Urteil des LG Berlin vom 22.12.2006

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Gericht:
LG Berlin 4. Große
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
504 Qs 7/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 96 Abs 1 OWiG
Bußgeldverfahren: Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit
des Betroffenen
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Tiergarten in Berlin vom 22. Dezember 2006 wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 hat das Amtsgericht Tiergarten gegen den
Betroffenen wegen zweier Verkehrsordnungswidrigkeiten Erzwingungshaft von sieben
und drei Tagen, insgesamt zehn Tagen, angeordnet. Der Betroffene hat die ihm mit zwei
rechtskräftigen Bußgeldbescheiden des Polizeipräsidenten in Berlin vom 3. März 2006
auferlegten Geldbußen von insgesamt 40 Euro wegen zweier
Verkehrsordnungswidrigkeiten (Parken vor amtlicher Feuerwehrzufahrt: 35 Euro;
Parkverstoß: 5 Euro) nicht bezahlt. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung der Bußgelder
hat der Betroffene darauf hingewiesen, dass über sein Vermögen mit Beschluss des
Amtsgerichts Charlottenburg vom 3. September 2004 (103 IN 3660/04) das
Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mit Beschluss vom 7. August 2006 wurde dieses
Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Ankündigung der Restschuldbefreiung und
Abhaltung des Schlusstermins wegen Masseunzulänglichkeit gemäß § 211 InsO
eingestellt.
Gegen den ihm am 29. Dezember 2006 zugestellten Erzwingungshaftbeschluss des
Amtsgerichts Tiergarten vom 22. Dezember 2006 hat der Betroffene mit am selben Tag
eingegangenen Schreiben vom 4. Januar 2007 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur
Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, ihm sei es infolge der
Insolvenzeröffnung verwehrt, die Bußgelder zu zahlen; zudem sei er – wie sich aus der
Einstellung des Insolvenzverfahrens ergebe – zahlungsunfähig.
II.
Die gemäß §§ 104 Abs. 3 Nr. 1 OWiG, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde des
Betroffenen ist aus den zutreffenden Ausführungen der angegriffenen Entscheidung, die
durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, unbegründet. Ergänzend
bemerkt die Kammer:
Die Voraussetzungen von § 96 Abs. 1 OWiG, wonach das Gericht auf Antrag der
Vollstreckungsbehörde bei Nichtzahlung von Bußgeldern Erzwingungshaft anordnen
kann, liegen vor. Der Betroffene hat die gegen ihn rechtskräftig verhängten Geldbußen
nicht gezahlt, seine Zahlungsunfähigkeit nicht dargetan, ist entsprechend belehrt
worden und es sind auch sonst keine Umstände bekannt, die seine Zahlungsunfähigkeit
ergeben würden.
Der Betroffene hat seine Zahlungsunfähigkeit nicht im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 2 in
Verbindung mit § 66 Abs. 2 Nr. 2 lit. B OWiG dargetan. An die Annahme von
Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 96 Abs. 1 OWiG sind aufgrund der
Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen besonders strenge Anforderungen zu stellen;
sie steht nicht der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO gleich. Der Betroffene muss
selbst bei Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Vermögens- und
Erwerbsquellen unter Einschränkung seiner Lebenshaltung außer Stande sein, die
Geldbuße zahlen zu können.
Da das Gesetz in § 66 Abs. 2 Nr. 2 lit. B OWiG auf die Zumutbarkeit der Zahlung abstellt,
ist der Betroffene nicht schon dann zahlungsunfähig, wenn er nicht über genügend
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ist der Betroffene nicht schon dann zahlungsunfähig, wenn er nicht über genügend
Zahlungsmittel verfügt, um die Geldbuße fristgerecht zu begleichen. Vielmehr kann eine
Zahlungsunfähigkeit erst dann bejaht werden, wenn der Betroffene den Mangel an
Zahlungsmitteln auch nicht unter zumutbaren Bedingungen beseitigen kann. Der
Betroffene muss ihm zumutbare Möglichkeiten, erreichbare finanzielle Mittel
heranzuziehen, ausschöpfen, etwa durch Veräußerung oder Verpfändung von
Gegenständen, Kreditaufnahme, Einsatz der Arbeitskraft oder Einschränkung der
Lebenshaltung (vgl. Mitsch in KK-OWiG, 3. Aufl. 2006, § 96 Rdn. 12; OLG Koblenz NStZ
1992, 194 f.). Derartiges hat der Betroffene in keiner Weise dargelegt.
Soweit der Betroffene sich auf den Rechtsstandpunkt stellt, nach Eröffnung des
Privatinsolvenzverfahrens bzw. nach Einstellung eines solchen Verfahrens wegen
Masseunzulänglichkeit dürfe er während der Wohlverhaltensphase nicht mit
Zwangsmitteln zur Beitreibung von Geldbußen angehalten werden und habe dadurch
quasi einen "Freibrief" zur ungeahndeten Begehung von Verkehrsordnungswidrigkeiten,
irrt er. Der Anordnung von Erzwingungshaft stehen insolvenzrechtliche Regelungen wie
etwa § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder §§ 80 Abs. 1, 89 Abs. 1 InsO nicht entgegen. Vielmehr
wird aus § 225 Abs. 3 InsO und § 302 InsO der Wille des Gesetzgebers deutlich, dass der
Schuldner zur Zahlung der Geldbuße weiter verpflichtet bleiben soll (vgl. LG Potsdam,
Beschl. v. 14. September 2006 – 21 Qs 108/06). Die Zahlung von Bußgeldern führt auch
nicht zu einer etwaigen Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB.
Umstände im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG, welche eine Zahlungsunfähigkeit des
Betroffenen ergeben, sind nicht bekannt. Ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein
zur Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 96 OWiG führender Umstand ist, bemisst sich
nach den Umständen des Einzelfalls. Bei derart geringen Geldbußen von 35 und 5 Euro
ist jedoch grundsätzlich auch Empfängern von Sozialleistungen und Personen, die an der
Grenze zum wirtschaftlichen Existenzminimum leben, eine Zahlung möglich. Denn auch
einkommensschwachen und unpfändbaren Personen ist es grundsätzlich zuzumuten,
eine derartige. Geldbuße zu bezahlen, da sie sich ansonsten über bußgeldbewehrte
Pflichten hinwegsetzen und risikolos Verkehrsverstöße begehen könnten (vgl. LG
Münster NStZ 2005, 711). Aus der Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen
Masseunzulänglichkeit ergibt sich nicht, dass es dem Betroffenen unmöglich und
unzumutbar wäre, unter Einschränkung seiner Lebenshaltung bei voller Ausschöpfung
aller seiner Möglichkeiten derartige Bußgelder zu begleichen, deren Entstehung der
Betroffene nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst schuldhaft herbeigeführt hat.
Die Höhe der jeweils verhängten Erzwingungshaft ist nach Auffassung der Kammer
angemessen. Um die Vollstreckung der Erzwingungshaft zu verhindern, kann sich der
Betroffene um eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der zuständigen
Verwaltungsbehörde bemühen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1
OWiG.
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