Urteil des LG Arnsberg vom 27.09.2005

LG Arnsberg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, beweismittel, verschulden, kollision, rücknahme, anhörung, akte, wiederholung, verzicht, fax

Landgericht Arnsberg, 5 S 58/05
Datum:
27.09.2005
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 58/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Brilon, 8 C 31/05
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. April 2005 verkündete
Urteil des Amts-gerichts Brilon (Aktenzeichen: 8 C 31/05) wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Die Parteien streiten um die Regulierung ihres Parkplatzunfalles, der sich am 29. Nov.
2004 in C auf dem Parkplatz N2 ereignete.
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Die Parteien parkten ihre PKW in Parkboxen, die jeweils seitlich versetzt zueinander,
getrennt durch die Fahrgasse waren. Beim Ausparkvorgang kam es zur Kollision.
Hierbei entstand allein beim PKW der Klägerin ein Sachschaden. Den unstreitigen
Gesamtschaden der Klägerin vom 2.453,23 EUR hat die Beklagte zu 2) zur Hälfte
reguliert.
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Mit der Klage hat die Klägerin den Restbetrag von noch 1.228,89 EUR ersetzt verlangt.
Sie hat vorgetragen, sie habe zum Zeitpunkt der Kollision ihre Parkbox bereits
vollständig verlassen gehabt und habe sich ca. 2 - 3 Minuten auf der Fahrstraße stehend
befunden, als die Beklagte zu 1) rückwärts in ihr Fahrzeug gefahren sei.
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Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und die Unfalldarstellung der Klägerin
bestritten. Sie haben ihrerseits behauptet, die Fahrzeuge hätten zeitgleich ausgeparkt,
wobei es zum Zusammenstoß gekommen sei.
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Das Amtsgericht hat die Klägerin und die Beklagte zu 1) persönlich angehört und
anschließend die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin
habe keinen Beweis dafür angeboten, dass die Beklagte zu 1) rückwärts in ihr bereits
stehendes Fahrzeug gefahren sei. Weder hätten Zeugen den Unfall beobachtet, noch
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ließen die Beschädigungen am Klägerfahrzeug darauf schließen, dass die Klägerin
schon längere Zeit gestanden habe. Hinzu komme, dass das Beklagtenfahrzeug nicht
beschädigt worden sei, weshalb für die Einholung eines
Unfallrekonstruktionsgutachtens keine hinreichende Anknüpfungstatsachen vorhanden
seien.
Die Klägerin hat fristgerecht gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, diese jedoch
außerhalb der Frist begründet. Insoweit hat sie hinsichtlich der Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur
Begründung behauptet, die zuverlässige und gut geschulte Kanzleimitarbeiterin T2
habe aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nach Vorlage der Akte zur Vorfrist
neben der Vorfrist auch die Berufungsbegründungsfrist als erledigt aus dem Kalender
gestrichen und deshalb die Akte zum Fristablauf nicht - wie vom zuständigen
Rechtsanwalt verfügt - vorgelegt.
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Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin weiterhin 100 % Schadensersatz, d. h. Zahlung
weiterer 1.229,98 EUR. Sie rügt eine unzureichende Beweiserhebung des
Amtsgerichts. Das Amtsgericht habe die von ihr angebotenen Beweismittel für das
alleinige Verschulden der Beklagten zu 1) am Zustandekommen der Kollision
(Parteivernehmung der Beklagten zu 1) und Einholung eines
Sachverständigengutachtens) rechtsfehlerhaft nicht erhoben. Auch fehle es nicht an
Anknüpfungspunkten für ein Unfallrekonstruktionsgutachten, da es immerhin möglich
sei, dass am PKW der Beklagten zu 1) für einen technischen Laien nicht sichtbare
Unfallspuren vorhanden seien, die dem Sachverständigen eine Rekonstruktion des
Unfallgeschehens ermöglichten.
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Die Beklagten beantragen, das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin und ihre
Berufung zurückzuweisen. Sie meinen, ein Anwaltsverschulden bei der Versäumung
der Berufungsbegründungsfrist sei gegeben. In der Sache verteidigen sie das Urteil. Sie
vertreten die Auffassung, die Klägerin habe nach Anhörung der Beklagten zu 1) durch
das Amtsgericht ausdrücklich ihren Antrag auf deren Parteivernehmung wiederholen
müssen. Für ein Sachverständigengutachten gebe es zu wenig Anknüpfungspunkte, um
die fahrdynamischen Zusammenhänge zeitlich feststellen zu können.
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II.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Hinsichtlich der Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist war ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233
ZPO zu gewähren.
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Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233, 234
ZPO liegen vor. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1
ZPO versäumt. Hinsichtlich dieser Fristversäumung hat sie rechtzeitig binnen zwei
Wochen nach Kenntnis von der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand beantragt (§ 234 ZPO). Denn auf den Anruf der Berichterstatterin am 07. Juli 2005
ist der Antrag auf Wiedereinsetzung am 12. Juli 2005 per Fax beim Landgericht
eingegangen. Die Formvoraussetzungen des § 236 ZPO wurden ebenfalls eingehalten.
Der Wiedereinsetzungsantrag hat die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen
enthalten und diese durch eidesstattliche Versicherung der Frau T2 glaubhaft gemacht.
Schließlich war der Klägerin Wiedereinsetzung zu gewähren, weil sie ohne ihr
Verschulden gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Denn
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vorliegend wurde die Frist nicht durch ein der Klägerin zurechenbares Verschulden
ihres Rechtsanwaltes, sondern durch ein ausschließliches Verschulden der
Kanzleiangestellen T2 versäumt. Denn nach Vorlage der Akte zur Vorfrist war der
Prozessbevollmächtigte grundsätzlich nicht gehalten, sofort die
Berufungsbegründungsschrift zu fertigen. Auch am letzten Fristtage hätte er durchaus
noch die einfach gelagerte Berufungsbegründung fertigen und per Fax absenden
können und dürfen. Es war deshalb zulässig, dass der Rechtsanwalt auf die Vorfrist hin
eine Einzelverfügung zur Vorlage bei Fristablauf traf. Diese Einzelverfügung hat die
Büroangestellte allerdings nicht ausgeführt, sondern versehentlich die
Berufungsbegründungfrist aus dem Kalender gelöscht. Die Befolgung seiner
Einzelanweisung muss der Rechtsanwalt bei einer zuverlässigen und gut geschulten
Mitarbeiterin doch nicht im jeden Falle überprüfen, so dass ein Anwaltsverschulden
nicht gegeben ist.
III.
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Allerdings bleibt der zulässigen Berufung der Erfolg versagt. Die Klägerin kann von der
Beklagten gem. §§ 7, 17 StVG, 3 Abs. 1 PflichtVersG keinen weiteren Schadensersatz
aufgrund des Verkehrsunfalles der Parteien vom 29. Nov. 2004 verlangen.
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Die Berufung hat zu Recht die Nichtausschöpfung eines Beweismittels gerügt. Die
Klägerin hat bereits in erster Instanz die Parteivernehmung der Beklagten zu 1) als
Beweismittel benannt, und die Voraussetzungen des § 445 ZPO liegen vor, denn die
Klägerin hat keine anderen Beweismittel für ihre Unfalldarstellung zur Verfügung. Der
Beweisantritt ist auch nicht nach Anhörung der Beklagten zu 1) zurückgenommen
worden. Eine ausdrückliche Rücknahme ist nicht erfolgt; auch in der fehlenden
Wiederholung des Beweisantritts nach Anhörung der Beklagten zu 1) liegt weder eine
Rücknahme noch ein Verzicht dieses Beweismittels. So hat in der BGH in seinem Urteil
vom 20. Juni 1996 (NJW-RR 96, 1459) festgestellt, dass der fehlenden Wiederholung
des Antrages auf Parteivernehmung in der mündlichen Verhandlung trotz Anwesenheit
der Partei keine Rücknahme und kein Verzicht des Beweismittels zu sehen sind. Dieser
Rechtsauffassung hat sich auch Zöller (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 445 Rd.-Nr. 5)
angeschlossen. Auch die Kammer vertritt unter äußerst zurückhaltender Auslegung des
Parteiverhaltens die Ansicht, dass die Klägerin vorliegend durch die Nichtwiederholung
ihres Antrages auf Parteivernehmung der Beklagten zu 1) nicht auf ihr Beweismittel
verzichtet oder es zurückgenommen hat.
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Die danach grundsätzlich gebotene Parteivernehmung der Beklagten zu 1) gem. § 445
ZPO war jedoch nicht durchzuführen, da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf eine
Parteivernehmung der Beklagten zu 1) verzichtet hat.
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Im Hinblick auf die Nichteinholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens teilt die
Kammer die Rechtsauffassung des Amtsgerichts. Denn im vorliegenden Fall kommt es
bei den unterschiedlichen Verkehrsunfalldarstellungen auf fahrdynamische Vorgänge
an, die sich allein aufgrund von Schadensbildern nicht ermitteln lassen. Selbst wenn die
Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision gestanden haben sollte, besagt dies nichts
darüber, ob sie bereits längere Zeit mit ihrem PKW gestanden hat oder lediglich in
Sekundenbruchteilen vor der Beklagten zu 1). Eine vom Amtsgericht abweichende
Beurteilung der Haftungsquote wäre allerdings nur dann denkbar, wenn die Klägerin
tatsächlich beweisen könnte, dass die Beklagte zu 1) in ihr bereits seit einem längeren
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Zeitraum stehenden PKW hineingefahren wäre. Ein derartiger Beweis für ein bereits
länger andauerndes Stehen des PKW kann aber durch ein Sachverständigengutachten
nicht erbracht werden, da auch ein Sachverständiger zum erforderlichen Zeitmoment
keine Aussagen treffen kann.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 ZPO und dem
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit gem. § 708 Nr. 10 ZPO zurückzuweisen.
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