Urteil des LG Arnsberg vom 25.03.1993

LG Arnsberg (schaden, höhe, widerklage, betriebsgefahr, verkehrsunfall, verschulden, schmerzensgeld, tag, ersatz, berechnung)

Landgericht Arnsberg, 4 O 608/92
Datum:
25.03.1993
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 608/92
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als
Gesamt-schuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1) und Widerkläger
2.094,91 DM (i. B. zweitausendvierundneunzig 91/100 Deutsche Mark)
nebst 4 % Zinsen seit dem 06.11.1992 zu zahlen.
Die Drittwiderbeklagten werden des weiteren verurteilt, an den
Beklagten zu 1) und Widerkläger ein Schmerzensgeld von 25.000,-- DM
(i. B. fünfundzwanzigtausend Deutsche Mark) zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als
Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Beklagten zu 1) sämtlichen
materiellen Schaden sowie die Drittwiderbeklagten als
Gesamtschuldner weiter verpflichtet sind, dem Beklagten zu 1)
sämtlichen immateriellen Schaden, der ihm in Zukunft aus dem
Verkehrsunfall vom 07.07.1991 auf der J. Straße in D.-G. in Höhe des
Hauses Nr. 2 entstehen wird, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht
auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 10 %, der Beklagte zu 1) 25
% und die Drittwiderbeklagte 65 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zu 1)
30 %.
Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen die
Klägerin 10 % und die Drittwiderbeklagten 65 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der
Beklagte zu 1) 25 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin.
Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten zu 1) jedoch nur
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 36.000,-- DM.
Der Beklagte zu 1) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 900,-- DM abwenden.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um wechselseitigen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am
07.07.1991 in D.-G. auf der J. Straße in Höhe des Hauses Nr. 2.
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Am Unfalltag befuhr der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2)
haftpflichtversicherten Krad K., amtl. Kennzeichen: XX-XX X, die J. Straße aus Richtung
I. kommend in Fahrtrichtung C. Im Auslauf einer Rechtskurve kollidierte er etwa in
Fahrbahnmitte mit dem bei der Drittwiderbeklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw H.,
amtl. Kennzeichen: YY-YY YYY, der Klägerin, der seinerzeit vom Drittwiderbeklagten zu
1) geführt wurde. Der Drittwiderbeklagte zu 1) überquerte gerade aus der aus Sicht des
Beklagten zu 1) von rechts einmündenden Ein-/Ausfahrt des Hauses J. Straße 2
kommend die Fahrbahn, um sodann in Richtung I. zu fahren.
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Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin, die dem Beklagten zu 1) einen Verstoß gegen das
Sichtfahrgebot anlastet, Ersatz ihres hälftigen Unfallschadens, den sie mit insgesamt
1.030,- DM beziffert.
4
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 515,- DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 10.06.1992 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreiten einen gegnerischen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach.
Insbesondere meinen sie, der Drittwiderbeklagte zu 1) habe den Verkehrsunfall unter
Mißachtung der Vorfahrt des Beklagten zu 1) allein verschuldet, da er sich angesichts
der örtlichen Verhältnisse nicht habe in die J. Straße einweisen lassen.
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Widerklagend verlangt der Beklagte zu 1) volle Schadensersatz- und
Schmerzensgeldzahlung. Unter näherer Darlegung beziffert er seinen Sachschaden mit
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5.362,51 DM, seinen Verdienstausfall mit 17.273,18 DM und seinen Kleiderschaden mit
1.720,00 DM, insgesamt 24.355,69 DM.
Der Beklagte zu 1) erlitt unfallbedingt eine zweitgradig offene, dislozierte Trümmerfraktur
des linken Oberschenkelknochens mit 4 cm langer Rißwunde über seiner linken
Kniescheibe, eine Luxation des Mittelgliedes des Mittelfingers seiner linken Hand, eine
Schulterprellung mit Riß in der vorderen Gelenkkapsel und Rotatorenmanschette sowie
oberflächliche Hautabschürfungen am linken Handgelenk und Hämatome im Bereich
des linken Schultergelenks. Er wurde vom 07.07. bis zum 20.09.1991 unter operativer
Versorgung der Trümmerfraktur stationär behandelt. Bis zum 31.03.1992 war er zu 100
% erwerbsunfähig.
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Auch nach zwischenzeitlich erfolgter operativer Entfernung des Osteosynthesematerials
bestehen noch unfallbedingte Beschwerden. Insbesondere liegen eine traumatisch
bedingte Instabilität des Außenbandes im linken Knie sowie Meniskusschäden vor,
wobei der Beklagte zu 1) allerdings schon vor dem Unfallereignis unter Knieproblemen
und Verschleißerscheinungen der linken Kniescheibe litt, die sich nach dem Unfall
verschlimmert haben. Im übrigen ist eine Knochenverkürzung seines linken Beines
eingetreten. Infolge von ausgedehnten Weichteilverletzungen im Zuge der
Oberschenkelfraktur ist die venöse Abflußmöglichkeit auf Dauer verringert, nach
Belastung bzw. muskulärer Inaktivität treten venöse Stauungen mit Schwellung des
linken Ober- und Unterschenkels auf. Schließlich leidet der Beklagte zu 1) unter
Hüftschmerzen, die auf voraussichtlich progressiv verlaufende
Verschleißerscheinungen (beidseitige Coxarthrose und durch Fehlbelastung
entstandene hüftdynamische Verhältnisse) zurückzuführen sind.
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Wegen seiner unfallbedingten Verletzungen und deren Folgen hält der Beklagte zu 1)
ein Schmerzensgeld von 33.000,- DM für angemessen.
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Vorprozessual hat die Drittwiderbeklagte zu 3) auf den Unfallschaden des Beklagten zu
1) ohne Verrechnungsbestimmung 20.000,- DM gezahlt. Im Termin vom 25.03.1993
haben die Parteien einen Kleiderschaden in Höhe von 1.600,- DM unstreitig gestellt.
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Unter Rücknahme der Widerklage im übrigen beantragt der Beklagte zu 1)
widerklagend,
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1. die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an
ihn 4.135,69 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das
Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit
Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, daß die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner
verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen Schaden sowie die
Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner weiter verpflichtet sind, ihm sämtlichen
immateriellen Schaden, der ihm in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom
07.07.1991 auf der J. Straße in D.-G. entstehen wird, zu ersetzen, soweit die
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Die Widerbeklagten beantragen,
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die Widerklage abzuweisen.
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Sie legen eine hälftige Haftungsverteilung zugrunde und bestreiten einen über 3.670,-
DM hinausgehenden Verdienstausfallschaden. Im übrigen halten sie die
Schmerzensgeldvorstellungen des Beklagten zu 1) für weit übersetzt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst überreichten Anlagen verwiesen.
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Die Strafakte StA Arnsberg, 18 Js 1601/91, war beigezogen und Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs.
1, 249 ff. BGB, 7, 17 StVG, 3 Nr. 1 PflVG.
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Die Klägerin hat ihren Schaden selbst zu tragen.
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Da der Schaden durch zwei Kraftfahrzeuge verursacht worden ist und die
grundsätzliche Haftung der Parteien gem. § 7 Abs. 1 StVG feststeht, hängt die
Verpflichtung zur Schadensersatzleistung insbesondere davon ab, inwieweit der
Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Daneben
sind auch die sonstigen Umstände und ein etwaiges Verschulden einer Partei zu
berücksichtigen. Bei der hiernach erforderlichen Abwägung können jedoch zum
Nachteil einer Partei nur solche Umstände von Bedeutung sein, die unfallursächlich
waren und feststehen.
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Zu dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall kam es dadurch, daß der
Drittwiderbeklagte zu 1) aus der aus Richtung I. gesehen unmittelbar hinter einer
Rechtskurve der J. Straße befindlichen Ausfahrt des Hauses J. Straße 2 kommend mit
dem klägerischen Pkw die Fahrspur des Beklagten zu 1) kreuzte, um sodann in
Richtung I. zu fahren. Im Zuge dieses Einfahrvorgangs kam es zur Kollision mit dem
Krad des Beklagten zu 1), der die J. Straße in Fahrtrichtung C. befuhr.
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Die Klägerin belastet damit die schwerwiegende Betriebsgefahr eines Fahrzeugs, das
aus einem Grundstück nach links in den öffentlichen Verkehrsraum einbog und dabei
die Fahrspur des bevorrechtigten Verkehrs kreuzte.
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Den Drittwiderbeklagten zu 1) trifft auch ein erhebliches Verschulden, das sich die
Klägerin zurechnen lassen muß. Zwar konnte er bei Einleitung des Einfahrvorgangs in
die J. Straße das Krad des Beklagten zu 1) noch nicht sehen. Die Unfallörtlichkeit
außerhalb geschlossener Ortschaft war für ihn jedoch derart unübersichtlich, daß er sich
gem. § 10 Satz 1 2. Halbs. StVO bei der Einfahrt aus dem Hausgrundstück J. Straße 2
auf die Straße einweisen lassen mußte. Der Drittwiderbeklagte zu 1) mußte bei seinem
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Einfahrvorgang eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Dies hat er
nicht getan. Er hat hiermit die wesentliche Ursache für das Unfallgeschehen gesetzt.
Hätte er sich eines Einweisers bedient, wäre der Unfall vermieden worden.
Dagegen kann ein ins Gewicht fallendes, unfallursächliches Verschulden des Beklagten
zu 1) nicht festgestellt werden. Außerorts mußte er nicht mit einer einmündenden
Grundstücksausfahrt und hieraus unachtsam einfahrendem Querverkehr rechnen. Er
durfte zudem darauf vertrauen, daß sein Vorfahrtsrecht von untergeordnetem Verkehr
beachtet werde. Allenfalls ist die Betriebsgefahr des Krades des Beklagten zu 1)
minimal erhöht, weil er die vor der Unfallörtlichkeit befindliche Rechtskurve der J. Straße
unter geringer Überschreitung der Sichtfahrgeschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVO)
durchfuhr.
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Bei der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile
überwiegt die durch ein erhebliches Verschulden des Drittwiderbeklagten zu 1)
wesentlich erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Pkw die lediglich leicht erhöhte
Betriebsgefahr des Beklagtenkrads deutlich. Das Maß der Unfallverursachung durch
den Drittwiderbeklagten zu 2) und seiner Unfallschuld ist derart groß, daß
demgegenüber die vom Beklagten zu 1) zu verantwortende Betriebsgefahr seines Krads
völlig zurücktritt.
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Danach bleibt für eine Haftung der Beklagten kein Raum. Die Klage konnte deshalb
schon dem Grunde nach keinen Erfolg haben.
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Die Widerklage ist hingegen im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im
übrigen unbegründet.
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Nach Vorstehendem kann der Beklagte zu 1) und Widerkläger von den Widerbeklagten
gem. §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1, 249 ff. BGB, 7, 17, 18 StVG vollen Ersatz seines
materiellen Unfallschadens und von den Drittwiderbeklagten Ersatz seines
immateriellen Schadens verlangen.
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Die Schadensersatzansprüche des Beklagten zu 1) bemessen sich wie folgt:
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Der unstreitige Sachschaden beläuft sich auf 5.262,51 DM, der Kleiderschaden auf
1.600,- DM.
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Der Berechnung des entstandenen Verdienstausfallschadens legt die Kammer den sich
aus der vorgelegten Verdienstabrechnung Juni 1991 ergebenden unstreitigen Verdienst
des Beklagten zu 1) im Zeitraum 01.01. bis 30.06.1991 zugrunde. Dieser unmittelbar vor
dem Unfallereignis liegende Zeitraum ist für die Berechnung des
Durchschnittsverdiensts ausreichend lang. Der Einwand der Widerbeklagten, das
Einkommen des Beklagten zu 1) sei saisonalen Umsatzschwankungen im Autohandel
unterworfen, erfahrungsgemäß werde im Frühjahr und Sommer ein besonders guter
Umsatz erzielt, so daß allein auf den Jahresverdienst abzustellen sei, greift im Ergebnis
nicht durch. Denn der Zeitraum Januar bis Juni 1991 schließt sowohl
umsatzschwächere Wintermonate als auch umsatzstärkere Frühjahrsmonate ein und ist
daher zur Berechnung des Durchschnittseinkommens des Beklagten zu 1) geeignet.
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Es ergibt sich damit ein durchschnittliches Nettoeinkommen des Beklagten zu 1) von
[70.261,08 DM brutto – 26.498,40 DM Lohn- und Kirchensteuer – 4.631,25 DM
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Sozialversicherungsbeiträge = 39.131,43 DM netto : 6 Monate =] 6.521,91 DM/Monat =
217,40 DM/Tag im ersten Halbjahr 1991.
Unter Zugrundelegung dieses Einkommens ist für die Zeit ab dem 43. Krankheitstag bis
zum 31.03.1992 (226 Tage) ein ersatzpflichtiger Verdienstausfall von (217,40 DM/Tag x
226 Tage = 49.132,40 DM abzgl. Krankentagegeld 150,- DM/Tag x 226 Tage = 33.900,-
DM =) 15.232,40 DM entstanden.
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Der zu ersetzende materielle Gesamtschaden beläuft sich mithin auf (5.262,51 DM +
1.600,- DM + 15.232,40 DM =) 22.094,91 DM. Hierauf hat die Drittwiderbeklagte zu 3)
bereits 20.000,- DM gezahlt, so daß ein restlicher Zahlungsanspruch des Beklagten zu
1) in Höhe von 2.094,91 DM verbleibt. Weitergehenden materiellen Schadensersatz
kann der Beklagte zu 1) nicht verlangen.
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Angesichts der erlittenen erheblichen Verletzungen, des etwa 11-wöchigen
Krankenhausaufenthalts, der ca. 9-monatigen vollen Erwerbsunfähigkeit und der
anhaltenden Beschwerden und Dauerschäden des Beklagten zu 1), wobei diese
allerdings teilweise durch "Vorschäden" mitbedingt sind, erachtet die Kammer unter
Berücksichtigung der von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen
zugesprochenen Beträge ein Schmerzensgeld von 25.000,- DM für ausreichend und
angemessen. Die darüberhinausgehenden Schmerzensgeldvorstellungen des
Beklagten zu 1) sind übersetzt.
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Der im übrigen gestellte Feststellungsantrag ist begründet, denn die weitere
Entwicklung der unfallbedingten Verletzungsfolgen des Beklagten zu 1) ist derzeit nicht
endgültig absehar.
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Der Zinsanspruch des Beklagten zu 1) folgt aus §§ 284, 288, 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 100, 269 Abs. 3 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 11, 709, 711
ZPO.
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