Urteil des LG Arnsberg vom 30.08.2007

LG Arnsberg: erneuerbare energien, schutzwürdiges interesse, treu und glauben, inbetriebnahme, neues recht, windenergieanlage, vergütung, referenz, vollstreckbarkeit, gefahr

Landgericht Arnsberg, 4 O 149/07
Datum:
30.08.2007
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 149/07
Tenor:
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg
auf die mündliche Verhandlung vom 30.08.2007
für R e c h t erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 124.632,02 € nebst 8
Prozentpunkten Zin-sen über dem Basiszinssatz aus 76.184,12 € seit
dem 06.02.2007, aus 23.162,58 € seit dem 19.03.2007 und aus weiteren
25.041,03 € seit dem 02.04.2007 abzüglich am 16.08.2007 gezahlter
35.905,36 € zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 100 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, Betreiber einer Windenergieanlage, nimmt die Beklagte als Netzinhaberin
auf Vergütungszahlung für Stromeinspeisungen nach dem Erneuerbare-Energien-
Gesetz (EEG), hilfsweise auf Basis sog. vermiedener Kosten in Anspruch.
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Der Kläger plante den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-48 mit
einer Nennleistung von 800 kW in C/Steinhausen, Flur X, Flurstück X am Heideweg.
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In der Nähe befinden sich weitere Anlagen, wohl als Teile eines Windparks – die
Region (Haarstrang) in C gilt als eine der windhöffigsten Standorte für
Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen. Vor diesem Hintergrund gingen die
Beteiligten davon aus, dass der seitens des EEG geforderte sog. Referenzertrag von
60% bei der geplanten Anlage unproblematisch eingehalten werden könne.
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Mit Schreiben vom 01.02.2006 unterbreitete die Beklagte über ihr "Regionalcenter
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Arnsberg" eine unverbindliche 10-kV-Anschlusszusage für die Anlage wobei sie u.a.
betr. die Vergütung der eingespeisten Energie auf § 10 Abs. 4 EEG hinwies, wonach für
Anlagen, die nach dem 31.7.2005 in Betrieb genommen werden, vor Inbetriebnahme in
einem Gutachten nachzuweisen sei, dass an dem geplanten Standort mind. 60 % des
Referenzertrages erzielt werden können.
Am 23.4.2006 meldete der Hersteller der Windenergieanlage den Probebetrieb der
Anlage bei der Beklagten an, am 27.4.2006 wurde die Anlage an das Netz der
Beklagten angeschlossen und ging am 5.5.2006 in Betrieb.
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Die Beklagte zahlte in der Folge keine Einspeisungsvergütung und monierte gegenüber
dem Kläger das Fehlen des sog. 60%-Referenz-Nachweises nach dem EEG.
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Der Kläger reichte darauf hin im September oder Oktober 2006 ein Windgutachten und
einen 60%-Referenz-Nachweis ein –beides datiert auf den 09.04.2006 und betrifft wohl
unstr. die streitgegenständliche Windenergieanlage bei Einhaltung der sonstigen
Vorgaben des EEG. Zu den Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Anlagen K 2
und K 3 Bezug genommen.
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Der Nachweis weist einen Referenzertrag von 96 % aus.
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Der Kläger stellte der Beklagten in der Folge die Stromeinspeisung für den Zeitraum bis
März 2007 in Rechnung, wobei die Parteien übereinstimmend von einem
Vergütungssatz nach § 10 Abs. 1,5 EEG von 8,36 Cent/kWh ausgehen. Nachdem der
Kläger seine Berechnung auf Grundlage der laut Zähler der Beklagten gemessenen
Mengen korrigiert und die Klage diesbezgl. um einen Betrag i.H.v. 640,91€
zurückgenommen hat, verlangt er für die Zeit April 2006 bis März 2007 Vergütung für
1.285.392 kWh i.H.v. 125.881,31 €. Von diesem Betrag bringt er die Mess- und
Abrechnungskosten der Beklagten für April 2006 bis März 2007, die diese mit
1.249,29 € beziffert hat, in Abzug; auch diesbezüglich hat der Kläger die Klage
zwischenzeitlich zurück genommen.
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Der Kläger ist der Ansicht, den genannten Betrag als Einspeisevergütung nach §§ 5, 10
EEG verlangen zu können, insbesondere stehe § 10 Abs. 4 EEG und die dort genannte
Voraussetzung "Vorlage eines Gutachtens vor Inbetriebnahme der Windenergieanlage"
nach Auslegung der Vorschrift und auf Grundlage von Treu und Glauben vor dem
Hintergrund der sicheren Kenntnis der Beteiligten von der Einhaltung der
Referenzertragsgrenze nicht entgegen.
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Hilfsweise stützt er sich zur Begründung des Anspruchs auf eine Vergütungspflicht
"nach allgemeinem Recht auf Basis vermiedener Kosten", wobei er für das Jahr 2006
Beschaffungskosten von 5,5 Cent/kWh und für 2007 4 Cent/kWh in Ansatz bringt.
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Auf Grundlage eines Angebots zum Abschluß eines Einspeisungsvertrages, das von
dem Kläger nicht angenommen wurde, hat die Beklagte zwischenzeitlich für den
streitgegenständlichen Zeitraum eine Vergütung an den Kläger i.H.v. 35.905,36€
gezahlt unter Abzug von Mess- und Abrechnungskosten; der Kläger hat die Klage
insoweit für erledigt erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 124.632,02€ nebst acht Prozentpunkten
Zinsen über dem Basiszinssatz aus 76.184,12€ seit dem 06.02.2007, aus
23.162,58€ seit dem 19.3.2007 und
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aus weiteren 25.041,03€ seit dem 02.04.2007 abzgl. am 18.06.2007 gezahlter
35.905,36€ zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, eine Vergütungspflicht entfalle mangels Vorlage des Gutachtens
nebst Nachweis vor Inbetriebnahme der Anlage unter Berufung auf den Wortlaut des §
10 Abs. 4 EEG und der entsprechenden Anlage zum EEG und auf ihr schutzwürdiges
Interesse als Netzbetreiber, der Vergütungszahlungen nur bei Einhaltung der 60 %-
Schwelle in den Belastungsausgleich nach §§ 5 Abs. 2, 14, 16 EEG einstellen dürfe.
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Hinsichtlich des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Der Klage war vollumfänglich stattzugeben. Der Kläger kann von der Beklagten nach §§
5 Abs. 1, 10 EEG Zahlung einer Einspeisungsvergütung in Höhe von 124.632,02 €
nebst Zinsen unter Berücksichtigung der bereits am 18.06.2007 geleisteten Zahlung in
Höhe von 35.905,36 € verlangen.
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Ein Anspruch nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz folgt auf Grundlage eines
gesetzlichen Schuldverhältnisses, ohne dass diesbezüglich ein Vertragsschluss
notwendig wäre, § 12 Abs. 1 EEG.
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Ein Anspruch dem Grunde nach scheitert insbesondere nicht an dem
Ausschlusstatbestand des § 10 Abs. 4 EEG, wonach "ein Netzbetreiber abweichend
von § 5 Abs. 1 nicht verpflichtet ist, Strom aus Anlagen zu vergüten, für die nicht vor
Inbetriebnahme nachgewiesen ist, dass sie an dem geplanten Standort mindestens 60
% des Referenzertrages erzielen können", wobei der Nachweis gegenüber dem
Netzbetreiber durch Vorlage eines nach Maßgabe der Bestimmungen der Anlage zu
dem EEG erstellten Gutachten eines im Einvernehmen mit dem Netzbetreiber
beauftragten Sachverständigen zu führen ist. Die Beklagte rügt insoweit nicht die
Qualität des Gutachtens, dieses ist von einer nach Nr. 7 der Anlage zu § 10
qualifizierten Stelle erteilt worden, noch die Tatsache, dass der Sachverständige nicht in
Abstimmung mit ihr bestellt wurde; sie stützt sich allein auf den Umstand, dass das
Gutachten nicht vor Inbetriebnahme vorgelegt wurde.
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Die Vorlage des Gutachtens vor Inbetriebnahme der Anlage war hier aber entgegen
dem eindeutigen Wortlaut des § 10 Abs. 4 EEG entbehrlich, da beide Parteien vor
Inbetriebnahme übereinstimmend davon ausgingen, dass die Referenzgrenze von 60 %
unproblematisch eingehalten werden könne. Auf Grundlage dieser Vorkenntnis barg der
konkret vorgesehene Standort nicht die Gefahr der Anwendung des § 10 Abs. 4 EEG in
sich, wonach sich der jetzige Standpunkt der Beklagten und deren Verweigerung eine
Einspeisungsvergütung nach dem EEG zu zahlen, als unzulässige Rechtsausübung im
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Sinne des § 242 BGB darstellt.
Die Kammer schließt sich insoweit der in der Literatur vertretenen Auffassung
(Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, 1. Aufl. 2006, § 10 EEG Rdnr. 89; Salje, EEG, 3.
Aufl. 2005, § 10 Rdnr. 64) an, wonach sich das Verlangen nach einem Gutachten als
missbräuchlich u.a. dann darstellt, wenn an dem geplanten Standort evident davon
auszugehen ist, dass 60 % des Referenzertrages jedenfalls überschritten werden; dies
insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache der marktbeherrschenden Stellung
des Netzbetreibers im Sinne der §§ 19, 22 GWB.
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Nachdem das Gutachten, welches nach übereinstimmender Aussage der Parteien in
der mündlichen Verhandlung ca. im September oder Oktober 2006 der Beklagten
vorgelegt wurde, einen Referenzertrag von unstreitig 96 % ausweist, hat sich im Übrigen
die Annahme der Parteien vor Inbetriebnahme der Anlage im Nachhinein mehr als
deutlich bestätigt.
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Die eingeschränkte Anwendung des § 10 Abs. 4 EEG in derart offensichtlichen Fällen
rechtfertigt sich darüber hinaus auch auf Grundlage des mit der Vorschrift verfolgten
Zwecks, nach der Windenergieanlagen an schlechten Standorten verhindert und
Planungssicherheit unabhängig von der späteren tatsächlichen Leistung gewährleistet
werden soll (vgl. BT-Drucksache 15/2327, S. 32; Oschmann/Müller, Neues Recht für
erneuerbare Energien, Grundzüge der EEG-Novelle, ZNER 2004, 24 (26)); wenn aber –
wie hier – alle Beteiligten von der Einhaltung der Referenzgrenze ausgehen, verursacht
die Vorlagepflicht lediglich unnütze Kosten für die Erstattung eines Gutachtens und führt
im Übrigen unter Umständen zu einer nicht unerheblichen Verzögerung der
Inbetriebnahme mit weiteren negativen Kostenfolgen.
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Die Beklagte kann sich auch nicht auf ein eigenes schutzwürdiges Interesse im Hinblick
auf die Vorlage des Gutachtens berufen. Soweit sie auf den Umstand hingewiesen hat,
dass gezahlte Vergütungen nur bei Erreichung der 60 %-Schwelle in den
Belastungsausgleich eingestellt werden dürften, hat sie schon selbst nicht vorgetragen,
dass die Vorlage eines Gutachtens insoweit Voraussetzung für den
Belastungsausgleich wäre. Eine derartige Voraussetzung ist auch ansonsten nicht
erkennbar; der Berücksichtigung der nunmehr ausgeurteilten Vergütung im Rahmen des
Belastungsausgleichs stehen keine Bedenken entgegen.
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Das Gericht verkennt schließlich auch nicht, dass der Kläger mit dem Schreiben der
Beklagten vom 01.02.2006, unverbindliche Anschlusszusage, ausdrücklich auf die
Vorschrift des § 10 Abs. 4 EEG hingewiesen wurde. Allein der wohl standardmäßige
Hinweis und die hieraus ggf. folgenden Annahme eines bewussten Verstoßes des
Klägers gegen die grundsätzliche Vorlagepflicht, hindert die Zubilligung einer
Vergütungspflicht in Fällen, in denen wie hier der Referenzertrag offensichtlich erreicht
und sogar weit überschritten wird, nicht.
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Der Kläger kann vor diesem Hintergrund Zahlung eines Betrages in Höhe von
124.632,02 € für die Zeit April 2006 bis einschließlich März 2007 verlangen. Zu der
Berechnung der Anspruchshöhe im Einzelnen wird auf die ausführliche und schlüssige
Darstellung in dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 13.07.2007 (Blatt 34 f. GA) Bezug
genommen; der Kläger hat hierbei die Strommenge, die seitens der Beklagten
festgestellt wurde zu Grunde gelegt zu einem unstreitigen Preis von 8,36 Cent pro kw/h
zzgl. der jeweils gültigen gesetzlichen Mehrwertsteuer und hiervon die Mess- und
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Abrechnungskosten, wie von Beklagtenseite verlangt, in Abzug gebracht.
Auf Grundlage des Mahnschreibens vom 16.01.2007 (Anlage K 4) sind auf einen Betrag
in Höhe von 76.184,12 € nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB Zinsen in Höhe der
geforderten 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 06.02.2007 zu entrichten,
weiterhin sind aufgrund der Mahnung vom 19.02.2007 (Anklage K 5) für die geleistete
Strommenge im Januar 2007 Zinsen ab dem 19.03.2007 auf einen Betrag von
23.162,58 € auf Grundlage einer Strommenge von 233.903 kw unter Abzug der Kosten
zu zahlen; auf Grundlage der Rechnung vom 01.04.2007 (Anklage K 7) betreffend eine
Strommenge von 256.182 kw für die Monate Februar und März 2007 und der
Selbstmahnung der Beklagten, die mit Schreiben vom 21.03.2007 (Anlage K 6) jegliche
Zahlung ablehnte, sind weitere Zinsen, wie gefordert, ab dem 02.04.2007 auf einen
Betrag von 25.041,03 € fällig.
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Von dem vorgenannten Betrag zzgl. der Zinsen war schließlich der unstreitige
Teilbetrag für den streitgegenständlichen Zeitraum bis März 2007 in Höhe von
35.905,36 € in Abzug zu bringen, nachdem der Kläger die Klage diesbezüglich für
erledigt erklärt hat.
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Da der Kläger, wie dargelegt, einen Vergütungsanspruch aus §§ 5 Abs. 1, 10 EEG
geltend machen kann, kann dahinstehen, ob darüber hinaus auch weitere
Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen, die ggf. nicht von dem Landgericht
Arnsberg, sondern vor dem Hintergrund des hilfsweise gestellten Verweisungsantrags
durch das Landgericht Dortmund zu prüfen wären.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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