Urteil des LG Arnsberg vom 17.10.2002

LG Arnsberg: operation, prothese, diabetes mellitus, hygiene, behandlungsfehler, komplikationen, schmerzensgeld, beschädigung, unterlassen, mensch

Landgericht Arnsberg, 4 O 519/01
Datum:
17.10.2002
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 519/01
Tenor:
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg aufgrund der
mündlichen Verhand-lung vom 17.10.2002 durch
für R e c h t erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstre-ckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten Ersatz immaterieller und materieller Schäden
wegen ärztlicher Fehlbehandlung.
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Die Klägerin war in der Zeit vom 7.10. bis 4.12.1997 in stationärer Behandlung bei der
Beklagten. Sie leidet an einem fortgeschrittenen Diabetes-Spätsyndrom und ist
Raucherin; Diabetes mellitus besteht seit 22 Jahren. Die Klägerin begab sich wegen
starker Durchblutungsstörungen in beiden Beinen in die Behandlung der Beklagten.
Gefäßverschlüsse der Bauch- und Beckenarterie sollten durch eine Y-Prothese
umgangen werden. Die Klägerin wurde am 10.10.1997 bei der Beklagten operiert,
wobei ihr eine Goretex-Biforkationsprothese eingesetzt wurde. Etwa zehn Tage nach
der Operation kam es zu einer Rötung und Schwellung der rechten Leiste und die
Klägerin bekam Fieber bis zu 40 Grad. Durch einen Abstrich konnte eine Besiedlung mit
Staphylococcus Aureus (Kugelbakterien) festgestellt werden. Am 21. und 22.10.1997
revidierte die Beklagte die Leistenwunden. Trotz antibiotischer Behandlung konnte
keine Besserung erzielt werden. Am 29.10.1997 wurde die am 10.10.1997 eingesetzte
Y-Prothese ausgetauscht gegen eine in Rifampicin (Antibiotikum) getränkte DACRON-
Prothese. Am 13.11.1997 entwickelte sich bei der Klägerin eine Ateminsuffizienz; am
18.11.1997 erfolgte ein Luftröhrenschnitt.
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Die Klägerin trägt vor, der Befall mit Kugelbakterien ließe sich nur durch mangelhafte
Desinfektion erklären. Der Stationsarzt habe ihr ca. 5 Tage nach der ersten Operation
mitgeteilt, sie habe sich im OP-Bereich mit Bakterien infiziert, die sich im Halsbereich
angesiedelt hätten. Nach der Operation im Leistenbereich habe der Stationsarzt
mitgeteilt, die Wunden seien mit Bakterien besiedelt gewesen, die jeder Mensch an den
Fingern trage. Die Beklagte habe es unterlassen, die wegen ihrer besonderen Risiken
indizierte perioperative Antibiotika-Prophylaxe durchzuführen. Aufgrund der bekannten
Risikofaktoren sei es von vornherein geboten gewesen, eine antibiotisch präparierte
Prothese einzusetzen. Während der Beatmung anläßlich der Revisionsoperation seien
Gebiß, Stimmbänder, Stiftzähne und Luftröhre durch erhebliche Krafteinwirkung
beschädigt worden. Eine Krankenschwester habe ihrem Ehemann das Oberkiefergebiß
übergeben, das mit Klammern befestigt gewesen und samt zweier Stiftzähne
abgebrochen worden sei. Bei dem Luftröhrenschnitt sei die Luftröhre über das
erforderliche Maß hinaus beschädigt worden. Ausweislich des Operationsprotokolls
habe sich der Tubus nur mühsam einführen lassen und einmal zurückgezogen werden
müssen. Vor dem Luftröhrenschnitt sei sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt und belehrt
worden. Dies sei auch nicht möglich gewesen, da sie gar nicht mehr in der Lage
gewesen sei, eine solche Aufklärung wahrzunehmen.
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Wegen der weitergehenden Beschädigung der Luftröhre sei diese in der Folgezeit
zugewuchert. Zuletzt habe lediglich noch ein Durchlass von der Breite einer
Kugelschreibermine bestanden. Aufgrund der Luftnot habe man in der Lungenklinik
Hemer 4 cm der Luftröhre entfernt. Außerdem sei es zu einer Lähmung des Kehlkopfes
sowie der Stimmbänder gekommen. Im Juli 2001 sei eine weitere Operation der
Wundränder in Bad Lippspringe erforderlich gewesen. Ein Teil der Stimmbänder sei
weggelasert worden, um eine ausreichende Beatmung zu gewährleisten. Am 3.9.2001
sei sie im Johannes-Stift in Paderborn erneut operiert worden, um wegen der
Revisionsoperation der Beklagten am 29.10.1997 entstandene Vernarbungen zu
entfernen, die zu einem neuen Arterienverschluss im Bereich der rechten
Beinschlagader geführt hätten. Sie müsse sich noch mindestens zwei weiteren
Operationen unterziehen. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00
DM für angemessen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5%
Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG hieraus seit dem 10.8.1999 zu
zahlen.
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und
künftigen immateriellen Schäden aus der Krankenhausbehandlung im Hause der
Beklagten vom 7.10.-4.12.1997 zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, es liege kein Behandlungsfehler vor. Bei der Revisionsoperation
habe sich intraoperativ gezeigt, dass die gesamte Prothese auch im Bereich der
Beckenarterien und Bauchschlagader von seriöser Flüssigkeit umgeben gewesen sei.
Die dort genommenen Wundabstriche hätten keinen Bakteriennachweis ergeben, so
dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit kausal um eine sog. "Perigraft-Reaktion"
gehandelt habe. Dies sei eine sehr selten vorkommende Einheilungsstörung eines
Kunst- stoffimplantats, welche sekundär zu einer Infektion der die Prothese
umgebenden Wundflüssigkeit führe. Bei der am 10.10.1997 durchgeführten
Gefäßoperation habe die Beklagte wie bei allen gleichartigen Gefäßoperationen
suffiziente Desinfektionsmaßnahmen an der Klägerin und Sterilisationsverfahren an
medizinischem Gerät und Instrumenten durchgeführt. Auch bei sämtlichen
Hygienevorschriften seien ubiquitär Bakterien in einem Krankenhaus vorhanden. Bei
dem Vorhandensein weiterer, die Keimabwehr schwächender Umständen könnten
Bakterien in geringem Maße zu Wundinfektionen führen. Die Klägerin sei über die
Risiken einer Wundinfektion aufgeklärt worden.
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Der Vorwurf, dass erst bei der Revisionsoperation eine antibiotisch präparierte Prothese
eingesetzt worden sei, sei nicht haltbar. Im Jahre 1997 seien diese Präparate noch nicht
auf dem Markt gewesen. Das hier angewandte Verfahren sei Inhalt eines
Studienprotokolls ausgewählter Universitätskliniken gewesen. Es sei nur statthaft
gewesen, dieses Verfahren bei Hochrisikopatienten anzuwenden, bei denen bereits
Komplikationen aufgetreten seien. Während der Behandlung durch die Beklagte hätten
keine Anhaltspunkte für die Beschädigung der Luftröhre bestanden. Es sei allgemein
bekannt, dass es im Gefolge von sachgerechten Trachetomien zu narbigen
Verengungen der Luftröhre kommen könne. Im Extremfall würden Korrekturoperationen
notwendig. Dies sei schicksalhaft und beruhe nicht auf einem Behandlungsfehler. Eine
perioperative Antibiotika-Prophylaxe sei nicht indiziert gewesen. Empfehlungen, die
eine solche Prophylaxe vorsähen, seien nicht bindend. Zudem habe bei der Klägerin
ein besonderes Operationsrisiko nicht vermutet werden können.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des
Sachverständigen Dr. med. Steiger. Wegen der Beweisfragen wird auf den
Beweisbeschluß vom 28.02.2002, Blatt 43 der Akten, ergänzt durch Beschluß vom
03.04.2002, Blatt 54 der Akten, Bezug genommen, wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme auf das Gutachten vom 05.06.2002, Blatt 58 ff. der Akten.
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Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der mündlichen Erklärungen
der Parteien wird auf die Protokolle der Termine vom 28.02.2002 und 17.10.2002, Blatt
42 ff. und Blatt 86 ff. der Akten, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Da die Beklagte weder einen Behandlungs- noch
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Da die Beklagte weder einen Behandlungs- noch
einen Aufklärungsfehler begangen hat, scheiden deliktische Ansprüche (§§ 823, 847
BGB) wie auch vertragliche Ansprüche der Klägerin aus.
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Soweit die Klägerin einen Behandlungsfehler darin sieht, dass die Beklagte zunächst
eine Goretex-Biforkationsprothese und nicht bereits bei der ersten Operation eine
antibiotisch präparierte Prothese verwandt hat, wird dies durch das Gutachten des
Sachverständigen Dr. med. Steiger nicht bewiesen. Der Sachverständige führt vielmehr
nachvollziehbar aus, dass antibiotisch präparierte Prothesen zum damaligen Zeitpunkt
nicht verbreitet und nicht wissenschaftlich untersucht gewesen sind, so dass ihre
Anwendung - als experimentelle Operationsmethode - nur bei lebensbedrohlichen
Situationen gerechtfertigt war, wie sie bei der Klägerin am 29.10.1997 bestanden hat.
Die Auswahl der Gefäßprothese bei der Operation am 10.10.1997 ist demnach nicht zu
beanstanden.
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Auch der Beweis einer nicht ausreichenden Hygiene als Ursache für die aufgetretenen
Schwierigkeiten wird durch die Klägerin nicht geführt. Der Sachverständige hat keine
Indizien gesehen, die auf eine Verletzung der Asepsis hinweisen könnten. Angesichts
der fortlaufenden Überwachung von Krankenhäusern hat der Sachverständige den
Vorwurf unzureichender Hygiene für unbegründet gehalten. Die Klägerin hat - was
erforderlich gewesen wäre - keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die Zweifel an der
Hygiene im Krankenhaus der Beklagten begründen würden. Sie beschränkt sich auf die
Wiedergabe von Äußerungen eines namentlich nicht benannten Stationsarztes, der ihr
mitgeteilt habe, die Wunden seien mit Bakterien besiedelt gewesen, die jeder Mensch
an den Fingern trage. Auch dies deutet jedoch nicht auf einen Behandlungsfehler hin,
da der Sachverständige generell feststellt, dass trotz aller Fortschritte in Hygiene und
Asepsis Wundinfektionen ein typisches, nicht völlig auszuschließendes Risiko jeder
Operation sind. Das Infektionsrisiko bei Gefäßoperationen mit Implantation von
Kunststoff-Gefäßprothesen gibt der Sachverständige mit ca. 1-2 % an. Aus der bloßen
Tatsache des Auftretens von Infektionen kann demnach - soweit hierfür keine konkreten
Anhaltspunkte vorgetragen werden - nicht auf eine unzureichende Hygiene geschlossen
werden.
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Das von dem Sachverständigen monierte Unterlassen einer perioperativen Antibiotika-
Prophylaxe ist ebenfalls nicht geeignet, Schadensersatzansprüche der Klägerin zu
begründen. Der Sachverständige sieht darin eine Möglichkeit, das Infektionsrisiko zu
verringern, ohne allerdings festzustellen, dass die bei der Klägerin aufgetretenen
Komplikationen bei einer derartigen Prophylaxe ausgeblieben wären. Die Kausalität
des Unterbleibens der Prophylaxe für die Komplikationen wird von der Klägerin weder
behauptet noch unter Beweis gestellt. Eine Ursächlichkeit ist auch nicht ersichtlich, da
erste Komplikationen (Schwellung, Rötung und Fieber) hier erst etwa zehn Tage nach
der Operation vom 10.10.1997 aufgetreten sind und nicht erkennbar ist, dass
Infektionserscheinungen sich erst nach einem solchen Zeitraum zeigen. Ohnehin ist
nicht ersichtlich, dass die von dem Sachverständigen genannten Empfehlungen für die
Beklagte verbindlich waren.
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Schäden an Gebiß und Stimmbändern bei der Einführung von Beatmungsschläuchen
sind nach Feststellung des Sachverständigen typisch. Dasselbe gilt für Verengungen
der Luftröhre als Folge von Luftröhrenschnitten. Die diesbezüglich von der Klägerin
angeführten Schäden sind nach den auch insofern nachvollziehbaren und
überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen als schicksalhafte Folgen der
jeweiligen Behandlung anzusehen. Die Klägerin trägt keine hinreichenden Tatsachen
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dafür vor, dass dennoch ein Behandlungsfehler vorliege, zumal der Sachverständige
keine entsprechenden Indizien erwähnt hat.
Schließlich greift der Vorwurf, die Klägerin sei vor Ausführung der Tracheometrie nicht
aufgeklärt worden, nicht durch, da die Klägerin selbst vorträgt, sie sei gar nicht in der
Lage gewesen, eine Aufklärung wahrzunehmen.
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Weitere denkbare haftungsbegründende Umstände oder Anspruchsgrundlagen, deren
Voraussetzungen vorliegen, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 Satz 1 ZPO.
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