Urteil des LG Aachen vom 05.03.2002

LG Aachen: verschulden, betriebsgefahr, fahrzeug, sicherheitsleistung, personenschaden, wahrscheinlichkeit, führer, befragung, verzug, vollstreckbarkeit

Landgericht Aachen, 1 O 507/00
Datum:
05.03.2002
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 507/00
Tenor:
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner
EUR 1.148,60 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
18.08.2000 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 75 % und die
Beklagten 25 %.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110
% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar und für den
Beklagten ohne Sicherheitsleistung, wenn der Kläger nicht vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vom Beklagten
beizutreibenden leistet.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom 09.06.2000 in Anspruch
und zwar den Beklagten zu 1) als Fahrer, die Beklagte zu 2) als Halterin sowie die
Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2).
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Am 09.06.2000 gegen 10.00 Uhr befuhr die Zeugin T2 mit dem PKW des Klägers, Opel
Astra, amtl. Kennz. ##-## ###, die große S-Straße in K. Auf der großen S-Straße
befindet sich eine Busspur, die in eine Rechtsabbiegespur in Richtung Aachener Tor
übergeht. Die Zeugin T2 wollte am Aachener Tor rechts abbiegen. Auf der
Geradeausspur befand sich der LKW der Beklagten zu 2), der vom Beklagten zu 1)
gefahren wurde. Es kam zu einem Zusammenstoß zwischen dem LKW und dem PKW
des Klägers. Durch den Zusammenstoß sind am PKW des Klägers laut einem
Kostenvoranschlag der Firma T in Höhe von insgesamt 8.935,57 DM entstanden. Mit
Schreiben vom 07.08.2000 setzte der Kläger der Beklagten zu 3) eine Zahlungsfrist bis
zum 17.08.2000.
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Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) sei plötzlich mit dem von diesem gefahrenen
LKW auf die Rechtsabbiegespur gezogen. Der Beklagte zu 1) habe ein
Ausweichmanöver vorgenommen, um einen sich auf seiner Spur befindlichen
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Baufahrzeug auszuweichen.
Der Kläger hat zunächst mit der am 2.11.2000 zugestellten Klage bantragt, die
Beklagten zu verurteilen an ihn 10.910,08 DM zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 24.10.2001
zugestellt am 12.11.2001 beantragt der Kläger nunmehr,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 8.985,87 DM nebst
5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2000 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behaupten, die Zeugin T2 habe unter Benutzung der Busspur das Fahrzeug der
Beklagten rechts überholen wollen. Als die Spur zu enden drohte, habe sie das
Fahrzeug des Klägers nach links auf die Hauptfahrbahn gezogen. Dabei habe sie den
dort befindlichen LKW der Beklagten zu 2) hinten links gerammt.
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Das Gericht hat Beweis erhoben, durch die Vernehmung der Zeugen T2, Q F, PK
Hermanns und PM S sowie durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf das Sitzungsprotokoll vom 15.02.2001 (Bl. 63-71 d.A.), auf das Sitzungsprotokoll
vom 15.03.2001 (Bl. 74-77 d.A.) sowie auf das gemäß Beweisbeschluss vom 5.4.2001
eingeholte schriftliche Sachverständigen Gutachten (Bl. 95-134 d.A.) verwiesen.
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Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nur zum Teil begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Zahlungsanspruch in Höhe von 2.246,47 DM.
Die grundsätzliche Haftung des Beklagten zu 1) als Fahrer, der Beklagten zu 2) als
Halterin ihres unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges sowie der Beklagten zu 3) als
Versicherer dieses Fahrzeuges ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1
und 2 PflVersG. Denn die Schäden des Klägers sind bei dem Betrieb des
Kraftfahrzeuges der Beklagten zu 2) entstanden. Die Beklagten haben weder den
Unabwendbarkeitsnachweis gem. § 7 Abs. 2 StVG führen noch nachweisen können,
dass der Unfall nicht auf ein Verschulden des Beklagten zu 1) zurückzuführen ist, § 18
Abs. 1 S. 2 StVG.
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Bei dem Unabwendbarkeitsnachweis nach § 7 Abs. 2 StVG kommt es darauf an, ob für
einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der Unfall
unvermeidbar gewesen wäre. Vorliegend ist nicht auszuschließen, dass ein besonders
vorsichtiger Fahrer anstelle des Beklagten zu 1) den Unfall vermieden hätte. Denn der
Beklagte zu 1) hat ein Ausweichmanöver vorgenommen, ohne einen Blinker zu setzen.
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Aber auch der Kläger haftet als Halter des Unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges
grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Denn auch er hat nicht
nachweisen können, dass der Unfall für die Fahrerin seines PKW´s unabwendbar war.
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Auch hier ist nicht auszuschließen, dass ein anderer, besonders vorsichtiger Fahrer den
Unfall vermieden hätte. Denn die Zeugin T2 hat entgegen der verkehrsrechtlichen
Bestimmungen die Busspur benutzt.
Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis
zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden
Ersatzes gem. §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen insbesondere davon ab,
inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden
ist. Für dieses Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von
Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art
herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines
etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Im Rahmen dieser Abwägung werden aber zu
Lasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt, die als unfallursächlich
feststehen.
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Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu einer
Schadensverteilung im Verhältnis von 3/4 zu Lasten des Klägers und 1/4 zu Lasten der
Beklagten.
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Die Beklagten belastet die Betriebsgefahr des auf ihrer Seite am Unfall beteiligten
Fahrzeuges. Hier war insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei dem
unfallbeteiligten Fahrzeug auf Seiten der Beklagten um einen LKW handelte. Einen
LKW trifft naturgemäß eine höhere Betriebsgefahr als einen PKW, da ein LKW im
öffentlichen Verkehrsraum in einem besonderen Maße eine Gefahrenquelle eröffnet.
Denn bei Beteiligung eines LKW´s an einem Unfall, kommt es in der Regel zu einem
größeren Sach- und Personenschaden. Dem Führer eines LKW´s obliegen daher in
einem besonderem Maße Sorgfaltspflichten.
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Neben dieser Betriebsgefahr belastet die Beklagten aber auch ein Verschulden des
fahrzeugführenden Beklagten zu 1). Ihm ist vorzuwerfen, dass er mit seinem LKW nach
rechts zog, ohne einen Blinker zu setzen. Diese Verhaltensweise hat er bei seiner
informatorischen Befragung selbst eingeräumt. Nach § 6 StVO muss jedoch jedes
Fahrzeug, das ausschert den nachfolgenden Verkehr achten und insbesondere das
Ausscheren sowie Wiedereinordnen ankündigen.
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Den Kläger belastet hingegen neben der Betriebsgefahr seines PKW´s in einem
erheblichen Maße das unfallursächliche Verschulden der Fahrzeugführerin, der Zeugin
T2. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Zeugin T2 unter Benutzung der
bis zur Haltelinie reichenden Busspur in den Kreuzungsbereich eingefahren ist. Sie hat
nicht den vorgesehenen mit entsprechenden Richtungspfeilen markierten Geradeaus-
und Rechtsabbiegestreifen benutzt sondern verkehrswidrig die Busspur. Erst dadurch
war es überhaupt möglich, dass sie in den sogenannten toten Sichtwinkel des vom
Beklagten zu 1) geführten LKW´s vorfahren konnte. Denn ohne die ordnungswidrige
Benutzung der Busspur hätte sie hinter dem LKW warten müssen. In diesem Fall wäre
es naturgemäß nicht zu dem Unfall gekommen. Ihr Verschulden wiegt daher besonders
schwer.
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Dieser Sachverhalt steht für das Gericht aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme fest. Die Zeugin T2 hat bei ihrer Vernehmung selbst eingeräumt, dass
sie evtl. ein Stückchen auf der Busspur gefahren sei. Aus den vom Sachverständigen zu
seinem Gutachten gereichten Skizzen des Unfallortes ergibt sich zudem, dass die
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Zeugin T2 nur unter Befahrung der Busspur in die vom Sachverständigen festgestellte
Position der Unfallfahrzeuge vorfahren konnte. Bestätigt wird dieser Sachverhalt zudem
durch die Aussagen der Zeugen I2 und S, die als zuständige Polizeibeamte den Unfall
aufgenommen haben. Sie gaben bei ihrer Vernehmung an, dass nach den Aussagen
der Unfallbeteiligten unmittelbar nach dem Unfall, sie davon ausgingen, daß die Zeugin
T2 die Busspur befahren hat. Zwar handelt es sich hierbei nur um eine subjektive
Einschätzung, allerdings wird diese dadurch bestätigt, daß sich die Zeugin T2 nach
Aussagen der Zeugen I2 und S unmittelbar nach dem Unfall dahingehend geäußert hat,
sie habe die Busspur benutzen dürfen. Eine derartige Aussage ist jedoch nur dann
sinnvoll, wenn die Zeugin T2 tatsächlich die Busspur befahren hat. Da es sich um eine
grobe Verkennung der verkehrsrechtlichen Situation handelt, ist es für das Gericht auch
nachvollziehbar, dass sich die aufnehmenden Polizeibeamten an diese Äußerung
erinnert haben.
Das Fehlverhalten der Zeugin T2 wiegt besonders schwer. Denn die Abgrenzung der
Busspur war - wie sich aus den vom Sachverständigen vom Unfallort gefertigten Fotos
ergibt - durch eine durchgezogene weiße Linie eindeutig erkennbar. Gerade eine
durchgezogene weiße Linie auf der Fahrbahn signaliesiert aber für jeden
Verkehrsteilnehmer, dass das Wechseln der Spur nicht erlaubt ist. Damit hat die Zeugin
T2 grob verkehrswidrig gehandelt. Angesichts dessen belastet den Kläger neben der
Betriebsgefahr im erheblichen Maße das unfallursächliche Verschulden der
Fahrzeugführerin. Dieses Verschulden läßt die den Beklagten zuzurechnende
Betriebsgefahr und das Verschulden des Beklagten zu 1) überwiegend in den
Hintergrund treten. Denn ohne das grob verkehrswidrige Fehlverhalten der Zeugin T2,
wäre das Fehlverhalten des Beklagten zu 1) nicht unfallursächlich gewesen. Unter
Berücksichtigung der zuvor dargestellten Grundsätze war daher eine
Schadensverteilung im Verhältnis von 3/4 zu Lasten des Klägers 1/4 zu Lasten der
Beklagten angemessen.
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Der Zinsanspruch ergibt such aus §§ 286, 284 BGB. Die Beklagten befanden durch die
mit Schreiben vom 7.8.2002 gesetzte Zahlungsfrist bis zum 17.08.2000 seit dem
18.8.2000 in Verzug.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92, 100 Abs. 4, 269 III ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1, 711
ZPO.
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Streitwert: Bis 02.11.2000: EUR 5.578,24
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Ab dann: EUR 4.595,62
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Dr. I
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