Urteil des LG Berlin vom 13.03.2017

LG Berlin: verordnung, flugzeug, verspätung, maschine, wartung, umbuchung, pilot, begriff, fluggast, nichtbeförderung

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Gericht:
LG Berlin 57.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
57 S 44/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 5 Abs 1c EGV 261/2004, Art
5 Abs 3 EGV 261/2004, Art 7 Abs
1c EGV 261/2004
Gemeinschaftsrecht: Ausgleichsanspruch wegen einer
Flugannulierung auf Grund eines technischen Defekts
Leitsatz
Ausgleichsleistung wegen Flugannulierung nach der EG-VO Nr. 261/2004 bei technischem
Defekt, Leerflug stellt keine Flugdurchfuehrung dar, jedenfalls eine Undichtigkeit an der
Hydraulik ist kein außergewoehnlicher Umstand i.S. v. Art. 5 ABs. 3 EG-VO Nr. 261/2004.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 24. Mai 2007 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Wedding - 22a C 38/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund des Urteils zu
vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10 % abzuwenden, wenn nicht
der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden
Betrages zuzüglich 10 % leistet.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger nimmt das beklagte Luftfahrtunternehmen aus eigenem und abgetretenem
Recht dreier Mitreisender unter Berufung auf eine Flugannulierung auf Zahlung einer
Ausgleichsleistung von je 600,- EUR aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame
Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der
Nichtbeförderung und bei Annulierung oder großer Verspätung von Flügen und zur
Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABlEG Nr. L 46, S. 1) in Anspruch.
Der Kläger buchte am 05. Mai 2006 bei der … GmbH für sich und drei Mitreisende je
einen Hin- und Rückflug von Berlin (Tegel) über München nach Fort Meyers und über
Düsseldorf zurück nach Berlin (Tegel) für den 5. Juli 2006 bzw. den 29./30. Juli 2006. Die
Buchung sah als ausführenden Luftfrachtführer für den ersten und letzten Teilabschnitt
jeweils die Beklagte vor, für den zweiten und dritten Teilabschnitt ein Unternehmen der
…-Gruppe.
Nachdem der Kläger und seine Mitreisenden am Abflugtag rechtzeitig am Flughafen
Berlin (Tegel) erschienen waren, ihr Gepäck aufgegeben und das Flugzeug bestiegen
hatten, erklärte der Pilot etwa zur angegebenen Startzeit, seine Instrumente zeigten
einen Druckverlust in der Hydraulik an. Nachdem die Maschine in eine Warteposition
gebracht worden war, fanden Wartungsarbeiten statt. Nach ca. 15 Minuten gab der Pilot
bekannt, die Reparatur nehme längere Zeit in Anspruch, alle Passagiere müssten die
Maschine daher verlassen und am Schalter der Beklagten eine Umbuchung vornehmen.
Der Kläger und seine Mitreisenden wurden daraufhin auf einen Flug Berlin (Tegel) - New
York - Atlanta - Fort Meyers umgebucht. Zu diesem Zweck mussten die Passagiere ihr
Gepäck wieder abholen und bekamen neue Bordkarten ausgehändigt. Mit dem Flug über
New York und Atlanta erreichten der Kläger und seine Mitreisenden ihr Ziel Fort Meyers
24 Stunden später als ursprünglich geplant. Die Maschine, für die der Kläger ursprünglich
Plätze gebucht hatte, startete schließlich etwa fünfeinhalb Stunden nach der
ursprünglichen Abflugzeit ohne Passagiere nach München.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge im ersten
Rechtszug wird auf die Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
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Rechtszug wird auf die Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Mit der angefochtenen
Entscheidung hat das Amtsgericht Wedding die Beklagte zur Zahlung der begehrten
2.400,- EUR nebst Zinsen und Nebenkosten verurteilt. Es hat zur Begründung
ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung von 2.400,- EUR aus Art. 5 Abs.
1c), 7 Abs. 1c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu. Im vorliegenden Fall habe es sich
um eine Annulierung des Fluges … 219 Berlin-München gehandelt. Zwar sei das
Flugzeug mit dieser Flugnummer fünfeinhalb Stunden später noch nach München
geflogen. Für die Auslegung des Begriffs der Nichtdurchführung nach Art. 2 l) der
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 könne es nach Sinn und Zweck der Verordnung jedoch
nicht auf eine Betrachtung ex post, sondern nur auf die Situation zum Zeitpunkt der
Information der Passagiere ankommen. Im Hinblick auf die Mitteilung, dass die Reparatur
länger dauern werde, alle Passagiere die Maschine verlassen und ihren Flug umbuchen
müssten, hätten die Passagiere davon ausgehen müssen, der Flug werde jedenfalls
nicht wie geplant mit den gebuchten Passagieren stattfinden. Die Zahlung einer
Ausgleichsleistung sei auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
ausgeschlossen. Als außergewöhnliche Umstände könnten nur solche angesehen
werden, die nicht in die betriebliche Sphäre des Luftfahrtunternehmens fallen. Da dies
bei technischen Problemen aber nicht der Fall sei, könne hier selbst ein tatsächlich
vorliegender Defekt an der Hydraulik nicht zu einer Entlastung der Beklagten führen.
Die Höhe der Ausgleichsleistung sei nach Art. 7 Abs. 1 c) der Verordnung (EG) Nr.
261/2004 zu berechnen, weil gemäß Art. 7 Abs. 1 a. E. der genannten Vorschrift der
letzte Zielort zugrunde zu legen sei, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung
oder Annulierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankomme.
Das angefochtene Urteil ist der Beklagten am 30. Mai 2007 zugestellt worden. Die
Beklagte hat mit am 28. Juni 2007 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die
Begründungsfrist ist auf den am 27. Juli 2007 eingegangenen Antrag der Beklagten bis
zum 30. August 2007 verlängert worden und die Berufungsbegründung am 30. August
2007 eingegangen.
Die Beklagte begehrt mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage. Sie ist der Ansicht, es
liege keine Annulierung, sondern eine Verspätung nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung vor.
Sie verweist darauf, sie habe denjenigen Passagieren, die wegen ihres Anschlussfluges
oder aus Termingründen nicht warten wollten oder konnten, eine
Umbuchungsmöglichkeit angeboten. Darüber hinaus könne auch ein technischer Defekt
ein außergewöhnlicher Umstand sein, der auch durch sorgfältige und regelmäßige
Wartung nicht vermieden werden könne. Im vorliegenden Falle habe während des
Rollvorgangs zur Abflugposition im Cockpit das Hydrauliksystem plötzlich einen zu
geringen Füllstand angezeigt. Als Ursache für den zu geringen Füllstand sei eine
Undichtigkeit in dem Hydraulik-Verteilergehäuse ermittelt worden. Dieses sei das
unabhängige Backup-System, das zwingend funktionieren müsse, um im Notfall die
Steuerung des Flugzeugs sicherzustellen. Sie habe alle Wartungsintervalle pünktlich und
gewissenhaft durchgeführt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Wedding - 22a C 38/07 - vom
24.05.2007 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung
einer Ausgleichsleistung von 2.400,- EUR verlangen. Der Anspruch des Klägers ergibt
sich aus eigenem und abgetretenem Recht seiner drei Mitreisenden (§ 398 BGB) und
folgt aus Art. 5 Abs. 1c) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1c) der Verordnung (EG) Nr.
261/2004.
1. Gemäß Art. 5 Abs. 1c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 wird bei Annulierung eines
Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein
Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 eingeräumt. Die unter lit. c) genannten
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Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 eingeräumt. Die unter lit. c) genannten
Anspruchseinschränkungen waren vorliegend nicht gegeben. Es lag jedoch in der Tat
eine Annulierung des vom Kläger für den 05. Juli 2006 gebuchten Fluges … 219 Berlin-
München im Sinne des Art. 5 der Verordnung vor.
Nach Art. 2 l) der Verordnung bezeichnet der Ausdruck “Annulierung” die
Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.
Demgegenüber hat der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff der Verspätung in der
Verordnung nicht definiert. Zur Abgrenzung der Verspätung von der Annulierung ist
daher auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Dabei sind bestimmte Indizien
heranzuziehen, namentlich die Beförderung mit einer anderen Fluggesellschaft, einem
anderen Flugzeug, einer anderen Besatzung, die Vergabe neuer Flugnummern, die
Wiederaushändigung des Reisegepäcks, ein erneutes Einchecken, d. h. das erneute
Verteilen von Sitzplätzen und/oder einer neuen Bordkarte. Darüber hinaus ist auch die
Dauer der Verspätung als Abgrenzungskriterium heranzuziehen. Denn aufgrund des
Fixgeschäftscharakters des Beförderungsvertrags könne bei einer Beförderung erst
mehrere Stunden oder gar Tage später nicht mehr von dem vertraglich geschuldeten
Flug gesprochen werden, sondern von einer Ersatzbeförderung (aliud), weshalb jede
Verspätung irgendwann in eine Annulierung umschlagen müsse (vgl. Gaedtke, VuR
2007, 201, 203; Schmidt, NJW 2006, 1841).
Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Einzelumstände ergibt sich danach, dass der
von der Beklagten als ausführendem Luftfahrtunternehmen geplante Flug … 219 nach
München nicht durchgeführt wurde. Denn der Kläger und seine Mitreisenden sind mit
einem anderen Flugzeug, unter einer anderen Flugnummer, nach Wiederaushändigung
ihres Gepäcks und einer Umbuchung mit erneutem Einchecken über eine geänderte
Flugroute zu ihrem Zielort befördert worden. Am Vorliegen einer Annulierung ändert
auch der Umstand nichts, dass ein Flug von Berlin nach München mit der Flugnummer
… 219 fünf Stunden und 34 Minuten später stattfand, allerdings ohne Passagiere. Denn
der Pilot hatte den Fluggästen mitgeteilt, es müsse ein schadhaftes Hydraulikventil
ausgewechselt werden. Diese Reparatur werde längere Zeit in Anspruch nehmen, alle
Passagiere müssten die Maschine verlassen und am Schalter der Beklagten eine
Umbuchung auf einen anderen Flug vornehmen lassen. Da die Verordnung darauf
abstellt, ob für den Flug mindestens ein Platz gebucht war, kann es nicht auf die
individuelle Beförderungsmöglichkeit des einzelnen Passagiers ankommen.
Entscheidend muss vielmehr die kollektive Beförderung der Gruppe von Passagieren
sein, die sich bei der Buchung für diesen Transport zu einem bestimmten Zeitpunkt von
einem Ort zum anderen entschieden haben. Der Begriff des Fluges kann sich daher nicht
allein nach der Flugnummer noch nach dem Fluggerät bestimmen. Vielmehr ist darauf
abzustellen, ob die Gruppe von Passagieren, die nach der ursprünglichen Planung
transportiert werden sollte, im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert
wird (vgl. LG Darmstadt, Urteil vom 12.07.2006 - 21 S 82/06 - in RRa 2006, 227-228; AG
Frankfurt a. M., Urteil vom 13.02.2007 - 30 C 2192/06-45 in RRa 2007, 86).
Dies war vorliegend nicht der Fall. Vielmehr ist keiner der ursprünglich gebuchten
Passagiere mit dem Flug … 219 befördert worden. Der Kläger und seine Mitreisenden
wurden auf einer völlig anderen Flugroute zu ihrem Ziel befördert, so dass sich der Flug
nach seinem Zuschnitt als gänzlich anderer Flug darstellte (vgl. Führich, MDR 2007,
Sonderbeilage S1). Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege
lediglich eine Verspätung vor, weil die Maschine etwa fünfeinhalb Stunden später
tatsächlich nach München geflogen ist. Denn dem Amtsgericht ist darin zuzustimmen,
dass entscheidendes Merkmal für die Durchführung eines Fluges im Sinne der
Verordnung der Transport von Passagieren ist. Daher kann in der Tat das Verbringen
eines leeren Flugzeugs zu seinem nächsten Einsatzort nicht als eine Flugdurchführung
angesehen werden. Soweit für die Annahme einer Annulierung entscheidend sein
könnte, dass ein bestimmter Flug, den die Fluggesellschaft in ihren Flugplan
aufgenommen und zur Buchung angeboten hatte, endgültig aufgegeben wird (vgl. BGH,
NJW 2007, 3437, 3438 m. w. N.), würde die Umbuchung aller Passagiere und der
Umstand des letztlich erfolgten Leerflugs die Annahme nahelegen, dass die Beklagte
den Flug aufgegeben hatte.
2. Die Beklagte kann sich entgegen ihrer Ansicht auch nicht darauf berufen, gemäß Art.
5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet zu
sein. Es kann dahinstehen, ob die Annulierung auf eine Undichtigkeit im Hydraulik-
Verteilergehäuse zurückging und die behaupteten Wartungsarbeiten durchgeführt
wurden. Zwar teilt die Kammer die Ansicht der Beklagten, dass technische Defekte nicht
von vornherein als Entlastungsgrund im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr.
261/2004 ausscheiden. Der engere Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung lässt
offen, ob zu “außergewöhnlichen Umständen” im Sinne der Verordnung auch
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offen, ob zu “außergewöhnlichen Umständen” im Sinne der Verordnung auch
“unvorhersehbare technische Probleme” des Fluggeräts zählen (vgl. Dengler, RRa 2007,
210, 211).
Die Frage wird daher in Rechtsprechung und Literatur kontrovers behandelt. Nach einer
Ansicht ist das zur Annulierung eines Fluges führende Vorliegen eines technischen
Defekts nicht geeignet, den Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu führen (vgl. Schmid, NJW 2006, 1841, 1844; AG
Bremen, Urteil vom 03.07.2007 - 4 C 393/06 -). Denn technische Probleme hätten - von
Außeneinwirkungen wie Vogelschlag oder Hagel abgesehen - ihre Ursache immer in
mangelnder, mangelhafter oder hinausgeschobener Wartung, in Bedienungsfehlern der
Piloten oder Ähnlichem und lägen daher allein in der besonderen Risikosphäre eines
Luftfahrtunternehmens. Insbesondere seien sicherheitsrelevante Bauteile oder
Instrumente stets mehrfach an Bord, um sicherzustellen, dass das Flugzeug noch sicher
fliegen kann, wenn eines davon einmal ausfällt (Redundanz). Ein “außergewöhnlicher
Umstand” könne bei technischen Problemen aber auch aus einem anderen Grund nicht
angenommen werden: Im Erwägungsgrund 14 der Verordnung findet sich eine Auflistung
von “außergewöhnlichen Umständen”, darunter auch die “unerwarteten
Flugsicherheitsmängel” (“unexpected flight safety shortcoming”). Dem gegenüber stehe
die Lufttüchtigkeit (“airworthiness”) eines Flugzeugs. Dazu bestimme § 25 LuftBO, dass
ein Flugzeug stets in einem solchen technischen Zustand sein müsse, dass es sicher
fliegen kann. Nicht lufttüchtig sei ein Flugzeug immer dann, wenn technische Mängel
aufträten, z. B. ein Reifen oder das Fahrwerk beschädigt sei oder ein Leck in der
Treibstoffanlage auftrete oder ein Triebwerkschaden festgestellt werde. Wenn aber der
Erwägungsgrund 14 der Verordnung nur auf “unerwartete Flugsicherheitsmängel” (flight
safety shortcomings), nicht aber auf die Lufttüchtigkeit abstelle, ergebe sich, dass dieser
Begriff gerade nicht technische Mängel eines Flugzeugs erfasse (vgl. Schmid aaO, S.
1844, 1845 m. w. N.).
Nach anderer Ansicht können technische Defekte grundsätzlich als außergewöhnliche
Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 angesehen
werden (vgl. AG Köln, Urteil vom 05.04.2006 - 118 C 595/05 - in RRa 2006, 275; Urteil
vom 17.01.2007 - 118 C 473/06, Bl. 56 ff d. A.; AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.02.2007
- 30 C 1701/06 - in RRa 2007, 137 mit zustimmender Anmerkung Tonner, Urteil vom
24.08.2006 - 31 C 1457/06-17 - in RRa 2007, 133; Urteil vom 02. März 2007 - 31 C
3337/06-74, Anlage B 3, Bl. 51 ff d. A.; Müller-Rostin, NZV 2007, 221; Handelsgericht
Wien, Urteil vom 29.05.2007 - 50 R 119/06 - Anlage BB 2, Bl. 127 ff d. A.). Nicht haltbar
sei nämlich die Behauptung, technische Mängel hätten - von Außenwirkungen
abgesehen - ihre Ursache immer in mangelnder oder mangelhafter Wartung,
Bedienungsfehlern oder Ähnlichem. Trotz Einhaltung der vorgeschriebenen
Wartungsintervalle lasse es sich zuweilen nicht verhindern, dass ein Einzelteil vor der
nächsten fälligen Wartung defekt wird, z. B. wegen vorzeitiger Materialermüdung oder
wegen übermäßiger Beanspruchung. Flugzeuge seien besonders komplexe technische
Geräte, bei denen durchaus flug- oder sicherheitstechnisch bedeutsame Bauteile von
plötzlichen oder unvorhersehbaren technischen Defekten betroffen sein könnten. Auch
verbiete sich eine Heranziehung der englischen Begriffe, denn in Deutschland sei die
deutsche Fassung der Verordnung maßgebend. Somit dürften zu
“Flugsicherheitsmängeln” alle Mängel, insbesondere aber technische Mängel zu zählen
sein, die sich negativ auf die sichere Durchführung des Fluges auswirken können. Es
müsse jedoch ein “unerwarteter Flugsicherheitsmangel” sein, der zudem auch durch
Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte verhindert werden können (vgl.
Müller-Rostin aaO, S. 224, 225).
Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob ein technischer Mangel als
Entlastungsgrund gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 überhaupt und
wenn ja in welchen Fällen in Betracht kommt. Denn jedenfalls stellt ein im Cockpit
angezeigter zu geringer Füllstand des Hydrauliksystems auf Grund einer Undichtigkeit
keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung dar. Vielmehr können
nach allgemeiner Lebenserfahrung an diversen mit Flüssigkeiten, Luft oder Gas gefüllten
technischen Komponenten Undichtigkeiten auftreten. Um diese erkennen zu können,
werden derartige Geräte vielfach mit Füllstandsanzeigern ausgestattet.
Dementsprechend war auch vorliegend eine entsprechende Anzeige im Cockpit
vorhanden. Wenn auch der Beklagten zuzugestehen ist, dass ein Flugzeug schon
angesichts seiner Konstruktion, Komplexität und der erforderlichen
Sicherheitsvorkehrungen nicht mit einem Auto zu vergleichen ist, so ist doch jedenfalls
das Auftreten einer Leckage an einer Komponente eines Transportmittels ein durchaus
bekanntes, nicht nur höchst selten auftretendes und damit nicht ungewöhnliches
Ereignis. Daher kommt die Qualifizierung einer Leckage an der Hydraulik des
streitgegenständlichen Flugzeugs als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5
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streitgegenständlichen Flugzeugs als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5
Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht in Betracht.
3. Da es sich bei dem vom Kläger für sich und seine drei Mitreisenden gebuchten Flug
um einen nicht innergemeinschaftlichen Flug mit einer Entfernung von über 3.500 km
handelte, ergibt sich gemäß Art. 7 Abs. 1c) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein
Anspruch von 600,- EUR je Fluggast, mithin insgesamt 2.400,- EUR. Nach Art. 7 Abs. 1 a.
E. der Verordnung wird bei der Ermittlung der Entfernung der letzte Zielort zugrunde
gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder Annulierung später als
zur geplanten Ankunftszeit ankommt. Danach war für die Streckenberechnung nicht
allein auf die Teilstrecke abzustellen, auf die sich die Flugannulierung bezog. Vielmehr ist
der gesamte Flug bis zum gebuchten Zielort in Ansatz zu bringen. Der Umstand, dass
die Beklagte nicht sämtliche Teilstrecken des gebuchten Fluges zu erbringen hatte,
ändert daran nichts. Denn die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nimmt ausdrücklich nicht
auf die jeweilige Teilstrecke Bezug, sondern auf den letzten Zielort.
4. Die Entscheidung über den nicht angegriffenen Zinsanspruch in gesetzlicher Höhe
und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus den §§ 249, 280, 286, 288, 291
BGB.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO war die Revision zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zuzulassen. Weder die Abgrenzung des Tatbestands der Annulierung
von einer Verspätung im Sinne des Art. 1 Abs. 1 a) und b) in Verbindung mit Art. 2 l) der
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 noch die Frage der Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 der
genannten Verordnung auf technische Defekte des Fluggeräts waren bisher Gegenstand
einer höchstrichterlichen Entscheidung. Die Frage, ob bei der Auslegung des Begriffs der
Annulierung entscheidend darauf abzustellen ist, ob die ursprüngliche Flugplanung
aufgegeben wird, hat der Bundesgerichtshof bereits dem EuGH zur Vorabentscheidung
vorgelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 17.07.2007 - X ZR 95/06 - NJW 2007, 3437). Die
Frage nach den Entlastungsmöglichkeiten der Luftfahrtunternehmen nach Art. 5 Abs. 3
der Verordnung ist Gegenstand eines Vorlageverfahrens des dänischen Ostre Landsret
(vgl. Staudinger, NJW 2007, 3392, 3393). Da es sich vorliegend infolge der
Revisionszulassung nicht um eine letztinstanzliche Entscheidung handelt, hat die
Kammer von einer Vorlage der Sache an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 2 EG
abgesehen (vgl. Gummer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 544 Rz. 5a).
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