Urteil des LG Berlin vom 17.07.2006

LG Berlin: befragung, europäisches gemeinschaftsrecht, unbeteiligter dritter, verbraucher, radio, werbung, einverständnis, persönlichkeitsrecht, gewohnheitsrecht, einwilligung

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Gericht:
LG Berlin 15.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 S 1/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB, §
7 Abs 2 Nr 2 UWG
Unternehmenspersönlichkeitsrecht: Unterlassungsanspruch
wegen unerbetenen Telefonanrufen aufgrund einer Befragung;
Meinungs- und Marktforschungsunternehmen;
Gewerbetreibender
Leitsatz
Der unerbetene Anruf eines Markftforschungsinstituts ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn
Auftraggeber des Insituts ein Gewerbetreibender ist.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Mitte vom 17. Juli 2006
- 8 C 254/05 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Verbotsausspruch wie
folgt neu gefasst wird:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, die
Ordnungshaft zu vollziehen am jeweiligen Geschäftsführer,
zu unterlassen,
den Kläger unaufgefordert telefonisch unter den Rufnummern ...
zu kontaktieren, um mit ihm eine Befragung durchzuführen, beispielsweise über das
Thema “Radio- und Produktnutzung”.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Kläger durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 7.500,00 € abzuwenden, wenn nicht der Kläger
seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in nämlicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Unterlassung von Telefonanrufen, mit Hilfe derer die Beklagte im
Rahmen ihrer Tätigkeit als Meinungs- und Marktforschungsunternehmen eine Befragung
durchführen will.
Am 29. Juni 2005 um 20.37 Uhr rief ein Mitarbeiter der Beklagten den Kläger an, um eine
Befragung zum Thema “Radio- und Produktnutzung” durchzuführen. Der Kläger hatte
dazu keine Einwilligung erteilt. Auf seine Abmahnung teilte die Beklagte mit Schreiben
vom 1.8.2005 lediglich mit, dass sie die Telefonnummer des Klägers in ihre Sperr-Datei
aufgenommen habe, wies die Forderung nach Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung aber zurück.
Das Amtsgericht Mitte hat die Beklagte durch Urteil vom 17.7.2006 - 8 C 254/05 -
gemäß dem Antrag des Klägers verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu unterlassen, den Kläger unaufgefordert telefonisch zu kontaktieren,
um mit ihm eine Befragung durchzuführen, beispielsweise über das Thema “Radio- und
Produktnutzung”. Wegen der weiteren Einzelheiten - insbesondere des Tatbestandes -
wird auf das Urteil (Bl. 36, Band II, ff.) verwiesen.
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Gegen das am 10.8.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit dem am 31. August
2006 eingegangenen Schriftsatz vom 30. August 2006 Berufung eingelegt.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein unerbetener Telefonanruf schon keinen Eingriff in
das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstelle, da der Fall nicht anders liege als etwa das
Hupen eines Autos oder das Klingeln eines Getränkelieferanten. Der hier zum Vorwurf
gemachte Vorgang sei jedenfalls sozialadäquat, was umso mehr gelten müsse, als der
Kläger nicht nur einen, sondern 10 Telefonanschlüsse betreibe. Der Vorwurf des Klägers
sei schließlich unlogisch, da dieser nicht geltend machen wolle, dass ihn das Klingeln des
Telefons an sich störe, sondern sich die Störung für ihn erst dann ergebe, wenn er
erfahre, dass ihn ein Ungebetener angerufen habe. Ein Anspruch könne dem Kläger
daher erst dann zustehen, wenn er seinen Willen, nicht angerufen zu werden, zum
Ausdruck gebracht habe und sodann ein weiterer Anruf erfolge.
Des weiteren verweist die Beklagte auf § 7 Abs. 2 Ziff. 2 UWG, demzufolge nur bei einer
Werbung mittels Telefonanrufen gegenüber Verbrauchern ohne deren Einwilligung eine
unzumutbare Belästigung anzunehmen sei; da der Gesetzgeber die Problematik der
Telefonbefragung durch Markt- und Meinungsforschungsunternehmen gekannt habe,
verbiete sich auch ein Analogieschluss. Weil ferner Telefonumfragen in der
Bundesrepublik schon seit über 40 Jahren durchgeführt würden, wobei als Auftraggeber
u. a. Verwaltungen, Politik und Justiz aufträten, sei mittlerweile ein Gewohnheitsrecht
entstanden. Ein Verbot von Anrufen zu Marktforschungszwecken sei auch in Art. 12 der
Richtlinie 97/66 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember
1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre
im Bereich der Telekommunikation nicht vorgesehen.
Vor allem beruft sich die Beklagte darauf, dass sie das Verbot in ihren Grundrechten aus
Art. 12 und 14 GG verletze. Ein Verbot der telefonischen Meinungs- und Marktforschung
stelle zudem eine Einschränkung der wissenschaftlichen Forschungsfreiheit dar. Insoweit
behauptet die Beklagte, dass telefonische Umfragen eine Datenerhebung zuließen, die
in anderen Untersuchungsarten nicht erzielbar sei. Die Ergebnisse schriftlicher Umfragen
würden massiv angezweifelt, was an Ausfällen, der Selbstauswahl angeschriebener
Personen und zu geringer Rücklaufquoten liege. Persönliche Interviews enthielten die
Gefahr eines verzerrenden Interviewer-Effekts bereits bei der Auswahl, Online-
Befragungen wiesen dieselben oder ähnliche Fehlerquellen auf.
Abschließend hält die Beklagte an ihrem Bestreiten, dass es sich um eine Privatnummer
des Klägers handele, fest.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des am 17. Juli 2006 verkündeten Urteils des AG Berlin - Mitte -
8 C 254/05 - die Klage abzuweisen,
sowie höchst vorsorglich,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Mitte
zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der
Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Denn dem Kläger steht der tenorierte
Unterlassungsanspruch - wenn auch mit der Maßgabe, dass das Verbot auf bestimmte
Rufnummern des Klägers zu beschränken ist - gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB zu.
Dabei kann die Kammer zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts
verweisen. Diese werden auch nicht durch das Vorbringen in der Berufungsinstanz
erschüttert:
1. Dahinstehen kann, ob es sich um einen privaten oder um einen geschäftlich
genutzten Anschluss des Klägers handelte. Denn auch ein unerbetener Anruf bei einem
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genutzten Anschluss des Klägers handelte. Denn auch ein unerbetener Anruf bei einem
Unternehmer stellt einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb oder das Unternehmenspersönlichkeitsrecht dar (OLG Hamm, GRUR
1992, 889; Köhler in Hefermehl u. a., Wettbewerbsrecht, 24. Auflage 2006, § 7 Rdnr. 33;
vgl. ferner BGH NJW 2004, 1655 und KG NJW-RR 2005, 51 für den Fall der Werbe-E-Mail an
einen Gewerbetreibenden; zur Unzulässigkeit eines unerbetenen Telefonanrufs bei
einem Verbraucher siehe nur OLG Stuttgart, NJW 1988, 2615). Angesichts dieser
feststehenden Rechtsprechung, die sich im Übrigen auch in § 7 Abs. 2 Ziff. 2 UWG
widerspiegelt, kann ein unerbetener Telefonanruf auch nicht als grundsätzlich
sozialadäquat bezeichnet werden. Mit dem Hupen eines Autos oder einer falsch
gewählten Nummer lässt sich ein solch unerbetener Telefonanruf ohnehin nicht
vergleichen, da es im ersten Fall vorrangig um die Sicherheit des Straßenverkehrs geht
und im zweiten Fall der Telefonanruf unbeabsichtigt war. Aber auch das Klingeln eines
Lieferanten oder Vertreters sowie das laute Rufen eines Verkäufers auf der Straße
können nicht mit dem hier vorliegenden Fall verglichen werden. Denn nach der
Lebenserfahrung der Kammer kommt dies mittlerweile so selten vor, dass die - einem
Anruf durchaus nicht ganz unähnliche - Belästigung noch hinzunehmen sein dürfte.
Hinzu kommt schließlich, dass man sich gegen das Türklingeln durch Schilder wie
“Betteln und Hausieren verboten” schützen kann, was bei einem Anruf aber nicht
möglich ist.
2. Auf den Umstand, dass der Kläger mehr als nur einen Telefonanschluss betreibt,
kommt es nicht an. Damit bringt er nicht etwa zum Ausdruck, gegenüber Werbung
offener zu sein als sonstige Inhaber von Telefonanschlüssen, sondern will ganz offenbar
die technischen Möglichkeiten mehrerer Anschlüsse (gleichzeitiger Betrieb von Internet
und Telefon; Führen weiterer Telefonate durch Angestellte oder Familienmitglieder)
nutzen (so auch Köhler, aaO., Rnr 56). Ohnehin sehen die heute weit verbreiteten ISDN-
Anschlüsse eine Mehrzahl von Telefonnummern vor, so dass das Argument der
Beklagten auch in diesem Fall und letztlich sogar schon bei nur einer Telefonnummer
gelten müsste, da der Teilnehmer sich auch bereits dadurch für eine Kommunikation
nach außen hin öffnet. Eine solche Wertung widerspräche aber dem zu Ziff. 1
dargestellten grundsätzlichen Verbot der unerwünschten Telefonwerbung.
3. Ein verbotener Analogieschluss zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG liegt nicht vor. Zwar ist in
dieser Vorschrift lediglich von einer “Werbung mit Telefonanrufen” die Rede. Dies
bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber damit Anrufe von Markt- und
Meinungsforschungsunternehmen für einen gewerblichen Auftraggeber hätte erlauben
wollen. Dahingehende Erwägungen bei der Gesetzgebung trägt die Beklagte nicht vor;
vielmehr dient auch eine Umfrage zu diesen Zwecken mittelbar der Absatzförderung
(Köhler, a. a. O., Rdnr. 42). Ohnehin könnten derartige Überlegungen nur für das
Wettbewerbsrecht gelten, nicht aber für das hier allein einschlägige allgemeine
Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
4. Die Beklagte kann sich nicht auf Gewohnheitsrecht berufen. Denn die Entstehung von
Gewohnheitsrecht erfordert neben einer lang andauernden tatsächlichen Übung die
Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch die Einhaltung der Übung
bestehendes Recht zu befolgen (siehe nur Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006,
Einleitung Rdnr. 24 m. w. N.). Zu letztgenannter Voraussetzung hat die Beklagte nicht
hinreichend vorgetragen. Insoweit reicht es nicht aus, dass nach dem Vortrag der
Beklagten Markt- und Meinungsforschungsunternehmen seit langer Zeit Verbraucher
ohne deren Einwilligung telefonisch befragen. Hinzu kommen müsste auch die
Überzeugung der Verbraucher, dass dieses Verhalten der Unternehmen rechtmäßig sei.
Aus dem Umstand allein, dass Verbraucher sich in zurückliegenden Jahren nicht gegen
derartiges Verhalten gewehrt haben, kann die Überzeugung allerdings schon mangels
eines Erklärungswerts des Schweigens nicht geschlossen werden; ohnehin hat sich der
Rechtsschutz des ungebeten Angerufenen erst in den letzten Jahren verfestigt.
Auch der Verweis der Beklagten auf europäisches Gemeinschaftsrecht verfängt nicht.
Die strengere deutsche Rechtsprechung zur Telefonwerbung bleibt zunächst von der
Fernabsatz-Richtlinie (Richtlinie 97/7/EG) unberührt (OLG Stuttgart, GRUR 2002, 457, 458
m. w. N.). Für die von der Beklagten in Bezug genommene Richtlinie 97/66/EG sowie für
die Datenschutzrichtlinie (2002/58/EG) kann nichts anderes gelten (vgl. Köhler, a. a. O.,
Rdnr. 35 ff.).
5. Der auf Art 12 und 14 GG gestützte Einwand der Beklagten, sie könne allein mit Hilfe
von telefonischen Umfragen zuverlässig Markt- und Meinungsforschung betreiben,
verfängt nicht. Dabei kann dahinstehen, ob aus wissenschaftlicher Sicht allein eine
telefonische Befragung zuverlässige Ergebnisse liefert, was das Gericht bezweifelt. Denn
selbst wenn dem so wäre, wäre dieser Weg der Befragung der Beklagten keineswegs
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selbst wenn dem so wäre, wäre dieser Weg der Befragung der Beklagten keineswegs
verwehrt. Sie müsste allerdings dafür sorgen, dass ein Einverständnis der Angerufenen
mit der Befragung vorliegt. Wie im Einzelnen sie dieses Einverständnis einholt, ist Sache
der Beklagten, erscheint aber durchaus möglich und auch zumutbar: Denkbar wäre
etwa, Verbraucher durch Gewinnspiele oder durch Gewährung gewisser materieller
Vorteile zur Abgabe einer individuellen Einverständniserklärung zu veranlassen, wobei
nicht ersichtlich ist, weshalb Kosten dafür den Rahmen des Zumutbaren überschreiten
sollten. Ein gewisser finanzieller Mehraufwand zum Zwecke des Schutzes unbeteiligter
Dritter ist von der Beklagten durchaus zu tragen (so auch LG Berlin, Urteil vom
30.052006 - 16 O 923/05).
6. Auf die Wissenschaftsfreiheit (Art 5 Abs. 3 GG) kann sich die Beklagte - jedenfalls im
vorliegenden Fall - nicht berufen. Dabei kann dahinstehen, ob sich die
Wissenschaftsfreiheit in Abwägung zu den Interessen des Angerufenen grundsätzlich
durchsetzt (ablehnend LG Hamburg, CR 2006, 752). Denn nach Ansicht der Kammer
könnte dies jedenfalls nur dann richtig sein, wenn hinter dem Unternehmen, das die
Telefonumfrage durchführt, kein gewerblicher Auftraggeber steht. Das hat die Beklagte
im Streitfall aber nicht vorgetragen, was angesichts des unstreitigen Themas “Radio-
und Produktnutzung” auch nicht verwundert.
Im Verbotsausspruch sind allerdings die Telefonnummern des Klägers konkret zu
benennen. Anderenfalls nämlich würde die Verantwortlichkeit der Beklagten überdehnt
(so auch KG, Beschluß vom 28. März 2003 - 9 U 352/02), da der Kläger ohne weiteres
noch sonstige Telefonnummern anmelden könnte. Zwar dürfte die Beklagte diese
mangels Einverständnis des Klägers ohnehin nicht anrufen; täte sie dies dennoch, wäre
sie jedoch lediglich einem Unterlassungsanspruch und nicht sogleich einem
Ordnungsverfahren - in welchem ein schuldhaftes Handeln erforderlich ist - ausgesetzt.
Auch musste insoweit Berücksichtigung finden, dass der Ausspruch des Klägers nicht
weiter reichen kann als der Bereich, in dem sein allgemeines Persönlichkeitsrecht
betroffen ist.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Die
Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543
Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
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