Urteil des LG Aachen vom 31.08.2000

LG Aachen: vorsorgliche anordnung, auskunft, werk, genehmigung, staub, behörde, anhörung, kausalität, störfall, umwelteinwirkung

Landgericht Aachen, 6 S 68/97
Datum:
31.08.2000
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 S 68/97
Vorinstanz:
Amtsgericht Eschweiler, 6 C 92/94
Schlagworte:
Betriebspflichten, Anlagenbetreiber, Schlackebehandlungsplatz
Normen:
UmweltHG § 1 und § 6 Abs. 1 und § 6 Abs. 4
Leitsätze:
I.
Im Regelfall gehen von einem Schlackebehandlungsplatz und Wall
keine Stäube aus, so dass diesen Anlagen grundsätzlich die Eignung im
Sinne des § 6 Abs. 1 UmweltHG fehlt.
II.
Sind besondere Kontrollen vorgeschrieben, wird gemäß § 6 As. 4 Nr. 1
UmweltHG die Einhaltung der entsprechenden Betriebspflichten
vermutet, wenn die Kontrollen in dem Zeitraum durchgeführt wurden, in
dem die in Frage stehende Umwelteinwirkung von der Anlage
ausgegangen sein kann und diese Kontrollen keinen Anhalt für die
Verletzung der Betriebspflichten ergeben haben. Zu beachten ist dabei,
dass im Rahmen des Zivilprozesses nicht geprüft wird, ob die Kontrollen
ihrerseits zur Überwachung der Betriebspflichten geeignet sind.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14.02.1997 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Eschweiler 6 C 92/94 wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Amtsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
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Allerdings scheitert die Klage nicht bereits aus dem Grund, dass eventuelle
Schadensersatzansprüche nach § 852 BGB verjährt wären. Entscheidend ist insoweit,
ab wann die Klägerin Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen hatte, ab welchem
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Zeitpunkt es also der Klägerin aufgrund der ihr bekannten Tatsachen zuzumuten war,
Klage zu erheben, die bei verständiger Würdigung der vorgetragenen Tatsachen
Erfolgsaussicht hatte (vgl. nur Palandt-Thomas, 59. Aufl., § 852 BGB, Rn. 4; Staudinger-
Schäfer , 12. Aufl., § 852 BGB, Rn. 6). Eine hinreichende Kenntnis hat die Klägerin nach
Auffassung der Kammer noch nicht durch das Gutachten des ... vom September 1990
erlangen können. Dies folgt zum einen daraus, dass das Gutachten des ... darlegt, mit
einer gewissen Einschränkung (die nur für das Titan gelten dürfte) seien alle Elemente
aus Spalte II – also auch das Element Eisen - als ubiquitär, also überall verbreitet,
anzusehen. Ein Bezug zum Werk der Beklagten wird hierbei gerade nicht hergestellt.
Zum anderen wird in dem Gutachten auch für die Elemente der Tabelle III (also auch für
das Element Chrom), die "u.U. als Emission bei der Handhabung von Metallen
austreten" eine Einschränkung dahingehend gemacht, dass keine Aussage dazu
möglich sei, inwieweit dieser Umstand für das Gebiet Eschweiler generell zutreffe. Aus
dem im September 1990 erstellten Gutachten des ... ergab sich für die Klägerin daher
kaum mehr als die – bis dahin ohnehin bestehende – Vermutung, das Werk der
Beklagten könne der Verursacher sein. Eine ausreichende Tatsachengrundlage besaß
die Klägerin vielmehr erst im Anschluss an die von der Beklagten erteilte Auskunft und
die Auswertung der Unterlagen durch den Sachverständigen ... am 24.07.1992. Hier
wird ein ursächlicher Zusammenhang "als wahrscheinlich" hingestellt. Zwar ließe sich
der maßgebliche Zeitpunkt vom Juli 1992 noch um einige Monate vorverlegen, da die
Klägerin nach Erhalt des ...Gutachtens im September 1990 noch bis zum Juli 1991
zugewartet hat, bis sie die Beklagte unter Fristsetzung zur Anerkennung der
Ersatzpflicht aufgefordert und sodann im Juni 1991 Auskunftsklage erhoben hat. Doch
selbst wenn man die Kenntniserlangung damit um ca. neun Monate auf Ende 1991
vorverlagern wollte, wäre die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB, die gemäß §
17 UmweltHG auch für die Ansprüche aus § 1 UmweltHG Anwendung findet, bei
Erhebung der Klage im März 1994 noch nicht abgelaufen gewesen.
Folglich konnte das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs nicht dahingestellt
bleiben. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat indes ergeben, dass der Klägerin ein
derartiger Anspruch nicht zusteht.
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Ein Schadensersatzanspruch folgt insbesondere nicht aus § 1 UmweltHG. Die in dieser
Vorschrift normierte Haftung des Anlagenbetreibers setzt voraus, dass ein
Ursachenzusammenhang zwischen der von der Anlage ausgehenden
Umwelteinwirkung und dem eingetretenen Schaden besteht. Dabei kann sich der
Geschädigte auf die Ursachenvermutung des § 6 Abs. 1 UmweltHG berufen, wenn die
Anlage nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet ist, den entstandenen
Schaden zu verursachen.
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Soweit sich die Klägerin zuletzt auf die Freifeldlagerung, den
Schlackebehandlungsplatz sowie den Wall als maßgebliche Emissionsquellen
bezogen hat, fehlt es bereits an der grundsätzlichen Eignung dieser Anlagen zur
Schadensverursachung. Dies folgt aus den von der Beklagten hierzu eingereichten
Unterlagen in Verbindung mit der eingeholten Auskunft des ... vom 01.02.2000 sowie
den Erläuterungen des Sachverständigen ... vom ... im Termin vom 06.07.2000.
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Die Freifeldlagerung kann bereits deshalb nicht als maßgeblicher Emittent angesehen
werden, da die Freifeldlagerung von der Beklagten nie in Anspruch genommen wurde.
Die Lagerung der Rohstoffe wurde vielmehr stets in Hallen vorgenommen, wie der
Sachverständige ..., dem die Verhältnisse im Werk der Beklagten aufgrund von
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Kontrollen des ... bekannt sind, in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beklagten
dargelegt hat.
Der Schlackebehandlungsplatz sowie der Wall sind grundsätzlich ebenfalls nicht zur
Schadensverursachung geeignet. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ...
vom 11.05.1998 in Verbindung mit den mündlichen Erläuterungen im Termin vom
05.11.1998 sind die Schäden wahrscheinlich durch Regenereignisse in Verbindung mit
Staubemissionen zurückzuführen, wobei es eine hohe Staubkonzentration gegeben
haben müsse, um die nötige Staubbefrachtung des jeweiligen Regentropfens zu
erreichen. Staubemissionen gehen jedoch im Regelfall weder vom
Schlackebehandlungsplatz noch vom Wall aus. Der Sachverständige ... hat
diesbezüglich dargelegt, dass die Schlacke in fester Form zum
Schlackebehandlungsplatz transportiert werde, so dass hierbei Stäube nicht entstehen.
Dies steht auch nicht in Widerspruch zu der Nebenbestimmung Nr. 5 in der Anlage 2
zum Genehmigungsbescheid des ... vom 04.02.1986 betreffend u.a. den
Schlackebehandlungsplatz und den Wall. Der Sachverständige ... hat nachvollziehbar
darlegen können, dass es sich bei dem dort normierten Verbot der Wallaufschüttung ab
einer gewissen Windstärke sowie in den Fällen, in denen Staubemissionen entstehen
können, um eine vorsorgliche Anordnung handele, die keine Rückschlüsse auf die
generelle Staubeignung im hier zu beurteilenden Fall zulasse. Gleiches gelte für die
Befeuchtung des noch heißen Materials. Sie diene nämlich lediglich im Nebeneffekt
dazu, dass etwaiger Staub gebunden werde. In der Hauptsache werde durch diesen
Vorgang – worin auch der Zweck des Schlackebehandlungsplatzes bestehe – giftiges
Chrom VI in ungefährliches Chrom III umgewandelt. Im Regelfall gehen folglich von
Schlackebehandlungsplatz und Wall keine Stäube aus, so dass diesen Anlagen
grundsätzlich die Eignung im Sinne des § 6 Abs. 1 UmweltHG fehlt. Staub entsteht auf
mechanischem Wege nur dann, wenn der Radlader, der die im Prinzip feste Schlacke
anliefert, das Material zerbröckelt. Ob sich hieraus allerdings die Eignung zur
Schadensverursachung entnehmen lässt, erscheint bereits zweifelhaft, da sich der
Schlackebehandlungsplatz ausweislich der im Termin vom 06.07.2000 in Augenschein
genommenen Planskizze und angesichts der nicht bestrittenen Entfernungsangaben ca.
650 m vom Werk der Klägerin entfernt befindet. Zwar hat der Sachverständige ... als
mögliche Schadensursache in seinem Gutachten vom 11.05.1998 auch etwaige
Verwehungen von gelagerten Stäuben erwähnt. Er hat aber insbesondere bei der
mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor der Kammer nochmals betont, dass es
eine hohe Staubkonzentration gegeben haben müsse, um die Regentropfen
ausreichend mit Staub zu befrachten. Ob dies angesichts der Entfernung der in Betracht
kommenden Emissionsquelle von den betroffenen Scheiben möglich ist, erscheint
zweifelhaft, bedarf aber letztlich keiner abschließenden Entscheidung.
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Denn jedenfalls wurden der Schlackebehandlungsplatz und der Wall ebenso wie die als
geeignete Schadensverursacher in Betracht kommenden Öfen 11, 74 und 75 (vgl. auch
den Hinweisbeschluss der Kammer vom 17.12.1998) bestimmungsgemäß im Sinne des
§ 6 Abs. 2 UmweltHG betrieben, so dass die Ursachenvermutung des § 6 Abs. 1
UmweltHG zumindest aus diesem Grund entkräftet worden ist. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1
UmweltHG liegt ein bestimmungsgemäßer Betrieb vor, wenn die besonderen
Betriebspflichten eingehalten worden sind und auch keine Störung des Betriebes
vorliegt. Eine Definition der besonderen Betriebspflichten enthält wiederum § 6 Abs. 3
UmweltHG. Besondere Betriebspflichten sind danach solche, die sich aus
verwaltungsrechtlichen Zulassungen, Auflagen und vollziehbaren Anordnungen und
Rechtsvorschriften ergeben, soweit sie die Verhinderung von solchen
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Umwelteinwirkungen bezwecken, die für die Verursachung des Schadens in Betracht
kommen. Sind insoweit besondere Kontrollen vorgeschrieben, wird gemäß § 6 Abs. 4
Nr. 1 UmweltHG die Einhaltung der entsprechenden Betriebspflichten vermutet, wenn
die Kontrollen in dem Zeitraum durchgeführt wurden, in dem die in Frage stehende
Umwelteinwirkung von der Anlage ausgegangen sein kann, und diese Kontrollen
keinen Anhalt für die Verletzung der Betriebspflichten ergeben haben. Zu beachten ist
dabei, dass im Rahmen des Zivilprozesses nicht geprüft wird, ob die Kontrollen
ihrerseits zur Überwachung der Betriebspflichten geeignet sind. Diese Auffassung, über
die während des Erlasses des Umwelthaftungsgesetzes kontrovers diskutiert worden ist,
hat sich durchgesetzt. Folglich hat der Zivilrichter ohne eigene Überprüfungsmöglichkeit
davon auszugehen, dass die Kontrollen zur Überwachung der Einhaltung der
Betriebspflichten geeignet sind (vgl. hierzu Landmann/Rohmer, § 6 UmweltHG, Rn.
57a).
Den Nachweis, dass die maßgeblichen Anlagen der Beklagten im Rahmen der erteilten
Genehmigungen betrieben wurden, durchgeführte Kontrollen seitens des ... nicht zu
Beanstandungen geführt haben und auch kein relevanter Störfall eingetreten ist, hat die
Beklagte geführt.
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Hinsichtlich des Schlackebehandlungsplatzes und des Walls kann zunächst nicht
davon ausgegangen werden, dass diese Anlagen ohne Genehmigung betrieben
wurden. Bis zur Bestandskraft des neuen Genehmigungsbescheides vom 04.02.1986 im
Jahr 1991 wurden die ursprünglichen Anlagen auf der Grundlage des seinerzeitigen
Bescheides aus dem Jahr 1976 betrieben. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme von
Schlackebehandlungsplatz und Wall im Oktober 1995 war die Genehmigung auch noch
nicht abgelaufen. Die Genehmigung sollte lediglich für den Fall erlöschen, dass nicht
binnen zwei Jahren nach dem Eintritt der Rechtswirksamkeit mit dem Bau begonnen
und nicht nach weiteren zwei Jahren die Inbetriebnahme erfolgen würde. Ob der
maßgebliche Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit des Bescheides hier mit Ablauf der
Klagefrist auf den 06.08.1991 (1 Monat nach Zugang des Bescheides am 05.07.1991)
oder mangels Beschwer der Beklagten bereits auf den 05.07.1991 fällt, mag
dahinstehen. Denn ausweislich eines von dem Sachverständigen ... eingesehenen
Besprechungsvermerks wurde mit dem Bau bereits im Juni 1993 begonnen, und damit
in jedem Fall innerhalb der zweijährigen Frist. Dass die Inbetriebnahme sodann erst im
Oktober 1995 und damit nach Ablauf von mehr als weiteren zwei Jahren erfolgte, steht
der Wirksamkeit der Genehmigung ebenfalls nicht entgegen. In dem
Genehmigungsbescheid war bereits vorgesehen, dass die Fristen aus wichtigem Grund
auf Antrag verlängert werden konnten. Insoweit hat die Beklagte vorgetragen, dass die
Frist stillschweigend verlängert worden sei. Dies hat der Sachverständige ... im Rahmen
seiner mündlichen Anhörung am 06.07.00 bestätigt. Nach seinen Ausführungen stellte
der spätere Baubeginn für das ... kein Problem dar. Es sei der Behörde maßgeblich auf
eine ordnungsgemäße Abdichtung des Walls angekommen, die allerdings auch nicht für
die hier streitgegenständlichen Emissionen, sondern lediglich für die Frage etwaiger
Gewässerverunreinigungen von Bedeutung gewesen sei.
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Ebenso haben die seitens des ... durchgeführten Kontrollen keine Beanstandungen
ergeben. Dies gilt auch für die Ziffer 13 der Nebenbestimmungen der Anlage 2 zum
Genehmigungsbescheid vom 04.02.1986, wenngleich hier ebenfalls festzustellen ist,
dass diese Nebenbestimmung sich lediglich auf den Aspekt der möglichen
Gewässerverunreinigung und nicht auf Staubemissionen bezieht. Da im übrigen ein
regelmäßiger Kontrollrhythmus nicht vorgeschrieben ist, konnte die Behörde im Rahmen
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des ihr obliegenden pflichtgemäßen Ermessens die Kontrollen durchführen. Ob diese
Kontrollen daher häufiger oder intensiver hätten durchgeführt werden müssen, ist für das
vorliegende Verfahren aus den oben dargelegten Gründen ohne Belang.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht darüber hinaus zur Überzeugung der
Kammer weiter fest, dass der Ofen 11 genehmigungskonform betrieben wurde.
Grundlage des Betriebs ist insoweit der Genehmigungsbescheid des ... vom 16.09.1980.
Die für die Frage der Emissionen maßgebliche Ziffer 3 der Nebenbestimmungen hat
allerdings nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen ... nur noch
hinsichtlich der Ziffer 3 c) für den hier maßgeblichen Zeitraum ab dem Jahr 1989
Gültigkeit. Da der Notkamin im Ofen 11 bereits frühzeitig verschlossen wurde und die
Entlüftung permanent über die Druckschlauchfilteranlage erfolgt, war die Erfassung der
Daten gemäß Ziffer 3 a) der Nebenbestimmung obsolet geworden. Weil auch die
kritische Abgastemperatur gemäß Ziffer 3 b) der Nebenbestimmung nicht erreicht wurde,
wurde seitens des ... als der zuständigen Überwachungsbehörde mit der Beklagten
verabredet, dass lediglich noch der Abgasventilatorbetrieb gemäß Ziffer 3 b) der
Nebenbestimmungen registriert werden sollte. Dass insoweit kein formeller Bescheid
ergangen ist, kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen, da lediglich entscheidend sein
kann, ob die behördlicherseits gemachten Vorgaben durch den Anlagenbetreiber
eingehalten worden sind.
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Eine Kontrolle im Jahr 1999 führte nicht zu Beanstandungen. Da es im Ermessen des ...
als der zuständigen Behörde liegt, wie oft kontrolliert wird, kann es der Beklagten
ebenfalls nicht zum Nachteil gereichen, wenn für die vorherigen Jahre keine Kontrollen
durchgeführt worden sind, sich diesbezüglich in den – jedenfalls in den seit dem Jahr
1991 vorliegenden - Akten auch keine Messprotokolle befinden.
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Schließlich liegt bezüglich des Ofen 11 auch kein relevanter Störfall vor. Hier käme
allenfalls der Vorfall aus dem Jahr 1997 in Betracht, bei dem festgestellt wurde, dass an
der Haube der sog. Beschickung eine zu große Lücke bestand. Zum einen aber liegt der
Störfall bereits zeitlich nach dem hier maßgeblichen Verursachungszeitraum. Zum
anderen hat die bestehende Lücke nach den Darlegungen des Sachverständigen ...
auch praktisch keine Auswirkung auf die Emissionen gehabt. Bei dem Anfahren des
Ofen 11 gegebenenfalls festzustellendes "Qualmen" oder Auftreten von "Nebel" stellt
sich in Wahrheit als harmloses Austreten von Wasserdampf dar, da der Ofen nicht
kontinuierlich betrieben wird und somit angesammelte Feuchtigkeit verdampft, wie der
Sachverständige ... erläutert hat. Ebenfalls ohne Auswirkung auf die Emissionen blieb
schließlich auch der Defekt an einem der 423 Schläuche des Ofen 11, der sich zudem
im Mai 1997 und damit ebenfalls zeitlich nach dem hier relevanten Zeitraum ereignete.
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Der Betrieb von Ofen 74 bewegt sich ausweislich der eingeholten Auskunft des ... vom
24.03.1999 und den hierzu von dem Sachverständigen ... im Termin vom 15.07.1999
abgegebenen Erläuterungen ebenfalls im Rahmen der vom ... im Jahr 1971 erteilten und
mit Bescheid aus dem Jahr 1975 modifizierten Genehmigung. Insbesondere ergaben
die seitens des Staatlichen Umweltamtes durchgeführten stichprobenartigen Kontrollen
keine Beanstandungen. Die von Mitarbeitern des ... bzw. des ... als dessen
Rechtsvorgänger eingesehenen Messstreifen des kontinuierlich arbeitenden
Staubmessgerätes ergab in keinem Fall die Überschreitung des zulässigen
Staubgrenzwertes von 20 mg/m3. Auch die von dem zuständigen Messinstitut ...
vorgenommenen Messungen anlässlich von Kalibrierungen der kontinuierlich
arbeitenden Messgeräte in den Jahren 1989 und 1996 zeigten Werte deutlich unterhalb
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des Zulässigen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ... und der eingeholten
amtlichen Auskunft des ... gibt es keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten,
Überschreitungen der Grenzwerte oder Betriebsstörungen. Folglich liegt auch insoweit
ein bestimmungsgemäßer Betrieb im Sinne des § 6 Abs. 2 UmweltHG vor. Unerheblich
ist insoweit, dass der Sachverständige ... anlässlich seiner Anhörung im Termin vom
15.07.1999 zum Teil keine exakten Angaben dazu machen konnte, wann genau die
Kontrollen und Prüfungen stattgefunden haben. Entscheidend ist allein, dass Kontrollen
vorgenommen worden sind, die nicht zu Beanstandungen geführt haben. Da es im
Ermessen der Überwachungsbehörde liegt, ob und wann kontrolliert wird, hat die
Beklagte hierauf keinen Einfluss. Ihr kann es folglich auch nicht zum Nachteil gereichen,
wenn die Behörde im Nachhinein nicht mehr imstande ist, hierzu nähere Angaben zu
machen oder aber die meterlangen Messstreifen nur stichprobenartig auswertet. Pflicht
der Beklagten ist es insoweit lediglich, das kontinuierlich arbeitende Messgerät zu
betreiben und die produzierten Messstreifen drei Jahre aufzubewahren. Dieser Pflicht ist
die Beklagte nachgekommen, die durchgeführten Kontrollen, die nach den Darlegungen
des Sachverständigen ... etwa einmal jährlich erfolgen, in früheren Jahren etwa ein- bis
zweimal im Jahr, blieben ohne Beanstandungen. Dies ist für das Eingreifen der
Vermutungswirkung nach § 6 Abs. 4 UmweltHG nach Auffassung der Kammer
ausreichend.
Ein bestimmungsgemäßer Betrieb liegt auch hinsichtlich des mit Ausnahme eines
Einsatzes im Mai 1996 lediglich bis zum 30.06.1993 betriebenen Ofen 75 vor. Das hier
installierte kontinuierlich arbeitende Messgerät zeigte sich bei seiner letzten
turnusmäßigen Kalibrierung und der damit zugleich einhergehenden Überprüfung im
Jahr 1991 voll funktionsfähig. Auch die anlässlich der seinerzeit durchgeführten
Messung festgestellten Staubwerte lagen allesamt unterhalb des Grenzwertes. Soweit
die Klägerin im Anschluss an die eingeholte Auskunft des ... vom 24.03.1999 mutmaßte,
dass zwei der Messwerte die Grenzwerte überschritten hätten, konnte der
Sachverständige ... darlegen, dass es sich bei den kritischen zwei Messwerten - wie
bereits die Formulierung in der eingeholten Auskunft nahe legte – lediglich um zwei
"erhöhte" Werte innerhalb des zulässigen Spektrums und nicht um "überhöhte" Werte
handelte. Auch im übrigen wurden bei den durchgeführten stichprobenartigen Kontrollen
keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Als einzige Betriebsstörung ist der behördlichen
Auskunft zufolge ein Bruch einer Förderschnecke aktenkundig geworden. Insoweit
konnte der Sachverständige ... jedoch nachvollziehbar erläutern, dass diese Störung
keine Relevanz für die Frage der Emissionen hatte.
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Da insgesamt ein bestimmungsgemäßer Betrieb der Anlagen vorlag, konnte die
Klägerin somit nicht in den Genuss einer zu ihren Gunsten eingreifenden
Ursachenvermutung des § 6 Abs. 1 UmweltHG kommen. Ohne Rückgriff auf diese
Vermutungswirkung konnte die nunmehr im vollem Umfang beweisbelastete Klägerin
die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 1 UmweltHG indes
nicht beweisen.
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Positive Feststellungen haben sich zur Frage der Kausalität nicht treffen lassen. Auch
der Sachverständige ... hat in seinen der Klägerin günstigsten Aussagen lediglich von
einer hohen Wahrscheinlichkeit gesprochen.
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Der Klägerin konnte vorliegend aber auch das Eingreifen eines Anscheinsbeweises
nicht über die bestehenden Beweisschwierigkeiten hinweghelfen. Hierfür muss nämlich
ein typischer Geschehensablauf feststehen, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das
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Hervorrufen einer bestimmten Folge geschlossen werden kann. Bloße
Wahrscheinlichkeiten reichen dabei nicht aus. Vielmehr muss der behauptete Vorgang
zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit,
Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegen (vgl. Zöller-Greger, 21.
Aufl., Vor § 284 ZPO, Rn. 29 m.w.N.). Nur dann also, wenn ein allgemeiner
Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass zwischen einer bestimmten Handlung und
einem bestimmten Erfolg ein Kausalzusammenhang besteht, spricht auch im konkreten
Einzelfall der erste Anschein dafür, dass zwischen einer solchen Handlung und einem
solchen Erfolg ein Kausalzusammenhang besteht (Landmann/Rohmer, § 6 UmweltHG,
Rn 5). Ein entsprechender Erfahrungssatz kann im Streitfall aber nicht herangezogen
werden. Dass es aufgrund von Staubemissionen zu Verätzungen auf Glasscheiben
kommt, ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Der Sachverständige ... hat hierzu im
Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor der Kammer ausgeführt, dass es
außergewöhnliche Faktoren geben müsse, die zum Schadenseintritt führen konnten. Es
müsse irgendetwas dafür sorgen, dass es zum Schadenseintritt komme. Eine hohe
Staubkonzentration sei erforderlich, um die Regentropfen ausreichend mit Staub zu
befrachten. Angesichts dieser Aussagen bleibt bereits die konkret mögliche
Verursachung unklar. Es kann nicht auf den ersten Blick nach der Lebenserfahrung auf
ein nach bestimmten Grundsätzen ablaufendes Muster geschlossen werden. Als
gesichert kann lediglich angenommen werden, dass gewisse Mengen an Staub aus
bestimmten Emissionsquellen, die sich mit Regentropfen verbunden haben müssen,
das Schadensbild verursachen können. Ein Erfahrungssatz dergestalt, dass
Staubemissionen vom Werk der Beklagten in Verbindung mit Regen zur Verätzung von
Fensterscheiben führen, kann hieraus aber nicht entnommen werden. Hierzu bedarf es
des Hinzutretens weiterer – letztlich unbekannter – Umstände. Auch fehlt es an der
Häufigkeit gleichgelagerter Ereignisse, da der Sachverständige ... mit Bestimmtheit nur
anzugeben vermochte, dass es ein Schadensereignis vor 1990 und eines nach 1990
gegeben haben müsse. Des weiteren fehlt es an positiven Feststellungen zu einer
aufgetretenen hohen Staubkonzentration. Hierzu hat der Sachverständige ... aber
bereits im Gutachten vom 11.05.1998 angeführt, dass der Frage nach möglichen
Staubverwehungen oder unkontrollierten Staubaustritten eine hohe Bedeutung
zukomme.
Schließlich kann die Kausalität auch nicht im übrigen gemäß § 286 ZPO im Wege der
freien Beweiswürdigung als bewiesen angesehen werden. Im Einzelfall kann hierbei
bestehenden Beweisschwierigkeiten zugunsten des Geschädigten damit begegnet
werden, dass praktisch alle anderen Schadensursachen ausgeschlossen werden
können (vgl. etwa Landmann/Rohmer § 6 UmweltHG, Rn. 4). Dies setzt aber jedenfalls
eine gewisse Wahrscheinlichkeit der geltend gemachten Schadensursache und den
zumindest annähernd sicheren Ausschluss von Alternativen voraus. Nach Auffassung
der Kammer ist der Schadenseintritt nach der durchgeführten Beweisaufnahme zwar mit
Emissionen erklärbar, die vom Werk der Beklagten ausgehen. Die vorstehenden
Ausführungen zum Anscheinsbeweis, die maßgeblich auf den Darlegungen des
Sachverständigen ... anlässlich seiner Anhörung vor der Kammer fußen, zeigen aber
bereits, dass für die Annahme einer "hohen Wahrscheinlichkeit" keine Anhaltspunkte
bestehen. Dafür ist der Verursachungsprozess zu unklar geblieben und das Vorliegen
einer hohen Staubkonzentration nicht feststellbar. Letzterem maß der Sachverständige
aber – wie erwähnt – eine hohe Bedeutung bei. Mehr als eine in Betracht kommende
Möglichkeit ist nach Ansicht der Kammer folglich nicht belegt. Diese Möglichkeit mag
zwar – wie der Sachverständige ... in seinem Gutachten vom 11.05.1998 dargelegt hat -
wahrscheinlicher sei, als die von ihm als ebenfalls denkbare Alternativen aufgezeigten
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Ursachen. Allerdings fehlen nicht nur hinsichtlich der aufgezeigten Alternativen, sondern
auch bei der Frage der Staubemissionen die entscheidenden Anhaltspunkte im
Tatsächlichen.
Folglich ist die Klägerin für das Vorliegen der Kausalität beweisfällig geblieben.
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Mangels Beweises der Ursächlichkeit kommt daher auch eine Haftung aus anderen
Normen wie § 823 Abs. 1 BGB oder § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, die dem Geschädigten
ebenso den Nachweis der Ursächlichkeit auferlegen, gleichfalls nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Berufungsstreitwert:
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H N Dr. E
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