Urteil des LG Berlin vom 24.03.2006
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Gericht:
LG Berlin 52.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
52 S 159/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 253 BGB, § 280 Abs 1 BGB
Obhutspflichten des Heimträgers: Umsetzen eines schwer
behinderten Heimbewohners mit "Patientenlifter";
Schmerzensgeld bei Herausrutschen aus dem Lifter
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. März 2006 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Charlottenburg – 213 C 430/05 – wie folgt geändert und neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 200,00 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Klägerin ¾ und der
Beklagte ¼ zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, §
540 Abs. 1 ZPO.
II. Die zulässige Berufung ist nur zum Teil begründet und im Übrigen unbegründet.
1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld für die durch den
Sturz aus dem Patientenlifter am 29.11.2004 erlittenen Verletzungen gegen den
Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu. Denn der Beklagte hat die aus dem Heimvertrag
resultierenden Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihm als
Heimbewohnerin anvertrauten Klägerin schuldhaft verletzt, indem er sich zum Umsetzen
der Klägerin des Patientenlifters mit dem Hebebügel bediente, ohne zusätzliche
Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, die ein Herausrutschen der Klägerin auch bei
unvorhersehbaren plötzlichen Bewegungen zu verhindern geeignet waren.
Der Beklagte hat gegenüber der ihm als Heimbewohnerin anvertrauten Klägerin
Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit aus dem Heimvertrag,
deren schuldhafte Verletzung ihn ersatzpflichtig macht, §§ 280, 253 BGB. Wie der Unfall
gezeigt hat, hat der Beklagte nicht alle ihm obliegenden Sorgfaltspflichten bei der
Umsetzung der Klägerin beachtet. Es war für den Beklagten, der die Klägerin seit Jahren
als ihm anvertraute Heimbewohnerin kennt, vorhersehbar, dass diese plötzliche, heftige
und unkontrollierte Bewegungen ausführen könnte, während sie sich im Patientenlifter
befand. Daher hätte der Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen müssen, um
ein Herausrutschen der Klägerin bei solchen unvorhergesehenen Bewegungen zu
verhindern. Eine solche vom Hersteller des Patientenlifters vorgesehene zumutbare
zusätzliche Sicherung wäre das mittlerweile praktizierte Umlegen eines zusätzlichen
Gurtes in Brusthöhe gewesen. Hierdurch wird die Gefahr des Herausrutschens aus dem
Patientenlifter verringert.
Angesichts der glücklicherweise relativ geringfügigen Verletzungen der Klägerin, die eine
Kopfplatzwunde erlitten hat, welche genäht werden musste, war ein Schmerzensgeld in
Höhe von 200,00 Euro angemessen aber auch ausreichend.
2. Ein Anspruch auf Umsetzung nur unter Verwendung von Tragegurt oder Hebetuch
besteht nicht. Er folgt nicht als vertragliche Nebenpflicht aus dem
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besteht nicht. Er folgt nicht als vertragliche Nebenpflicht aus dem
Heimunterbringungsvertrag. Denn es muss dem Beklagten überlassen bleiben, wie er
seine Obhutspflichten erfüllt. Der Beklagte erfüllt die ihm gegenüber der Klägerin
obliegenden Obhutspflichten zum Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit durch die
gegenwärtige Praxis der Umsetzung mittels Hebebügel und zusätzlichem
Sicherheitsgurt. Der Beklagte hat substanziiert und unter Beweisantritt dargelegt (Bl.
176, 61-64 d. A.), dass er nach diversen Versuchen unterschiedlicher Arten von
Umsetzungen der Klägerin in Zusammenarbeit mit dem Hersteller des Patientenlifters
das für diese sicherste System der Umsetzung gefunden habe. Dieses besteht in der
Nutzung des Hebebügels mit einem zusätzlichen Sicherheitsgurt, der um die
Bruststütze und den Thorax herumgeführt wird. Die Klägerin hat nicht hinreichend
substantiiert dargelegt, dass diese Umsetzungsmethode sie pflichtwidrig gefährde.
Seitdem sie derart umgesetzt wird, ist kein Unfall mehr geschehen. Der Beklagte hat
außerdem dargelegt, und hierfür spricht auch die Bedienungsanleitung, dass es sich bei
dem nun genutzten Sicherheitsgurt um einen anderen (zusätzlichen) handelt, und nicht
um den, der bei Patienten mit sehr schwachem Muskeltonus verwendet wird. Aus der
von der Klägerin zu den Akten gereichten Bedienungsanweisung (Bl. 150-169 d. A.)
ergibt sich – entgegen der Darstellung der Klägerin – bereits nicht, dass es bei der
Benutzung des elektrischen Lifters mit dem Hebebügel erforderlich ist, dass der Patient
die Arme unten behält, um ein Durchrutschen zu vermeiden und dass dies durch die
Benutzung des Lifters mit Tüchern verhindert werden kann. Vielmehr wird auf Seite 6 f.
(Bl. 155 f. d. A.) beschrieben, dass die Bruststützen seitlich am Brustkorb des Patienten
anzulegen sind und sich richtig angelegt parallel am Brustkorb befinden und nicht in der
Achselhöhle sitzen. Aus der Zeichnung auf Seite 7 der Bedienungsanleitung (Bl. 156 d.
A.) folgt nicht, dass ein Anheben der Arme zu vermeiden ist, wie die Klägerin behauptet,
sondern – was eindeutig aus dem unter der Zeichnung und dem auf Seite 6 befindlichen
Text hervorgeht - lediglich, dass die Bruststützen nicht direkt unter den Achselhöhlen
sitzen, sondern zentral den Brustkorb in der Mitte umfassen sollen. Auf Seite 6 unten ist
weiter ausgeführt, dass "grundsätzlich gilt: je näher die Beinstützen zum Knie, desto
höher ist der Druck auf dem Brustkorb.”. Hieraus folgt, dass ein Zusammenhang
besteht zwischen der Position der Beinstützen und dem Druck, der auf die Bruststütze
ausgeübt wird. Da die Bruststütze gerade nicht in der Achselhöhle positioniert werden
soll, dürfte die Armposition keinen Einfluss auf deren Halt haben. Das bedeutet, dass es
für den Halt der Bruststütze unerheblich sein dürfte, wie die Arme gehalten werden.
Schließlich bestand auch aufgrund des Hinweises "Vorsicht” bei Patienten mit sehr
schwachem Muskeltonus auf Seite 13 der Bedienungsanleitung (Bl. 162 d. A.) keine
Veranlassung des Beklagten, bei der Umsetzung der Klägerin Tücher zu verwenden.
Denn einerseits handelt es sich bei der Klägerin unstreitig nicht um eine Patientin mit
sehr schwachem Muskeltonus. Andererseits folgt aus der Stelle, an der der
Vorsichtshinweis angebracht ist, nämlich im Zusammenhang mit dem Anlegen der
Beinstützen, und dem erklärenden Zusatz "d. h. wo auch die Hüftstrecker ausfallen”,
dass es hier nicht um Probleme geht, die sich daraus ergeben könnten, dass der Patient
plötzlich die Arme hochreißt, sondern darum, dass der Muskeltonus so schwach ist, dass
der Patient aufgrund des ausfallenden Hüftstreckers quasi in der Mitte zusammenklappt
und deshalb aus dem Hebebügel gleitet.
Nach allem spricht die Bedienungsanleitung dafür, dass es unerheblich ist, ob der
Patient bei der Anwendung des Hebebügels in der Lage ist, die Arme dauerhaft an den
Körper zu pressen. Dementsprechend hält der Beklagte alle ihm obliegenden
Sorgfaltspflichten ein, wenn er die Klägerin mit dem Hebebügel unter zusätzlicher
Verwendung des Brustgürtels umsetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat
noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.
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