Urteil des LG Arnsberg vom 02.12.2010

LG Arnsberg (klage auf zahlung, vvg, zahlung, höhe, haftpflichtversicherung, antrag, forderung, auflage, vorschrift, firma)

Landgericht Arnsberg, 8 O 167/09
Datum:
02.12.2010
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
1. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 167/09
Normen:
§§ 87 InsO, 110 VVG
Leitsätze:
Ein Geschädigter kann sein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus
der Versicherungsforderung ohne Umweg über das insolvenzrechtliche
Prüfungsverfahren durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den
Insolvenzverwalter geltend machen.
Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Haftpflichtanspruch des
Geschädigten zuvor festgestellt worden ist. Eine solche Feststellung
kann beispielsweise durch ein Anerkenntnis der
Schadenersatzforderung durch den Insolvenzverwalter erfolgen. Erst
danach kann der Schadenersatzgläubiger im Insolvenzfall von dem
Haftpflichtversicherer des Insolvenzschuldners unmittelbar Zahlung
verlangen.
Tenor:
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtstreits und die der Streithelferin
entstandenen Kosten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 56.192,13 €.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Assekuradeurin der Transportversicherer der Firma B. GmbH aus T.
(Versicherungsnehmerin) und macht als solche aus abgetretenem Recht Ansprüche
gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma W. GmbH
(Insolvenzschuldnerin) geltend, die aus einem Transportvertrag der
Versicherungsnehmerin mit der Insolvenzschuldnerin herrühren. Die
Insolvenzschuldnerin ihrerseits war bei der Streithelferin gegen Diebstahlschäden
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versichert.
Zwischen der Versicherungsnehmerin der Klägerin, die Computer vertreibt, und der
Insolvenzschuldnerin bestanden seit Jahren Geschäftsbeziehungen, in deren Rahmen
die Insolvenzschuldnerin Computerwaren der Versicherungsnehmerin der Klägerin
transportierte. Am 11.11.2008 beauftragte die Versicherungsnehmerin der Klägerin im
Rahmen dieser Geschäftsbeziehung die Insolvenzschuldnerin mit der Beförderung von
6 Einwegpaletten ACER-PC, 182 Stück ACER-PC Veriton, verpackt in 182 Kartons zu
einem Gewicht von 2.960 kg von T. zur Firma D. in den circa 200 km entfernt gelegenen
M.. Die Insolvenzschuldnerin nahm den Auftrag an und übernahm die 6 Einwegpaletten
mit Notebooks am 11.11.2008 in T.. Die Sattelzugmachine der Insolvenzschuldnerin
hatte noch weitere Güter geladen, die an anderen Orten entladen werden mussten.
Nach Übernahme der Notebooks in T. gegen 18:00 Uhr erreichte der Fahrer der
Sattelzugmachine, der Zeuge E., wenig später die Bundesautobahn A…, wo er den
Rastplatz C. in N. ansteuerte, um dort zu übernachten.
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In der Nacht vom 11.11.2008 auf den 12.11.2008 wurde ein Teil der Notebooks (158
Stück) von dem Sattelzug des Zeugen E. entwendet, der dies gegen 06:15 Uhr
bemerkte und zugleich feststellte, dass die Seitenplane an dem Auflieger mehrere
Einschnitte aufwies. Der Zeuge E. erstattete Strafanzeige (Az. 80 UJs 1177/09, StA
Hagen).
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Mit Schreiben vom 13.11.2008 machte die Versicherungsnehmerin der Klägerin die
Insolvenzschuldnerin für den Schaden haftbar (Anlage K5). Die Versicherungsnehmerin
der Klägerin trat am 03.12.2008 sämtliche Ansprüche aus dem streitbefangenen
Transport an die Klägerin ab, die mit Schreiben vom 26.01.2009 einen Warenschaden
in Höhe von 55.910,00 gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend machte, und den
sie nunmehr mit der Klage bei Erhöhung der Forderung um die anteilige Fracht (282,13
€) weiter verfolgt.
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Durch Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg (21 IN 324/08) wurde am 01.02.2009 das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet.
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Mit der am 02.10.2009 beim Landgericht eingegangenen und am 21.10.2009
zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Insolvenzschuldnerin auf Zahlung in
Anspruch genommen. Auf Antrag der Klägerin ist das Passivrubrum dahingehend
geändert worden, dass Beklagte nicht die Insolvenzschuldnerin, sondern der jetzige
Beklagte ist; der entsprechende Schriftsatz der Klägerin ist dem neuen Beklagten
spätestens am 30.11.2009 zugegangen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, aus § 110 VVG folge das Recht auf abgesonderte
Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der Insolvenzschuldnerin gegenüber der
Streithelferin, das die Klägerin gegen den nunmehr beklagten Insolvenzverwalter
geltend mache, und zwar ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren.
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Wegen der Klageforderung selbst ist die Klägerin der Ansicht, die Insolvenzschuldnerin
treffe ein qualifiziertes Verschulden gemäß § 435 HGB. Angesichts der kurzen
Entfernung sei eine Übernachtung auf einem Rastplatz nicht erforderlich gewesen,
wodurch der Transport bereits sorgfaltswidrig geplant worden sei. Zudem sei trotz des
Wertes der transportierten Güter lediglich ein Planen-LKW und kein Koffer-LKW
verwendet worden.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 56.192,13 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus
55.910,00 seit dem 07.03.2009 sowie aus 282,13 € seit dem 30.11.2009 zu
zahlen und die Klägerin von Gebührenansprüchen der Sozietät I., A., in Höhe
von 892,44 € freizuhalten, wobei der Anspruch auf Leistung aus der
Entschädigungsforderung gegen die Haftpflichtversicherung der
Insolvenzschuldnerin beschränkt ist.
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Der Beklagte und die auf Beklagtenseite beigetretene Streithelferin beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben der Änderung des Passivrubrums widersprochen und halten die Klage für
unzulässig, weil die geltend gemachte Forderung vorrangig zur Insolvenztabelle
angemeldet und festgestellt werden muss. Erst nach Feststellung eines
Schadenersatzanspruches könne Zahlung der Entschädigung verlangt werden.
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Ferner treten sie dem geltend gemachten Anspruch sowohl dem Grunde als auch der
Höhe nach entgegen. Nach ihrer Auffassung scheidet eine Anwendung des § 435 HGB
aus. Sie berufen sich auf ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin
und auf eine Haftungsbegrenzung, die in dem Vertrag zwischen der
Insolvenzschuldnerin und der Streithelferin vereinbart sei, und erheben schließlich die
Einrede der Verjährung.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien und der Streithelferin gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug
genommen. Durch Beschluss vom 16.09.2010 ist das Passivrubrum bei Annahme eines
Parteiwechsels auf Beklagtenseite auf Antrag der Klägerin geändert worden. Ebenfalls
durch Beschluss vom 16.09.2010 hat die Kammer umfangreiche rechtliche Hinweise
erteilt; daraufhin haben die Klägerin und die Streithelferin mit Rechtsausführungen
Stellung genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig, sodass sie ohne Rücksicht auf die Frage der Begründetheit
durch "Prozessurteil" als unzulässig abzuweisen ist.
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Die seitens der Klägerin ursprünglich gegen die Insolvenzschuldnerin erhobene Klage
richtet sich mit Zugang des Schriftsatzes der Klägerin vom 17.11.2009 gegen den
Beklagten als Insolvenzverwalter, dem dieser Schriftsatz spätestens am 30.11.2009
zugegangen ist. Insoweit ist auf Antrag der Klägerin das Passivrubrum geändert worden,
wobei es um einen (zulässigen) Parteiwechsel auf Beklagtenseite handelte. Da eine
Einwilligung der ursprünglichen Beklagten (der Insolvenzschuldnerin) nicht erforderlich
war und aus Sicht der Kammer Sachdienlichkeit im Sinne von § 263 ZPO gegeben war,
hat die Kammer dem Antrag der Klägerseite entsprochen.
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Die Klage ist unzulässig, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine
Prozessvoraussetzung fehlt. Denn die Klägerin kann einen Zahlungstitel auf
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einfacherem Wege erlangen, und zwar durch – nach § 87 InsO vorrangige – Anmeldung
zur Insolvenztabelle (vgl. Zöller, ZPO, 28. Auflage, vor § 253, Rdnr. 18b).
Zur Frage der Zulässigkeit kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf § 110 VVG
berufen. Nach dieser Vorschrift kann ein Dritter, hier die Klägerin, wegen des ihr gegen
den Versicherungsnehmer, hier die Insolvenzschuldnerin, zustehenden Anspruchs auf
abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers
verlangen, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Nach der
von der Klägerin mehrfach zitierten Entscheidung des BGH zur Vorgängernorm § 157
VVG a. F. kann ein Geschädigter sein Recht auf abgesonderte Befriedung aus der
Versicherungsforderung ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren
durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter geltend machen
(BGH VersR 89, 730). Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Haftpflichtanspruch des
Geschädigten gem. § 106 VVG (§ 154 VVG a.F.) festgestellt worden ist, weil dieser
durch die Regelung im VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der
Versicherungsnehmer erlangt.
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Es kann zunächst dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 110 VVG überhaupt zu
Gunsten der Klägerin zum Tragen kommt.
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§ 110 VVG ist eine Vorschrift, die Ansprüche aus einer Haftpflichtversicherung betrifft.
Das folgt aus der systematischen Stellung in Teil 2 Kapitel 1 des VVG. Der zwischen
der Insolvenzschuldnerin und der Streithelferin geschlossene Versicherungsvertrag ist
dagegen als "Transportversicherung" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist für die
Einordnung einer Versicherung als Transportversicherung i.S.d. § 130 VVG jedoch nicht
maßgeblich (vgl. Koller in Prölls/Martin, VVG, § 130, Rdnr 1), so dass eine
Transporthaftpflichtversicherung keine Transportversicherung in diesem Sinne ist (zur
Kasuistik vgl Koller a.a.O, Rdnr. 9). Im konkreten Fall ist die Einordnung daher nach
dem versicherten Risiko vorzunehmen.
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Nach dem von der Streithelferin vorgelegten Versicherungsvertrag ist zwar die
verkehrsvertragliche Haftung als Frachtführer gemäß §§ 407 ff HGB versichert,
allerdings sind dort unter Zif. 1.4 diebstahlgefährdete Produkte – wie vorliegend
Notebooks – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Vereinbarung gegen Diebstahl
ausgenommen, so dass es im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch zweifelhaft
erscheint, den Vertrag im Verhältnis zur Klägerin als Haftpflichtversicherung
einzuordnen und § 110 VVG zur Anwendung kommen zu lassen, auch wenn es sich
dabei primär um eine materiell-rechtliche Frage handelt.
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Selbst wenn § 110 VVG zur Anwendung käme, wäre es erforderlich, dass die Klägerin
vor Erhebung einer Zahlungsklage die Feststellung des Anspruchs gegen den
Versicherer betreibt.
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Mit Urteil vom 17.03.2004 (VersR 2004, 634) hat der BGH zu § 157 VVG a. F.
entschieden, dass Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den
Versicherer – wie beim Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers – ist, dass ein
solcher Haftpflichtanspruch festgestellt worden ist. Eine solche Feststellung kann
beispielsweise durch ein Anerkenntnis der Schadenersatzforderung durch den
Insolvenzverwalter erfolgen, entsprechendes lässt sich auch der Kommentierung von
Lücke in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 110 Rdnr. 5 entnehmen, der zudem
auf Entscheidungen des KG Berlin (VersR 2007, 349) und OLG Nürnberg (VersR 2008,
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813) verweist; in beiden obergerichtlichen Entscheidungen wird für eine direkte
Inanspruchnahme vorausgesetzt, dass der Schadenersatzanspruch des Geschädigten
festgestellt und fällig ist. Dafür spricht auch eine Entscheidung des BGH vom
07.07.1993 (r+s 1993, S. 370). Danach kann ein Schadenersatzgläubiger im
Insolvenzfall von dem Haftpflichtversicherer des Insolvenzschuldners nach Feststellung
dieses Anspruchs unmittelbar Zahlung verlangen; in dem dort zugrunde liegenden
Sachverhalt war der Anspruch unstreitig zur Tabelle festgestellt worden.
Die Annahme, dass der Geschädigte vor einer direkten Zahlungsklage zunächst die
Feststellung seines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter betreiben muss, wird –
soweit ersichtlich – auch im Schrifttum geteilt (vgl. Münzel, NZI 2007, S. 441; Gottwald
Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Auflage 2010, § 42 Absonderung, Rdnr. 67; Anmerkung
zu OLG Nürnberg, VersR 2008, 813; in einem Aufsatz kommt Thume (VersR 2006,
1318) im Hinblick auf § 154 VVG a.F. ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die
Schadensersatzpflicht des Insolvenzschuldners zuerst festgestellt werden muss).
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Die gegen diese Rechtsauffassung der Kammer vorgetragenen Bedenken der Klägerin
vermögen nicht zu überzeugen. Die Klägerin nimmt den beklagten Insolvenzverwalter
unmittelbar auf Zahlung, und gerade nicht auf Feststellung des Anspruchs zur Tabelle in
Anspruch. Damit verlangt sie nicht eine abgesonderte Befriedigung aus dem
Freistellungsanspruch, die durch § 110 VVG ermöglicht wird, sondern unmittelbar einen
Zahlungstitel gegen den Insolvenzverwalter. Dass eine abgesonderte Befriedigung
ermöglicht wird, ändert nichts daran, dass gleichwohl die Vorschriften der
Insolvenzordnung als besondere Verfahrensordnung mit dem dort vorgesehenen
Prüfungsverfahren anzuwenden sind, und zwar unabhängig von der Frage der
Befriedigung der Forderung. Dafür spricht schließlich, dass bei der
Haftpflichtversicherung stets zwischen dem Haftpflichtverhältnis und dem
Deckungsverhältnis unterschieden wird, und – unabhängig von der Frage der
Befriedigung – zuerst die Rechtsbeziehungen im Haftpflichtverhältnis zu klären sind,
hier also im Wege der Feststellung zur Insolvenztabelle.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 101, 709 ZPO.
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Der Streitwert beläuft sich auf 56.192,13 Euro.
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