. 1 StPO
hinsichtlich möglicher Selbstbelastung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 55, Rdnr.
11 m. w. N.). Unter derselben Voraussetzung ausreichender Verstandesreife darf ein
Minderjähriger gemäß § 81c Abs. 3 S. 2 StPO selbständig und unabhängig von seinem
gesetzlichen Vertreter die Durchführung von Untersuchungen sowie die Entnahme von
Blutproben verweigern. Auch die Entscheidung über Wahl und Auswahl eines
Zeugenbeistands gemäß § 68b StPO darf ein verstandesreifer Minderjähriger
selbständig treffen. Zudem ist ein minderjähriger Zeuge berechtigt, gegen ihn
belastende Beschlüsse (beispielsweise die Verhängung von Ordnungsmitteln)
selbständig Rechtsmittel einzulegen und mit der Geltendmachung seiner Rechte einen
Rechtsanwalt zu beauftragen (vgl. KG, Beschluss vom 30. Oktober 2008 -4 Ws 104/08–,
in dem dies so selbstverständlich angenommen wurde, dass diese Frage nicht einmal
erörtert wurde).
Gerade die Stellung des Zeugen macht deutlich, dass die Verstandesreife der bessere
Maßstab als die Volljährigkeit ist, um über die Wirksamkeit der Anschlusserklärung zu
entscheiden. Regelmäßig werden Nebenkläger auch als Zeugen vernommen. Es besteht
kein Anlass, dem minderjährigen Zeugen aufgrund seiner Verstandesreife zwar die
selbständige Entscheidung darüber zu belassen, auf sein Zeugnis- oder
Auskunftsverweigerungsrecht zu verzichten, Rechtsmittel gegen ihn belastende
Beschlüsse einzulegen oder einen Zeugenbeistand zu wählen, nicht jedoch darüber, den
Anschluss als Nebenkläger zu erklären.
Insbesondere stehen aber Sinn und Zweck der Nebenklage einer dahingehenden
Beschränkung entgegen, dass nur Volljährige die Anschlusserklärung abzugeben befugt
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Beschränkung entgegen, dass nur Volljährige die Anschlusserklärung abzugeben befugt
sind. Die Nebenklagevorschriften verfolgen das Ziel, die Stellung des Verletzten im
Strafverfahren zu verbessern (vgl. BT-Dr. 10-5305, S. 8) und diesem zu einer
„gesicherten Beteiligungsbefugnis“ (BT-Dr. 10-6124, S. 1) zu verhelfen. Auf diese Weise
sollen besonders schutzbedürftige Verletzte Gelegenheit erhalten, Angriffe des sich
verteidigenden Angeklagten im Strafverfahren abzuwehren und die eigene
Sachverhaltsdarstellung durch Beweisanträge zu verteidigen (vgl. zum Ganzen Rohde,
Die Rechte und Befugnisse des Verletzten im Strafverfahren gegen Jugendliche, Diss.
2009,S. 161 ff. m. w. N.). Durch die Nebenklagevorschriften kommt der Staat seiner
verfassungsrechtlichen Verpflichtung nach, sich schützend vor die Opfer von Straftaten
zu stellen (BT-Dr. 16/13671, S. 2). Dabei hatte der Gesetzgeber insbesondere diejenigen
Verletzten im Blick, die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
geworden sind (vgl. BTDr 10-6124, S.1f.). Gerade hier aber würde ein
Volljährigkeitserfordernis solche minderjährigen Verletzten, die aus einem kulturellen
Umfeld stammen, in dem besonders strenge Moralvorstellungen vorherrschen, nach
denen missbrauchte oder vergewaltigte Mädchen und Jungen als „entehrt“ angesehen
werden, vor eine untragbare Konfliktsituation stellen: Diese minderjährigen Opfer von
Sexualstraftaten stünden dann vor der Alternative, sich entweder unter Hinnahme
erheblicher Repressalien und gravierender sozialer Nachteile an ihre Eltern zu wenden,
oder aber auf den Anschluss als Nebenkläger verzichten zu müssen. In der Folge würden
wider jede gesetzgeberische Intention ausgerechnet solche Kinder und Jugendliche, die
ohne den Rückhalt ihrer Familien mit den Folgen der gegen sie verübten Straftaten fertig
werden müssen, zu Opfern „zweiter Klasse“ herabgesetzt werden. Im vorliegenden Fall
fürchten die Verletzten sogar um ihr Leben, falls die Umstände der gegen sie
begangenen Sexualstraftaten in ihrem familiären bzw. sozialen Umfeld bekannt werden
würden. Die Kammer hält diese Sorge keineswegs für übertrieben. Die vorliegende
Konstellation ist nach den Erfahrungen der Kammer auch kein Einzelfall. Gerade in einer
Großstadt wie Berlin leben Bevölkerungsgruppen mit strengen Moralvorstellungen. Es
gibt Bevölkerungsgruppen, in denen beispielsweise die Eltern einzig Wert darauf legen,
dass ihre Töchter noch Jungfrauen sind, wobei es ihnen vollkommen gleichgültig ist, ob
die Mädchen sich freiwillig mit einem Mann eingelassen oder Opfer von Sexualstraftaten
geworden sind. Es widerspricht der ausdrücklichen Zielsetzung der
Nebenklagevorschriften, die Verletzten gerade in derartigen Fällen alternativ einer
Lebensgefahr auszusetzen oder aber ihnen faktisch die Möglichkeit zu nehmen, sich als
Nebenkläger dem Verfahren anzuschließen.
Darüber hinaus ist eine derartige Auslegung der Nebenklagevorschriften mit dem
Grundgesetz nicht zu vereinbaren.
Art.2 Abs.2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat, jedes
menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat vor allem, das
Leben auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE
46,160 m.w.N.; Münch-Kunig/Kunig, GG, 5. Auflage Art.2 Rnr.54 f). Die
Nebenklagevorschriften sollen den Opfern von Straftaten größtmöglichen Schutz
gewähren, sie hingegen nicht unter Verstoß gegen die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2
Abs. 2 GG neuerlich erheblichen Gefahren aussetzen.
Es kommt hinzu, dass das aus Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 Satz 2 GG
folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht unter anderem das Recht auf Achtung der
Privat- und Intimsphäre schützt. Hierzu gehören auch die geschlechtlichen Beziehungen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, inwieweit und gegenüber wem er
persönliche Lebenssachverhalte offenbart (vgl. Maunz-Dürig/Di Fabio, GG, 54. Lieferung
2009, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 200; BVerfGE 96, 56 m.w.N.). Dies kann nicht nur für freiwillige
und legale geschlechtliche Kontakte gelten, sondern muss erst recht gelten, wenn die
Betroffenen Opfer von Sexualstraftaten geworden sind. Zur Überzeugung der Kammer
geht das Recht der Opfer, selbst darüber zu entscheiden zu dürfen, ob sie ihrem
familiären Umfeld offenbaren, dass sie Opfer von Sexualstraftaten geworden sind, oder
sich durch das Verschweigen dieser Tatsache vor erheblichen sozialen Nachteilen und
Repressalien schützen, dem Informationsinteresse der Eltern vor.
Der aufgezeigte Konflikt für die minderjährigen Opfer lässt sich auch nicht dadurch lösen,
dass den Opfern für die Entscheidung über den Anschluss an die öffentliche Klage ein
Ergänzungspfleger bestellt wird. Vor Bestellung eines Ergänzungspflegers müssen die
Eltern angehört werden und würden so von den Sexualstraftaten zu Lasten ihrer Kinder
erfahren. Dies gilt es gerade zu verhindern.
Die Erwägung, den minderjährigen Nebenkläger vor einem etwaigen Kostenrisiko zu
schützen, bietet keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Allein aus der
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schützen, bietet keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Allein aus der
Anschlusserklärung folgt keine Kostenpflicht. Ein Kostenrisiko entsteht für den
minderjährigen Nebenkläger nur in dem – nach der Erfahrung der Kammer lediglich
denktheoretischen – Fall, dass allein er ein Rechtsmittel einlegt, § 473 Abs. 1 S. 3, § 401
Abs. 1 S. 1 StPO. Dies betrifft jedoch nicht die Zulässigkeit der Anschlusserklärung,
sondern die Zulässigkeit der Einlegung des Rechtsmittels durch einen minderjährigen
Nebenkläger (so offenbar auch BGHR StPO § 401 Abs. 1 S 1 Zulässigkeit 3). Folglich ist
erst im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels zu prüfen, ob die
Verstandesreife des minderjährigen Nebenklägers auch ausreicht, die Folgen eines allein
von ihm eingelegten Rechtsmittels zu überblicken, sollte er in diesem späteren
Verfahrensstadium überhaupt noch minderjährig sein. Somit besteht kein Anlass, dem
Minderjährigen bereits die eigenständige Anschlusserklärung zu verwehren.
Für die notwendigen Auslagen des minderjährigen Nebenklägers sieht § 397a StPO die
Bestellung eines Beistands (Abs. 1) bzw. die Gewährung von Prozesskostenhilfe (Abs. 2)
vor, so dass insoweit kein Kostenrisiko entsteht. Abgesehen davon richten sich die
anwaltlichen Honoraransprüche des Nebenklagevertreters allein nach den
zivilrechtlichen Regeln (§ 107 BGB), die dem Minderjährigen ausreichenden Schutz
gewähren. Gerade im vorliegenden Fall hat Rechtsanwältin … vorgetragen, keine
Honoraransprüche gegen ihre Mandanten zu besitzen. Daher hat sie ihre Beiordnung
gem. § 397a Abs.1 Nr.4 StPO beantragt. Hierüber wird der Vorsitzende gem. § 397a
Abs.3 Satz 2 StPO gesondert zu entscheiden haben.
Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der §§ 395 ff. StPO gegen die
Annahme, dass die Anschlusserklärung die Volljährigkeit des Nebenklägers voraussetzt.
Bis zum Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 (BGBl. I, S. 2496) waren die
Voraussetzungen der Nebenklage an diejenigen der (durch den gesetzlichen Vertreter
zu erhebenden) Privatklage gebunden, da § 395 StPO a. F. pauschal auf die Regelung in
§ 374 StPO verwies. Das Opferschutzgesetz beendete diesen Gleichlauf, indem die
Privatklageverweisung nicht in den § 395 StPO n. F. übernommen wurde. Gleichzeitig
wurde erstmals der (gegen minderjährige Verletzte verübte) § 176 StGB zum
Nebenklagedelikt erhoben. Der Regierungsentwurf zum Opferschutzgesetz führt
dementsprechend zu der Neufassung des § 395 StPO aus: „Der neue Absatz 1
bezeichnet die Fälle, in denen ein Verletzter ohne zusätzliche Voraussetzungen zum
Anschluss als Nebenkläger berechtigt ist“ und benennt im Folgeabsatz als neu
normiertes Nebenklagedelikt ausdrücklich „den sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176
StGB)“ (BT-Dr. 10-5305, S. 12).
Vor diesem Hintergrund steht auch die ständige Rechtsprechung vor 1987, welche in
Anwendung des § 395 StPO a. F. die Anschlusserklärung allein Volljährigen vorbehielt
(vgl. RGSt 37, 63; BayObLG NJW 1956, 681; BGHSt 20, 284), nicht im Widerspruch zu der
Entscheidung der Kammer. Soweit diese ältere Rechtsprechung auch nach dem zum 1.
April 1987 in Kraft getretenen Opferschutzgesetz fortgeführt worden ist (vgl. OLG
Schleswig JurBüro 1997, 417; OLG Stuttgart Justiz 1999, 348; KG, Beschluss vom
13.05.2009, Az. 1 Ws 37/09), vermag die Kammer aus diesen Entscheidungen keine
Gründe zu entnehmen, um minderjährigen Verletzten, die über hinreichende
Verstandesreife verfügen, den selbständigen Anschluss als Nebenkläger zu verwehren.
Vielmehr sieht sich die Kammer durch Wortlaut, Systematik, Zweck und
Entstehungsgeschichte der Nebenklagevorschriften veranlasst, die Anschlusserklärung
eines Verletzten nicht an dessen Volljährigkeit, sondern an dessen Verstandesreife zu
knüpfen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Anschlusserklärung vorliegend zulässig, da …
und … über ausreichende Verstandesreife für ihre Anschlusserklärung verfügen. … ist 17
Jahre und 11 Monate alt, … ist 16 Jahre alt. In diesem Alter kann generell davon
ausgegangen werden, das Jugendliche über die nötige Verstandesreife zur Entscheidung
über den Anschluss als Nebenkläger verfügen. Auch aus dem Inhalt ihrer polizeilichen
Vernehmungen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ihre Verstandesreife nicht
ausreichend sein könnte.
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