Urteil des LG Arnsberg vom 22.06.2010

LG Arnsberg (zeuge, wohnung, halle, leiche, täter, untersuchung, ehefrau, haus, stpo, täterschaft)

Landgericht Arnsberg, 2 Kls 12/09
Datum:
22.06.2010
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Große Strafkammer als Jugendkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Kls 12/09
Schlagworte:
Mord vor 23 Jahren, DNA-Analyse
Normen:
§ 211 StGB, §§ 1, 17, 18, 105 JGG, § 261 StPO
Leitsätze:
1.
Zum Nachweis der Täterschaft eines vor 23 Jahren begangenen
Tötungsdelikts, insbesondere mittels DNA-Analyse und ergänzender
Untersuchung Y-chromosomaler DNA-Systeme.
2.
Ein Verdeckungsmord scheidet nicht schon dann aus, wenn sich die zu
verdeckende Tat bereits gegen Leib und Leben des Opfers richtete.
3.
Zur Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld und
zur Erziehungswirksamkeit bei einer sehr lange zurückliegenden Tat.
Tenor:
Der Angeklagte wird wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von sechs
Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der
Nebenkläger werden dem Angeklagten auferlegt.
I.
1
Der inzwischen 40 Jahre alte Angeklagte ist in T. geboren und in dem T.-Ortsteil P.
aufgewachsen. Er hat drei ältere Schwestern (geboren 1953, 1955, 1956), zwei ältere
Brüder (geboren 1962 und 1964 = Q.) und eine jüngere Schwester (geboren 1971 = O.).
Seine 1932 geborene Mutter war Hausfrau, sein 1922 geborener Vater war als
Bauhelfer bzw. Maurer tätig, ist jedoch früh im Alter von 55 Jahren in Rente gegangen;
er ist im Jahr 1996 verstorben. Die im Jahr 1932 geborene Mutter lebt seit über einem
Jahr bei ihrer Tochter D. in T., nachdem sie zuvor Mitte 2008 das Wohnhaus in P.
2
Jahr bei ihrer Tochter D. in T., nachdem sie zuvor Mitte 2008 das Wohnhaus in P.
verkauft hatte.
Der Angeklagte wurde im Alter von 6 Jahren eingeschult. Er besuchte zunächst die
örtliche Grundschule. Nach Wiederholung der 4. Klasse wechselte er 1980 zur
Hauptschule nach T., die er bis zur 10. Klasse besuchte und im Juni 1986 mit
Abgangszeugnis und ohne Abschluss verließ. Die schulischen Leistungen waren knapp
durchschnittlich. Der Angeklagte hatte kein Interesse an der Schule. Die Hausarbeiten
erledigte er teilweise unter Androhung von Schlägen.
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Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie C. waren insbesondere nach der frühen
Verrentung des Vaters schwierig. Der Angeklagte erhielt in seiner Jugendzeit kein
Taschengeld. Später beteiligte er sich mit Kostgeld am Unterhalt der Familie.
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Der Vater war fürsorglich, unter dem Einfluss von Alkohol war er jedoch aggressiv. Es
kam zu Handgreiflichkeiten gegenüber der Mutter. Der Angeklagte wurde dann
insbesondere bei Fehlverhalten regelmäßig geschlagen. Seitens der Mutter wurde
körperliche Gewalt in Gestalt von Schlägen, z.B. mit einem Kochlöffel, ebenfalls als
Erziehungsmittel eingesetzt.
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In seiner Kindheit und Jugend verbrachte er seine Freizeit fast vollständig mit
Fußballspielen im Fußballverein P.. Dabei fand er Unterstützung durch seinen Vater.
Der Angeklagte war ein talentierter Fußballspieler, der in seiner Jugendzeit in der
Kreisauswahl und Westfalenauswahl spielte. Von der A-Jugend wechselte er direkt in
die erste Mannschaft von P.. Dort und später in anderen Vereinen zeigte er gute
Leistungen und avancierte häufig zum Führungsspieler. Als solcher erteilte er
Anweisungen an seine Mitspieler und "konnte laut werden".
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Außerhalb des Fußballplatzes verhielt sich der Angeklagte in seiner Kindheit und
Jugend eher zurückhaltend und distanziert ("cool"), unsicher und schüchtern gegenüber
anderen Personen. Innerhalb der Familie vernachlässigte er alltägliche Dinge und
kümmerte sich um viele Sachen nicht.
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Auf Drängen und Initiative seiner Eltern begann der Angeklagte im Jahr 1986 eine
Ausbildung zum Kunststoff- und Schwergewebekonfektionär (Zeltebauer), die er
mangels Interesse nach etwa 1 ½ Jahren im Frühjahr 1988 abbrach. Der Angeklagte
erhielt eine Ausbildungsvergütung von ca. 500 DM, er wollte jedoch Geld verdienen und
"leben". Nach dreimonatiger Arbeitslosigkeit fand er eine Anstellung in einer Fabrik in
X., wo er als Metallschleifer tätig war. Im Jahr 1991 wurde dieses
Beschäftigungsverhältnis durch den Wehrdienst in einer Pioniereinheit unterbrochen. Im
Anschluss daran arbeitete der Angeklagte dort bis 1999/2000. Nach zwischenzeitlicher
Arbeitslosigkeit war der Angeklagte ab 2003 bis zur Festnahme im Baumarkt der Fa. I. in
T. als Verkäufer tätig. Er erzielte zuletzt ein Nettoeinkommen von ca. 2.000 €.
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Der Angeklagte hatte bereits in seiner Jugend Kontakt zu Frauen. In seiner
Hauptschulzeit war er mit einer V. befreundet. Seine sexuelle Entwicklung verlief
unauffällig. Im Alter von ca. 16 – 17 Jahren hatte er erstmals Geschlechtsverkehr. Mit ca.
17 Jahren hatte er für ca. sechs Monate eine feste und intime Beziehung zu einem ca.
ein Jahr jüngeren Mädchen, die aber im bereits Anfang 1987 beendet war. Aufgrund
seines sportlichen Wesens und seiner Erscheinung fand er Gefallen bei weiblichen
Personen; er hatte bei Frauen einen "guten Stand".
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Im Alter von 19 bzw. 20 Jahren ging der Angeklagte erstmals eine längere Beziehung zu
einer Frau ein, nämlich U.. Ende 1992 ging er dann eine längere Beziehung zu seiner
späteren Ehefrau G. ein, die noch mit einem Mitspieler (K.) befreundet war. Im
September 1993 wurde aus dieser Beziehung die Tochter A. geboren. Im Jahr 1994
folgte die Eheschließung. Einige Jahre später nahm die Ehefrau eine Beziehung zu
einem anderen Mann auf. Der Angeklagte zog im Sommer 1997 aus der gemeinsamen
Wohnung aus und wohnte vorübergehend bei seinem Bruder Q. und später bei seiner
Mutter im Elternhaus in P.. Die Ehe wurde 1997/1998 geschieden. Der Angeklagte
leistete in der Folgezeit Unterhalt für seine Tochter.
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Etwa zwei Monate nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau im Juli 1997 nahm der
Angeklagte eine Beziehung zu der 5 Jahre jüngeren F. auf. Beide kannten sich aus der
Nachbarschaft von klein auf. Nach etwa 1 ½ Jahren verzogen beide in eine größere
Wohnung in P.. Nach etwa drei Jahren kam es zur Trennung, die von dem Angeklagten
ausging.
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Seit über 12 Jahren kennt der Angeklagte seine jetzige Ehefrau Z., die mit einem
Mitspieler verheiratet war und vier Kinder im Alter von 19, 16, 12 und 9 Jahren hat. Er
ging mit ihr eine Beziehung ein und zog im November 2004 in deren Einfamilienhaus in
T. ein, nachdem ihr Ex-Ehemann ausgezogen war.
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Im Dezember 2006 heirateten beide.
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Der Angeklagte hat etwa im 17. Lebensjahr erstmals Alkohol in Gestalt von Bier
konsumiert. Später kam – vornehmlich am Wochenende - Schnaps dazu. Andere
Drogen hat der Angeklagte weder probiert noch konsumiert.
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Der Angeklagte hat im Alter von 14 Jahren nach einem Fahrradunfall einen Milzriss
erlitten und – insbesondere beim Fußball – desöfteren eine Gehirnerschütterung. Bis
zum 22./23. Lebensjahr litt er unter Migräne, die nach Verordnung einer Brille nicht mehr
auftrat. Andere nennenswerte Erkrankungen sind nicht aufgetreten.
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Der Angeklagte ist strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
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Aufgrund des Haftbefehls des Amtsgericht Arnsberg vom 10.02.2009, Az. 5 Gs 182/09,
befand sich der Angeklagte vom 11.02.2009 bis zum 16.03.2010 in Untersuchungshaft
in der JVA Hamm. Durch Beschluss der Kammer wurde der Haftbefehl am 16.03.2010
gegen eine Meldeauflage außer Vollzug gesetzt. Nach Urteilsverkündung hat die
Kammer den Haftbefehl aufgehoben.
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II.
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1. Vorgeschichte der Tat
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Im Jahr 1987 wohnte der Angeklagte im Wohnhaus seiner Eltern im W. in dem T. Ortsteil
P., und zwar zusammen mit seinem älteren Bruder Q. und seiner jüngeren Schwester
O.. P. hat ca. 1.000 Einwohner und liegt unmittelbar an der Y.-Straße.
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In der Nachbarschaft wohnte die später getötete R. zusammen mit ihrem Verlobten, dem
Zeugen S., in der Obergeschosswohnung des Wohnhauses W.. R. und der Zeuge S.
hatten sich ca. 10 Jahre zuvor kennengelernt und eine Beziehung aufgenommen. Der
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27 Jahre alte Zeuge S. und die am 05.01.1961 geborene und damit 26 Jahre alte R.
wohnten seit 1983 in einer gemeinsamen Wohnung in P. und seit ca. 2 Jahren in der
Wohnung am W..
Die Straße W. verläuft annähernd kreisförmig, beginnend mit dem Zweifamilienhaus W.
xxx. Es handelt sich um eine reine Wohnstraße mit Ein- und Zweifamilienhäusern.
Wegen weiterer Einzelheiten der Örtlichkeit wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf
die Luftaufnahmen, aufgenommen am 01.06.1987 im Lichtbildordner II verwiesen.
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Die Wohnung S./R. befindet sich im Obergeschoß; im Erdgeschoß des Hauses wohnte
der Zeuge M.. Von der Haustür des Hauses W., die an der östlichen Hausseite liegt,
führt eine Holztreppe gewendelt in das Obergeschoß. Die Wohnungstür ist aus Holz, mit
einer eingelassenen Glasscheibe und einem einfachen Schloss für einen Bartschlüssel.
Durch die Wohnungstür gelangt man zu einem langgestreckten Korridor, von dem aus
der Zugang zu den einzelnen Wohnräumen ermöglicht wird. Durch die erste Tür links
erfolgt der Zugang zum Schlafzimmer. Schräg gegenüber rechts liegt das Badezimmer,
dahinter auf der rechten Seite die Küche und im hinteren Bereich das Wohnzimmer mit
Balkon zur Westseite. Auf der linken Seite gelangt man durch die zweite Tür links in ein
Abstellzimmer. Zur Anordnung und Nutzung der Räume wird wegen der Einzelheiten
gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Handskizze Blatt 38 der Akten und auf die
Lichtbilder im Lichtbildordner I Nr. 1 bis 6, 21 – 31 verwiesen.
23
Die R. und der Zeuge S. führten eine harmonische Beziehung. Differenzen gab es
kaum, gelegentlich aber dann, wenn S. nach Feierlichkeiten nicht nach Hause wollte,
zuviel getrunken hatte oder sich häufiger bei der Fußballmannschaft aufhielt. Ernsthafte
Differenzen gab es jedoch nicht.
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Die R. war eine lebenslustige Person, sie kam insbesondere mit jedem im Sportverein
gut aus und hatte mit niemandem Streit oder Ärger. Ihre beste Freundin war die Zeugin
N. (geborene H.), eine Cousine des Zeugen S.. Beide kannten sich seit ca. zehn Jahren;
es verband sie eine "dicke Freundschaft", in der über alles miteinander gesprochen
wurde. Gegenüber etwaigen – auch sexuellen – Annäherungsversuchen Dritter verhielt
sie sich eindeutig abwehrend bzw. ablehnend. Aufgrund des engen Kontakts zur Zeugin
N., mit der sie sich mehrfach pro Woche traf, hätte sie etwaige Auffälligkeiten berichtet.
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R. und der Zeuge S. wollten am 25. Juni 1987 standesamtlich heiraten, und zwar am
gleichen Tag mit ihren Freunden, dem Zeugen N. jun. und der Zeugin N. (geborene H.).
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Der Zeuge S. war Betreuer der 2. Mannschaft des Vereins P. und mit dem Angeklagten
über den Fußballverein gut bekannt. Ein engerer Kontakt zwischen der R. und dem
Angeklagten bestand jedoch nicht, nicht zuletzt aufgrund des unterschiedlichen Alters
und unterschiedlicher Kontaktkreise. So war der Angeklagte zuvor auch nie in der
Wohnung R./S. im W. xxx.
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2. Geschehen vor der Tat
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Der Angeklagte und die R. waren einander bekannt. Der Zeuge S. und der Angeklagte
kannten sich über den Fußballverein P; der Angeklagte spielte – wie bereits ausgeführt
– in der A-Jugendmannschaft Fußball. Der jüngere Bruder des Zeugen S., der Zeuge L.,
war mit dem Angeklagten eng befreundet.
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Aus Anlass des Aufstiegs der 2. Fußballmannschaft in die Kreisliga war eine
Aufstiegsfeier geplant, die am Mittwoch, 27.05.1987 in der E.-Halle am E.-Weg in P.
stattfand. Dabei handelte es sich um eine umgebaute Scheune, die zum Feiern
eingerichtet worden war, und die nur einige Gehminuten von der Siedlung W. entfernt
war. Organisiert wurde die Feier maßgeblich von dem Zeugen S.. Eingeladen waren
alle Mitglieder des Sportvereins, deren Freunde und Gönner.
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Die Feier begann ca. gegen 19.30 Uhr. An der Feier nahmen über 100 Personen teil.
Der Zeuge S. und die R. begaben sich gegen 19.15 Uhr zu der E.-Halle. Die R. brachte
für die Feier einen Salat mit und half später beim Bierzapfen.
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Der Angeklagte begab sich ebenfalls gegen 19.30 Uhr in die E.-Halle, und zwar
zusammen mit dem Zeugen J. und dem Zeugen L.. Die Drei wollten jedoch noch zu
einer Disco-Party in die Schützenhalle im benachbarten B., und hielten sich nur bis etwa
22.30 Ihr in der E.-Halle auf. In dieser Zeit sahen sie das ab 20.15 Uhr im Fernsehen
übertragene Fußballspiel FC Porto – FC Bayern München (Ergebnis 2 : 1) und tranken
Bier, allerdings nicht im Übermaß. Planmäßig begaben sich der Angeklagte, der Zeuge
J. und der Zeuge L. gegen 22.30 Uhr zu Fuß auf den Weg nach B., wo sie auf der Disko-
Party massvoll Bier konsumierten.
32
In den ersten Stunden der Feier fertigte die Zeugin L1. (damals S1.) zahlreiche
Lichtbildaufnahmen.
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Gegen 2.30 Uhr fuhren der Angeklagte und der Zeuge L. mit dem von dem Zeugen
B1.geführten PKW zurück nach P.; die Schwester des Angeklagten, die Zeugin O.,
geborene C., fuhr ebenfalls mit. Der Zeuge B1. ließ den nicht übermäßig alkoholisierten
Angeklagten und den Zeugen L. an der E.-Halle aussteigen und brachte O. zur
elterlichen Wohnanschrift. Der Angeklagte und der Zeuge L. gingen in die E.-Halle, wo
die R. noch hinter dem Tresen stand und Bier zapfte. Der Angeklagte und der Zeuge L.
stellten sich zu der R., die den Zeugen L. wenig später bat, das Bierzapfen von ihr zu
übernehmen. Die R. wollte sich nämlich in Kürze auf den Nachhauseweg begeben.
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Ursprünglich war geplant, dass die Zeugin L1. (damals S1.) und die Zeugin C1., die
damalige Freundin des Zeugen Q., mit der R. in deren Wohnung übernachten wollten.
Der C1. ging es jedoch nicht gut, so dass sie bereits gegen 1.00 Uhr in Begleitung des
Zeugen Q. in das Wohnhaus der Familie C. gegangen war, um dort im Bett des Q. zu
übernachten. Die Zeugin L1. übernachtete aus Solidarität ebenfalls im Hause C. und
nicht bei der R.. Sie schlief – wie bereits gelegentlich zuvor - im Bett des Angeklagten,
der sich mit seinem Bruder Q. ein Jugendzimmer teilte.
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Die R. machte sich ca. 3.15 Uhr / 3.20 Uhr mit dem einzigen Haustürschlüssel allein auf
den etwa 200 – 250 m langen Heimweg von der E.-Halle zu ihrer Wohnung. Ihr
Verlobter, der Zeuge S. blieb wie vorher abgesprochen in der Halle, um dort nach
Beendigung der Feier in der Halle zu übernachten.
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Sie trug einen grau-rot-gemusterten Pullover und eine blaue Jeanshose; wegen der
Bekleidung der R. wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die ersten beiden (nicht
nummerierten) Lichtbilder der Lichtbildmappe "Bilder vom vorausgegangenen Fest des
Vereins P." im Lichtbildordner II. verwiesen.
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Auf ihrem Heimweg holte sie den Zeugen T1. ein, der das Fest wenige Minuten zuvor
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verlassen hatte und auf dem Weg zum Haus W. xxx war. Beide gingen gemeinsamen
weiter bis zum Gartentor des Hauses W. xxx, wo sich beide verabschiedeten und die R.
in das Haus ging. Der Zeuge T1. ging ca. 100 m weiter zum Wohnhaus W. xxx, holte
sein dort abgestelltes Fahrrad und fuhr damit zurück zur E.-Halle. Andere Personen traf
der Zeuge T1. zu dieser Zeit nicht an.
R. hatte aufgrund des während der Aufstiegsfeier konsumierten Alkohols eine
Blutalkoholkonzentration von ca. 0,70 g o/oo.
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3. Das eigentliche Tatgeschehen
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Die R. betrat das Haus durch die Haustür, die sie hinter sich ins Schloss fallen ließ, und
ging die Treppe hinauf in die Wohnung. Sie schloss die Wohnungstür, die nur über ein
einfaches Schloss für einen Bartschlüssel verfügte, ohne sie mittels Schlüssel zu
verschließen. Sie machte das Licht in der Wohnung an, möglicherweise stellte sie eine
Tupperschale, in der sich Reste eines Kartoffelsalates befanden, in der Küche in die
Spüle. Den Schlüsselbund legte sie auf den Ofen in der Küche, ebenso wie ein kleines
Portemonnaie.
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Sodann wollte sie ins Bett gehen. Sie zog den grau-rot-gemusterten Pullover, den sie
während der Aufstiegsfeier getragen hatte, aus, ebenso wie ihre blaue Jeanshose. Ob
sie sich bereits die graue Jogginghose angezogen hatte, mit der sie nächtigen wollte,
konnte die Kammer nicht sicher feststellen. Es ist ebenso möglich, dass sie diese graue
Jogginghose angezogen hat, als es plötzlich klingelte.
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Da sie wusste, dass ihr Verlobter, der Zeuge S., nicht über einen Wohnungsschlüssel
verfügte, hielt sie es für möglich, dass ihr Verlobter wider Erwarten in der Wohnung
nächtigen wollte, oder zur Toilette musste. Aus diesem Grund betätigte sie den
Druckknopf für den Öffner der Haustür, der sich auf der Badezimmerseite des Flures in
der Wand befand.
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Der Angeklagte hatte sich zwischenzeitlich von der Aufstiegsfeier in der E.-Halle
entfernt und sich auf den Weg Richtung W. begeben. Er sah von der Straße aus, dass in
der Wohnung S./R. Licht an war. Der Angeklagte wusste, dass der Zeuge S. auf jeden
Fall in der E.-Halle übernachten würde und auch bei seinem Verlassen dort noch
anwesend war. Da die R. nach seinem Kenntnisstand allein in der Wohnung war, fasste
er den Entschluss, die R. aufzusuchen, wobei er seinerseits ein Interesse an einem
sexuellen Kontakt hatte. Der Angeklagte klingelte an der Haustür, woraufhin die R. ihm
in der Erwartung ihres Verlobten die Haustür öffnete. Der Angeklagte ging die Treppe
hoch in die Wohnung und traf dort die R. an. Der Angeklagte trug zu diesem Zeitpunkt
eine blaue Jeanshose und einen weißen Pullover mit Streifen, darunter ein
kurzärmeliges blau-weiß-gestreiftes Hemd.
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Als der Angeklagte die R. sah, wurde sein sexuelles Verlangen größer. Er fasste nun
den Entschluss, mit der R. – auch gegen deren Willen - sexuell zu verkehren. Er drängte
die R. in das Schlafzimmer, wo bereits Licht an war. Konkrete Feststellungen zu einem
verbalen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der R. konnte die Kammer nicht
treffen. Es kam jedenfalls zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem
Angeklagten und der R., die sich gegen das sexuell motivierte Verhalten des
Angeklagten heftig wehrte und mit der Durchführung von Geschlechtsverkehr nicht
einverstanden war. Ebenfalls nicht sicher feststellen konnte die Kammer, ob sich die R.
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ihren BH selbst ausgezogen hat, oder ob der Angeklagte die R. entkleidete. Die
Kammer geht aber sicher davon aus, dass der Angeklagte der R. die graue Jogginghose
heruntergezogen hat und dazu mit seinen Händen im oberen Bereich der Jogginghose
(Bündchen) gefasst hat. Der Angeklagte hatte nun den festen Willen, die R. mit Gewalt
zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen und mit ihr den Geschlechtsverkehr
durchzuführen; eine anschließende Tötung war zu diesem Zeitpunkt weder gewollt bzw.
beabsichtigt, noch wollte der Angeklagte eine solche in Kauf nehmen.
Da sich R. heftig wehrte, versetzte der Angeklagte ihr Schläge gegen den Kopf, wodurch
diese Hämatome, unter anderem ein Monokelhämatom erlitt.
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Ferner kam es im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung bei R. zu
Abwehrverletzungen am rechten Unterarm und am linken Daumen. Im Zuge der
Auseinandersetzung stieß die R. um 3.40 Uhr einen spitzen Schrei aus. Daraufhin
erfasste der Angeklagte mit beiden Händen den Hals der R. und würgte diese mit
beiden Händen sehr kräftig und länger anhaltend, um diese zum Schweigen zu bringen.
Denn der Angeklagte fürchtete eine Entdeckung, u.a. durch die im Untergeschoss
wohnenden Personen.
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Nicht sicher feststellen konnte die Kammer, ob die R. zu diesem Zeitpunkt noch stand,
oder bereits auf ihrem Bett lag, ebenso wie der Umstand, ob die R. bereits vollständig
entkleidet war, oder dies erst in diesem Zusammenhang erfolgte.
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Infolge des mindestens 20 bis 30 Sekunden, vermutlich aber einige Minuten, keinesfalls
aber länger als 5-minütigen Würgens wurde die R. bewusstlos. Zu diesem Zeitpunkt lag
sie bereits auf ihrem Bett über der gelben Wolldecke. Möglicherweise ist es aufgrund
des unzureichenden Abflusses von venösem Blut und des dadurch bedingten massiven
Stauungssyndroms zum Auftreten von Streckkrämpfen gekommen. Zu einem Ersticken
der R. kam es jedoch nicht.
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Dem Angeklagten wurde deutlich, was er getan hatte. Möglicherweise war er durch
etwaige Streckkrämpfe der bewusstlosen R. irritiert. Er fasste nun den Entschluss, die R.
zu töten, um den Versuch der Vergewaltigung und die vorausgegangene gefährliche
Körperverletzung zu verdecken.
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Während die R. weiterhin bewusstlos, nahezu vollständig entkleidet auf dem Bett lag,
ging der Angeklagte aus dem Schlafzimmer durch den Flur in die dem Schlafzimmer
schräg gegenüber liegende Küche, um ein geeignetes Messer zu suchen, um damit die
R. zu töten. In der Küche fand er nach kurzer Suche ein Messer mit einer Klingenlänge
von ca. 12 cm. Dieses nahm er mit in das Schlafzimmer, wo die R. unverändert auf der
gelben Wolldecke ihres Bettes lag. In unmittelbarer Tötungsabsicht und in Kenntnis der
zum Tode führenden Umstände stach der Angeklagte dann 74 Mal auf die weiterhin
bewusstlose R. ein. Er versetzte R. drei Stichverletzungen an der Halsseite, 33 Stich-
/Stichschnittverletzungen im Brustbereich und 35 Stich- bzw. Stichschnittverletzungen
im unteren Brust- bzw. Bauchbereich. Die ersten von insgesamt 14 Einstichen ins Herz
bzw. in den Herzbeutel der R. führten zu einem Herzflimmern und unmittelbar
anschließend zu einem funktionellen Herzstillstand.
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Die Kammer konnte nicht feststellen, ob sich der Angeklagte vorher den Pullover
ausgezogen hatte, oder ob er sich an seiner Bekleidung mit Blut der R. beschmiert hat.
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Vermutlich zog der Angeklagte die weiterhin auf dem Bett liegende Leiche der R. vom
Bett zur Seite des Nachttisches bzw. der gegenüber liegenden Wand herunter, so dass
die Leiche der R. in dieser Endlage verblieb. Wegen weiterer Einzelheiten der Endlage
wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Polaroid-Lichtbilder 1 bis 22 – in
Klarsichthülle - des Lichtbildordners II – Auffindesituation und die Lichtbilder 7 bis 20
des Lichtbildordners I verwiesen.
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Vor Verlassen des Schlafzimmers ergriff der Angeklagte das Oberbett und legte dies
über die zwischen Wand und Bett, mit dem Kopf auf der Bettkante liegende Leiche der
R.. Sodann begab sich der Angeklagte in das dem Schlafzimmer gegenüber liegende
Badezimmer und wusch sich. Anschließend verließ er die Wohnung und das Haus W.
xx. Über den Verbleib des Tatmessers konnte die Kammer keine Feststellungen treffen;
vermutlich nahm der Angeklagte das Tatmesser mit und ließ es irgendwo verschwinden.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass er es gereinigt in die Küche zurückgelegt hat.
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Aufgrund der vielen Stich- bzw. Stichschnittverletzungen kam es zu massivem Austritt
von Blut auf das Betttuch (Spannbetttücher) und die auf dem Bett liegende und im
Kopfbereich des Bettes zusammengeschobene gelbe Wolldecke. Insoweit wird wegen
weiterer Einzelheiten gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder Nr. 9, 16, 17,
18, 19, 20 des Lichtbildordners I verwiesen.
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Das Licht im Schlafzimmer blieb an, die Gardine war zugezogen; das am Fenster
angebrachte Rollo war nicht heruntergelassen.
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Möglicherweise ging der Angeklagte anschließend in sein Elternhaus und dort auf die
Toilette. Möglicherweise ging er auch in Richtung E., erbrach unweit der E.-Halle an
einem Zaunpfahl und ging anschließend wieder zurück zur Aufstiegsfeier in die E.-
Halle, wo er die dort noch feiernden Gäste, darunter unter anderem die Zeugen L. und S.
sowie weitere Personen antraf.
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Nachdem er noch einige Bier trank und die Feier sich allmählich dem Ende neigte,
verließ der Angeklagte die E.-Halle und begab sich in sein Elternhaus. Möglicherweise
begab er sich zunächst in sein Jugendzimmer und stellte dort fest, dass die Zeugin L.1
in seinem Bett und die Zeugin C1. im Bett seines Bruders Q. lagen und schlief.
Jedenfalls begab sich der Angeklagte daraufhin in das Wohnzimmer und schlief dort
ein. Ebenfalls im Wohnzimmer schliefen der Zeuge Q. und der Zeuge M1..
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Aufgrund des konsumierten Alkoholes war die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht
seiner Tat einzusehen bzw. danach zu handeln, erheblich vermindert, aber nicht
aufgehoben.
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4. Weiteres Geschehen
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Der Zeuge S. blieb bis zum Schluss der Feier in der E.-Halle, wo er – erheblich
alkoholisiert – an einem Tisch sitzend einschlief und später wach wurde, weil ihm kalt
war. Er traf vor der Halle den Zeugen Q1. und den Zeugen D1., die ebenfalls erheblich
alkoholisiert waren und sich gemeinsam auf den Weg zur Wohnung S./R. begaben, wo
sie zwischen 5.00 und 6.00 Uhr ankamen. Da der Zeuge S. keinen Haustür- bzw.
Wohnungsschlüssel mit sich führte, betätigte er zunächst die Klingel seiner Wohnung
und später die Schelle der Wohnung des Zeugen M.. Als ihm nicht geöffnet wurde, warf
der Zeuge S. mit Steinchen gegen das Schlafzimmerfenster seiner Wohnung und
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kletterte schließlich in Begleitung des Zeugen D1. auf den Balkon seiner Wohnung und
trat u.a. gegen die Balkontür. Da auch dies erfolglos blieb ging der Zeuge D1. nach
Hause und rief von dort die Telefonnummer S./R. an; das Telefon wurde jedoch nicht
abgenommen. Die Zeugen waren insgesamt so laut, dass die R. davon wach geworden
wäre, wie sie auch vom Telefonklingeln wach wurde.
Der Zeuge S. und der Zeuge Q1. begaben sich daraufhin zur Wohnung der Zeugin N.,
W. xxx, wo sie sogleich eingelassen wurden, im Wohnzimmer sofort einschliefen und
bis ca. 11.30 Uhr weiter schliefen.
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In der Zwischenzeit, etwa gegen 11.00 Uhr, wollte der Zeuge E1. den Zeugen S. zum
Aufräumen der E.-Halle abholen. Als auf sein Schellen bei S./R. niemand öffnete, wurde
ihm durch den Zeugen M. die Haustür geöffnet. Der Zeuge E1. ging kurz nach oben,
fand die Wohnungstür offen vor, schellte und klopfte, betrat die Wohnung jedoch nicht.
Sodann verließ er das Haus.
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Der Zeuge S. versuchte im Laufe des Tages, mit der R. telefonischen Kontakt
aufzunehmen. Er ging auch zu seiner Wohnung, wo ihm auf Schellen jedoch nicht
geöffnet wurde. Er hielt sich im Laufe des Tages zum Aufräumen in der E.-Halle auf
bzw. später in einer Gaststätte, wo er weiter Alkohol konsumierte.
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Im Laufe des späteren Nachmittages suchte der Zeuge S. die Wohnung des Zeugen N.
auf, und ging anschließend mit diesem zu seiner Wohnung, um nach seiner Verlobten
R. zu schauen. Er schellte zunächst an der Haustür, worauf ihm nicht geöffnet wurde.
Anschließend schellte er bei dem Zeugen M., der daraufhin die Haustür öffnete.
Gemeinsam mit dem Zeugen N. ging der Zeuge S. die Treppe zur Wohnungstür hoch
und betrat gegen 19.15 Uhr die Wohnung durch die nicht verschlossene Wohnungstür.
Im Schlafzimmer fand er sodann die Leiche seiner Verlobten unter dem Oberbett. Gegen
19.45 Uhr trafen Rettungswagen und Polizeiwagen am Tatort ein. Zu diesem Zeitpunkt
hielten sich u.a. die Zeugen N. sen. und Frau N. in der Wohnung auf, verliessen diese
aber wieder und gingen zurück in ihr Wohnhaus.
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Wenig später, etwa gegen 20.00 Uhr / 20.15 Uhr des Himmelfahrtstages (28.05.1987)
begab sich der Angeklagte etwa 4 bis 5 Mal von seiner elterlichen Wohnung (W. xxx)
über den in westlicher Richtung verlaufenden, halbkreisförmigen Verlauf der Straße W.
zu dem südlich und geografisch höher gelegenem Teil dieser Straße bis zur Höhe des
Hauses W. xxx. Zu dieser Zeit standen unter anderem Polizeifahrzeuge und ein
Rettungswagen vor dem Haus W. xxx. Von der dem Haus W. xxx gegenüberliegenden
Straßenseite beobachtete der Angeklagte das Geschehen vor dem Haus W. xxx, ging
allerdings nicht weiter in östliche Richtung, sondern blieb eine Weile stehen, ging
zurück, und kam nach kurzer Zeit wieder, um das Geschehen erneut zu beobachten. Der
Angeklagte wurde dabei von dem Zeugen N. sen. von dessen Küchenfenster aus
beobachtet. Bis zu dem Haus W. xxx ging der Angeklagte nicht.
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Der Zeuge A1., der als Mitarbeiter der Mordkommission für die Erstellung des
Tatortbefundberichtes zuständig war, war noch in den späten Abendstunden (ca. 23.00
Uhr) des 28.05.1987 in der Wohnung. Er fertigte erste Polaroid-Fotos. Er stellte fest,
dass die Leichenstarre in allen Gelenken ausgeprägt war, sich jedoch leicht lösen ließ,
insbesondere ein Umdrehen der Leiche zwecks Abklebung der Rückenpartie. Es hatten
sich bereits Leichenflecken gebildet, die sich beim Wegdrücken mit dem Daumen durch
den Zeugen A1. nicht mehr wegdrücken ließen.
67
Am Freitag, 29.05.1987 gegen 12.00 Uhr wurde die Obduktion der Leiche durch I1. als
ersten Obduzenten und Frau M1. als zweiter Obduzent durchgeführt. Als Präparator
fungierte der Zeuge F1.. Der damals zuständige Staatsanwalt, der Zeuge U1., war
ebenfalls zugegen.
68
Die Totenstarre im Kiefer- und Ellenbogenbereich war zu dieser Zeit weitgehend gelöst,
in den Kniegelenken war sie vollständig gelöst. Totenflecken in der Rückenpartie waren
auf stärkeren Druck noch wegdrückbar.
69
5. Der weitere Gang der Ermittlungen
70
Im Laufe des auf den Himmelfahrtstag folgenden Freitag (29.05.1987) wurde der
Angeklagte zeugenschaftlich durch den Zeugen G1. als Mitarbeiter der damaligen
Mordkommission vernommen. Am gleichen Tage wurde ebenfalls der Zeuge L.
zeugenschaftlich vernommen. Dieser gab an, der Angeklagte sei einige Zeit nach dem
Eintreffen in der E.-Halle für ca. eine Stunde nicht auf der Feier gewesen, und zwar
nachdem die R. nach Hause gegangen sei. Daraufhin wurde der Angeklagte von den
Zeugen J1. und V1. erneut vernommen, und zwar unter Vorhalt der Angaben des
Zeugen L.. Noch am Abend des 29.05.1987 wurde der Angeklagte von dem Zeugen Z1.
aufgefordert, die Kleidung, die er während der Feier getragen hat, auszuhändigen. Der
Angeklagte übergab daraufhin u. a. einen rot-schwarzen Pullover, nach kurzer
Überlegung übergab er dann aber einen weißen Pullover mit Streifen und gab an, sich
in dem Pullover geirrt zu haben. Am Mittag des 30.05.1987 suchte der Zeuge Z1. den
Angeklagten erneut auf und forderte diesen auf, das Oberhemd zu übergeben, das er
während der Feier getragen hatte. Der Angeklagte entnahm daraufhin der
Waschmaschine in einem Kellerraum ein kurzärmliges blau-weiß-gestreiftes Hemd.
Dieses Hemd wurde durch den Zeugen Z1. dem L. vorgelegt, der dazu angab, dass es
sich um dasjenige Hemd handelt, dass der Angeklagte während der Feier getragen
hatte. Ebenfalls am 30.05.1987 wurde der Zeuge L. unter Vorhalt der Angaben des
Angeklagten erneut zeugenschaftlich vernommen. Der Zeuge L. erklärte nochmals, dass
der Angeklagte während der Feier ca. eine Stunde weg gewesen sei.
71
Ebenfalls am 30.05.1987 führte der Angeklagte den Zeugen R1. zur E.-Halle, wo ca. 20
Meter östlich des Eingangs auf der anderen Straßenseite an einem Zaumpfahl im Gras
Reste von Erbrochenem festgestellt werden konnten.
72
6. Wiederaufnahme der Ermittlungen bis zur Festnahme
73
Im Jahr 2007 entschied sich die Mordkommission der Polizei O1. in Absprache mit der
Staatsanwaltschaft Arnsberg, molekulargenetische Untersuchungen an Asservaten
durchzuführen und mit Körperzellen von Personen, insbesondere möglichen
Tatverdächtigen zu vergleichen. Damals gaben insgesamt 24 Personen auf freiwilliger
Basis eine Speichelprobe ab, darunter die damals tätigen Polizeibeamten, Sanitäter,
Nachbarn, soweit sie sich im Tatortbereich aufgehalten hatten, u.a. die Zeugen S.
(Vergleichsperson VP 16), L. (VP17), K. jun. (VP 21) und N. (VP 20).
74
Im November 2008 entschloss sich die Mordkommission, weitere 16 Person zwecks
freiwilliger Abgabe einer Speichelprobe aufzusuchen, darunter 8 Verwandte der R. u.a.
die Nebenkläger sowie E1. (VP 33 ) sowie die Zeugen K1. (VP 34), T1. (VP 35), N1. (VP
36), Y1. (VP 37), Q. (VP 38), W1. (VP 39) und der Angeklagte (VP 40). Dazu nahmen die
75
Zeugen X1. UND X2. am 26.11.2008 und 27.11.2008 Kontakt zu den insgesamt 16
Personen auf, von denen alle – mit Ausnahme des Zeugen W1. und des Angeklagten -
jeweils sofort eine Speichelprobe abgaben und ihr Einverständnis mit der
molekulargenetischen Untersuchung erklärten.
Die Zeugen X1. UND X2. suchten u.a. den Bruder des Angeklagten, den Zeugen Q. an
seiner Arbeitsstelle (H1.) auf. Dieser erklärte sich mit der Untersuchung einverstanden
und gab sofort eine Speichelprobe samt Einverständniserklärung ab. Bei dieser
Gelegenheit erkundigten sich die Zeugen X1. UND X2. nach der telefonischen
Erreichbarkeit des Angeklagten, den sie zuvor an seiner Wohnanschrift nicht angetroffen
hatten. Der Zeuge Q. rief daraufhin den Angeklagten per Handy an und erreichte ihn an
der Arbeitsstelle. Der Zeuge X2. übernahm das Telefonat, um mit dem Angeklagten die
Entnahme einer Speichelprobe zu besprechen und ggfls. durchzuführen. Der
Angeklagte teilte dem Zeugen X2. mit, er sei bei der Arbeit und sei dort nicht
abkömmlich.
76
In einem späteren Telefonat des Zeugen X1. erklärte der Angeklagte, er sei freiwillig zur
Abgabe einer Speichelprobe bereit, seine Ehefrau solle davon aber nichts erfahren. Der
Zeuge X1. teilte dem Angeklagten mit, dass die Entnahme einer Speichelprobe und die
Abgabe der dazu gehörigen Einverständniserklärung etwa 5 bis 10 Minuten dauere.
Dem Angeklagten wurde weiter angeboten, dies an einem Ort und zu einer Zeit
entsprechend seinen Wünschen durchzuführen, beispielsweise an der Arbeitsstelle,
zuhause oder in der Polizeiwache in T.. Der Angeklagte sagte in der Folgezeit
mehrfach, ihm jeweils nacheinander angebotene Termine ab. Einmal führte er zur
Begründung aus, er müsse Weihnachtseinkäufe mit der Familie vornehmen, ein
weiteres Mal sei er aufgrund von Inventurarbeiten bei seinem Arbeitgeber an der
Wahrnehmung eines abgesprochenen Termins gehindert.
77
Letztlich gab der Angeklagte am 22.01.2009 eine Speichelprobe und eine
Einverständniserklärung ab, nachdem er sich abends mit dem Zeugen X1. in der H1.
getroffen hatte. Die Speichelprobe wurde an das Institut für Rechtsmedizin der Uni
München weitergeleitet und dort untersucht.
78
Nach Vorlage des Untersuchungsergebnisses erließ das Amtsgericht Arnsberg am
10.02.2009 einen Haftbefehl. Aufgrund dieses Haftbefehls begaben sich sechs
Polizeibeamte der Mordkommission in den Morgenstunden des 11.02.09 zur
Wohnanschrift des Angeklagten. Kurz vor 7.00 Uhr morgens wurde zunächst die
Ehefrau des Angeklagten angetroffen; der Angeklagte lag noch im Bett. Die beiden
Zeugen X1. UND X2. gingen in das im Obergeschoß liegende Schlafzimmer, wo sie
den Angeklagten auf der Bettkante sitzend antrafen. Dem Angeklagten wurde erklärt,
dass ein Haftbefehl gegen ihn bestehe. Dessen Inhalt wurde ihm kurz mündlich
mitgeteilt, und er sodann festgenommen. Der Angeklagte erklärte daraufhin ohne
Nachfrage sinngemäß, er müsse sich dann "eben noch anziehen". Schweigend folgte er
den Polizeibeamten in das im Erdgeschoss liegende Gäste-WC, wo ihm Handschellen
angelegt wurden. Der Angeklagte verhielt sich schweigend und stellte keinerlei weitere
Fragen zu den zugrundeliegenden Umständen der Festnahme.
79
In einem zivilen Polizeifahrzeug wurde der Angeklagte von T. zum Polizeipräsidium O1.
gefahren. Der Zeuge X2. steuerte das Fahrzeug, der Zeuge X1. saß mit dem
Angeklagten auf der Rückbank. Durch den Zeugen X1. wurde der Angeklagte über
seine Rechte als Beschuldigter umfassend belehrt. Während der knapp 45 Minuten
80
dauernden Fahrt wurden ihm die im Haftbefehl zugrundeliegenden Verdachtsgründe
näher dargelegt. Er wurde darauf hingewiesen, dass es ihm freisteht, sich zur Sache
einzulassen, oder einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen. Der Angeklagte verhielt sich
weitgehend schweigend, während der Zeuge X1. ihm wiederholt die Verdachtsgründe
und insbesondere das Ergebnis der DNA-Untersuchung erläuterte. Der Angeklagte
zeigte sich weder überrascht noch stellte er konkrete Nachfragen.
Im Polizeipräsidium O1. angekommen wurde der Angeklagte nochmals über seine
Rechte als Beschuldigter belehrt, und ihm die Verdachtslage mitgeteilt. Dabei fing der
Angeklagte leicht an zu weinen und wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Sinngemäß
äußerte er zwischenzeitlich, er wisse nicht, ob er etwas sagen solle. Gegen Ende der
ca. 45-minütigen Vernehmung wünschte er die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes
und erklärte, er wolle vorher keine Angaben machen.
81
Noch im Laufe des Vormittags wurde der Angeklagte dem Haftrichter vorgeführt.
82
Am Nachmittag des 11.02.2009 wandte sich die Ehefrau des Angeklagten an das
Polizeipräsidium O1. und erkundigte sich bei dem Zeugen P1. nach dem Verbleib ihres
Ehemannes. Daraufhin suchten die Zeugen X1. UND X2. die Ehefrau des Angeklagten
gegen 15.30 Uhr in ihrer Wohnung auf. Im Beisein des Zeugen Q. wurde der Ehefrau
mitgeteilt, dass ihr Ehemann festgenommen worden sei, worüber sich die Ehefrau sehr
überrascht zeigte. Die Ehefrau selbst erklärte – nach vorheriger Belehrung - sie habe
angenommen, die Polizei habe lediglich eine DNA-Speichelprobe von ihrem Ehemann
einholen wollen.
83
III.
84
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Ergebnis der durchgeführten
Beweisaufnahme, deren Inhalt und Förmlichkeiten sich aus der Sitzungsniederschrift
ergeben.
85
1.
86
Der Angeklagte hat sich zur Person eingelassen. Die Feststellungen zur Person
beruhen daher weitgehend auf den Angaben des Angeklagten. Ergänzend hat die
Kammer die Geschwister des Angeklagten, die Zeugen Q., D., O. und die Mutter C2.
zum Lebensweg des Angeklagten, den Verhältnissen im Elternhaus und dessen
Beziehungen zu Frauen befragt. Die Feststellungen zu den Beziehungen des
Angeklagten zu Frauen beruhen auch auf den Angaben der Sachverständigen E2. und
des Zeugen D2.. Widersprüche sind dabei nicht aufgetreten.
87
2.
88
Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger erklärt, der Tatvorwurf sei unzutreffend,
ohne weitere Angaben zu machen. Darüber hinaus hat er sich nicht zur Sache
eingelassen. Lediglich im letzten Wort hat er selbst erklärt, er habe mit der Tat nichts zu
tun.
89
Die Kammer ist nach dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung
gelangt, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat.
90
Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt
ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig
ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung
ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st.
Rspr, vgl. zuletzt BGH, NStZ-RR 2010, 85 m.w.N.). Der Tatrichter ist also nicht
gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten
Tatsachen zu ziehen, wenn diese tragfähig sind (vgl. nur BGH NStZ-RR 2004, 238).
91
Ausgehend von den festgestellten persönlichen Umständen der R. und dem
festgestellten Geschehen vor und nach der Tat (nachfolgend: a) ist die Kammer davon
überzeugt, dass R. um ca. 3.40 Uhr getötet worden ist (zur Tatzeit b), dass sich die Tat
auf die bereits zu II beschriebene Weise ereignet hat (c), und dass der Angeklagte der
Täter ist (d), zumal andere Personen nach Überzeugung der Kammer ausscheiden (e)
und sonstige Umstände nicht zur Entlastung des Angeklagten führen (f, g).
92
a) Feststellungen zum Geschehen vor der Tat und nach der Tat
93
aa)
94
Die Feststellungen zur Persönlichkeit der R. beruhen auf den glaubhaften Angaben der
Zeugin N., die eine enge Freundschaft zur R. verband, in der über alles miteinander
geredet wurde. Die Zeugin hat glaubhaft geschildert, dass die R. und der Zeuge S. eine
harmonische Beziehung führten. Der enge Kontakt zur R. und zu dem Zeugen S. wird
auch dadurch dokumentiert, dass einerseits die Zeugin N. und der Zeuge S. miteinander
verwandt sind und andererseits ein gemeinsamer Termin für die standesamtliche
Hochzeit beider Paare bereits feststand.
95
Diese Angaben werden durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugen M. bestätigt,
der als Nachbar nie einen irgendwie gearteten Streit zwischen beiden wahr genommen
hat.
96
Die Feststellungen zu den Lebensgewohnheiten und Bekleidungsgewohnheiten der R.
beruhen ebenfalls auf den überzeugenden Angaben der Zeugin N., die aufgrund ihres
engen Kontakts zur R. auch über solche eher persönliche Gewohnheiten informiert war.
Die Zeugin N. hat oft gesehen, dass die R. im Bett ein T-Shirt und einen "Schlüpfer"
trug, und sich dann häufig einen Jogginganzug darüber zog.
97
Die Angaben der Zeugin N. stimmen mit den glaubhaften Angaben des Zeugen S.
überein.
98
Die Feststellungen zur Person des Zeugen S. und zu dessen Beziehung zur R. beruhen
auch auf dessen Angaben. Der Zeuge S. hat glaubhaft bekundet, dass der Angeklagte
ihm zwar persönlich gut bekannt war, aber ein engerer Kontakt nicht bestand, der
Angeklagte sei auch in seiner Anwesenheit nie in der Wohnung S./R. gewesen. Von
einem etwaigen Besuch des Angeklagten in seiner Abwesenheit hätte die R. dem
Zeugen S. mit Sicherheit erzählt, wovon die Kammer aufgrund der glaubhaften Angaben
des Zeugen S. ausgeht.
99
Die getroffenen Feststellungen zur Wohnung und zum Wohnumfeld beruhen auf den
glaubhaften Angaben des Zeugen S., der Inaugenscheinnahme dieses Bereichs durch
die Kammer und der in Augenschein genommenen Skizze der Wohnung, den in
100
Augenschein genommenen Fotos sowie den Angaben des Zeugen A1..
bb)
101
Die Feststellungen zu dem Geschehen vor der Tat und zum weiteren Geschehen,
soweit sie die Person des Angeklagten betreffen, beruhen maßgeblich auf den Angaben
des Zeugen L., der den Angeklagten den ganzen Abend bis zur Rückkehr und zum
anschließenden Aufenthalt auf der Aufstiegsfeier begleitet hat. Der Zeuge L. hat
glaubhaft bekundet, damals mit dem Angeklagten gut befreundet gewesen zu sein.
Nach einem Aufenthalt in der E.-Halle aus Anlass der Aufstiegsfeier von ca. 19.30 Uhr
an, so der Zeuge L., sei er mit dem Angeklagten und dem Zeugen D2. nach B.
gegangen, wo sich die drei bis etwa 2.30 Uhr aufgehalten hätten. Nach Rückkehr zur
Aufstiegsfeier kam es, so hat der Zeuge L. glaubhaft bekundet, zu einem kurzen Kontakt
zwischen ihm und dem Angeklagten einerseits und der R. andererseits, die hinter dem
Tresen stand und Bier zapfte. Wenig später übernahm der Zeuge L. diese Tätigkeit von
der R., die nach den glaubhaften Angaben des Zeugen die Aufstiegsfeier wenig später,
nach seiner Erinnerung gegen 3.30 Uhr verließ.
102
Der Zeuge L. hat darüber hinaus Angaben zur Bekleidung des Angeklagten während
des gesamten Abends gemacht, die sich mit der Inaugenscheinnahme der während der
Aufstiegsfeier gefertigten Fotos und den Angaben anderer Zeugen decken. Wegen der
Bekleidung des Angeklagten wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das Lichtbild
des Angeklagten in der Lichtbildmappe "Bilder vom vorausgegangenen Fest des
Vereins xxxxxxxx P." im Lichtbildordner II. verwiesen.
103
Der Zeuge L. hat ebenfalls die Angaben seines Bruders S., unabhängig von dessen
Angaben, bestätigt, wonach der Angeklagte keinen engeren Kontakt zu dem Paar R./S.
gepflegt hat.
104
Die Feststellungen zur Anwesenheit des Angeklagten auf der Aufstiegsfeier bzw. dem
Besuch der Diskofete in B. sowie zur Rückkehr beruhen weiterhin auf den insoweit
übereinstimmenden und widerspruchsfreien Angaben der Zeugen B1., O., L.1, Q. und
D2., die den Angeklagten im Verlaufe des Abends teilweise begleitet bzw. sich
zeitweise am gleichen Ort, nämlich in B. und in der E.-Halle, aufgehalten haben. Der
Zeuge M1. hat übereinstimmend mit dem Zeugen Q. bekundet, der Angeklagte habe mit
ihnen im Wohnzimmer des Hauses C. übernachtet; beide konnten aber nicht angeben,
wann der Angeklagte zum Schlafen erschienen ist, da sie sich selbst bereits zuvor zum
Schlafen hingelegt hatten.
105
Die Angaben der vorgenannten Zeugen bestätigen zudem die Richtigkeit der Aussage
des Zeugen L..
106
Der Zeuge Q2. war als Polizeibeamter nach dem Notruf schnell vor Ort und hat Angaben
zum ersten Bild am Tatort gemacht. Seinen glaubhaften Angaben ist die Kammer
gefolgt, ebenso wie die damit übereinstimmenden Angaben des Zeugen A1. von der
später erschienenen Mordkommission.
107
Der Zeuge B1. hat den Angeklagten in seinem PKW von B. nach P. mitgenommen.
Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen B1. war der Angeklagte "gut angeheitert",
aber keinesfalls übermäßig alkoholisiert. Vielmehr habe der Angeklagte problemlos in
den PKW ein- und aussteigen können, wo er auf der Rückbank gesessen habe.
108
Die Zeugin L.1 hat bekundet, sie habe in den ersten Stunden der Feier zahlreiche
Lichtbildaufnahmen gefertigt, und zwar die in dem Lichtbildordner abgehefteten Fotos.
109
cc)
110
Der Zeuge S. hat zur Herkunft eines Tatwerkzeuges bekundet, er könne aus seiner
heutigen Erinnerung nicht mehr sagen, ob seinerzeit ein Messer aus der Wohnung
fehlte. Nach der Tat habe er einige Monate bei dem Zeugen N. gewohnt und die
Wohnung im W. xxx einige Wochen später aufgelöst. Auf Vorhalt, dass er damals
gegenüber der Polizei geäußert hat, dass in der Küche ein evtl. auch zwei Messer
fehlten, die er näher beschrieben hat, hat der Zeuge S. bekundet, dass dies dann wohl
aus der damaligen Erinnerung her richtig sei.
111
Der Zeuge A1. hat unter Vorhalt des Tatortbefundberichtes bekundet, in der Küche
seien mehrere Messer gefunden worden, darunter ein langes Brotmesser und ein spitz
zulaufendes Fleischermesser mit glatter Schneide. In einer Schublade sei ein weiteres
spitzes Messer aufgefunden worden. Alle Messer seien augenscheinlich sauber
gewesen.
112
Der Zeuge S. hat weiter glaubhaft bekundet, die R. sei vom Klingeln des Telefons stets
wach geworden. Hierzu konnte er aus seiner Erinnerung noch ergänzen, dass die
Wohnung sehr hellhörig gewesen sei und seine damalige Verlobte auch nachts ans
Telefon gegangen sei, weil sie einen Anruf aus ihrem Elternhaus wegen ihrer damals
kränklichen Mutter nie ausschließen konnte. Das Telefon habe damals zentral im Flur in
der hellhörigen Wohnung gestanden und sei auch in allen Zimmern gut zu hören
gewesen.
113
Die Feststellungen zu den Vernehmungen des Angeklagten und des Zeugen L. sowie
zu den Überprüfungen, u. a. von Bekleidungsgegenständen beruhen auf den
glaubhaften Angaben der Zeugen G1., Z1. und R1., die zwar aus der Erinnerung nur
vage Angaben machen konnten, jedoch auf Vorhalt die Richtigkeit der aktenkundigen
Vermerke bestätigt haben. Diese Angaben stimmen auch mit den Bekundungen des
Zeugen L. überein, soweit dieser daran beteiligt war.
114
b) Feststellungen zur Tatzeit
115
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die R. in den frühen Morgenstunden des
28.05.1987 gegen 3.40 Uhr, also etwa eine halbe Stunde nach ihrer Rückkehr in die
Wohnung getötet worden ist. Die Leiche der R. ist zwar erst am 28.05.1987 gegen 19.15
Uhr entdeckt worden. Ein anderer Todeszeitpunkt als derjenige um ca. 3.40 Uhr
scheidet jedoch aus. Das folgt die Kammer daraus, dass die R. die Aufstiegsfeier gegen
3.15 / 3.20 Uhr verlassen hat und sich anschließend in ihrer Wohnung aufgehalten hat
(aa), sie gegen 6.00 Uhr trotz mehrfacher intensiver Versuche die Wohnung nicht
geöffnet hat, ebenso wie später um 11.00 Uhr (bb), die rechtsmedizinischen
Untersuchungsergebnisse damit im Einklag stehen (cc) und der Zeuge N. sen. um 3.40
Uhr einen Schrei gehört hat (dd).
116
aa)
117
Die Zeugin Q1. hat glaubhaft bekundet, sie habe an der Aufstiegsfeier teilgenommen, in
118
deren Verlauf die R. sie um 3.20 Uhr nach der Uhrzeit gefragt habe und zugleich
angekündigt habe, sich noch eine Zigarette zu rauchen und dann nach Hause gehen zu
wollen. Die Zeugin Q1., die Ehefrau des Trainers V2., konnte sich an die Uhrzeit
deshalb genau erinnern, weil sie etwa ¼ bis ½ Stunde später die E.-Halle verlassen hat,
völlig nüchtern gewesen sei, auf dem Weg zu ihrer Wohnung in T. den W1. bis B2.
mitgenommen und dann genau mit den Radionachrichten um 4.00 Uhr an ihrer
Wohnanschrift angekommen ist. Die Kammer ist von der Glaubwürdigkeit der Zeugin
Q1. überzeugt.
Der Zeuge T1. hat bekundet, er habe die Aufstiegsfeier gegen 3.15 Uhr verlassen und
sich auf den Weg zum Wohnhaus seiner damaligen Freundin und jetzigen Frau E1.
begeben zu haben, um das dort abgestellte Fahrrad zu holen. Auf dem Weg dorthin sei
er, sehr langsam gehend, von der R. auf dem letzten Drittel des Weges eingeholt
worden. Er habe sich mit der R. noch über belanglose Sachen unterhalten und sich am
Gartentor ohne Umschweife von ihr verabschiedet, sei ca. 100 m weiter gegangen und
sodann mit dem Fahrrad zur E.-Halle zurückgefahren. Nach kurzem Aufenthalt in der
Halle habe er sich auf den Heimweg nach F2. begeben, wo er um 3.53 Uhr
angekommen sei, was er bei einem Blick auf die Uhr festgestellt habe. Die Aussage des
Zeugen T1. ist glaubhaft. Der Zeuge hatte gute Erinnerung an den damaligen Kontakt
zur R.. Die Angaben stimmen in zeitlicher Hinsicht mit den Angaben der Zeugin Q1. und
dem Zeugen S. zum Verlassen der Feier überein. Der Zeuge T1. war sich darüber im
Klaren, dass er – neben dem Täter – der Letzte gewesen ist, der die R. lebend
angetroffen hat. Ein Abgleich der von dem Zeugen entnommenen Speichelprobe hat
ergeben, dass er als Verursacher der an der Leiche bzw. in der Wohnung gefundenen
DNA-Spuren nicht in Betracht kommt.
119
Aufgrund der Aussagen der Zeugen Q1. und T1. geht die Kammer davon aus, dass die
R. nach Ankunft am Wohnhaus W. xxx ohne weiteren Zeitverzug in ihrer Wohnung
angekommen ist. Sie hat sich in ihrer Wohnung einen Moment aufgehalten, bevor es
zum Tatgeschehen gekommen ist. Sie hat möglicherweise eine Salatschüssel in die
Spüle gestellt; eine solche Schüssel mit Resten von Kartoffelsalat ist später vom
Zeugen A1. dort vorgefunden worden. Sie hat ferner ihren Schlüsselbund auf den Ofen
in der Küche gelegt, ebenso wie ihr Portemonnaie. Möglicherweise hatte sie sich bereits
umgezogen, bzw. damit begonnen. Denn sie trug nicht mehr ihre blaue Jeanshose,
sondern ihre graue Jogginghose. Im Schlafzimmer waren lediglich die Gardinen
zugezogen, entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten waren die Rollos nicht
heruntergelassen; dazu ist sie wohl – entgegen den Gewohnheiten – nicht mehr
gekommen. Vermutlich hat sie die Weckzeit des auf dem Nachttisch stehenden Weckers
auf 9.00 Uhr eingestellt, weil sie am nächsten Morgen um 10.00 Uhr zum Aufräumen in
die E.-Halle wollte. Davon geht die Kammer aufgrund der Angaben des Zeugen A1.
anlässlich der Tatortaufnahme aus. Weiterhin hat die Zeugin Q1. bekundet, sie habe
sich mit R. zum Aufräumen verabredet.
120
bb)
121
Nach den getroffenen Feststellungen geht die Kammer davon aus, dass R. zu der Zeit,
als die Zeugen S. und Q1. zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr Einlass in die Wohnung
begehrten, bereits tot war (nachfolgend: 1). Unabhängig davon ist davon auszugehen,
dass R. um 11.00 Uhr tot war (2).
122
(1)
123
Die Feststellungen zum Geschehen zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr beruhen zunächst
auf den glaubhaften Angaben der Zeugen S. und Q1.. Der Zeuge S. hat angegeben, er
sei bis zum Schluss der Feier in der E.-Halle geblieben, vorübergehend aber wohl an
einem Tisch sitzend eingeschlafen. Vor der Halle habe er den Zeugen Q1. und den
Zeugen D1. angetroffen. Gemeinsam habe man sich zu seiner Wohnung begeben und
die Klingel betätigt. Auf Vorhalt hat er zudem angegeben, mit Steinchen gegen das
Schlafzimmerfenster seiner Wohnung geworfen zu haben und schließlich auf den
Balkon geklettert zu sein. Der Zeuge S. hat der Kammer überzeugend geschildert, dass
sie so laut gewesen seien, dass seine Verlobte davon hätte wach werden müssen.
124
Für die Richtigkeit dieser Angaben sprechen die Bekundungen des Zeugen Q1.. Dieser
hat glaubhaft bekundet, gemeinsam mit dem Zeugen D1. und dem Zeugen S. zur
Wohnung S. / R. gegangen zu sein, da alle Hunger gehabt hätten. Sie hätten geklingelt
und Steinchen an die Fensterscheiben der Wohnung geworfen. Auf Vorhalt konnte er
sich zudem erinnern, dass der Zeuge S. auf den Balkon geklettert ist und an der
Balkontür geklopft habe. Der Zeuge D1. sei dann nach Hause gegangen und sollte von
dort die R. durch einen Telefonanruf wecken. Der Zeuge Q1. hat dabei glaubhaft
angegeben, sie hätten "einen solchen Krach gemacht", dass die R. davon hätte wach
werden müssen. Er hat damit zugleich die damit übereinstimmenden Angaben des
Zeugen S. bestätigt.
125
Die Angaben der Zeugen S. und Q1. werden ferner durch die Aussage der Zeugin O2.
bestätigt, die glaubhaft bekundet hat, in der darunter liegenden Wohnung geschlafen zu
haben und in den frühen Morgenstunden des Himmelfahrtstages mehrmals die Klingel
in der Wohnung S. / R. gehört zu haben. Weiterhin hat die Zeugin angegeben, zwei
Männerstimmen gehört zu haben, die sich nach ca. 5 Minuten wieder entfernt hätten.
126
Der Zeuge M. hat - damit übereinstimmend - ebenfalls bestätigt, die Zeugin O2. habe
ihm damals nach dem Aufwachen davon berichtet, dass sie in den frühen
Morgenstunden zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr ein mehrfaches Klingeln und das
Rufen von Männern gehört habe.
127
Der Zeuge D1. hat die Angaben des Zeugen S. und des Zeugen Q1. bestätigt.
128
Der Zeuge D1. hat als Fußballspieler aus P. an der Aufstiegsfeier teilgenommen. Er hat
glaubhaft bestätigt, dass er mit dem Zeugen S. , V2. und einigen wenigen Anderen bis
zum Schluss in der E.-Halle war und mit dem Zeugen S. und dem Zeugen Q1. auf dem
Weg zur Wohnung S./R. war, um dort "Eier zu backen". Auf das Schellen an der Klingel
S./R. wurde jedoch nicht geöffnet, auch ein Klingeln an der Wohnung M. führte nicht
dazu, dass die Beteiligten eingelassen wurden. Der Zeuge D1. hat ebenfalls bestätigt,
dass der Zeuge S. nicht im Besitz eines Haustür- und Wohnungstürschlüssels war. Dem
Zeugen D1. wurde seine damalige Aussage vorgehalten, die er nach seinen Angaben
nach bestem Wissen gemacht hat. Danach sei man auch um das Haus
herumgegangen, der Zeuge S. sei auf den Balkon geklettert und er selbst habe von zu
Hause aus in der Wohnung S. / R. angerufen, zumal er damals im Haus W. xxx, also in
der Nachbarschaft gewohnt habe.
129
Die Angaben der Zeugen S. und V2. werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben
der völlig unbeteiligten Zeugin S2.. Diese hat bekundet, sie habe in den frühen
Morgenstunden des Himmelfahrtstages 1987 etwa zwischen 6.00 und 7.00 Uhr morgens
130
vor dem Haus ihrer Eltern W. xxx auf einen Bekannten gewartet, der sie mit dem Auto
abholen wollte um zu einem Reitturnier zu fahren. Als die Zeugin S2. vor dem Haus W.
xxx wartete, kamen ihr aus Richtung E. zwei Männer entgegen, die offensichtlich
betrunken waren und "torkelten". Dabei muss es sich um die Zeugin S. und V2. handeln,
die der Zeugin S2. namentlich nicht bekannt waren. Die Zeugin S2. hat nämlich
angegeben, die beiden betrunkenen Männer seien in Richtung des Hauses N. die W. –
Siedlung hochgekommen. Soweit die Zeugin S2. im Juli 1987 und bei späteren
Nachfragen angegeben hat, es habe sich um den V2. und den "N2." S. gehandelt, so
hat die Zeugin vor der Kammer glaubhaft bekundet, die Namensnennung sei auf Vorhalt
der Polizei erfolgt; ihr seien beide Personen jedoch namentlich damals nicht bekannt
gewesen. Die Zeugin S2. ist nach eigenen Angaben im August 1987 psychiatrisch
erkrankt, weil sie seit dem unaufgeklärten Tötungsdelikt in ihrer Nachbarschaft in Angst
gelebt habe. Sie habe keinesfalls über überlegenes Wissen verfügt, was sie damals
möglicherweise verschwiegen habe. Insoweit bestehe kein Zusammenhang zwischen
dem Tötungsdelikt und der Erkrankung. Soweit die Zeugin S2. in einer Vernehmung im
Jahr 2004 ausgesagt hat, sie habe etwa gegen 8.00 Uhr den "R2." L. getroffen, so hat
die Zeugin einen zeitlichen Zusammenhang auf den Himmelfahrtsmorgen nicht sicher
anzugeben vermocht. Zunächst hat die Zeugin S2. bekundet, der "R2." L. sei nicht
betrunken und auf dem Weg nach Haus gewesen. Auffällig war insoweit, dass die
Zeugin von einem solchen Zusammentreffen bei ihren vorherigen Befragungen nicht
berichtet hat. Auf konkrete Nachfrage hat sie auch nicht ausschließen können, dass ihr
der L. zu einem späteren Zeitpunkt begegnet ist.
(2)
131
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass R. zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich
um 11.00 Uhr bereits tot war.
132
Der Zeuge M. hat glaubhaft bekundet, der ihm aus der Nachbarschaft bekannte E1.
habe gegen 11.00 Uhr bei ihm geklingelt, da diesem nach Klingeln in der Wohnung S. /
R. niemand geöffnet habe. Weiterhin hat der Zeuge M. glaubhaft bekundet, der Zeuge
E1. sei einige Stufen der Treppe zur Wohnung hoch gegangen und dann
wahrgenommen, dass die Tür zur Wohnung S. / R. etwas offen stand. Das stützt die
Annahme, dass R. zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.
133
Ferner hat die Zeugin Q1. glaubhaft bekundet, sie sei mit R. zum Aufräumen in der E.-
Halle verabredet gewesen. Sie selbst habe verschlafen und noch bei R. angerufen; es
habe jedoch niemand abgenommen. Da die R. nach glaubhaften Angaben des Zeugen
S. vom Telefonklingeln regelmäßig wach wurde, spricht auch aus diesem Grund alles
dafür, dass R. zu diesem Zeitpunkt, also gegen 11.00 Uhr, tot war. Dafür sprechen auch
die mehrfachen Versuche des Zeugen S. , in seiner Wohnung anzurufen und die R. zu
sprechen.
134
Schließlich geht die Kammer aufgrund der Aussagen der Zeugen S. und Q1. davon aus,
dass die R. entgegen ihrer Ankündigung und ohne vorherige Entschuldigung nicht zum
Aufräumen in der E.-Halle erschienen ist. Das stützt die Annahme der Kammer, dass R.
bereits tot war, zumal sie nach dem Zeugen T1. und dem Täter niemand mehr lebend
getroffen hat.
135
cc)
136
Die Feststellungen zum Todeszeitpunkt beruhen auch auf den Angaben des
Sachverständigen A2..
137
Anhand der Angaben der Zeugen U1., F1., A1. sowie unter Berücksichtigung der
Feststellungen des I1. im Obduktionsprotokoll ist davon auszugehen, dass jedenfalls zu
dem Zeitpunkt, als der Zeuge A1. festgestellt hat, dass sich Leichenflecken nicht
wegdrücken lassen, der Tod der R. mindestens 1 Stunde zurückliegt. Die Angaben des
Zeugen A1. zur Lösung der Leichenstarre lassen nach den Ausführungen des
Sachverständigen A2. jedoch sicher darauf schließen, dass der Tod schon deutlich
länger als das Minimum dieser einen Stunde zurückliegt. Der Sachverständige A2. hat
anhand des – schon damals- vorhandenen Lehrbuches von Hänske dargelegt, dass es
im Hinblick auf die Wegdrückbarkeit von Totenflecken und die Lösung der Leichenstarre
um Todeszeichen handelt, die in zeitlicher Hinsicht nicht sehr zuverlässig sind, sondern
vielmehr große Zeiträume eröffnen. Mit heutigen Möglichkeiten und Erkenntnissen
lassen sich anhand einer Temperaturmessung von Leiche und Umgebung deutlich
zuverlässigere Rückschlüsse in zeitlicher Hinsicht machen. Der Sachverständige A2.
hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Angaben des Zeugen A1. und die
Feststellungen des I1. keinen Widerspruch ergeben müssen, wenn nach dem
Obduktionsprotokoll die Totenflecken "auf stärkeren Druck noch wegdrückbar" und nach
den Feststellungen des Zeugen A1. bei der Leichenbeschreibung sich die
Leichenflecken nicht mehr wegdrücken lassen, zumal zwischen den jeweiligen
Feststellungszeitpunkten ein Zeitabstand von ca. 12 Stunden liegt, der Sachverständige
I1. von "stärkerem Druck" und "noch wegdrückbar" ausgeht und dieser als
Rechtsmediziner über einen umfangreicheren Erfahrungsschatz verfügen dürfte.
Vielmehr sei aber, so der Sachverständige A2., nach dem derzeitigen Wissensstand
davon auszugehen, dass vom Zeitpunkt der Obduktion am Freitag um 12.00 Uhr die
Annahme eines Todeszeitpunktes in den frühen Morgenstunden zwischen 3.00 Uhr bis
6.00 Uhr nicht nur möglich, sondern plausibel ist.
138
Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Obduktion beruhen auf den Angaben des Zeugen
F1.. Dieser war als Präparator bei der Obduktion tätig. Der Zeuge hat über Jahre mit I1.
zusammengearbeitet und hat glaubhaft dargelegt, dass angesetzte Obduktion in
zeitlicher Hinsicht stets eingehalten worden sind. Der Zeuge F1. konnte sich trotz der
Vielzahl von Obduktionen noch an die nach seinen Angaben "grausam zugerichtete
Leiche" und einer Vielzahl schlimmster Verletzungen erinnern.
139
Der Zeuge F1. hat zur Vorgehensweise des damaligen Obduzenten I1. bekundet, dieser
habe Totenflecken stets mit dem Daumen wegzudrücken versucht, und zwar an
verschiedenen Stellen mal fester und mal weniger fest. Instrumente habe I1. dabei nicht
benutzt.
140
Der Zeuge A1. konnte sich noch an die in allen Gelenken ausgeprägte, sich jedoch
leicht lösen lassende Leichenstarre erinnern. Er hat weiter dargelegt, dass sich die
Leichenflecken beim Drücken mit seinem Daumen nicht mehr wegdrücken ließen. Er
konnte sich an die Leichenstarre deshalb genau erinnern, weil zunächst die Leiche
durch Mitarbeiter der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle auf der Rückenpartie
abgeklebt worden war. Beim Umdrehen ließ sich insbesondere die Spreizstellung der
Beine leicht lösen.
141
Die Feststellungen zum Zeitpunkt der Obduktion beruhen auf den Angaben des Zeugen
U1., der als damals zuständiger Staatsanwalt glaubhaft angegeben hat, dass die
142
Obduktion, wie zuvor besprochen, am 29.05.1987 um 12.00 Uhr in O1. stattgefunden
hat. Sowohl der Zeuge U1. als auch der Zeuge X2. haben übereinstimmend bekundet,
dass die von dem damaligen Leiter des Instituts für Gerichtsmedizin I1. jeweils
angesetzten Obduktionen in der Zeit stets genau eingehalten worden sind; zu
Terminsverschiebungen ist es in der Regel nicht gekommen. Zudem hat der Zeuge U1.
glaubhaft angegeben, dass I1. die Leichenflecken stets mit dem Daumen weggedrückt
hat. Der Zeuge U1. hat es als ausgeschlossen dargestellt, dass der I1. irgendein
Instrument dabei verwendet hat.
dd) Zeuge N. sen.
143
Innerhalb des aufgrund vorstehender Überlegung feststehenden Tatzeitraumes von 3.20
Uhr bis 6.00 Uhr geht die Kammer davon aus, dass der Schrei, den der Zeuge N. sen.
um 3.40 Uhr gehört hat, von der R. stammte, so dass sich der Tatzeitpunkt auf diese
Uhrzeit konzentriert.
144
Der Zeuge N. hat glaubhaft bekundet, er habe in der Nacht zum Himmelfahrtstag um
"zwanzig vor vier" einen spitzen Schrei gehört. Er habe zu dieser Zeit die Katze
herausgelassen, da diese bereits an der Schlafzimmertür gekratzt hatte. Die Uhrzeit
habe er von seinem Wecker abgelesen. Der Zeuge N. sen. hat weiter bekundet, der
"spitze Schrei" sei in hoher Tonlage erfolgt und sehr deutlich zu hören gewesen. Der
Schrei "kam von unten", womit er den Anfang der Straße W. meinte. Den Schrei habe er
durch das auf Kipp stehende Toilettenfenster und die geöffnete Schlafzimmertür
vernommen. Dabei ging der Zeuge N. davon aus, dass es sich nach dem Laut um eine
Frau gehandelt haben müsste, wobei er einen Zusammenhang zur Aufstiegsfeier
vermutete. Die Aussage des Zeugen war in sich stimmig und widerspruchsfrei. Der
Zeuge hat seiner Ehefrau am Morgen des Himmelfahrtstages davon berichtet, was die
Zeugin N. in ihrer Vernehmung glaubhaft bestätigt hat. Der Glaubhaftigkeit der
Zeugenaussage steht nicht entgegen, dass diese bei den Ermittlungen im Jahr 1987
nicht aktenkundig geworden ist. Hierzu hat der Zeuge N. sen. bekundet, er habe dies
den ermittelnden Beamten damals erzählt, wobei er nicht wisse, warum dies nicht
aufgenommen worden sei.
145
Die Richtigkeit der Aussage des Zeugen N. sen. wird auch durch die glaubhaften
Bekundungen seines Sohnes, des Zeugen N. jun. bestätigt, der bei seiner Vernehmung
glaubhaft angegeben hat, sein Vater habe in Kenntnis des Vorfalls am nächsten Tage
berichtet, er habe nachts einen "spitzen Schrei" gehört, und ferner berichtet, er habe den
Angeklagten beobachtet, wie dieser mehrfach bis in die Nähe des Hauses N.
gekommen sei und "dann runtergeschaut" habe. Der Zeuge N. jun. hat ebenfalls
glaubhaft geschildert, sein Vater habe die Beobachtungen mehrfach den anwesenden
Polizeibeamten geschildert.
146
c) Tatablauf
147
Unter Berücksichtigung der Lebensgewohnheiten der R. sowie aufgrund der Angaben
der Sachverständigen A2. und G2., der Zeugen L2. und A1. sowie den Urkunden und
Fotos ist die Kammer davon überzeugt, dass sich die Tat wie unter II. beschrieben
ereignet hat.
148
Die Feststellungen zum Tatablauf beruhen zunächst auf dem Gutachten des
Sachverständigen I1., das im Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 StPO
149
Gegenstand der Beweisaufnahme war. Darüber hinaus beruhen die Feststellungen auf
dem mündlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen A2., der der Kammer aus
einer Vielzahl von Verfahren als überaus sachkundiger Rechtsmediziner bekannt ist.
Der Sachverständige A2. hat überzeugend ausgeführt, dass den 74 Stich- bzw.
Stichschnittverletzungen eine massive Kompression gegen den Hals im Sinne eines
Würgens mit Händen vorausgegangen ist. Oberhalb des Halsbereiches wies die Leiche
nämlich massive punktförmige Blutungen auf, und zwar insbesondere im Bereich der
Schleimhäute und Bindehäute. Solche Punktblutungen entstehen dann, wenn der Hals
über einen Zeitraum von mindestens 20 – 30 Sekunden komprimiert wird. Das massive
Auftreten solcher Punktblutungen oberhalb des Halses spricht nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen A2. jedoch dafür, dass die Kompression länger
anhaltend war. Infolge der lang anhaltenden Halskompression kommt es durch den
unzureichenden Abfluss von venösem Blut zu einem ganz massiven Stauungssyndrom
in allen Regionen oberhalb des Halses.
150
Die Kammer folgt nicht der Einschätzung des Sachverständigen I1., wonach Zeichen
der Strangulation festgestellt werden konnten, die zum Teil für Drosselungsvorgänge
sprächen. Hierzu hat der Sachverständige A2. anhand der bei der Obduktion gefertigten
Lichtbilder anschaulich belegt, dass es an eindeutigen Drosselmerkmalen wie einer
Oberhautschürfung fehlt und deshalb von einem Würgevorgang auszugehen ist.
151
Das Vorliegen eines massiven Stauungssyndroms belegt zudem, dass die Kompression
gegen den Hals den späteren Stichverletzungen voraus gegangen ist. Denn bei
vorausgegangenen Stichen in die Herzregion wäre ein Stauungssyndrom nicht mehr
aufgetreten.
152
Als Folge des massiven Stauungssyndroms ist anzunehmen, dass Bewusstlosigkeit bei
der R. eingetreten ist. Dies hat der Sachverständige A2. überzeugend damit begründet,
dass die nachfolgenden Stichverletzungen in ihrer Vielzahl und in ihrer Parallelität
Beleg dafür sind, dass keine Lageveränderung mehr eingetreten ist.
153
Denkbar ist angesichts des massiven Stauungssyndroms jedoch das Auftreten von
Streckkrämpfen. Anhaltspunkte für einen Tod durch Ersticken, der nach etwa 5 – 8
Minuten eintritt, haben sich aber nicht ergeben.
154
Der Sachverständige A2. hat nicht feststellen können, in welcher Reihenfolge die 3
Stichverletzungen an der Halsseite, die 33 Stich- bzw. Stichschnittverletzungen im
Brustbereich und die 35 Stich- bzw. Stichschnittverletzungen im unteren Brust- bzw.
Bauchbereich erfolgt sind. Anhand der Einblutungen in beiden Brusthöhlen, in die
Luftröhre, den Bauchraum und andere Organe (z.B. die Nieren), hat der
Sachverständige nachvollziehbar belegt, dass es zu solchen Einblutungen nur dann
kommt, wenn das Herz schlägt und der Kreislauf noch funktioniert. Das spricht dafür,
dass nicht schon die ersten Stiche todesursächlich waren. Allerdings geht die Kammer
mit dem Sachverständigen A2. davon aus, dass die ersten der insgesamt 14 Einstiche
des Herzens und des Herzbeutels dazu geführt haben, dass es zu einem Herzflimmern
und unmittelbar anschließend zu einem funktionellen Herzstillstand gekommen ist.
155
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen A2. ist die Kammer weiterhin davon
überzeugt, dass der R. die Stichverletzungen in horizontaler Lage auf dem Bett zugefügt
worden sind. Zunächst zeigen die von der Kammer in Augenschein genommenen
156
Lichtbilder des Tatortes massive Blutflecke auf dem Bett. Zudem hat der
Sachverständige A2. anhand der Blutabrinnspuren auf der Leiche nachvollziehbar
begründet, dass diese nicht in aufrechter Lage zugefügt sein können, weil sämtliche
Blutrinnspuren horizontal und nicht vertikal verlaufen. Die Endlage der Leiche kann
deshalb nicht die Position sein, in der die Stichverletzungen erfolgt sind. Es spricht
deshalb vieles dafür, dass die Leiche vom Bett in die Endlage heruntergezogen worden
ist. Weniger wahrscheinlich ist ein selbständiges Herunterrutschen der Leiche, weil dies
nur dann möglich ist, wenn der Schwerpunkt des Körpers über den Bettbereich
herausgeragt hätte.
Als Tatwerkzeug kommt nach Überzeugung der Kammer ein Messer in Betracht. In dem
Gutachten des Sachverständigen I1. sind Stichkanaltiefen von ca. 11 bis 12 cm
festgestellt worden. Der Sachverständige A2. hat dazu ausgeführt, dass die
Klingenlänge möglicherweise geringer als die Stichkanaltiefe ist, weil das
Weichteilgewebe bei den mit großer Intensität geführten Stichen nachgibt und es so zu
einem größeren Stichkanal kommt.
157
Die in dem Obduktionsbericht festgestellten knöchernen Verletzungen im
Brustbeinbereich sprechen für mit großer Intensität bzw. mit Wucht geführte Stiche mit
einem Kraftaufwand von über 7 Kilopond. Hierzu hat der Sachverständige A2.
nachvollziehbar dargelegt, dass es eines solchen Kraftaufwandes bedarf, um
beispielsweise knöcherne Verletzungen wie die glatte Durchtrennung von Rippen zu
erzielen.
158
Die Kammer konnte nicht feststellen, dass mit der R. vaginaler Geschlechtsverkehr
stattgefunden hat. Nach dem Obduktionsergebnis war das Genital der R. äußerlich
unauffällig. Die Abstrichuntersuchung hat 2 Gebilde ergeben, die als Reste von
Spermatozoen interpretiert werden können, aber nicht einem kurzfristig zurückliegenden
Geschlechtsverkehr zugeordnet werden können. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen A2. hätte es bei der Durchführung von Geschlechtsverkehr mit
Ejakulation zu einem anderen Spurenbild kommen müssen. Ausgeschlossen ist
deshalb eine Ejakulation, jedoch nicht ein Eindringen in die Vagina.
159
Es fehlt ferner an Verletzungen, die typischerweise bei einer durchgeführten
Vergewaltigung bzw. einer versuchten Vergewaltigung auftreten, wie beispielsweise
genitale Verletzungen oder Verletzungen im Oberschenkelbereich.
160
Schließlich geht die Kammer von stumpfen Gewalteinwirkungen im Gesichtsbereich
aus.
161
Wegen weiterer Einzelheiten zu den feststellten Verletzungen wird gemäß § 276 Abs. 1
Satz 3 StPO auf die Polaroid-Lichtbilder 1 bis 9 des Lichtbildordners – Auffindesituation
und auf die Lichtbilder der Lichtbildmappe A des Lichtbildordners II. verwiesen.
162
Anhand der bei der Obduktion der Leiche gefertigten Fotos hat die Kammer die
Ausführungen des Sachverständigen A2. gut nachvollziehen können. Wegen der
Lichtbilder wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Fotos des Lichtbildordners I
verwiesen.
163
Die Feststellungen zum Tatablauf beruhen daneben auf den Angaben des Zeugen A1.,
der die Wohnung S. / R. im Rahmen der Erstellung eines Tatortbefundberichtes intensiv
164
in Augenschein genommen hat und Einzelheiten zu einzelnen Gegenständen in der
Wohnung und der Wohnung selbst angegeben hat. So beruhen insbesondere die
Feststellungen zu der Tatörtlichkeit und zur Endlage der Leiche auf den Angaben des
Zeugen A1.. Dieser war als Beamter der Mordkommission einige Stunden nach dem
Auffinden der Leiche in der Wohnung S./R.. Nach seinen Angaben befand sich die
Leiche der R. im Schlafzimmer zwischen dem vorderen Bett und der Kommode, die
unmittelbar links neben der Tür stand. Das Gesäß und die Oberschenkel lagen auf dem
Teppichboden auf, ebenso die stark angewinkelten und abgespreizten Unterschenkel.
Der Kopf und der Nackenbereich lagen auf der Bettkante des vorderen Bettes (etwa in
der Mitte der Bettlängsseite).
Die Arme hingen herab, die Unterarme lagen ebenfalls auf dem Teppichboden auf. Das
linke Kniegelenk stieß vor den Sockel der Kommode. Das rechte Kniegelenk lag
unmittelbar rechts neben der Kommode. Mit Ausnahme der Füße war die Leiche
unbekleidet. An beiden Füßen hing noch eine offensichtlich heruntergezogene graue
Jogginghose, in welche noch eine Unterhose eingerollt war. Am rechten Fuß befand
sich ferner ein weißer Socken. Ein zweiter weißer Socken lag zwischen dem
Oberschenkel auf dem Fußboden. Neben dem linken Oberschenkel lag unmittelbar vor
der Kommode eine blaue Jeanshose auf dem Teppichboden. Die Hose bildete einen
zusammengeschobenen Haufen, sie war nicht ordnungsgemäß gefaltet. Neben dem
rechten Unterschenkel und vor dem linken Nachttisch lagen ein heller BH, ein grau-rot
gemusterter Pullover und ein Paar blaue Damenhalbschuhe auf dem Teppichboden.
Beide Betten waren mit weiß-grün-beige gemusterten Spannbetttüchern bezogen. Das
Spannbetttuch des vorderen Bettes wies in dem Bereich, auf welchem der Kopf der
Leiche aufgelegen hatte, massive Blutanhaftungen auf.
165
Ein zweiter Fleck mit noch massiveren Blutanhaftungen und deutlich vom ersten Fleck
(Kopfauflage) getrennt, befand sich im Kopfbereich des Bettes. Hier lag eine
zusammengeschobene gelbe Wolldecke und zum Teil darunter, mehr zur Bettmitte, ein
mit einem weißen Bezug versehenes Kopfkissen. Auf dem Kopfkissen lag eine
zusammengeschobene Schlafanzugjacke, Grundfarbe grau mit einem Kreismuster. Im
Zentrum des zweiten Blutflecks, Durchmesser ca. 45 cm, wurde das Gegenstück des
Ohrringes aufgefunden, der im rechten Ohr der Leiche hing. Im Fußbereich des vorderen
Bettes wies das Spannbetttuch Falten und Kniffe auf, wie sie üblicherweise entstehen,
wenn das Bett benutzt worden ist. Die zur Schlafanzugjacke passende Hose lag am
Kopfende des hinteren Bettes. Auf dem Bett, das ebenfalls mit einem Spannbetttuch
bezogen war, lag im Kopfbereich ein Kopfkissen mit einem weißen Bezug,
augenscheinlich ohne Blutanhaftungen, etwa in der Mitte ein weiteres Kopfkissen und
am Fußende eine beige-braune Wolldecke, in die ein mit einem weißen Bezug
versehenes Oberbett eingerollt war. Das in der Mitte des hinteren Bettes liegende
Kopfkissen mit weißem Bezug wies an der Stelle die dem vorderen Bett zugewandt ist,
massive Blutanhaftungen auf. Während das zuletzt beschriebene Kopfkissen
offensichtlich zusammengeschoben war, waren das obere Kopfkissen des hinteren
Bettes und das eingeschlagene Oberbett ordentlich gemacht.
166
Zwischen dem Fußende des hinteren Bettes und dem Kleiderschrank lagen auf einem
etwas zusammengeschobenen Hirtenteppich, der auf dem rosa Teppichboden auflag,
ein weiteres Oberbett. Der weiße Bezug dieses Oberbettes wies ebenfalls massive
Blutanhaftungen auf.
167
Wegen weiterer Einzelheiten der Auffindesituation wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3
168
StPO auf die Polaroid-Lichtbilder 1 bis 22 – in Klarsichthülle - des Lichtbildordners II –
Auffindesituation und die Lichtbilder 7 bis 20 des Lichtbildordners I verwiesen.
Neben den massiven und großflächigen Blutanhaftungen auf dem Bett und an den
Bezügen wurde um die Leiche herum eine Vielzahl von kleinen und kleinsten
Blutflecken festgestellt. Im Eingangsbereich der Wohnung, d.h. im Bereich der
Schlafzimmer-/Wohnungs-/und Badezimmertür, waren auf dem Fußboden schemenhaft
vier wässerige Blutstropfen.
169
Im Bereich der Schlafzimmertür zeigten sich in einer Flucht vier kreisförmige
Blutstropfen, alle etwa in der Größe eines Stecknadelkopfes. Rechts neben der Tür zum
Badezimmer ist der Schalter für die Badezimmerbeleuchtung angebracht.
170
Am Kippschalter und am Rahmen dieses in etwa 1,15 m Höhe angebrachten Schalters
sind deutlich Blutanhaftungen zu erkennen.
171
Auf dem Rand des Waschbeckens im Badezimmer, insbesondere im hinteren Bereich
rechts neben dem Wasserhahn, sind deutlich rot-bräunliche Flecken zu erkennen, bei
denen es sich um eine eingetrocknete Blut-Wasser-Mischung handelte. Wegen weiterer
Einzelheiten wird gemäß § 276 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder 2, 3, 5, 6, 28 bis
31 sowie Nachträge Bild a bis e des Lichtbildordners I verwiesen.
172
Aufgrund der noch zu erörternden Angaben des Zeugen L2. und der Sachverständigen
G2. aufgrund der DNA-Analyse ist die Kammer davon überzeugt, dass der Täter R. die
graue Jogginghose heruntergezogen hat. Denn im oberen Bereich (Bündchen) der
Jogginghose war eine DNA-Spur feststellbar, die von einem Fremden stammt, jedenfalls
nicht von R.. Da R. die graue Jogginghose nicht außerhalb ihrer Wohnung getragen hat,
kommt der Täter als Spurenleger in Betracht.
173
Aufgrund der gesamten Situation geht die Kammer von einer vorangegangenen
versuchten Vergewaltigung aus. Das gesamte Geschehen hat sich im Schlafzimmer
ereignet, also nicht in einem Zimmer, in dem nur flüchtig bekannter Besuch empfangen
wird, sondern in einem Raum, der gemeinhin eher mit der Durchführung von
Geschlechtsverkehr in Verbindung gebracht wird. Zudem war die R. nahezu vollständig
entkleidet, so auch im Genitalbereich. An dem rechten Unterarm und am linken Daumen
sind Abwehrverletzungen festgestellt worden, zudem ein auf einen Schlag
zurückzuführendes Hämatom, so dass davon auszugehen ist, dass sich R. gegen die
Durchführung von Geschlechtsverkehr gewehrt hat. Aufgrund der bevorstehenden
Verlobung und dem von der Zeugin N. geschilderten Charakter ist die Kammer davon
überzeugt, dass die R. mit der Durchführung von Geschlechtsverkehr nicht
einverstanden war. Schließlich sprechen die wahllos im Zimmer verteilten
Kleidungsstücke für eine vorangegangene körperliche Auseinandersetzung. Hierzu hat
der Zeuge A1. angegeben, das Schlafzimmer sei im Gegensatz zu allen übrigen
Zimmern der Wohnung recht "unordentlich" gewesen.
174
Aufgrund der Angaben des Zeugen A1. geht die Kammer davon aus, dass die R. den
Täter selbst in die Wohnung hineingelassen hat. Denn irgendwelche Einbruchspuren
konnte der Zeuge weder an der Haustür noch an der Wohnungstür feststellen. Da die R.
und der Zeuge S. nur über einen einzigen Schlüssel zur Wohnung verfügten, den die R.
nach den Angaben der Zeugin Q1. bei Verlassen der E.-Halle mit sich führte, um damit
in die Wohnung zu gelangen, muss der Täter folglich von der in der Wohnung
175
aufhältigen R. in die Wohnung hineingelassen worden sein.
Nach den getroffenen Feststellungen konnte ein konkretes Messer als Tatwerkzeug
nicht identifiziert werden. Gleichwohl geht die Kammer aufgrund der Ausführungen des
Sachverständigen A2. davon aus, dass die tödlichen Verletzungen mit einem Messer
mit einer Klingenlänge von ca. 12 cm zugefügt worden sind.
176
d) Täterschaft
177
Nach Überzeugung der Kammer ist der Angeklagte der Täter.
178
Diese Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten folgt aus der Gesamtheit der
nachfolgend dargestellten und für die Kammer jeweils feststehenden Indizien, die
einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft
des Angeklagten enthalten (vgl. BGH 4 StR 306/07 vom 20.12.2007; BGH, 2 StR 284/07
vom 29.08.2007). Dabei hat die Kammer auch solche Umstände gewürdigt, die Zweifel
begründen können.
179
aa) Aufenthaltsort
180
Der Angeklagte hielt sich zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe des Tatortes auf. Er war – mit
zwischenzeitlicher Unterbrechung – aus Anlass der Aufstiegsfeier in der E.-Halle
anwesend. Diese zu Feierzwecken umgebaute Scheune stand am E. und lag nur
wenige Gehminuten von der Wohnung S. / R. am W. xxx entfernt. Zudem hat der
Angeklagte im elterlichen Wohnhaus am W. xxx gewohnt und dort übernachtet, das nur
wenige Meter von dem Tatort entfernt liegt.
181
bb) Abwesenheit während der Feier
182
Die Kammer ist aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen L. davon überzeugt,
dass der Angeklagte genau zur Tatzeit für eine längere Zeit die E.-Halle verlassen hatte.
183
Der Zeuge L. war damals mit dem Angeklagten gut befreundet und hat ihn den ganzen
Abend begleitet. Nach der Rückkehr von B. zur Aufstiegsfeier kam es, so hat der Zeuge
L. glaubhaft bekundet, zu einem kurzen Kontakt zwischen ihm und dem Angeklagten
einerseits und der R. andererseits, die hinter dem Tresen stand und Bier zapfte. Wenig
später übernahm der Zeuge L. diese Tätigkeit von der R., die nach den glaubhaften
Angaben des Zeugen die Aufstiegsfeier wenig später, nach seiner Erinnerung gegen
3.30 Uhr verließ. Der Zeuge konnte sich, teilweise nach Vorhalt seiner damaligen
Aussagen, noch gut daran erinnern, dass er an der Theke stand und Bier zapfte, als der
Angeklagte – für den Zeugen L. – plötzlich verschwunden war. Hierzu hat der Zeuge L.
glaubhaft bekundet, er habe den Angeklagten noch gezielt draußen gesucht, ihn aber
nicht gesehen. In seiner ersten Vernehmung hat der Zeuge L. angegeben, der
Angeklagte sei ca. eine Stunde weg gewesen, und habe auf seine Frage angegeben, er
sei zu Hause auf der Toilette gewesen. Dies hat er in seinen späteren Vernehmungen
am 30.05.1987 und am 11.06.1987 inhaltsgleich bestätigt, insoweit enthalten sämtliche
Aussagen des Zeugen L. keine Widersprüche. Erst in einer späteren Vernehmung am
19.06.1987, zu der der Zeuge L. aus eigener Veranlassung erschienen war, hat er die
Zeitangabe zur Abwesenheit des Angeklagten etwas korrigiert, und zwar dahingehend,
dass die Zeitangabe von einer Stunde nicht unbedingt zutreffen müsse.
184
Der Zeuge L. hat hierzu angegeben, damals selbst unter erheblichem Druck gestanden
zu haben, und zwar aufgrund von Vorhalten durch Vernehmungsbeamte und durch die
Angaben anderer Zeugen, nicht zuletzt aus seinem privaten und familiären Umfeld.
Hinzu kam nach Aussage des Zeugen, dass er aufgrund des selbst konsumierten
Alkohols in seiner Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit leicht eingeschränkt war.
Die Kammer hält die Angaben des Zeugen L. gleichwohl in dem Punkt für
uneingeschränkt glaubhaft, wonach der Zeuge eine über längere Zeit anhaltende
Abwesenheit des Angeklagten von der Aufstiegsfeier bemerkt hat. Im Nachhinein
konnte sich der Zeuge lediglich nicht auf eine fixe Zeitangabe festlegen, hat aber
gleichwohl – auch in Anbetracht seines alkoholisierten Zustandes – die Dauer der
Abwesenheit auf einen längeren Zeitraum festgelegt, der bis zu einer Stunde gedauert
haben kann. Insoweit geht die Kammer aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen
L. davon aus, dass dieser dem Zeugen gegenüber angegeben hat, er sei zu Hause auf
der Toilette gewesen, dem Zeugen aber nicht angegeben hat, er habe draußen
erbrechen müssen. Entsprechende Angaben hat der Zeuge L. bereits übereinstimmend
und in sich widerspruchsfrei bei seinen Vernehmungen bei der Polizei am 29.05.1987,
30.05.1987 und 11.06.1987 gemacht.
185
Die Kammer folgt den Angaben des Zeugen auch insoweit, als der Angeklagte zwar
nicht unerhebliche Mengen Bier konsumiert hatte, aber lediglich "angeheitert", jedoch
keineswegs stark betrunken erschien. Der Zeuge L. konnte insoweit plausibel und
nachvollziehbar angeben, dass während des Aufenthalts auf der Diskofete in B. weniger
getrunken wurde, weil dort die Getränke – im Gegensatz zur Aufstiegsfeier – bezahlt
werden mussten. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer
nachvollziehbar, dass der Zeuge die Angaben des Angeklagten, er habe draußen
erbrechen müssen, für unglaubhaft gehalten hat.
186
Aus Sicht der Kammer sind auch keine Gründe ersichtlich, warum der Zeuge L. den
Angeklagten damals bzw. heute hätte belasten sollen. Beide waren zur damaligen Zeit
gute Freunde und haben einen Großteil ihrer Freizeit gemeinsam verbracht, nicht zuletzt
beim gemeinsamen Fußballspiel. Der Zeuge L. stand damals zwar auch unter
Rechtfertigungsdruck, war aber, was andere Zeugen bestätigen konnten, durchgängig
auf der Aufstiegsfeier, auch während der Tatzeit, so dass er selbst reinen Gewissens
korrekte Angaben machen konnte, ohne bewusst oder unbewusst einen Verdacht auf
den mit ihm befreundeten Angeklagten zu werfen. In diesem Zusammenhang hat der
Zeuge L. deutlich gemacht, "im Dorf" habe es immer Gerüchte gegeben, wonach er
etwas verschweige. Dafür gab und gibt es nach Auffassung der Kammer allerdings
keine Anhaltspunkte. Insgesamt ist die Kammer von der Glaubwürdigkeit des Zeugen L.
auch nach dem Eindruck, den dieser bei seiner Vernehmung gemacht hat, in vollem
Umfang überzeugt.
187
cc) DNA-Spuren
188
Die am Tatort bzw. an der Leiche der R. gesicherten DNA-Spuren sprechen mit hoher
Wahrscheinlichkeit für eine Täterschaft des Angeklagten.
189
Der Zeuge L2. hat als Polizeibeamter der Mordkommission im Jahr 2008 mit der
Untersuchung verschiedener asservierter Gegenstände begonnen, darunter die graue
Jogginghose, die Wolldecke und die Fingernagelauskratzungen der Leiche.
190
(1) Jogginghose – Asservat 1.38 –
191
Aufgrund der DNA-Analyse ist die Kammer – wie noch näher auszuführen ist - davon
überzeugt, dass der Angeklagte der R. die graue Jogginghose heruntergezogen hat.
Denn im oberen Bereich (Bündchen) der Jogginghose waren Spuren feststellbar, für die
der Angeklagte als Spurenleger in Betracht kommt.
192
(a)
193
Der mit der Spurensicherung beauftragte Zeuge L2. hat die Spuren an der grauen
Jogginghose (Lichtbilder 001 bis 006, Ordner MK R. 912/2008 – Lichtbilder, § 267 Abs.
1 Satz 3 StPO) gesichert. Er hat das Asservat aus der Verpackung herausgenommen
und anschließend einzelne Bereiche mit starken Blutanhaftungen herausgeschnitten
und gesondert asserviert. Die verbleibenden Teile der Jogginghose wurden mit 26
Klebefolien (ca. 5 cm breit und ca. 20 cm lang mit kurzen Pappstreifen zum Anfassen)
flächendeckend zur Sicherung von molekulargenetischen Anhaftungen abgeklebt.
Dabei wurde jeder Klebestreifen bis zum Nachlassen der Klebekraft (etwa 2 – 3
Abschnitte) benutzt. Die Klebeflächen der einzelnen Folien wurden von dem Zeugen
fotographisch festgehalten und gesondert asserviert (Asservaten-Nr. 1.1 – 1.26). Die
einzelnen Klebestreifen wurden mit Ethanol eingesprüht und anschließend der Klebstoff
mit einem Einmalskalpell vollständig abgeschabt. Die Ansammlung des Klebers wurde
in ein Reaktionsgefäß (Eppendorfer Gefäß) verbracht.
194
Nach Abschluss des vorbeschriebenen Klebefolienverfahrens ging der Zeuge L2. zum
sog. Waschverfahren über. Die Jogginghose wurde in 11 Teile zerschnitten, die
Einzelteile fotographisch festgehalten und gesondert asserviert (Asservaten-Nr. 1.27 –
1.37, Lichtbilder 001 bis 006, Ordner MK R. 912/2008 – Lichtbilder, § 267 Abs. 1 Satz 3
StPO). Die 11 einzelnen Teile wurden jeweils vollständig in Ethanol eingelegt und darin
ausgewaschen. Die Auswaschungen wurden in ein gesondertes 50 ml-Gefäß verbracht
und gesondert asserviert (Asservaten-Nr. 1.38 – 1.48.)
195
Das Asservat 1.38 enthält also Anhaftungen aus dem Asservat 1.27. Dabei handelt es
sich um den oberen Bereich – sog. Bündchen - der Jogginghose (vgl. Lichtbild 006,
Ordner MK R. 912/2008 – Lichtbilder, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
196
(b)
197
Nach dem Gutachten der Sachverständigen G2. kommt der Angeklagte unter der
Voraussetzung eines "Allelic-drop out" im System Amelogenin unter Einbeziehung der
Zusatzbanden in den System D21S11 und D18S51 als Mitverursacher der für die Spur
1.38 dargestellten DNA-Merkmalmischung in Frage. Dies ergibt sich aufgrund einer
Übereinstimmung bei 7 von 10 DNA-Systemen mit dem DNA-Identifizierungsmuster des
Angeklagten.
198
Die Sachverständige G2. hat ausgeführt, die DNA aus der Speichelprobe des
Angeklagten sei nach Standardmethoden präpariert worden.
199
Die erhaltenen DNA-Proben wurden unter Anwendung der Polymerasenkettenreaktion
(PCR) typisiert. Die von dem Angeklagten abgegebene Speichelprobe ergab
hinsichtlich der DNA-Systeme folgendes Ergebnis:
200
D3S1358: xx/xx; VWA: xx/xx; FIBRA: xx/xx; THO1: x/x; SE33: xx.x/xx.x; D8S1179: xx/xx;
201
D21S11: xx/xx.x; D18S51: xx/xx; Amel: x/x; D16S539: x/xx; D2S1338: xx/xx und
D19S433: xx.x/xx.
Die Untersuchung der DNA-Systeme der Spur 1.38 ergab folgendes Ergebnis:
202
D3S1358: xx/xx/(xx/xx); VWA: xx/xx; FIBRA: xx/xx/xx/xx)/xx; THO1: x/x; SE33:
xx/xx/(xx.x/xx.x)/(xx); D8S1179: xx/xx/xx; D21S11: xx/(xx/xx); D18S51: xx/(xx/xx/x)/xx;
Amel: x/x.
203
(c)
204
Die Untersuchung der Spur 1.38 hat zugleich ergeben, dass diese nicht von der R.
stammt. Denn in allen 10 Merkmalen hat sich (jeweils) keine Übereinstimmung ergeben.
Das gleiche gilt für alle übrigen, über 40 Vergleichspersonen, deren
Identifizierungsmuster auf freiwilliger Basis untersucht worden ist.
205
(2) gelbe Wolldecke, Spuren 16.78 und 16.15
206
Die asservierte gelbe Wolldecke wurde auf die bereits vorbeschriebene Art und Weise
ebenfalls auf molekulargenetische Anhaftungen untersucht. Zunächst wurden die
Bereiche, die massive Blutanhaftungen aufwiesen, herausgeschnitten und gesondert
unter Asservaten-Nr. 39 asserviert. Die Reststücke der gelben Wolldecke wurden mit
141 Klebefolien flächendeckend abgeklebt. Wegen der Lage der Klebefolien wird auf
die Lichtbilder 066 bis 076, Ordner MK R. 912/2008 – Lichtbilder, § 267 Abs. 1 Satz 3
StPO Bezug genommen. Nach dem Klebefolienverfahren wurden die Klebestreifen mit
Ethanol eingesprüht und anschließend der Klebstoff mit einem Einmalskalpell
vollständig abgeschabt. Die Ansammlung des Klebers wurde in ein Reaktionsgefäß
verbracht und gesondert asserviert; die Klebeflächen der einzelnen Folien wurden unter
den Asservaten-Nr. 16.1 – 16.141 asserviert. Im Anschluss daran wurde die Wolldecke
in 48 Teile eingeteilt und die einzelnen Teile in Ethanol eingelegt und dahin
ausgewaschen; die Auswaschungen sind unter Asservaten-Nr. 16.190 – 16.237
asserviert.
207
Die durch das Klebefolienverfahren und durch das Waschverfahren gewonnenen
Asservate wurden von dem Zeugen L2. zum Institut für Rechtsmedizin der Universität
München verbracht.
208
Nach Untersuchung der Asservate ist die Sachverständige G2. zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Zusatzbanden im System
D21S11 sowie unter der Voraussetzung eines "Allelic drop outs" im System D16S539
als Mitverursacher der für Spur 16.78 mit zwölf PCR-System dargestellten DNA-
Merkmalmischung nicht auszuschließen ist.
209
Die Untersuchung der Spur 16.78 ergab bei den untersuchten DNA-Systemen
folgendes Ergebnis: D3S1358: xx/xx/xx/(xx); VWA: (xx)/xx/(xx); FIBRA: xx/(xx/xx)/xx;
THO1: x/x/(xx); SE33: xx/xx/xx.x/xx.x; D8S1179: xx/xx/xx; D21S11: xx/(xx)/xx.x; D18S51:
xx/xx/xx/xx/(xx); Amel: x/x; D16S539: xx//xx(xx); D2S1338: xx/xx und D19S433:
xx.x/xx/xx.x.
210
Die Untersuchung der DNA-Systeme der Spur 16.15 ergab:
211
D3S1358: xx/xx/(xx/xx); VWA: xx/xx/(xx); FIBRA: xx/(xx/xx)/xx; THO1: x/x/(x); SE33:
xx/xx/(xx/xx.x/xx.x/xx); D8S1179: (xx/x)/xx/(xx)/xx; D21S11: xx/(xx/xx); D18S51:
xx/(xx)/xx; Amel: x/(x).
212
Die Sachverständige hat weiter überzeugend ausgeführt, dass nach
Häufigkeitsberechnungen auf der Grundlage von Frequenztabellen für die europäische
Bevölkerung eine von 23 Millionen Personen zufällig DNA-Merkmale zeigt, die in diese
Mischung passen, wobei die Systeme D21S11 und D16S539 sowie auftretende
Zusatzbanden bei der Biostatistik unberücksichtigt blieben.
213
Unter der Voraussetzung eines "Locus drop outs" im System D18S51 bzw.
Einbeziehung der Zusatzbanden in den Systemen FIBRA und D21S11 ist der
Angeklagte zudem als Mitverursacher der für Spur 16.15 dargestellten DNA-
Merkmalmischung nicht auszuschließen.
214
(3) Fingernagelauskratzungen 22.1b
215
Die asservierten Fingernagelauskratzungen wurden von dem Zeugen L2. unmittelbar
zum Institut für Rechtsmedizin der Universität München verbracht. Dort wurden die
Auskratzungen in Ethanol extrahiert. Es wurde eine einzige DNA-Spur gefunden, die
nicht der R. zuzuordnen war. Von weiteren Personen konnten keine Spuren
nachgewiesen werden.
216
Die Untersuchung der DNA-Systeme der Spur 22.1B ergab:
217
D3S1358: xx/xx/(xx); VWA: xx/xx; FIBRA: xx/xx; THO1: x/x; SE33: xx/xx/(xx.x/xx.x);
D8S1179: xx/(xx)/xx; D21S11: xx/(xx); D18S51: xx/(xx)/xx; Amel: (x/x).
218
Nach den Ausführungen der Sachverständigen G2. ist der Angeklagte unter der
Voraussetzung eines "Locus drop out" im System D21S11 bzw. "Allelic drop out" in den
System FIBRA und D18S51 als Mitverursacher der für Spur 22.1b dargestellten DNA-
Merkmalmischung nicht auszuschließen.
219
Ergänzend wurde eine Typisierung Y-chromosonaler DNA-Systeme (Y-STR)
durchgeführt. Diese Untersuchung ist in solchen Spurenfällen besonders geeignet, bei
denen geringste Mengen biologischen Materials einer männlichen Person bei einem
großen Überschuss von biologischem Material weiblicher Personen auftreten, da der
Überschuss weiblicher Zellen die Y-STR-Typisierung nicht beeinflusst.
220
Die weitere Untersuchung der DNA-Systeme der Spur 22.1B ergab:
221
DYS19: xx; DYS391: xx; DYS392: kein Typ enthalten; DYS393: xx; DYS385: xx/xx;
DYS389-1: xx; DYS389-2: xx; DYS390: xx; DYS438: xx; DYS439: xx; DYS456: xx;
DYS458: xx; DYS635: xx; DYS437: xx; DYS448: xx; Y GATA H4: xx.
222
Die DNA-Systeme des Angeklagten ergaben dazu:
223
DYS19: xx; DYS391: xx; DYS392: xx; DYS393: xx; DYS385: xx/xx; DYS389-1: xx;
DYS389-2: xx; DYS390: xx; DYS438: xx; DYS439: xx; DYS456: xx; DYS458: xx;
DYS635: xx; DYS437: xx; DYS448: xx; Y GATA H4: xx.
224
Die sensitive Untersuchung erbrachte mit 15 untersuchten Y-chromosomalen Systemen
für den Angeklagten und Spur 22.1b somit ein vollständig identisches Merkmalsmuster.
225
Eine von der Sachverständigen durchgeführte Datenbankabfrage der Sachverständigen
beim Institut für Rechtsmedizin der Humboldt-Universität Berlin (Charité) ergab, dass
das dargestellte Muster unter den dort gespeicherten 6.382 Profilen der eurasischen
Bevölkerung nicht vorkommt.
226
Die vom dortigen Institut für Rechtsmedizin unter Leitung von Prof. Dr. Lutz Roewer
geführte Datenbank "Y-STR Haplotype Reference Database (YHRD)" ist nach Auskunft
der Sachverständigen G2. die weltweit älteste und größte Populationsdatenbank für Y-
chromosomale Haplotypen, also eine Vielzahl männlicher Repräsentanten mit insoweit
übereinstimmenden Merkmalen. In Kooperation mit mehr als 150 Instituten aus knapp
50 Ländern sind genetische Informationen aus einer Vielzahl von Bevölkerungsgruppen
weltweit (ca. 100 Länder) erfasst. Unter den (jeweils für 17 Marker; Stand 21.08.2009)
erfassten Haplotypen von weltweit 21.800 und von 6.382 für die eurasische
Bevölkerung kommt das Muster des Angeklagten nicht vor. Angesichts der Mehrzahl
männlicher Repräsentanten mit demselben Haplotyp ist nach den Ausführungen der
Sachverständigen G2. eine Häufigkeit von 1 zu 9.400 bis 1 zu 12.600 wissenschaftlich
realistisch. Dabei ist die Sachverständige von einer normalen Verteilung bzw. Vielfalt
von Haplotypen ausgegangen, und nicht von einer durch Inzucht geprägten
Subpopulation, bei der die Häufigkeit um einen Faktor bis maximal 10 reduziert werden
muss. Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei der Ortschaft P. aber nicht
um eine durch Inzucht geprägte Subpopulation. P. war, das ist gerichtsbekannt und
durch Zeugenaussagen bestätigt, bereits zur Tatzeit ein Ortsteil der Stadt T. mit ca.
1.000 Einwohnern. Der Ort liegt direkt am "I2.", einer bereits über 5000 Jahre aus
vorrömisch-germanischer Zeit stammenden Verbindung vom Rhein bis nach Paderborn
entlang der nördlichsten deutschen Mittelgebirge. Der Verlauf des "I2." im Kreis T.
entspricht weitgehend der früheren T.-Straße xx und der heutigen Y.-Straße xx.
227
(4)
228
Die Sachverständige G2. hat überzeugend dargelegt, dass eine Verunreinigung und
Alterung der über 22 Jahre asservierten Spuren ausgeschlossen ist. Denn bei der DNA-
Analyse mittels PCR ist eine Veränderung oder Verschiebung von Banden durch
Bakterien oder Enzyme ohne Einfluss auf das Ergebnis der Analyse. Eine Degradation
ist zwar nicht ausgeschlossen. Es steht jedoch fest, dass die gefundenen Spuren auch
tatsächlich vorhanden und damit nachweisbar waren.
229
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen G2. geht die
Kammer davon aus, dass ein Sekundärtransfer der am Tatort vorgefundenen (fremden)
DNA-Spuren nicht in Betracht kommt. Ein solcher Transfer wäre theoretisch denkbar,
wenn beispielsweise die R. aufgrund etwaiger Kontakte zu dem Angeklagten dessen
Spuren auf die Jogginghose oder die gelbe Wolldecke transferiert hätte oder die Spuren
auf andere Weise dahin gelangt wären.
230
Dabei steht zunächst zur Überzeugung der Kammer fest, dass die R. die graue
Jogginghose, an der die maßgebliche Spur gesichert werden konnte, nicht während der
Aufstiegsfeier getragen hat und die graue Jogginghose nahezu ausschließlich in der
eigenen Wohnung benutzt worden ist. Auch die gelbe Wolldecke diente nach den
Angaben des Zeugen S. als Überdecke im Schlafzimmer und war stets in der Wohnung,
231
jedenfalls nicht außerhalb. Sowohl die Jogginghose als auch die gelbe Wolldecke
befanden sich daher ausschließlich in der Wohnung, in der der Angeklagte vorher nie
aufhältig war. Andererseits ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass der Angeklagte und
die R. außerhalb des Tatortes einen irgendwie gearteten körperlichen Kontakt gehabt
hätten. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass zwischen dem Angeklagten und der
R. keine engere persönliche Beziehung bestand, diese vielmehr lose bekannt waren, so
dass auch nicht ersichtlich ist, dass es während der Aufstiegsfeier zu einem
körperlichen Kontakt, beispielsweise beim Tanzen, gekommen ist. Zudem hat die
Sachverständige G2. anhand einer wissenschaftlich begleiteten Untersuchung einen
etwaigen Sekundärtransfer, beispielsweise durch einen Händedruck, als sehr
unwahrscheinlich dargestellt. Hierzu hat sie ausgeführt, dass bei einem Versuch 100
Personen einen üblichen gesellschaftlichen Kontakt, beispielsweise durch Händedruck,
ausgeübt hätten und bei 13 % der beteiligten Personen überhaupt fremde DNA-
Merkmale vorgefunden worden sind, und zwar bei dem Vergleich von mehr als vier
DNA-Systemmerkmalen. Bei lediglich 6 % kam es zu verwertbaren Profilen, mit einer
Mehrzahl bei männlichen Personen.
Ein Transfer in der Gestalt, dass die R. etwaige DNA-Spuren von dem Angeklagten auf
die gelbe Wolldecke und die graue Jogginghose transferiert hat, ist nach den
Ausführungen der Sachverständigen G2., denen sich die Kammer anschließt, am
ehesten über den Kontakt mit Händen denkbar. Dagegen spricht jedoch eindeutig, dass
keinerlei DNA-Spuren gefunden worden sind, die auf andere Spurenverursacher
zurückzuführen sind. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die R. am ehesten
engeren Kontakt zu anderen Personen, beispielsweise ihrem Verlobten oder dem
Zeugen L. oder dem Zeugen W1. gehabt hat, mit denen sie enger bekannt war und in
einem näheren Kontakt stand.
232
Gegen diese Annahme eines Sekundärtransfers spricht maßgeblich der Umstand, dass
an den Fingernagelabkratzungen bei R. lediglich eine einzige fremde DNA-Spur
gefunden worden ist, bei der nach Auffassung der Kammer es jedoch näher liegt, dass
diese angesichts der Tätigkeit der R. an der Theke auf einen zeitlich späteren Kontakt,
nämlich eine handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Täter, zurückzuführen ist. Da
die R. während der Aufstiegsfeier, an der der Angeklagte nur teilweise teilgenommen
hat, zu vielen anderen Personen Kontakt gehabt haben kann, wäre die Annahme eines
Sekundärtransfers dann erheblich plausibler, wenn auch DNA-Spuren anderer
Personen hätten sichergestellt werden können.
233
Die Sachverständige G2. hat zur Frage des Sekundärtransfers abschließend
überzeugend dargestellt, dass ein direkter Kontakt zwischen der R. und dem Täter durch
Speichelübertragung beim Sprechen, körperliche Reibung, Kratzen oder
Abwehrkontakten mit einer deutlich größeren Wahrscheinlichkeit zur Übertragung von
DNA-Spuren geführt haben dürfte, als ein loser zufälliger Kontakt unter anderen
Umständen, beispielsweise bei einer solchen Feier.
234
Die Schwester des Angeklagten, die Zeugin D., und deren Sohn H2., die sich einige
Tage vor dem Tattag in der Wohnung S./R. aufgehalten haben wollen, sind als
Verursacher bzw. Mitverursacher der Tatortspuren auszuschließen. Das hat die
Sachverständige G2. nach einem Abgleich der Tatortspuren mit dem DNA-
Identifizierungsmuster dieser beiden Personen nachvollziehbar dargelegt.
235
(5) Würdigung der DNA-Spuren
236
Aufgrund der inzwischen erreichten Standardisierung der molekulargenetischen
Untersuchung gewinnt die Kammer aufgrund des vorbeschriebenen Ergebnisses der
DNA-Analyse die Überzeugung, dass die am Tatort gesicherte Spur auf der gelben
Wolldecke (16.78) von dem Angeklagten stammt (vgl. BGH, NJW 2009, 1159).
237
Daraus folgt für die Kammer, dass die weitere Spur 16.15, für die der Angeklagte als
Mitverursacher nicht auszuschließen ist, mit einer gewissen – zwar deutlich geringeren -
Wahrscheinlichkeit ebenfalls von dem Angeklagten stammt. Dann es handelt sich um
einen einheitlichen Gegenstand (Wolldecke), auf der außer DNA-Spuren der R. und des
Verlobten S. keine anderen fremden DNA-Spuren nachgewiesen worden sind. Dabei
hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte nie zuvor in der Wohnung S. / R.
war und zuvor keinen irgendwie gearteten Kontakt zur gelben Wolldecke hatte.
238
Für die Spur 1.38 an der Jogginghose ist der Angeklagte als Spurenverursacher zwar
nur "nicht auszuschließen". Die von der R. bei bzw. unmittelbar vor der Tat getragene
Jogginghose ist jedoch genauso tat- bzw. tatortrelevant wie die gelbe Wolldecke.
Deshalb spricht einiges dafür, dass die Spur 1.38 ebenfalls von dem Angeklagten
stammt.
239
Schließlich ist der Angeklagte als Mitverursacher der DNA-Spur an den
Fingernagelauskratzungen der R. (22.1b) nicht auszuschließen; bei der Untersuchung
der Y-chromosomalen Systemen ergab ein übereinstimmendes Merkmalsmuster , das
unter 6.382 gespeicherten Profilen der eurasischen Bevölkerung nicht vorkommt. Unter
Berücksichtigung der übrigen vorbeschriebenen, am Tatort gefundenen DNA-Spuren
spricht dies ebenfalls für den Angeklagten als Spurenverursacher, selbst wenn damit
zunächst keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit verbunden ist. Denn dazu hat die
Sachverständige G2. nachvollziehbar ausgeführt, dass die Hypothese, dass das
männliche biologische Material an Spur 22.1b von dem Angeklagten stammt, 6.382 mal
wahrscheinlicher ist als die Gegenhypothese, dass die Spur von einer nicht über die
männliche Linie verwandten Person desgleichen Haplotyps verursacht worden ist.
240
Die Gesamtschau der Spuren führt vielmehr zu einer hohen Wahrscheinlichkeit. Denn
sowohl die Spuren an der Leiche als auch die Spuren an der Wolldecke und der
Jogginghose sind gleichermaßen tat- bzw. tatortrelevant. Zudem hat die Kammer
berücksichtigt, dass an den untersuchten Gegenständen und Fingernagelauskratzungen
keinerlei fremde DNA-Spuren gefunden werden konnten und sämtliche übrigen
verglichenen Personen als Spurenleger ausscheiden.
241
Bei den Fingernagelauskratzungen hat die Kammer - mit geringem Beweiswert - weiter
berücksichtigt, dass die R. während der Feier zuletzt an der Theke tätig war und mit
großer Wahrscheinlichkeit auch Gläser gespült hat, so dass die Fingernägel weitgehend
frei von jedweden Spuren gewesen sein dürften. Das spricht dafür, dass die an der
Leiche gefundene Spur auf einen zeitlich späteren, also nach der Feier erfolgten
Kontakt schließen lässt.
242
dd) Auffälliges Verhalten des Angeklagten am Abend des Tattages
243
Das auffällige Verhalten des Angeklagten am Abend des Himmelfahrtstages hat
ebenfalls indizielle Bedeutung für die Annahme seiner Täterschaft.
244
Als Täter wusste der Angeklagte um die Geschehnisse in der Wohnung W. xx.
Angesichts der aus seiner Sicht offenkundig erfolgten Entdeckung der Tat war er
"neugierig" und wollte die Geschehnisse aus "sicherer Entfernung" beobachten. Zu
diesem Zweck hat er sich ca. 4 bis 5 Mal von seiner elterlichen Wohnung über den vom
Tatort abgewandten Teil der Straße W. bis zu der dem Haus W. xx gegenüber liegenden
Straßenseite begeben, um von dort zum Haus W. xx herunterzusehen.
245
Der Zeuge N. sen. hat glaubhaft bekundet, er habe den Angeklagten von seinem
Küchenfenster heraus beobachtet, wie dieser ca. vier bis fünf Mal in kurzem zeitlichen
Abstand auf den dem Küchenfenster gegenüberliegenden Bürgersteig herging. Der
Angeklagte sei eine Weile stehen geblieben, zurückgegangen, und wenig später wieder
erschienen und habe den W. herunter geschaut. Das Verhalten des Angeklagten kam
dem Zeugen N. sen. eigenartig vor, so dass er seine Beobachtungen der Ehefrau
mitteilte, die dies ebenfalls glaubhaft bestätigt hat. Der Zeuge N. konnte seine
Beobachtungen in zeitlicher Hinsicht dahingehend konkretisieren, dass er nach kurzer
Anwesenheit in Tatortnähe bei Eintreffen der Polizei (gegen 19.45 Uhr) wieder nach
Hause gegangen ist, und wenig später das auffällige Verhalten des Angeklagten
beobachten konnte, wobei der Zeuge das Verhalten des Angeklagten nicht beim ersten
Mal, sondern angesichts der Wiederholungen als auffällig einschätzte. Der Zeuge hat
zwar zunächst von Beobachtungen am Nachmittag gesprochen. Auf Vorhalt hat er sich
jedoch erinnert, dass er seine Beobachtungen nach Rückkehr von der Tatörtlichkeit in
seine Wohnung gemacht hat. Angesichts des langen Zeitablaufs und des Alters sowie
der angeschlagenen Gesundheit des Zeugen hält die Kammer dies jedoch für
unbedenklich, so dass die Kammer von der uneingeschränkten Glaubhaftigkeit der
Aussage und der Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen N. sen. überzeugt ist. Nicht
zuletzt hat die Zeugin N. ebenfalls bekundet, den Angeklagten bei seinen
wiederkehrenden Beobachtungsgängen zu dieser Zeit erkannt und beobachtet zu
haben.
246
Bei der Inaugenscheinnahme der Siedlung W. hat die Kammer nachvollziehen können,
dass von dem Haus N. Am W. xx bzw. der gegenüberliegenden Straßenseite ein guter
Einblick und eine gute Sicht zu dem Haus W. xx, insbesondere dem Zugangsbereich
und der Straße besteht.
247
ee) Verhalten des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau
248
Die Kammer hat gewürdigt, dass der Angeklagte seiner Ehefrau nichts davon erzählt
hat, dass er die DNA-Speichelprobe abgegeben hat, wenngleich diesem Umstand
lediglich ein geringer Beweiswert zukommt.
249
Das Verhalten der Ehefrau am Tag der Festnahme macht deutlich, dass die Ehefrau
nichts davon wusste, dass der Angeklagte die DNA-Speichelprobe bereits abgegeben
hatte.
250
Der Angeklagte war zwar nicht verpflichtet, Angaben gegenüber seiner Frau zu machen,
nach Auffassung der Kammer hätte es jedoch näher gelegen, dass der Angeklagte
seiner Ehefrau davon erzählt hätte, wenn er aus eigener Überzeugung heraus mit der
Tat nichts zu tun gehabt hätte.
251
Die Zeugin Z. hat dazu bekundet, der Angeklagte habe ihr Ende November 2008 nach
Rückkehr von seiner Arbeitsstelle mitgeteilt, er habe einen "komischen Anruf" von der
252
Kriminalpolizei erhalten zwecks Abgabe einer Speichelprobe. Eine Terminsabsprache
mit dem Zeugen X1. sei jedoch nicht möglich gewesen. Bei Weihnachtseinkäufen habe
der Zeuge X1. dann auf ihrem Handy angerufen, und sie habe das Telefonat an den
Angeklagten weitergegeben, der etwas zur Seite gegangen sei und sinngemäß
geäußert habe, dass "es jetzt nicht gehe". Später habe ihr der Angeklagte berichtet, er
sei auf der Polizeiwache in T. gewesen und habe 1 Stunde auf den Zeugen X1., mit
dem er verabredet gewesen sei, gewartet. Anfang Januar 2009, so habe ihr der
Angeklagte erklärt, sei ein Termin zur Abgabe eine DNA-Speichelprobe nicht möglich
gewesen, da er wegen Inventurarbeiten dienstlich unabkömmlich gewesen sei. In der
zweiten Januarhälfte 2009 habe sie den Angeklagten eines Tages von seiner
Arbeitsstelle mit ihrem PKW abgeholt. Auf der Rückfahrt nach Hause habe der
Angeklagte ihr erklärt, er habe nun die Speichelprobe abgegeben. Genau an diesem
Tag habe ihr Sohn U2. eine Vorladung als Angeklagter zu Gericht erhalten. Wohl aus
diesem Grund habe sie den Umstand, dass der Angeklagte die Speichelprobe
abgegeben habe, am Tag der Festnahme (11.02.2009) vergessen. Sie sei an dem
Morgen, an dem der Angeklagte von den beiden Zeugen X1. UND X2. aufgesucht und
mitgenommen worden sei, davon ausgegangen, dass der Angeklagte eine
Speichelprobe abgeben müsse. Ihr sei von den Beamten nicht mitgeteilt worden, dass
ihr Ehemann festgenommen worden sei; sie habe auch nicht gesehen, dass dem
Angeklagten im Gäste-WC Handschellen angelegt worden seien, sonst "hätte sie einen
Budenzauber veranstaltet". Am Nachmittag habe sie dann beim Polizeipräsidium in O1.
angerufen und sich nach dem Verbleib des Angeklagten erkundigt. Am Nachmittag des
11.02.2009 hätten die beiden Zeugen X1. UND X2. sie dann nochmals aufgesucht und
ihr im Beisein des Zeugen Q. erklärt, dass der Angeklagte wegen Mordverdachts
festgenommen worden sei. Circa 10 Min. nachdem die Zeugen X1. UND X2. ihr Haus
verlassen haben, sei ihr dann eingefallen, dass sie doch von der bereits in der zweiten
Januarhälfte erfolgten Abgabe der DNA-Speichelprobe gewusst habe.
Die Kammer vermochte sich nicht von der vollständigen Richtigkeit dieser
Zeugenaussage zu überzeugen. Die Kammer kann nicht nachvollziehen, dass die
Zeugin am Tag der Festnahme "vergessen" hat, dass der Angeklagte etwa 3 Wochen
zuvor eine Speichelprobe abgegeben hat. Nach den Angaben der Zeugin war die
Abgabe der Speichelprobe mehrfach Gesprächsthema der Eheleute, ebenso wie der
Mordfall R. in P. vor 22 Jahren, von dem die Zeugin selbst vor etwa 10 Jahren erfahren
hat. Wenn dieser Mordfall und die Abgabe einer DNA-Speichelprobe über mehrere
Wochen stets Gesprächsthema ist, dann erscheint es lebensfremd, dass die Zeugin 3
Wochen später nach ausführlicher Erläuterung des auf eine Speichelprobe gründenden
Mordverdachts hingewiesen wird und sich selbst nicht daran erinnern kann, dass der
Angeklagte ihr 3 Wochen zuvor angegeben haben soll, eine solche Speichelprobe
abgegeben zu haben. Jedenfalls geht die Kammer auch nach den Aussagen der
Zeugen X1. UND X2. und des Zeugen P1. sowie nach dem in der Hauptverhandlung
verlesenen Brief der Zeugin Z. vom 21.11.2009 an den Angeklagten sicher davon aus,
dass sich die Zeugin Z. am 11.02.2009 derart geäußert hat, nicht zu wissen, dass der
Angeklagte eine Speichelprobe abgegeben hat. Hinzu kommt, dass insbesondere der
Zeuge X1. den Angeklagten mehrfach darüber unterrichtet hat, dass die Abgabe der
Speichelprobe etwa 5-10 Minuten dauert und auf freiwilliger Basis erfolgt. Wenn der
Angeklagte und die Zeugin Z. sich tatsächlich darüber unterhalten hätten, ist lebensnah
davon auszugehen, dass die Zeugin von diesen beiden Umständen wusste und es dazu
nicht einer "Mitnahme" des Angeklagten im Beisein mehrerer Polizeibeamter bedarf.
253
Die Kammer verkennt nicht, dass der Gang des Verfahrens sich nachteilig auf das
254
Befinden der Zeugin Z. ausgewirkt hat. Sie zeigte sich bei ihrer Vernehmung sehr
emotional. Nach dem Eindruck, den die Kammer von der Zeugin gewonnen hat, war
diese bemüht, den Anschein einer Verzögerung der Speichelprobe bzw. Verschleierung
der gesamten Umstände gegenüber seiner Ehefrau auszuräumen. Nicht zuletzt hat die
Zeugin der Verhandlung an allen Prozesstagen beigewohnt und wusste somit selbst um
die Bedeutung ihrer Aussage.
ff) Unberücksichtigte Umstände
255
(1)
256
Bei der Frage, ob der Angeklagte als Täter in Betracht kommt, hat die Kammer nicht
berücksichtigt, dass sich die Abgabe einer (freiwilligen) Speichelprobe hinausgezögert
hat.
257
In dem Telefonat, das der Zeuge X1. am 27.11.2008 mit dem Angeklagten geführt hat,
hat sich dieser bereit erklärt, eine solche Speichelprobe freiwillig abzugeben. In der
Folgezeit ist es offenbar zu Missverständnissen gekommen, die dazu geführt haben,
dass der Angeklagte die Speichelprobe erst am 22.01.2009 abgegeben hat, während
alle übrigen Personen, mit Ausnahme des Zeugen W1., diese unmittelbar am
26./27.11.2008 abgegeben haben.
258
Nach dem Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" ist ein Beschuldigter im
Strafverfahren grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv die Sachaufklärung zu fördern. In der
Rechtsprechung des BGH ist deshalb anerkannt, dass ein Beschuldigter nicht gehalten
ist, zur eigenen Überführung tätig zu werden und dann eine Untersuchungshandlung
eines Strafverfolgungsorgans oder eines Sachverständigen aktiv mitzuwirken (vgl.
BGHSt 49, 56 ff.). Unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte förmlich als
Beschuldigter anzusehen war, oder lediglich als einer von möglichen mehreren
Beschuldigten, war er zur aktiven Teilnahme an der Sachverhaltsaufklärung nicht
verpflichtet. Die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung kann ihm daher als belastendes
Beweisanzeichen nicht entgegengehalten werden. Er hat die Freiheit, sich auch auf
diese Weise zu verteidigen; er muss nicht seine Unschuld beweisen (vgl. BGHSt 49, 56
ff. m.w.N.).
259
(2)
260
Die Kammer hat weiter nicht als belastendes Beweisanzeichen berücksichtigt, dass der
Angeklagte sich bei der Festnahme schweigend verhalten hat und keine näheren
Nachfragen zu den Umständen der Festnahme gestellt hat. Weiterhin das gleiche gilt für
die Fahrt mit den Zeugen X1. UND X2. von T. nach O1. und die dort folgende
Beschuldigtenvernehmung.
261
Das Verhalten des Angeklagten von der Festnahme bis zum Abschluss der
Beschuldigtenvernehmung von seinem Schweigerecht umfasst, das er auf diese Weise
ausgeübt hat. Insoweit ist für das Schweigen eines Angeklagten anerkannt, dass daraus
keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen. Einem Schweigen steht
insoweit gleich, wenn ein Beschuldigter die Täterschaft allgemein bestreitet, oder auch
sich lediglich mit Mimik oder Gestik äußert (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 52. Auflage, §
261, Rdnr. 16).
262
(3)
263
Die Kammer hat weiterhin nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser
das Hemd, das er während der Aufstiegsfeier und der Tatbegehung getragen hat, später
frisch gewaschen aus einer Waschmaschine herausgeholt und der Polizei übergeben
hat.
264
Die Kammer konnte hierzu – wie bereits ausgeführt – nicht sicher feststellen, dass es
bei der Begehung der Tat zu einer Beschmutzung mit Blut gekommen ist. Selbst wenn
dies der Fall gewesen wäre, könnte die darin zu sehende mögliche Vereitelung von
Beweisanzeichen nicht zur Belastung des Angeklagten beitragen, weil auch insoweit
der Angeklagte nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und zur eigenen
Überführung tätig zu werden. Ein solches Verhalten darf ihm nicht als belastendes
Beweisanzeichen entgegengehalten werden (vgl. BGHSt 34, 39).
265
gg) Wäsche
266
Die Kammer hat sich mit der in einem anonymen Brief, der am 21.12.2009 bei der
Staatsanwaltschaft Arnsberg eingegangen ist, geäußerten Behauptung befasst, kurz
nach der Tat habe die Schwester des Angeklagten berichtet, ihre Mutter hätte im Garten
versteckte blutverschmutzte Bekleidungsstücke gefunden und diese sofort gewaschen.
Die Zeugin O. hat dazu bekundet, dass sie so etwas nicht berichtet hat und auch nicht
sagen könne, wer sich hinter dem Kürzel "A.SCH." als "Verfasser des Briefes" verbirgt.
267
Die Mutter des Angeklagten, die Zeugin C2. ist der in dem anonymen Brief aufgestellten
Behauptung ebenfalls entgegengetreten und hat bekundet, sie habe nichts Auffälliges
im Garten gefunden. Sie hat ergänzend angegeben, sie habe damals – wie auch noch
heute – sich stets allein um die Wäsche im Hause C. gekümmert. Der Angeklagte habe
auf der Aufstiegsfeier ein kurzärmeliges Hemd und einen hellen Pullover getragen.
Beide Kleidungsstücke habe sie gewaschen, wobei das Hemd nach Alkohol und
Erbrochenem gerochen habe. Blut habe sich an den Kleidungsstücken nicht befunden.
268
Die Kammer ist jedenfalls nicht sicher davon überzeugt, dass der Angeklagte ein etwa
blutverschmiertes Hemd selbst gewaschen hat, um es dann einige Tage nach der Tat
der Polizei gewaschen zu übergeben. Nach der Aussage der Zeugin C2. und auch nach
der Aussage des Zeugen Q. geht die Kammer eher davon aus, dass sich der damals
gerade 18 Jahre alt gewordene Angeklagte nicht selbst um die Wäsche seiner
Bekleidung gekümmert hat. Zum einen hat die Mutter, die Zeugin C2. angegeben, sie
habe die Wäsche stets selbst erledigt. Der Zeuge Q. hat glaubhaft bekundet, der
Angeklagte habe sich in seiner Jugendzeit um viele Dinge im persönlichen Bereich als
auch im familiären Bereich, wie Wäsche waschen, nicht gekümmert.
269
e)
270
Nach Überzeugung der Kammer scheiden andere Personen als mögliche Täter aus.
271
(1)
272
Der Zeuge T1. war neben dem Täter der Letzte, der die R. lebend angetroffen hat. Ein
Abgleich der von dem Zeugen entnommenen Speichelprobe (VP 35) hat ergeben, dass
er als Verursacher der an der Leiche bzw. in der Wohnung gefundenen DNA-Spuren
273
nicht in Betracht kommt. Anhaltspunkte für eine mögliche Täterschaft vermochte die
Kammer nicht zu erkennen.
(2)
274
Die Zeugen K1., K2., Y1. und N1. scheiden ebenso als mögliche Täter aus.
275
Der Zeuge K1. hat bekundet, er habe sich vor einigen Jahren selbst der Tat bezichtigt,
um "die Ermittlungen voranzutreiben". Dies sei im Zustand erheblicher Alkoholisierung
erfolgt. Tatsächlich, so hat der Zeuge K1. glaubhaft bekundet, habe er mit der Sache
überhaupt nichts zu tun. Er sei in der fraglichen Nacht überhaupt nicht in P. gewesen,
sondern auf der Diskofete in B. und dort in Begleitung seiner Ehefrau nachts nach
Hause gegangen und dort geblieben.
276
Der Zeuge K2. hat nach seinen Angaben an der Aufstiegsfeier teilgenommen und an
dem Morgen nach der Entdeckung der Tat die Lautsprecherdurchsagen der Polizei
vernommen, wodurch er die Tötung der R. erfahren habe. Im Jahr 2005 sei er psychisch
erkrankt (Burnout-Syndrom). Nach der Festnahme des Angeklagten habe er einen
Rückfall erlitten und sei stationär psychiatrisch behandelt worden. Er hat glaubhaft
bekundet, mit der Tat nichts zu tun zu haben.
277
Der Zeuge Y1. hat angegeben, er sei in der fraglichen Nacht mit einem Freund
unterwegs gewesen und gegen 3.15 Uhr zu Hause angekommen. An der Feier habe er
nicht teilgenommen. Mit der Tötung der R. habe er auch nichts zu tun. Entgegen der
Begründung in einem Beweisantrag der Verteidigung hat der Zeuge Y1. bei seiner
Vernehmung nicht bekundet, ein konkretes Interesse an der R. gehabt zu haben,
wenngleich er nicht auszuschließen vermochte, die R. irgendwann in der Vergangenheit
unter Alkoholeinfluss "mal angemacht" zu haben.
278
Der in der Straße W. Nr. xx wohnhafte Zeuge N1. hat erklärt, er habe die in unmittelbarer
Nachbarschaft wohnende R. gut gekannt, sei in der Nacht (bis ca. 5.00 Uhr) aber in O1.
gewesen und habe an der Aufstiegsfeier nicht teilgenommen. Der Zeuge N1. hat
glaubhaft bekundet, in dem fraglichen Zeitraum nicht in der Wohnung der R. gewesen
zu sein.
279
Aufgrund der Angaben des Zeugen L2. und der Sachverständigen G2. geht die Kammer
aber davon aus, dass die vorgenannten vier Personen (K1., K2., Y1., N1.) als
Verursacher der in der Wohnung R./S. bzw. an der Leiche vorgefundenen DNA-Spuren
nicht in Betracht kommen. Dies hat ein Abgleich der Mundschleimhautabtriebe aller vier
Personen und deren Abgleich mit den am Tatort vorgefundenen DNA-Spuren ergeben.
Insoweit folgt die Kammer den glaubhaften Aussagen der Zeugen, zur Tatzeit nicht in
der Nähe der Wohnung S./R. gewesen zu sein.
280
(3)
281
Der Zeuge W1. hat bekundet, er habe als Spieler der 2. Mannschaft an der
Aufstiegsfeier teilgenommen. Da er damals in B2. gewohnt habe, sei er von den Zeugen
Q1. mit dem PKW nach P. mitgenommen worden. Der Zeuge W1. hatte gut in
Erinnerung, dass er mit der Zeugin Q1. wieder von P. nach B2. mitgenommen worden
ist. Zuvor habe er versucht, an der B1 durch einen Verkehrsteilnehmer mitgenommen zu
werden. Als dies jedoch nicht klappte, sei er zurück zur E.-Halle gegangen und habe
282
dort die Zeugin Q1. getroffen, die das bestätigt hat.
Der Zeuge W1. war damit in der Nachtzeit zur ungefähren Tatzeit alleine von der E.-
Halle zur Y-Straße xx und zurück unterwegs. Er scheidet gleichwohl als Täter aus.
Einziger Anhaltspunkt für eine denkbare Täterschaft des Zeugen W1. ist eine Spur an
dem von der R. getragenen Pullover. Das Abkleben des Pullovers (Asservat 5) mit
Klebefolien hat auf der Rückenseite des Pullovers im mittleren Bereich (Spur 5.25)
biologisches Material erbracht, das nach Abgleich mit der Speichelprobe des Zeugen
W1. zu dem Ergebnis geführt hat, dass dieser als Mitverursacher dieser Spur nicht
auszuschließen ist. Nach den Angaben der Sachverständigen G2. zeigt nach
Häufigkeitsrechnungen auf Grundlage von Frequenztabellen für die europäische
Bevölkerung eine von 3,5 Millionen Personen zufällig Merkmale haben, die in diese
Mischung passen. Allerdings ist der Pullover nach Überzeugung der Kammer kein
tatrelevanter Gegenstand, anders als die graue Jogginghose und die gelbe Wolldecke.
Denn die Kammer geht davon aus, dass die R. den Pullover in der Wohnung recht
zeitnah ausgezogen hat. Zudem lässt sich die Spur auf dem Pullover zwanglos mit
einem Kontakt auf der Feier erklären. Denn R. und der Zeuge W1. haben, wie ein
während der Feier aufgenommene Foto belegt, nahe beieinander gestanden.
283
Nach den Ausführungen der Sachverständigen G2. ist der Zeuge W1. (VP 39) als
Verursacher bzw. Mitverursacher aller weiteren Tatortspuren auszuschließen.
284
Schließlich sprechen auch die zeitlichen Zusammenhänge gegen die Täterschaft des
Zeugen W1..
285
(4)
286
Der Zeuge S. scheidet als Täter aus. Er war nach eigenen Angaben und nach den damit
übereinstimmenden und glaubhaften Angaben der Zeugen D1. , L. und Q1. durchgängig
während der Feier in der E.-Halle anwesend, zeitweise auch eingeschlafen. Die Zeugen
D1. und Q1. haben den Zeugen S. noch nach Ende der Feier auf dem Heimweg
begleitet, der Zeuge Q1. sogar bis zur Wohnung N., wo beide einschliefen. Danach geht
die Kammer davon aus, dass der Zeuge S. in der Zeit von ca. 19.30 Uhr bis zum Abend
des Himmelfahrtstages gar nicht in der (eigenen) Wohnung und damit am Tatort war.
287
(5)
288
Der Zeuge L. kommt ebenfalls nicht als Täter in Betracht. Er war nach der Rückkehr aus
B. bis zum Heimweg gegen 6.00 Uhr auf der Feier in der E.-Halle, ohne diese verlassen
zu haben. Das hat der Zeuge glaubhaft bekundet. Während seiner damaligen
polizeilichen Vernehmungen hat der Zeuge L. schon insoweit stets inhaltlich
übereinstimmende Angaben gemacht.
289
Gegen eine Täterschaft spricht zudem, dass der Zeuge als Verursacher der in der
Wohnung R./S. bzw. an der Leiche vorgefundenen DNA-Spuren nicht in Betracht
kommt. Dies hat ein Abgleich des Mundschleimhautabtriebs und dessen Abgleich mit
den am Tatort vorgefundenen DNA-Spuren ergeben. Insoweit folgt die Kammer der
glaubhaften Aussage des Zeugen, zur Tatzeit nicht in der Wohnung S./R. gewesen zu
sein.
290
(6)
291
Weitere Personen kommen bei lebensnaher Würdigung aller Umstände ernsthaft nicht
als mögliche Täter in Betracht. Das gilt jedenfalls für diejenigen Personen, deren DNA-
Identifizierungsmuster auf freiwilliger Basis untersucht worden ist, ohne dass dies mit
den am Tatort aufgefundenen Spuren übereinstimmt.
292
f) Weitere Untersuchungen
293
Die Kammer hat weiter berücksichtigt, dass die Untersuchung der von der Leiche
genommenen Folienabzüge weder im Hinblick auf etwaige tatrelevant erscheinende
textile Mikrospuren noch im Hinblick auf mögliche DNA-Spuren Hinweise für oder
gegen eine Täterschaft des Angeklagten ergeben hat.
294
aa)
295
Der Sachverständige J2. hat die Folienabzüge auf tatrelevant erscheinende textile
Mikrospuren untersucht und glaubhaft bekundet, dass er zwei Faserspuren identifizieren
konnte, nämlich zum einen dunkelgrüne unmattierte Polyacrylfasern und hellgraue -
leicht rotstichige – Polyesterfasern mit rötlichen Schmelzköpfen, wobei die
Polyesterfasern nicht selten mit den Polyacrylfasern auftraten. Beide Fasersorten traten
nach den glaubhaften Bekundungen des Sachverständigen nicht massiv auf der Leiche
auf, sondern in punktueller relativer Anhäufung im Scham- und Gesäßbereich, ferner auf
der Rückseite der Leiche. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass sich für ihn
ein komplexes und verwirrendes Spurenbild ergeben hat, und nach dem
Leitspurenkonzept keine Leitspur herauskristallisiert werden konnte. Zur Begründung
dieses vom Sachverständigen als "verwirrend" bezeichnetes Spurenbild hat dieser
ausgeführt, dass die von der R. getragene Jogginghose sowohl innen als auch außen
massiv mit entsprechenden Fasern infiziert gewesen sei. Dagegen sei der von der R.
getragene Slip beinahe frei von Spuren der angegebenen Materialkonstitution gewesen,
was für den Sachverständigen J2. nicht ohne weiteres erklärbar war. Daraufhin hat der
Sachverständige weitere Bekleidungsgegenstände der R. untersucht, ohne dass er für
die dunkelgrünen Polyacrylfasern und die hellgrauen Polyesterfasern Spuren
verursachendes Kleidungsstück identifizieren konnte. Für den Sachverständigen war
die Frage nach der Tatrelevanz der beiden Faserspuren jedoch ausgesprochen
schwierig, zumal beide Faserarten nur vereinzelt und recht diffus in der Wohnung
festgestellt werden konnten, beispielsweise auf einem Pullover, der ordnungsgemäß
gefaltet im Kleiderschrank abgelegt war. Eine weitere Untersuchung ergab, dass die von
dem Sachverständigen festgestellten Fasern teilweise massiv auf einem in der
Wohnung vorhandenen Sessel auftraten, während ein gleichartiger, ebenfalls in der
Wohnung vorhandener Sessel, beinahe frei von Spuren der überprüften Sorte war.
Letztlich ist der Sachverständige aufgrund der Verteilung der zwei Fasersorten in der
Opferwohnung davon ausgegangen, dass der Spurenverursacher im engeren Umkreis
der R. zu suchen sei. Eine eindeutige Erklärung für das Vorhandensein der Spuren an
der Jogginghose konnte der Sachverständige jedoch nicht geben. Er hat lediglich die
Einschätzung geäußert, dass die Polyacryl- und Polyesterfasern offenbar einem
Spurenverursacher zuzuordnen sind, der einen engen Kontakt zum Lebensbereich der
R. hatte. Dazu gehörte der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer jedoch nicht.
296
Andererseits ergeben sich daraus keine Hinweise auf einen anderen möglichen Täter.
Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen sind die festgestellten
Faserspuren an der Bekleidung des Zeugen S. und in dessen Pkw vorgefunden
297
worden. Dieser scheidet als möglicher Täter nach Überzeugung der Kammer jedoch
aus.
bb)
298
Der Sachverständige P2. hat die an der Leiche der R. genommenen Mikrospurenfolien
aus den Bereichen Hals, Kopf, Unterarme, Oberarme, weiterer Genitalbereich,
Oberschenkel, Unterschenkel molekulargenetisch untersucht und mit dem DNA-Profil
des Angeklagten verglichen.
299
Der Sachverständige hat dazu zunächst eine mikroskopische Betrachtung der
Mikrospurenfolien vorgenommen und solche Folienteile gezielt ausgewählt, die keine
starken Blutanhaftungen ausweisen. Hierzu hat der Sachverständige dargelegt, dass
das an der Leiche vorhandene Blut stark DNA-dominant ist und Fremd-DNA in solchen
Bereichen nach seiner sachverständigen Erfahrung nicht nachzuweisen ist. Die nach
der mikroskopischen Betrachtung gezielt ausgewählten Teilbereiche der Klebefolien,
die der Sachverständige gezielt nach Hautschuppen ausgewählt hat, hat er das
Folienmaterial für eine DNA-Extraktion unter Verwendung des Lösemittels Xylol
bearbeitet und mittels Wattetupfer in ein Extraktionsgefäß überführt.
300
Bei der molekulargenetischen Untersuchung derjenigen Areale auf den Leichenfolien,
die möglichst keine Blutantragungen aufwiesen, wurde zumeist keine menschliche
Zellkern-DNA oberhalb der Nachweisgrenze entdeckt. Analog verlief die Darstellung
von DNA-Merkmalen in autosomalen STR-Systemen zumeist negativ. Die vereinzelt
dargestellten Allele konnten der R. zugeordnet werden. Die Darstellung von DNA-
Merkmalen in Y-chromosomalen STR-Systemen verlief durchgängig negativ.
301
Der Sachverständige hat dargelegt, dass sich überhaupt nur wenige Bereiche ohne Blut
befunden haben, bei denen gezielt nach Hautschuppen gesucht werden konnte.
Zusammenfassend hat er dazu ausgeführt, dass die von ihm untersuchten Bereiche der
Mikrospurenfolien keinen Hinweis auf das Vorhandensein männlicher Zellspuren
ergeben haben.
302
Nach den Ausführungen des Sachverständigen P2. ist eine Erkenntnis von der
Untersuchung der übrigen Teilbereiche der von ihm untersuchten Mikrospurenfolien
nicht zu gewinnen. Hierzu hat der Sachverständige auf die starke Dominanz von Blut-
DNA gegenüber Hautschuppen hingewiesen, durch die andere DNA-Quellen zerstört
bzw. degradiert werden.
303
g) Schuldfähigkeit
304
Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen auf den überzeugenden Ausführungen
des Sachverständigen E2., der den Angeklagten zweimal persönlich exploriert hat und
darüber hinaus Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung gewonnen hat.
305
Der Sachverständige E2. hat überzeugend ausgeführt, dass bei dem Angeklagten das
Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung im Sinne einer Psychose oder einer
schweren hirnorganischen Störung im Tatzeitraum ausgeschlossen werden kann. Auch
habe kein strafrechtlich relevanter Schwachsinn bestanden; der Angeklagte habe auch
nicht an einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne einer schweren
Persönlichkeitsstörung oder einer schweren neurotischen Entwicklung gelitten. Da auch
306
jetzt eine schwere Persönlichkeitsstörung nicht festzustellen sei, können im Tatzeitraum
auch nicht die Ansätze dafür vorgelegen haben. Diesen überzeugenden Ausführungen
schließt sich die Kammer nach den Erkenntnissen der Hauptverhandlung an. Insoweit
bestätigen sich die glaubhaften und überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen E2..
Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte infolge einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung aufgrund des konsumierten Alkohols in seiner Einsichts- bzw.
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Der Angeklagte hat im Laufe des
gesamten Abends sowohl bei der Aufstiegsfeier als auch während der Disco-Fete in B.
kontinuierlich Alkohol in Form von Bier konsumiert. Hierzu hat der Sachverständige E2.
anhand der Angaben des den Angeklagten stets begleitenden Zeugen L.. eine
Blutalkoholkonzentration von etwas über 2 Promille für möglich gehalten, als der
Angeklagte und der Zeuge L. abends zur Disco-Fete nach B. gegangen sind.
Möglicherweise ist der beim Angeklagten vorhandene Alkoholpegel in dieser Zeit leicht
abgefallen. Jedenfalls ist keiner der Besucher der Disco-Fete in B. total betrunken im
Sinne eines Vollrausches zur Aufstiegsfeier zurückgekehrt. Vielmehr hat der von der
Kammer vernommenen Zeuge B1., der als Fahrer nicht viel getrunken hat, keine
Auffälligkeiten im Sinne einer übermäßigen Alkoholisierung geschildert. Angesichts des
dann noch auf der Aufstiegsfeier konsumierten Alkohols ist nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen E2., denen die Kammer nach eigener
Sachprüfung folgt, für den Angeklagten nicht auszuschließen, dass er aufgrund der
alkoholischen Beeinträchtigung das Hemmungsvermögen im Hinblick auf die Tat
deutlich herabgesetzt gewesen wäre.
307
Hinreichende Anhaltspunkte für eine zur Tatzeit vorliegende tiefgreifende
Bewusstseinsstörung sind nach den überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen E2. nicht anzunehmen. Hierzu bedarf es nach den Ausführungen des
Sachverständigen im Hinblick auf eine hochgradige Erregung einer umfassenden
Analyse der Tatvorgeschichte, der Persönlichkeit des Opfers und solcher Faktoren der
Persönlichkeit, die die Entstehung einer hochgradigen Erregung ermöglichen. Der
Sachverständige hat anhand der von Sass aufgestellten Merkmale eine diesbezügliche
Überprüfung vorzunehmen versucht. Eine Vielzahl der von Sass aufgestellten Kriterien
waren allerdings nicht beurteilbar, weil der Angeklagte von seinem Schweigerecht
Gebrauch gemacht hat und keine unmittelbaren Zeugen vorhanden waren. In diesem
Zusammenhang hat der Sachverständige E2. ausgeführt, die Tat wirke
persönlichkeitsfremd, weil der Angeklagte bisher nie durch Gewaltanwendung auch
nicht unter Alkoholeinfluss, aufgefallen ist. Hierbei handelt es sich allerdings um ein
schwaches Kriterium, weil auch nach den Erfahrungen der Kammer aus einer Vielzahl
von Strafverfahren die erste einer solchen Tat stets persönlichkeitsfremd wirkt. Als
ausgesprochen ungewöhnlich erscheint es weiter, dass der Angeklagte nach der Tat
wieder auf der Feier erschienen ist und emotional beherrscht aufgetreten ist. Insoweit
geht die Kammer mit dem Sachverständigen E2. davon aus, dass ein etwaig
vorhandener affektiver Erregungszustand kein ungewöhnliches Ausmaß angenommen
hat.
308
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen E2. ist die Kammer davon überzeugt,
dass es sicher auszuschließen ist, dass das Hemmungsvermögen des Angeklagten bei
Tatbegehung völlig aufgehoben war, es angesichts der gesamten Umstände aber
zumindest nicht auszuschließen ist, dass sich bei dem alkoholisierten Angeklagten ein
hochgradiger Erregungszustand entwickelt hat, der sein Hemmungsvermögen erheblich
309
beeinträchtigt hat.
h) Gesamtwürdigung
310
Bei Würdigung aller vorgenannten Umstände und unter Berücksichtigung der be- und
entlastenden Umstände ist die Kammer mit einem nach der Lebenserfahrung
ausreichendem Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht
aufkommen, von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt.
311
Der Angeklagte ist zwar nach dem Eindruck, den die Kammer von ihm über die Vielzahl
von Verhandlungstagen und aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme von ihm
gewonnen hat, schon damals wie auch heute ein Mensch, dem von seiner
Persönlichkeit her eine solche Tat eher fremd zu sein scheint. Er ist weder vor der Tat
noch danach durch aggressives oder affektiv gesteuertes Verhalten aufgefallen.
Allerdings ist das kein zwingend entlastender Umstand. Denn solche Taten können bei
einem Menschen einmalig sein und bleiben, ohne dass es in der Persönlichkeit im
Vorfeld oder im Nachhinein irgendwelche Anhaltspunkte für die Begehung einer
solchen Tat gibt.
312
Ein für die Überzeugungsbildung erhebliches Beweisanzeichen sind die in der
Wohnung S. / R., also am Tatort, vorgefundenen DNA-Spuren, und zwar mit
unterschiedlichem Beweiswert die einzelnen Spuren einerseits und die Kombination
aller Spuren andererseits. Während die Spur 16.38 mit hoher Wahrscheinlichkeit von
dem Angeklagten stammt, kommt dieser mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit
zugleich als Mitverursacher der Spuren 16.15 und 1.38 in Betracht. Schließlich kommt
der Angeklagte als Mitverursacher der an der Leiche vorhandenen DNA-Spur 22.1b in
Betracht; die Untersuchung der Y-chromosomalen Systeme ergab ein
übereinstimmendes Merkmalsmuster. Die einzelnen Spuren sind an zwei
tatortrelevanten Gegenständen, nämlich der gelben Wolldecke und der grauen
Jogginghose, und an der Leiche selbst ermittelt worden. Diese Häufung und
Kombination erhöht maßgeblich den Beweiswert der einzelnen Spuren. Dabei hat die
Kammer berücksichtigt, dass eine andere Herkunft der Spuren als eine Spurenlegung
bei der Tatbegehung nach Überzeugung der Kammer ausgeschlossen ist. Ein
Sekundär- oder Tertiärtransfer von DNA-Spuren kommt nicht in Betracht.
313
Der Angeklagte kann die vorgefundenen DNA-Spuren nicht in berechtigter Weise in der
Wohnung gelegt haben, da er zuvor nie in der Wohnung bzw. am Tatort war.
Hinsichtlich der Spuren an der Leiche geht die Kammer davon aus, dass diese nur bei
der Tat übertragen worden sind. Denn R. hat sich mit ihren Händen gewehrt; ihre Leiche
wies ausschließlich die vorgefundene Fremd-DNA-Spur auf. Eine vernünftige Erklärung
für das Vorhandensein der einzelnen Spuren und die Kombination der Spuren als die
Täterschaft vermag die Kammer insgesamt nicht zu erkennen, zumal viele andere
Personen als denkbare Täter ausscheiden.
314
Dabei hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in
Tatortnähe aufgehalten hat und die Aufstiegsfeier in der E.-Halle für einen solchen
Zeitraum verlassen hat, der für die Tatbegehung ausreichend ist. Das auffällige
Verhalten des Angeklagten am Abend des Himmelfahrtstages ist in Zusammenhang mit
den anderen Indizien entscheidungserheblich und trägt zur Annahme der Täterschaft
bei.
315
Der Umstand, dass die Untersuchung der Leichenfolien und der Faserspuren keine
Anhaltspunkte für eine Täterschaft der Angeklagten ergeben haben, trägt
demgegenüber nicht zur Entlastung des Angeklagten bei, weil daraus keine
zwingenden Rückschlüsse auf eine Unschuld des Angeklagten gezogen werden
können.
316
IV.
317
Der Angeklagte hat die R. vorsätzlich getötet, um eine andere Straftat, nämlich eine
versuchte Vergewaltigung und eine gefährliche Körperverletzung, zu verdecken, § 211
StGB.
318
Der Angeklagte hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer versuchten
Vergewaltigung gem. §§ 177, 22, 23 StGB in der Fassung vom 10.03.1987, § 1 Abs. 2
StGB, rechtswidrig verwirklicht. Er hat nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar
dazu angesetzt, die R. mit Gewalt zum außerehelichen Beischlaf mit ihm zu nötigen.
Davon geht die Kammer nach Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände
aus.
319
Der Angeklagte hat die allein in der Wohnung aufhältige R. ohne einen anderen
ersichtlichen Grund, als seine sexuelle Motivation, zur Nachtzeit aufgesucht und sie
unmittelbar in das Schlafzimmer gedrängt. Die R. war nicht einverstanden, mit dem
Angeklagten Geschlechtsverkehr durchzuführen. Als diese sich gewehrt hat, hat der
Angeklagte sie geschlagen, um sie gefügig zu machen. Zudem hat der Angeklagte der
R. die graue Jogginghose heruntergezogen, so dass die R. letztlich nahezu nackt im
Schlafzimmer und später auf dem Bett lag. Dabei handelt es sich nicht um bloße
Vorbereitungshandlungen, sondern der Angeklagte hat unmittelbar zur Vergewaltigung
angesetzt, da eine solche nach dem Tatplan ohne weitere Zwischenakte erfolgen sollte.
Dagegen konnte die Kammer nicht feststellen, dass es zur Vollendung einer
Vergewaltigung gekommen ist.
320
Der Angeklagte hat darüber hinaus rechtswidrig die tatbestandlichen Voraussetzungen
einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 223 a StGB i.d.F.v. 10.03.1987, § 1
Abs. 2 StGB, erfüllt. Der Angeklagte hat die R. körperlich misshandelt und an der
Gesundheit geschädigt, indem er sie geschlagen und gewürgt hat. Das Würgen mit
beiden Händen am Hals der R. stellt zugleich eine das Leben gefährdende Behandlung
im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 223 a StGB in der Fassung vom
10.03.1987 dar. Zwar reicht dafür nicht schon jeder Griff an den Hals, auch wenn er zu
würgemal- ähnlichen Druckmerkmalen und Hautunterblutungen führt (vgl. Fischer,
StGB, 57. Auflage, § 224, Rdnr. 12 c), der Angeklagte hat die R. aber mindestens 20-30
Sekunden, vermutlich aber einige Minuten bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Eine
solche Behandlung ist nach den Umständen des Einzelfalles generell geeignet, das
Leben konkret zu gefährden.
321
Der Angeklagte hat die R. vorsätzlich getötet, indem er 74-mal mit dem Messer auf sie
eingestochen hat, und zwar in erster Linie in den Hals und den Brust-und Bauchbereich.
Der Angeklagte wusste, dass er mit wuchtigen Stichen in die Hals- oder die Herzregion
den Tod der R. schnell herbeiführen würde. Die ersten von insgesamt 14 Einstichen ins
Herz führten schnell zu einem funktionellen Herzstillstand und zum Tod der R.. Der
Angeklagte handelte mit direktem Tötungsvorsatz.
322
Der Angeklagte hat die R. vorsätzlich getötet, um eine andere Straftat zu verdecken.
Nach herrschender Rechtsprechung handelt in Verdeckungsabsicht, wer als Täter ein
Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorausgegangene Straftat als solche oder auch
Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame
Tatumstände geben könnten, und die Straftat noch nicht aufgedeckt ist (vgl. BGHSt 50,
11; Fischer, StGB 57. Auflage, § 211, Rdnr. 68).
323
Bei der versuchten Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung handelt es
sich um eine "andere Straftat", nämlich eine solche des Angeklagten, die sich objektiv
und subjektiv als ein Verbrechen bzw. Vergehen darstellt. Dabei ist es ohne Bedeutung,
ob diese Straftat überhaupt angeklagt ist oder überhaupt verfolgbar ist (vgl. BGH, NStZ-
RR 2004, 333.) Ebenso wenig muss die Vortat zu einer Verurteilung führen. Die Tötung
und die andere Straftat müssen auch nicht im Verhältnis der Tatmehrheit zu einander
stehen. Vielmehr kann die Tötungshandlung sich unmittelbar an die zu verdeckende
Straftat anschließen. Der BGH hat – in Abkehr von der vorherigen Rechtsprechung
(BGHSt 27, 346) - im Jahre 1987 entschieden, dass ein Verdeckungsmord nicht schon
dann ausscheidet, wenn Vortat und Tötung in der Angriffsrichtung übereinstimmen,
beide Taten einer unvorhergesehenen Augenblickssituation entspringen und
unmittelbar ineinander übergehen.
324
Der Annahme von Verdeckungsmord steht weiter nicht entgegen, dass sich die zu
verdeckende Straftat bereits gegen Leib und Leben des Opfers richtete. Die
Verdeckungsabsicht fehlt allerdings dann, wenn der Täter von vornherein mit
durchgehendem Tötungsvorsatz handelt und mit der abschließenden Tötungshandlung
lediglich eine bereits begonnene Tötung vollenden will (vgl. BGH, Urteil 2 StR 619/91
vom 06.03.1992; BGH, NStZ 2002, 253). Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass
der durchgängig mit Tötungsvorsatz handelnde Täter lediglich die Straftat verdeckt, die
er gerade begeht, aber nicht eine andere Straftat (vgl. BGH NStZ 2002, 253)
325
Nach den getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte nicht von Anfang an mit
Tötungsvorsatz. Er hat die R. in der Absicht aufgesucht, mit ihr gegen ihren Willen
sexuell zu verkehren. Einzige unmittelbare Tatzeugin dieser Straftat war die R., die der
Angeklagte als Beweismittel vor dem Hintergrund der drohenden Strafverfolgung aus
dem Weg räumen wollte; das gleiche gilt für die im Vergleich zur versuchten
Vergewaltigung "minder schwere" gefährliche Körperverletzung. Zwischen der
versuchten Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung einerseits und im
danach gefassten direkten Tötungsvorsatz und der darauf basierenden
Tötungshandlung andererseits liegt auch eine zeitliche Zäsur. Denn die Kammer hat
festgestellt, dass der Angeklagte kein Messer mit sich geführt hat, als er die Wohnung
betreten hat, sondern sich ein solches aus der Küche der Wohnung S./R. geholt hat. Zu
diesem Zeitpunkt ging der Angeklagte davon aus, dass die R. zwar bewusstlos war,
aber zweifellos lebte. Nach der vorangegangen Tat ist es mit – zwar kurzer – zeitlicher
Zäsur zur Tötungshandlung gekommen, um das vorausgegangenen Geschehen zu
verdecken.
326
Die Kammer vermochte das Mordmerkmal "grausam" in objektiver Hinsicht nicht
festzustellen.
327
Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung, Schmerzen
oder Qualen körperlicher oder seelsicher Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über
das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen (ständige Rechtsprechung, vgl.
328
Fischer, StGB, 57. Auflage, § 211, Rdnr. 56; BGH, NStZ-RR 2006, 236). Die
Grausamkeit muss nicht notwendig in der eigentlichen in Ausführungshandlung im
engeren Sinne und den durch diese verursachten Leiden liegen; sie kann sich aus den
Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Das
grausame Verhalten muss vor Abschluss der den tödlichen Erfolg führenden Handlung
austreten und vom Tötungsvorsatz erfasst sein (vgl. ständige Rechtsprechung a.a.O.).
Nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen war die R. bewusstlos, als der
Angeklagte begonnen hat, mit dem Messer auf sie einzustechen. Wegen des Eintritts
der Bewusstlosigkeit hat die R. deshalb besondere Schmerzen oder Qualen nicht
(mehr) empfinden können, so dass das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht
anzunehmen ist (vgl. Fischer, StGB, 57. Auflage, § 211, Rdnr. 57 unter Hinweis BGH
NStZ 01, 647; BGH NJW 86,2666)
329
Andere Mordmerkmale sind aus Sicht der Kammer nicht ersichtlich.
330
Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Für das Vorliegen etwaiger
Rechtfertigungsgründe besteht nicht der geringste Anhaltspunkt. Nach den getroffenen
Feststellungen war die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit lediglich erheblich
eingeschränkt, aber nicht aufgehoben.
331
Eine Ahndung der angeklagten Tat als versuchte Vergewaltigung scheidet wegen
zwischenzeitlich eingetretener Verfolgungsverjährung aus. Die Verjährungsfrist von 20
Jahren gemäß §§ 78 Abs. 3 Nr. 2, 177 Abs. 1 StGB i.d.F. vom 10.03.1987, §§ 4, 105
Abs. 1 JGG ist abgelaufen. Das Ermittlungsverfahren ist bis zur Vernehmung des
Beschuldigten nach seiner Festnahme im Jahr 2009 "gegen Unbekannt" geführt
worden. Daran ändert die Vernehmung am 29.05.1987 nichts. Die in der Zwischenzeit
erfolgten Untersuchungshandlungen waren nicht geeignet, die Verjährung zu
unterbrechen, weil sie sich nicht gegen den Beschuldigten als bestimmte Person
richteten, sondern der Ermittlung des noch unbekannten Täters dienten (vgl. BGHSt 42,
283, 24, 321 m.w.N.).
332
V.
333
Der Angeklagte war zur Tatzeit 18 Jahre und 1 Monat alt, also Heranwachsender im
Sinne von § 1 Abs. 2 JGG. Gem. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG hat die Kammer
Jugendstrafrecht angewendet, da die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des
Angeklagten bei Berücksichtigung auch seiner Umweltbedingungen ergibt, dass er zur
Tatzeit nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen
gleichstand.
334
In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen E2. und des
Vertreters der Jugendgerichtshilfe ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die
Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen. Zunächst hatte der Angeklagte die
maßgebliche Altersgrenze von 18 Jahren erst 5 Wochen vor der Tat überschritten. Aber
auch unabhängig davon zeigt die psycho-soziale Entwicklung des Angeklagten, dass
dieser noch jugendtypische Umstände aufweist. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit keine
klaren beruflichen Ziele, nachdem er die Schulausbildung ohne Abschluss beendet
hatte. Er übte eine entgeltliche Tätigkeit aus, "um zu leben", ohne die Perspektive einer
konkreten beruflichen Ausbildung. Konkrete Ziele, auf die der Angeklagte hingearbeitet
hätte, waren ebenso wenig ersichtlich wie eine besondere Lebensperspektive.
335
Lebensinhalt des Angeklagten war offenbar allein das Fußballspielen, ohne dass er
sich trotz seines fußballerischen Talents über die örtlichen Fußballvereine hinaus
fußballerisch weiter entwickelt hätte. Nach den Angaben seiner Familienangehörigen
verhielt sich der Angeklagte eher angepasst und unauffällig, ohne Verantwortung zu
übernehmen. Im familiären Bereich hat er sich nach Aussage des Zeugen Q. aus
Bequemlichkeit bei der Übernahme von alltäglichen Tätigkeiten zurückhaltend gezeigt,
so eher unselbständig im elterlichen Haushalt gelebt und erst im Alter von 23 Jahren
dort ausgezogen. Der unreflektierte Abbruch der Berufsausbildung, der schon
schulische Unlust vorausging, und das einseitige Freizeitinteresse runden das Bild von
einer Person ab, die nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem
Jugendlichen gleichstand.
Die Straftat des Angeklagten ist mit einer Jugendstrafe zu ahnden.
336
Nach § 17 Abs. 2 JGG wird Jugendstrafe verhängt, wenn wegen der schädlichen
Neigungen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel
zur Erziehung nicht ausreichen.
337
Schädliche Neigungen sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne
längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Die
Verhängung von Jugendstrafe setzt eine negative Kriminalprognose im Sinne einer
persönlichkeitsspezifischen Rückfallgefahr voraus (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom
17.09.2007 – 2 Ss 380/07, ZJJ 2008, 78). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen
kann die Kammer jedoch nicht feststellen, da nach herrschender Auffassung in der
Rechtsprechung die schädlichen Neigungen noch zum Entscheidungszeitpunkt in
einem Umfang vorhanden sein müssen, dass eine Jugendstrafe zur erforderlichen
erzieherischen Einwirkung verhängt werden muss. Angesichts des Umstandes, dass die
Tat im Zeitpunkt der Urteilsverkündung 23 Jahre zurückliegt, und der Angeklagte weder
vor der Tat noch nach der Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, mangelt es an
der Erforderlichkeit der Verhängung von Jugendstrafe wegen etwaiger schädlicher
Neigungen.
338
Nach Überzeugung der Kammer ist gem. § 17 Abs. 2 Alt. 2. JGG die Verhängung von
Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld erforderlich.
339
Schwere der Schuld bemisst sich aus dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit
des Angeklagten begründeten Beziehung zu seiner Tat. Dabei kommt dem äußeren
Unrechtsgehalt der Tat gegenüber der charakterlichen Haltung und der Persönlichkeit
des Angeklagten zwar keine selbständige Bedeutung zu. Es darf aber die Bewertung
des Tatunrechts, die in den gesetzlichen Strafdrohungen ihren Ausdruck findet, nicht
unberücksichtigt bleiben. So kommt Schwere der Schuld vor allem bei
Kapitalverbrechen und anderen besonders schweren Taten in Betracht. Das äußere
Tatgeschehen ist nur insoweit zu beachten, als es Schlüsse auf das Maß der
persönlichen Schuld und die charakterliche Haltung des Angeklagten zulässt. Überdies
muss eine Jugendstrafe aus erzieherischen Gründen erforderlich sein. Mit der
Erforderlichkeit sind die verwirklichte Schuld und der Erziehungsgedanke miteinander
abwägen. Mit zunehmendem Alter des Täters kommt dem Schuldgedanken größeres
Gewicht zu (vgl. OLG Hamm, NStZ RR 2005, 245; BGH NStZ-RR 1996, 120; BGH StV
2009, 93 BGH NStZ-RR 96, 120).
340
Beherrschender Strafzweck des Jugendstrafrechts ist der Erziehungsgedanke. Er ist
341
auch dann vorrangig zu berücksichtigen, wenn eine Jugendstrafe wegen der Schwere
der Schuld verhängt wird (vgl. BGH NStZ-RR 96, 120, BGH StV 2009, 93).
Der Angeklagte hat einen Mord begangen. In der Tatbegehung ist eine geringe
Hemmschwelle zur Tötung eines Menschen zum Ausdruck gekommen, da es eine
längere bzw. intensivere Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer nicht
gegeben hat, und sich die Tat in einem engen zeitlichen Ablauf ereignet hat. Der
Angeklagte hat nach der vorangegangenen versuchten Vergewaltigung recht spontan
und kurzfristig einen Entschluss zur Tötung der R. gefasst und die Hemmschwelle zur
Tötung eines Menschen schnell überschritten. Zudem ist der Angeklagte
ausgesprochen brutal vorgegangen. Er hat mit der Anzahl von 74 Messerstichen einen
unbedingten Tötungswillen zum Ausdruck gebracht und mit der Anzahl das erforderliche
Maß deutlich überschritten. Auch darin zeigt sich ein mangelnder Respekt vor dem Wert
menschlichen Lebens. In der Tat ist ferner eine Dynamik zum Ausdruck gekommen, die
eine immense Gewaltbereitschaft verdeutlicht. Eine Gesamtwürdigung dieser Umstände
legt schon das Bestehen deutlicher Erziehungsdefizite nahe. Dabei verkennt die
Kammer nicht, dass der Angeklagte vor der Tat und nach der Tat einen tadellosen
Lebenswandel gezeigt hat. Offensichtlich hat der Angeklagte bei dem Tatgeschehen
eine Dynamik entwickelt, die zu einer Eskalation und letztlich zur Tötung der R. geführt
hat.
342
Das Persönlichkeitsbild des Angeklagten und seine, bei der Tat zum Ausdruck
gekommene Einstellung, legen daher strenge Rechtsfolgen nahe, um die erforderliche
erzieherische Einwirkung zu erzielen.
343
Neben der Erziehungswirksamkeit ist allerdings auch das Erfordernis eines gerechten
Schuldausgleichs zu beachten (BGH NStZ-RR 96, 120). Bei dem vom Angeklagten
begangenen Mord handelt es sich um eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen
Rechtsordnung, die maßgeblich das menschliche Leben schützt. Es handelt sich um ein
schweres Kapitalverbrechen, bei dem die Gedanken der Sühne und des
Schuldausgleichs aus Sicht der Kammer nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Insoweit
ist nämlich zu beachten, dass von einer dem verwirklichlichten Unrecht
unangemessenen milden Reaktion bestärkende Wirkungen auf jugendliche Täter
ausgehen können (vgl. StV 2009, 93; BGH NStZ – RR 96, 120). Nach
Gesamtwürdigung der vorbeschriebenen Umstände bejaht die Kammer die Schwere der
Schuld gem. § 17 Abs. 2 JGG.
344
Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 JGG beträgt das Mindestmaß der Jugendstrafe 6 Monate; das
Höchstmaß der Jugendstrafe beträgt gem. § 18 Abs. 1 S. 2 10 Jahre, da es sich bei der
Tat um ein Verbrechen handelt, für das nach dem allgemeinen Strafrecht (§ 211 StGB)
eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafen angedroht ist. Das
Höchstmaß der Jugendstrafe für den zur Tatzeit Heranwachsenden ergibt sich ferner
aus § 105 Abs. 3 JGG.
345
Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Jugendstrafe so zu bemessen, dass die erforderliche
erzieherische Einwirkung möglich ist. Obwohl die Strafrahmen aus dem
Erwachsenenrecht nicht gelten (vgl. § 18 Abs. 1 S. 3 JGG), sind die dort erfolgten
Wertungen des Gesetzgebers inhaltlich zu berücksichtigen (vgl. Fischer, StGB, 57.
Auflage, § 46, Rnr.18; Ostendorff JGG, 8. Auflage § 18 Rdnr. 4). Unter Berücksichtigung
der gesetzgeberischen Vorgabe, dass der das Strafmaß mitbestimmende
Erziehungsgedanke als beherrschender Zweck des Jugendstrafrechts auch dann
346
Vorrang bei der Strafbemessung hat, wenn die Jugendstrafe wegen der Schwere der
Schuld verhängt wird, und dass bei der Bemessung der Jugendstrafe das
Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB nicht anwendbar ist (BGH NStZ–RR
2009, 155), hat sich die Kammer bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe von
den nachfolgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
Der Angeklagte befand sich bei Begehung der Tat aufgrund des zuvor konsumierten
Alkohols in einem alkoholbedingt enthemmten Zustand, der die Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert hat. In Anbetracht seiner sexuellen Motivation
geht die Kammer zudem davon aus, dass der Angeklagte nicht nur enthemmt, sondern
auch gleichzeitig in dieser Konfliktlage überfordert war, als die 7 Jahre ältere R. sich
seinem sexuellen Ansinnen vehement entgegengesetzt hat. Weiterhin hat die Kammer
berücksichtigt, dass angesichts des Zeitabstandes zwischen Tat und Verurteilung dem
Erziehungsgedanken bei der Strafzumessung ein immer geringeres Gewicht zukommt
(vgl. BGH, NStZ 2006, 587). Der Angeklagte war zur Tatzeit nicht vorbestraft und hat
auch nach der Tatbegehung keine Straftaten mehr begangen. Zudem hat er über ein
Jahr in Untersuchungshaft verbracht. Angesichts seiner sozialen Bindungen ist er als
besonders haftempfindlich anzusehen. Bis zu seiner Inhaftierung hat der Angeklagte ein
tadelloses Leben geführt; er lebte in stabilen sozialen Verhältnissen und war
vollkommen integriert, ging einer geregelten Beschäftigung nach und führte ein in jeder
Hinsicht beanstandungsfreies Leben. Die Kammer hat weiter die Dauer der
Hauptverhandlung von über 10 Monaten berücksichtigt, die für den Angeklagten und für
seine Familie eine hohe Belastung dargestellt haben.
347
Demgegenüber sind in der Tatbegehung außerordentliche Erziehungsdefizite zum
Ausdruck gekommen, die sich in der besonderen Brutalität und der geringen
Hemmschwelle zeigen.
348
Letztlich geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte die Jugendstrafe im
Erwachsenenvollzug verbüßen wird, § 91 Abs. 1 S. 2 JGG, und dem
Erziehungsgedanken eine geringe Bedeutung beigemessen werden kann.
349
Unter Berücksichtigung aller Umstände, vorrangig dem Erziehungsgedanken aber
namentlich dem Erfordernis eines gerechten Schuldausgleichs und der gerechten
Sühne hält die Kammer eine
350
Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten
351
für erforderlich und angemessen.
352
Nach Auffassung der Kammer können die im Erwachsenenstrafrecht geltenden
Grundsätze für eine Kompensation einer den Justizbehörden zuzurechnenden
Verfahrensverzögerung auch insoweit auf das Jugendstrafrecht übertragen werden,
dass bei einer Jugendstrafsache die Jugendstrafe dadurch kompensiert wird, dass ein
(geringer) Teil der verhängten Jugendstrafe als vollstreckt anzuordnen ist (vgl. BGH StV
2009, 93).
353
Die Kammer ist aber der Auffassung, dass eine rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung nicht vorliegt. Seit Wiederaufnahme der Ermittlungen im Jahre
2008 ist das gesamte Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft mit der gebotenen
Beschleunigung durchgeführt worden, seit Abgabe der Speichelprobe durch den
354
Angeklagten ist es zeitnah zur Einholung eines Sachverständigengutachtens
gekommen, dessen Ergebnisse einen dringenden Tatverdacht haben, der letztendlich
zur Beschuldigtenvernehmung und Inhaftierung des Angeklagten geführt hat. Die bereits
im Jahre 1987 erfolgte Beschuldigtenvernehmung ist insoweit nicht maßgeblich, da
aufgrund des enormen Zeitablaufes keine Rechtswirkungen darauf zurückzuführen sind.
Die Anklageschrift ist seitens der Staatsanwaltschaft am 09.04.2009 gefertigt worden
und hat innerhalb der Frist des § 121 StPO zur Hauptverhandlung geführt. Bei diesem
zeitlichen Ablauf vermag die Kammer keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
erkennen.
Die Kammer hat von einer Anordnung gem. § 52 a JGG abgesehen, so dass die
Untersuchungshaft, die der Angeklagte erlitten hat, auf die Jugendstrafe anzurechnen
ist.
355
Ein Absehen von Jugendstrafe gem. § 5 Abs. 3 JGG, das bei Anordnung von Maßregeln
der Besserung und Sicherung in Betracht kommen kann, kam nicht in Betracht, da die
Voraussetzungen zur Anordnung solcher Maßregeln nicht vorlagen.
356
VI.
357
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 StPO.
358
Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten hat die Kammer von der
Möglichkeit eines Absehens von der Auferlegung der Kosten gemäß §§ 74, 109 Abs. 2
JGG keinen Gebrauch gemacht.
359