Urteil des LG Berlin vom 28.09.2006

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Gericht:
LG Berlin 52.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
52 S 369/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 249 EG, Art 5 Abs 1 Buchst c
EGV 261/2004, Art 6 EGV
261/2004, Art 7 Abs 1 Buchst b
EGV 261/2004, Art 8 Abs 1
Buchst a EGV 261/2004
Ansprüche eines Fluggastes bei Flugverschiebung: Abgrenzung
von Flugannulierung und grosser Verspätung
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 28.09.2006 verkündete Urteil des Amtsgericht
Charlottenburg – 211 C 54/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, §
540 Abs. 1 ZPO.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zutreffend hat das Amtsgericht entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte
Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 500,00 Euro
gemäß Art. 5 Abs. 1 c) oder 6 in Verbindung mit 7 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004, Art.
249 EGV nicht zusteht.
Denn die gemäß Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004 für die Leistung einer
Ausgleichszahlung vorausgesetzte Annullierung eines Fluges liegt schon nicht vor.
Vielmehr hat das Amtsgericht zutreffend erkannt, dass der streitgegenständliche Flug
lediglich Verspätung im Sinne des Art. 6 VO (EG) Nr. 261/2004 hatte und damit ein
Anspruch auf pauschalen Schadensersatz nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 nicht
besteht.
Eine Annullierung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 liegt vor, wenn der
gebuchte Flug tatsächlich nicht durchgeführt wird. Dabei wird aus dem Zusammenspiel
der Art. 5 und 6 sowie 7-9 VO (EG) Nr. 261/2004 deutlich, dass eine Verspätung
durchaus auch dann vorliegen kann, "wenn die nach vernünftigem Ermessen zu
erwartende Abflugzeit" – wie hier – "erst am Tag nach der zuvor angekündigten
Abflugzeit liegt" (Art. 6 Abs. 1 ii VO (EG) Nr. 261/2004). Für diesen Fall ist der Anspruch
auf Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 Abs. 1 b) und c) VO (EG) Nr. 261/2004
(Hotelunterbringung nebst Beförderung dorthin) vorgesehen. Daher müssen andere
Abgrenzungskriterien als die Verschiebung der Abflugzeit in den nächsten Tag hinein
gefunden werden. Diese hat das Amtsgericht zutreffend in der Identität von
Flugnummer, Flugzeug und gebuchten Passagieren gesehen. Denn die tatsächliche
Nichtdurchführung eines Fluges setzt voraus, dass dieser Flug ersatzlos gestrichen wird.
Hier ist aber unstreitig der gebuchte Flug am nächsten Tag mit einer Verspätung von 5
Stunden und 6 Minuten durchgeführt worden.
Hinzu kommt, dass die Beklagte bei einer Annullierung des Fluges verpflichtet gewesen
wäre, Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 VO (EG) Nr. 261/2004 anzubieten (Art. 5
Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 261/2004), was unstreitig nicht geschehen ist. Keine der Parteien
trägt vor, dass den Passagieren angeboten worden wäre, ihnen die Flugscheinkosten zu
erstatten oder einen Rückflug zum ersten Abflugort, anderweitige Beförderung zum
Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen oder zu einem
späteren Zeitpunkt zu organisieren (Art. 8 Abs. 1 a)). Nach dem Vortrag der Kläger
wurden die Passagiere über Grund und Länge der Abflugverzögerung im Unklaren
gelassen. Wäre demgegenüber klar gewesen, dass der Flug ersatzlos ausfällt, so hätten
entsprechend Unterstützungshandlungen angeboten werden können und müssen.
Soweit die Kläger mit der Berufung geltend machen, §§ 631 ff. BGB seien nicht
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Soweit die Kläger mit der Berufung geltend machen, §§ 631 ff. BGB seien nicht
anwendbar, da die EG VO Nr. 261/04 lex specialis sei, hätte dies lediglich zur Folge, dass
auch ein Anspruch gemäß § 638 Abs. 3 BGB ausschiede.
Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des
Amtsgerichts zur Vorlagepflicht im angefochtenen Urteil, die sich die Kammer zu eigen
macht, wird Bezug genommen. Es besteht keine Veranlassung zu der begehrten
Vorabentscheidung. Die Auslegung von Tatsachenfragen oder Sachverhalten und die
Subsumtion unter entsprechende Begriffe (Verspätung/Annullierung) kann nicht durch
den EuGH vorab entschieden werden. Vielmehr entscheidet der EuGH über
Rechtsfragen. Hier geht es aber um Fragen der Rechtsanwendung im Einzelfall. Die
Begriffe der Annullierung und der Verspätung sind in der VO (EG) Nr. 261/2004 eindeutig
geregelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat
noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Berufung setzt
sich mit der vom Amtsgericht für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage der
Maßstäbe für eine verspätungsbedingte Mängelgewährleistung gemäß §§ 634 Nr. 3, 638
BGB vor dem Hintergrund der älteren Rechtsprechung zum Begriff der
Minderungsansprüche auslösenden erheblichen Verspätung und vor dem Hintergrund
der neuen EG VO Nr. 261/04 und ihrem Begriff von der großen Verspätung in keiner
Hinsicht auseinander. Vielmehr ist zentraler Angriffspunkt der Berufung die Frage, ob
das Amtsgericht die Sache dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 III EGV hätte
vorlegen müssen. Gegen die Bemessung der Minderung durch das Amtsgericht wendet
sich die Berufung nicht. Auch im ersten Rechtszug haben die Kläger auf das vom
Amtsgericht für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsproblem ihre Argumentation nicht
gestützt.
Jedenfalls hat das Amtsgericht aus zutreffenden und vollkommen überzeugenden
Gründen, auf die verwiesen wird, die Vorlage abgelehnt, da die Auslegung des streitigen
EU-Rechts offenkundig sei. Das Amtsgericht hat in diesem Punkt alle Argumente
zutreffend gewürdigt.
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