Urteil des LG Aachen vom 13.06.2001

LG Aachen: hebamme, geburt, behandlungsfehler, dokumentation, befund, rechtshängigkeit, schmerzensgeld, eltern, unterlassen, gerät

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landgericht Aachen, 11 O 426/98
13.06.2001
Landgericht Aachen
11. Zivilkammer
Urteil
11 O 426/98
Die Beklagten zu 1), 2), 3) und 5) werden als Gesamtschuldner ver-urteilt,
an den Kläger 500.000,00 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 01.12.1998
(Beklagte zu 5)) beziehungsweise seit dem 02.12.1998 (Beklagte zu 1),
2) und 3)) zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagten zu 1), 2), 3) und 5) als Ge-
samtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen
Schäden, die ihm aus der behandlungsfehlerhaften Überwachung und
Leitung seiner Geburt am ##1995 entstanden sind und noch entstehen
werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind
beziehungsweise übergehen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers
tragen die Beklagten zu 1), 2), 3) und 5) zu 2/3 und der Kläger selbst zu
1/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4) und 6) trägt der
Kläger. Die außergerichtlichen Kosten der Beklag-ten zu 1), 2), 3) und 5)
tragen diese selbst.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
600.000,00 DM und für die Beklagten zu 4) und 6) gegen Sicher-
heitsleistung in Höhe von jeweils 16.500,00 DM vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus behaupteten
ärztlichen Behandlungsfehlern anläßlich seiner Geburt geltend.
Die am ##1965 geborene Mutter des Klägers war erstmals mit dem Kläger schwanger,
dessen errechneter Geburtstermin der ## 1995 war. Während der Schwangerschaft wurde
sie von dem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. T ambulant betreut. Zur
Entbindung des Klägers wollte seine Mutter sich in die J-Klinik begeben, deren Leiter und
Inhaber der Beklagte zu 1) ist. Eine von ihm ausgestellte Verordnung zur
Krankenhausbehandlung der gesetzlich krankenversicherten Mutter des Klägers stammt
vom ##1995. Neben einer Reihe von festangestellten Hebammen unterhält die Klinik auch
Kontakte zu freiberuflichen Hebammen wie der Beklagten zu 5). Die von den betreffenden
Hebammen erbrachten Leistungen werden anschließend von der Verwaltung der J-Klinik
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den Krankenkassen in Rechnung gestellt; einen etwas geringeren als den
Rechnungsbetrag erhält anschließend die freiberuflich tätige Hebamme. Nachdem von
Seiten der J-Klinik die Beklagte zu 5) als Hebamme empfohlen worden war, zahlten die
Eltern des Klägers dieser 350,00 DM für zwei Beratungsgespräche vor der Geburt und ihrer
anschließend bestehenden Rufbereitschaft.
In der 39. Schwangerschaftswoche kam es - teilweise von den Beklagten bestritten - am ##
1995 gegen 23:00 Uhr zu einem vorzeitigen Blasensprung. Die Mutter des Klägers
informierte die Beklagte zu 5), die daraufhin vereinbarte, sich gegen 08:00 Uhr in der J-
Klinik zur Entbindung zu treffen. In dem von dem Vater des Klägers unterzeichneten
Aufnahmebogen der J-Klinik ist als Uhrzeit des Aufnahmetages "08:00 Uhr" eingetragen.
Gleichzeitig oder kurze Zeit später traf auch die Beklagte zu 5) ein. Das von ihr ausgefüllte
Partogramm dokumentiert eine Aufnahmeuhrzeit um 08:15 Uhr. Damit korrespondiert der
von der Beklagten zu 5) vorgenommene handschriftliche Verlauf zu dem Partogramm, der
um 08:15 Uhr eine von ihr durchgeführte äußere und innere Untersuchung ausweist. Von
08:30 Uhr bis 09:05 Uhr wurde eine Aufnahme-CTG geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt
waren an ärztlichem Personal in der J-Klinik die Beklagten zu 2), 3) und 4) anwesend. Die
Beklagte zu 2) ist Oberärztin der J-Klinik, die Beklagten zu 3) und 4) waren zum damaligen
Zeitpunkt Ärztinnen im Praktikum. Gegen 09:00 Uhr erfolgte die Dienstübergabe seitens
der Beklagten zu 4) auf die Beklagte zu 3). Spätestens kurz nach 09:00 Uhr wurden die
genannten Ärztinnen von der Beklagten zu 5) von dem Eintreffen der Mutter des Klägers
unterrichtet; die Beklagte zu 3) überprüfte das zwischenzeitlich geschriebene Aufnahme-
CTG. Eine Ultraschalluntersuchung wurde nicht vorgenommen. Zwischen 09:00 Uhr und
10:00 Uhr begab die Mutter des Klägers sich in Absprache mit der Beklagten zu 5) zur
Entspannung in eine mit warmem Wasser gefüllte Badewanne. Die weiterführenden
Herztonkontrollen sind von der Beklagten zu 5) mit einem Sonicaid-Gerät vorgenommen
worden. Hierbei handelt es sich um ein Ultraschall-Doppler-Gerät, mit dem man die
kindlichen Herztöne hörbar machen kann, ohne daß diese protokolliert werden. Zwischen
11:30 Uhr und 12:00 Uhr verließ die Mutter des Klägers die Badewanne. Die
Herztonkontrolle der Beklagten zu 5) gegen 12:00 Uhr ergab ihrer handschriftlichen
Dokumentation zufolge eine "tiefe Dip I bei 90 - 100 spm ohne Erholung nach der Wehe ->
Badewanne Bradycardie". Die Beklagte zu 5) informierte daraufhin die Beklagte zu 3); in
der Zeit von 12:09 Uhr bis 12:13 Uhr wurde ein CTG angelegt. Die Beklagte zu 3)
benachrichtigte die Beklagte zu 2), die kurze Zeit später eintraf. Um 12:25 Uhr kam es zur
Geburt des schwer asphyktischen Klägers bei einem Apgar von 0 beziehungsweise 1,2,4.
Der damit ohne erkennbare Spontanatmung, schlaff, blau und offensichtlich ohne weitere
Lebenszeichen geborene Kläger wurde zunächst abgesaugt und erhielt Sauerstoff über
eine Maske; in der Dokumentation ist für 12:27 Uhr die Beatmung mit einem Ambo-Beutel
und eine Herzmassage erwähnt. Bereits zuvor war der Beklagte zu 6) als ständiger
Vertreter des in der J-Klinik tätigen Facharztes für Anästhesiologie Dr. T1 im Rahmen
seiner Rufbereitschaft angerufen worden. Er erreichte um 12:30 Uhr den Kreissaal,
intubierte den Kläger und traf weitere lebenserhaltene Maßnahmen. Zwischenzeitlich war
auch das Reanimationsteam für Neugeborene der S B informiert worden, das um 13:00 Uhr
eintraf. Der Kläger wurde anschließend zur weiteren Behandlung in die Kinderklinik der S
B verlegt. Das Geburtsgewicht des Klägers betrug rund 2.750 g. Der Beurteilung des
Pathologen S1 vom 13.06.1996 zufolge ergaben sich aus den quantitativen Verhältnissen
und der zunehmenden ischämischen Ausfälle der 405 g schweren Plazenta Anhaltspunkte,
die eine chronische und terminal progrediente Plazentainsuffizienz erklärbar machen
würden.
Der Kläger trägt vor:
Der Beklagten zu 5) als Hebamme und den Beklagten zu 2), 3) und 4) als Ärztinnen der J-
Klinik, für die der Beklagte zu 1) als Inhaber und Leiter der Klinik einzustehen habe, sei
eine völlig unzureichende Überwachung des intrauterinen Zustandes unter der Geburt
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anzulasten. Nach dem um 23:00 Uhr des ## 1995 aufgetretenen Blasensprung habe seine
Mutter die Beklagte zu 5) gegen 03:00 Uhr erstmals informiert. Trotz des mit dem
vorzeitigen Blasensprung verbundenen erhöhten Risikos eines Abschnürens der
Nabelschnur beziehungsweise einer aufsteigenden Bakterienbesiedlung habe die
Beklagte zu 5) bereits zu diesem Zeitpunkt behandlungsfehlerhaft nicht sofort einen
Liegendtransport in eine Klinik veranlaßt, sondern sich mit seiner Mutter nach einem
weiteren Telefonat um 07:00 Uhr morgens in der Klinik des Beklagten zu 1) verabredet. Die
anschließend am Morgen seines Geburtstages vorgenommene Aufnahmeuntersuchung
seiner Mutter sei unzureichend gewesen. Insbesondere sei die anschließende
Entscheidung zur geburtshilflichen Überwachung mittels eines Sonicaid-Gerätes grob
behandlungsfehlerhaft gewesen, weil vor dem Hintergrund der konkreten Sachlage eine
kontinuierliche CTG-Ableitung unabdingbar gewesen wäre. Abgesehen von der ohnehin
bestehenden Risikolage wegen des vorzeitigen Blasensprungs wäre dies auch angesichts
des bereits pathologischen Aufnahme-CTG’s notwendig gewesen. Weiterhin habe es auch
an einer Aufklärung darüber gemangelt, daß ein erhöhtes Risiko bestehe, wenn auf ein
Dauer-CTG verzichtet werde. Die anschließend durchgeführte Sonicaid-Überwachung sei
unzureichend und nicht in der Lage gewesen, die sich zu einer finalen Bradycardie
entwickelnde Gefahrenlage des Kindes rechtzeitig festzustellen. Die deshalb von Anfang
an unterlassene ausreichende Geburtsüberwachung sei nicht nur der Beklagten zu 5) als
Hebamme, sondern auch den über die Aufnahme der Mutter des Klägers informierten
Ärztinnen, den Beklagten zu 2), 3) und 4) anzulasten. Auch ihnen hätte sich aufgrund des
pathologischen Aufnahme-CTG’s und der bestehenden Gefährdung des Kindes die
Notwendigkeit einer kontinuierlichen CTG-Überwachung aufdrängen müssen. Auch nach
Feststellung der fetalen Bradycardie mittels Kardiogramm um 12:00 Uhr sei
behandlungsfehlerhaft eine Akuttokolyse, eine vaginale Untersuchung, gegebenenfalls
eine Mikroblutuntersuchung nicht durchgeführt worden, die gegebenenfalls die
Entscheidung zur operativen Geburtsbeendigung zur Folge gehabt hätte. Das Unterlassen
dieser Maßnahmen habe mit hoher Wahrscheinlichkeit einen wesentlichen Anteil am
Zustandekommen der kindlichen Schädigung des mindestens 25 Minuten später erst
entbundenen Klägers herbeigeführt. Genauso wenig sei die Geburtsbeendigung durch
Kristeller-Expression standardgemäß gewesen, weil die Geburt bei der gegebenen Lage
operativ - vaginal per Zange beziehungsweise Saugglocke oder Kaiserschnitt - hätte
beendet werden müssen. Schließlich sei dem Beklagten zu 6) als Anästhesisten
anzulasten, daß er die Neugeborenen-Reanimation erst verzögert eingeleitet habe,
insbesondere erst um 12:40 Uhr die Intubation und Blindpufferung mit Bikarbonat
vorgenommen worden sei. Als Folge der groben Behandlungsfehler sei er - der Kläger - auf
das Massivste geschädigt. Es bestehe eine Tetra-Spastik und ein BNS-Krampfleiden. Er
sei körperlich und geistig schwerstbehindert, könne keinerlei motorische Handlungen
ausführen, weder greifen, sitzen oder laufen und auch nicht sprechen. Geistig sei er
schwerstretadiert und rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Der erlittene Schaden
sei nicht mehr steigerungsfähig mit der Folge, daß ein Schmerzensgeld in Höhe von
mindestens 500.000,00 DM angemessen sei. Der auch auf die Vergangenheit gerichtete
Feststellungsantrag hinsichtlich des materiellen Schadens sei begründet, weil die
Schadenentwicklung noch nicht abgeschlossen sei.
Der Kläger beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn aus der grob
fehlerhaften Geburtsleitung vom # 1995 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen,
dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens
jedoch 500.000,00 DM nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz - mindestens
verzinslich jedoch mit 8 % Zinsen - seit dem ##1995, mindestens jedoch seit
Rechtshängigkeit;
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2.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem
Kläger sämtliche materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft, die ihm aus der
grob fehlerhaften Geburtsleitung vom # 1995 entstehen, zu ersetzen, soweit diese
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten zu 1), 2), 3) und 4) tragen vor:
Die Mutter des Klägers habe keine ärztlich geleitete Geburtshilfe gewünscht. Die Leitung
der Geburt sei unter diesen Voraussetzungen Aufgabe der Beklagten zu 5) gewesen. Zwar
sei es in der J-Klinik üblich, eine ärztliche Aufnahmeuntersuchung durchzuführen.
Nachdem die Beklagte zu 5) nach dem Eintreffen der Mutter des Klägers die Beklagten zu
2), 3) und 4) hiervon unterrichtet gehabt habe, habe die Beklagte zu 5) es aber abgelehnt,
eine solche ärztliche Aufnahmeuntersuchung durchführen zu lassen. Vielmehr sei
vereinbart worden, daß ein Arzt nur bei Schwierigkeiten oder Auffälligkeiten habe
hinzugezogen werden sollen. Daß ein vorzeitiger Blasensprung am Vortag um 23:00 Uhr
vorgelegen habe, werde im übrigen bestritten. Unabhängig davon sei im Rahmen der
Aufnahmeuntersuchung eine Ultraschalluntersuchung nicht indiziert gewesen. Das
Aufnahme-CTG sei im übrigen unauffällig gewesen. Deshalb sei auch die Anlage eines
Dauer-CTG’s nicht notwendig gewesen. In der Folgezeit habe die Beklagte zu 3) sich alle
halbe Stunde nach dem Befinden der Mutter des Klägers erkundigt. Dabei sei sie von der
Beklagten zu 5) nicht zu der Patientin vorgelassen worden, sondern sei immer nur
mündlich über den nach Darstellung der Beklagten zu 5) problemlosen Verlauf informiert
gewesen. Nachdem die Beklagte zu 3) um 12:00 Uhr von der Beklagten zu 5) über die
suspekten Herztonfrequenzen informiert worden sei, sei das CTG angelegt worden, wobei
das Vorliegen einer fetalen Bradycardie bestritten werde. Zur Durchführung eines
Kaiserschnitts sei es angesichts des Geburtsfortschritts zu spät gewesen, so daß die auf
normalem vaginalen Weg erfolgte Geburt behandlungsfehlerfrei erfolgt sei. Eine Haftung
der Beklagten zu 4), die überhaupt nicht mit der Mutter des Klägers befaßt gewesen sei,
scheide im übrigen von vornherein aus. Schließlich werde die Kausalität eventueller
Behandlungsfehler für die auch in ihrem Ausmaß bestrittenen Schäden des Klägers
bestritten.
Die Beklagte zu 5) trägt vor:
Die Mutter des Klägers habe sie erst 7 ¾ Stunden nach dem Blasensprung um 06:45 Uhr
am ##1996 unterrichtet. Anschließend habe es sich in der J-Klinik aufgrund der ständigen
Involvierung der behandelnden Ärzte um eine ärztlich geleitete Geburt gehandelt. Die
Beklagte zu 3) habe entsprechend dem Wunsch der Mutter des Klägers zur ärztlichen
Betreuung während der Geburt regelmäßig persönlich mit der Mutter des Klägers
gesprochen und die Vorgehensweise der Beklagten zu 5) als ordnungsgemäß angesehen.
Es entspreche auch nicht dem Standard, bei physiologischen Geburten eine kontinuierliche
kardiotokographische Überwachung vorzunehmen und eine Aufnahme-
Ultraschalluntersuchung durchzuführen. Deshalb und weil die die Geburt leitenden
Ärztinnen die ihnen zur Befundung vorgelegte CTG-Aufnahmeuntersuchung und die weiter
beabsichtigte Vorgehensweise der Überwachung durch des Sonicaid-Gerät nicht
beanstandet hätten, sei ihr ein Behandlungsfehler nicht anzulasten, wenn sie
dementsprechend verfahren sei. Die von ihr vorgenommene Feststellung der Herzfrequenz
sei zutreffend gewesen und habe auch im Hinblick auf die zeitlichen Abstände dem
gebotenen Standard entsprochen. Daß in der Zeit nach 11:30 Uhr bis 12:00 Uhr keine
entsprechende Sonicaid-Untersuchung der Herztonfrequenz vorgenommen worden sei,
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beruhe auf der zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Zustandes der Mutter des Klägers
notwendig gewordenen Umlagerung aus der Wanne auf einen Hocker beziehungsweise in
den etwa 10 m entfernten Kreissaal. Nachdem sie - die Beklagte zu 5) - den Abfall der
Herztonfrequenz gegen 12:00 Uhr bemerkt habe, habe sie sofort die Beklagte zu 3)
informiert. Dieser und der Beklagten zu 2) seien im Anschluß daran Behandlungsfehler
anzulasten, weil sie die gebotene Sectio nicht eingeleitet und den Rettungswagen zu spät
angefordert hätten. Insgesamt sei die Geburt unter Kristellerhilfe falsch gewesen, weil dies
zu einer deutlichen Verzögerung der Geburt geführt habe, die ihrerseits wiederum
schadensursächlich gewesen sei. Insgesamt sei das Fehlverhalten aber im Ergebnis nicht
ursächlich für den eingetretenen Schaden, weil die pathologisch festgestellte
Plazentainsuffizienz den Rückschluß auf eine chronisch unterversorgte und den Schaden
des Klägers erst bedingende Ursache zulasse.
Der Beklagte zu 6) trägt vor:
Die von ihm eingeleiteten Sofortmaßnahmen entsprechend seinem handschriftlichen
Anästhesieprotokoll seien behandlungsfehlerhaft erfolgt, insbesondere habe er nach
seinem Eintreffen um 12:30 Uhr bereits um 12:31 Uhr sofort intubiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen
Inhalt der von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend
verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. S2 vom 27.01.2000 (Bl. 394 ff. d. A.) und 16.10.2000 (Bl. 545 ff.
d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 16.05.2001 (Bl. 612 ff. d. A.) verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten zu 1), 2), 3) und 5) der geltend gemachte
Schmerzensgeld- und Feststellungsanspruch aus pVV des Behandlungsvertrages und
unerlaubter Handlung gemäß §§ 823, 831, 847 BGB zu. Die Klage gegenüber der
Beklagten zu 4) ist unbegründet, weil sie in das Behandlungsgeschehen nicht involviert
war, während die gegen den Beklagten zu 6) gerichtete Klage unbegründet ist, weil ihm
keine Behandlungsfehler im Rahmen der von ihm wahrgenommenen
Reanimationsmaßnahmen nach der Entbindung des Klägers angelastet werden können.
Die diensthabenden Ärztinnen, die Beklagten zu 2) und 3), für die der Beklagte zu 1)
gemäß §§ 278, 831 BGB einzustehen hat, waren ebenso wie die Hebamme, die Beklagte
zu 5), bei der Aufnahme der Klägerin für die Einhaltung des insoweit maßgeblichen
geburtshilflichen Standards verantwortlich. Die Haftung der Ärzte ist nicht deshalb
ausgeschlossen, weil es grundsätzlich zu den Aufgaben der Hebamme gehört, eine Geburt
ohne besondere Komplikationen selbständig zu betreuen, bis ein Arzt die Behandlung
übernommen hat (BGH NJW 1995, 1611 ff.). Denn dies schließt die ärztliche
Einstandspflicht für ein Fehlverhalten bei einzelnen Phasen der Geburt, an denen ein Arzt
beteiligt war, nicht aus. Denn die Mutter des Klägers hatte als gesetzlich
krankenversicherte Patientin im Rahmen ihres stationären Aufenthaltes in der Klinik des
Beklagten zu 1) Anspruch auf ärztliche Betreuung. Deshalb hatte sie sich ins Krankenhaus
begeben, statt ambulant nur mit einer Hebamme zu entbinden. Im Rahmen der ärztlichen
Betreuung war mithin die Durchführung einer Aufnahmeuntersuchung oder die ärztliche
Beurteilung der von der Hebamme erhobenen und mitgeteilten Befunde im Rahmen des
geschuldeten ärztlichen Beistands anläßlich der stationären Aufnahme in der J-Klinik
geboten. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, ob mit der Aufnahmeuntersuchung
beziehungsweise der Beurteilung der von der Hebamme gewonnenen Befunde nunmehr
statt einer von der Hebamme eine von Ärzten geleitete Geburt vorliegt, als vielmehr mit der
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doch gerade durch die stationäre Aufnahme von der Mutter des Klägers gewünschten
zusätzlichen Absicherung des Geburtsverlaufs durch ärztlichen Beistand. Wenn sich bei
der Beurteilung des Aufnahmebefundes seitens der Ärzte der weitere Verlauf der Geburt so
wie vorgestellt hätte durchführen lassen, wäre es allein wegen der Anamnese und der
Beurteilung des Aufnahmebefundes seitens der Ärzte nicht zu einer ärztlich geleiteten
Geburt gekommen, bei der die Hebamme nur Gehilfin des Arztes ist. Die Hebamme hätte
vielmehr die Geburt weiter allein verantwortlich betreut, bis gegebenenfalls Komplikationen
aufgetreten wären und auf ihre Veranlassung ein Arzt eingeschaltet worden wäre.
Die Beklagte zu 5) haftet ebenfalls für die Einhaltung des geburtshilflichen Standards bei
bestimmten Risikokonstellationen, die sie eigenverantwortlich abzuklären und hinsichtlich
der weiteren Vorgehensweise grundsätzlich selbständig zu entscheiden hatte. Damit hat
sie auch bei einer stationären Aufnahme in eine Klinik zunächst eigenverantwortlich im
Rahmen der Betreuung der Schwangeren darüber zu befinden, welche Schlußfolgerungen
aus dem bisherigen Geburtsverlauf für die weitere Überwachung und Betreuung auf der
Grundlage des anerkannten geburtshilflichen Standards zu ziehen sind. Teilt die Hebamme
im Rahmen der so gebotenen Entscheidungsfindung den ärztlichen Geburtshelfern den
Status der Schwangeren mit und bestätigen diese die - gegebenenfalls fehlerhafte -
Einschätzung der Hebamme zur weiteren Vorgehensweise, so wird die Hebamme
hierdurch schon nicht exkulpiert. Denn allein durch die begleitende
Aufnahmeuntersuchung wird die Geburt nicht zur ärztlich geleiteten Geburt. Erst recht
entfällt die Verantwortung der Hebamme für eine behandlungsfehlerhaft getroffene
Einschätzung zur weiteren Vorgehensweise nicht dann, wenn sie den Aufnahmebefund nur
unvollständig weiter gibt und die Entscheidungsgrundlage der ärztlichen Geburtshelfer zur
weiteren Überwachung im Rahmen der Geburtshilfe deshalb nicht auf einer vollständigen
Kenntnis der insoweit maßgeblichen Tatsachen beruhen kann.
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind sowohl den ärztlichen Geburtshelfern als auch der
Hebamme Behandlungsfehler anzulasten, weil sie es unterlassen haben, eine
ausreichende Aufnahmeuntersuchung durchzuführen (Beklagten zu 2) und 3))
beziehungsweise aufgrund der bekannten Risikofaktoren, die dem Geburtshilfestandard
entsprechenden Schlußfolgerungen zur ständigen CTG-Überwachung unter Verzicht auf
die kontraindizierte Wannenentbindung unter Sonicaid-Überwachung hinzuwirken
(Beklagte zu 5)). Den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. S2 zufolge ist bei Aufnahme der Mutter des Klägers in der J-
Klinik der in allen gängigen Lehrbüchern formulierte Minimalstandard des ärztlichen
Erstkontaktes nicht eingehalten worden. Hiernach ist es erforderlich, daß Arzt und
Hebamme unmittelbar nach dem Eintreffen der Schwangeren in Ausübung der
Verantwortung für Mutter und Kind sofort und ohne Zeitverzug den momentanen Zustand
durch eine Aufnahmeuntersuchung festzustellen haben, um hieran anschließend eine
Prognose hinsichtlich des weiteren Geburtsverlaufs und die erforderlichen
Geburtshilfemaßnahmen zu treffen. Im Rahmen der sowohl von der Hebamme als auch
dem Arzt geschuldeten Aufnahmeuntersuchung ist abgesehen von der äußeren
Untersuchung der Mutter einschließlich der palpatorischen Wehenkontrolle, der
stetoskopischen Herzkontrolle mit anschließender Herzton- und Wehenbeschreibung durch
ein Aufnahme-CTG, einer vaginalen Untersuchung und einer Allgemeinuntersuchung der
Kreißenden auch eine Aufnahme-Ultraschalluntersuchung erforderlich. Während die
erstgenannten diagnostischen Maßnahmen von der Beklagten zu 5) durchgeführt worden
sind, ist eine Aufnahme-Ultraschalluntersuchung nicht erfolgt. Durchführung und/oder
Beurteilung dieser Ultraschalluntersuchung oblagen sowohl der Hebamme als auch den
Ärzten im Rahmen des parallel geschuldeten ärztlichen Beistands nach stationärer
Aufnahme in der Klinik des Beklagten zu 1). Bei der gebotenen Ultraschalluntersuchung
hätte - so der Sachverständige weiter - erkannt werden können, daß es sich bei dem Kläger
um ein sogenanntes "Small for Date"-Kind handelte. Der Sachverständige hat dies
überzeugend damit begründet, daß das Geburtsgewicht mit 2.750 g an der unteren
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Normgrenze lag. Dieser Befund hätte dann im Zusammenhang mit dem vorzeitigen
Blasensprung wegen der Möglichkeit einer aufsteigenden uterinen Infektion mit
konsekutiver fetaler Gefährdung eine kontinuierliche CTG-Überwachung obligatorisch
gemacht. Die damit gegebene Risikokonstellation hätte dazu führen müssen, von der
angestrebten Wassergeburt abzuraten und stattdessen eine auch kardiotokographisch
engmaschig überwachte Geburt anzustreben.
Die ärztlichen Geburtshelfer können sich in dem Zusammenhang nicht dadurch entlasten,
daß sie einerseits den vorzeitigen Blasensprung um 23:00 Uhr des Vortages bestreiten und
andererseits - von der Beklagten zu 5) bestritten - behaupten, die Hebamme habe sie
davon abgehalten, die in der J-Klinik sonst immer durchgeführte Aufnahmeuntersuchung
eigenständig durchführen zu können. Was das Bestreiten des Blasensprunges angeht,
hätten die Beklagten zu 2) und 3) die von der Beklagten zu 5) im Partogramm eingetragene
Anamnese als gegeben hinnehmen müssen, unabhängig davon, ob tatsächlich ein
Blasensprung vorgelegen hat oder nicht. In dem Partogramm ist aber ausdrücklich
festgehalten, daß am Vortag um 23:00 Uhr ein Blasensprung stattgefunden hat mit der
Folge, daß die Beklagten zu 2) und 3) dies bei ihrer weiterer Befundung unabhängig von
dem tatsächlichen Vorliegen hätten zugrunde legen müssen mit der weiteren Folge, daß
die daraus abzuleitende Risikokonstellation im Zusammenhang mit der anläßlich der -
schuldhaft unterlassenen - Ultraschalluntersuchung und dem dabei gewonnenen Befund
die Kontraindikation der angestrebten Wassergeburt und die kontinuierliche engmaschige
CTG-Überwachung erforderlich gemacht hätte. Auch der Einwand, die Beklagte zu 5) habe
sie von der angestrebten Aufnahmeuntersuchung abgehalten, ist unerheblich. Denn zum
einen ist die Hebamme weder Erfüllungs- noch Verrichtungsgehilfe der Mutter des Klägers,
so daß ein Mitverschuldenseinwand nicht durchgreifen kann. Zum anderen hätten die
Beklagten zu 2) und 3) selbst bei einer von der Hebamme verhinderten eigenen ärztlichen
Untersuchung jedenfalls dafür Sorge tragen müssen, daß ihnen die von der Hebamme
erhobenen Befunde und damit die für die weitere Vorgehensweise elementar wichtigen
Parameter mitgeteilt worden wären. Dabei hätte ihnen auffallen müssen, daß die Beklagte
zu 5) keine Ultraschalluntersuchung durchgeführt hat, so daß es ihnen oblegen hätte, die
Beklagte zu 5) anzuhalten, diese umgehend durchzuführen, um vor dem Hintergrund des
so gewonnenen Untersuchungsergebnisses den weiteren Verlauf zu prognostizieren.
Die Beklagte zu 5) als Hebamme kann sich nicht mit dem Einwand entlasten, die
behandelnden Ärztinnen hätten nach Vorlage des CTG’s der von ihr in Aussicht gestellten
weiteren Vorgehensweise - Wannengeburt unter Sonicaid-Überwachung - zugestimmt und
keine Einwände vorgebracht. Denn die Beklagte zu 5) hatte den die ärztliche Betreuung
wahrnehmenden Beklagten zu 2) und 3) nicht die für eine insoweit notwendige ärztliche
Entscheidung ausreichende Grundlage mitgeteilt. Ihrem eigenem Vorbringen und ihren
handschriftlichen Aufzeichnungen zufolge, die mit der Dokumentation des Verlaufs der
Entbindung seitens der Ärztinnen übereinstimmt, hat sie den Beklagten zu 2) und 3) im
Wesentlichen nur das Aufnahme-CTG vorgelegt und eben nicht auf den vorzeitigen
Blasensprung hingewiesen. Zudem wußte sie selbst, daß eine Ultraschalluntersuchung,
die - wie ausgeführt - zum Minimalstandard der Geburtshilfe bei Aufnahme der Kreißenden
gehört, nicht durchgeführt worden war. Vor diesem Hintergrund kam der zustimmenden
Entscheidung der Ärztinnen keine die Hebamme exculpierende Bedeutung für die
Beurteilung des weiteren Verlaufs und insbesondere für das schuldhafte Unterlassen der
kontinuierlichen CTG-Überwachung bei.
Festzuhalten ist hiernach, daß den Beklagten zu 1), 2), 3) und 5) als Behandlungsfehler
anzulasten ist, daß sie eine kontinuierliche CTG-Überwachung und damit die Erhebung
von Diagnose- und Kontrollbefunden schuldhaft unterlassen haben. Bei einer derartigen,
nach dem geburtshilflichen Standard gebotenen Überwachung hätte sich den weiteren
Ausführungen des Sachverständigen zufolge, die die Kammer sich auch insoweit zu eigen
macht, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im weiteren Verlauf ein positives und deshalb
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aus geburtshilflicher Sicht reaktionspflichtiges Ergebnis gezeigt. Zwar konnte der
Sachverständige angesichts der spärlichen Dokumentation und fehlender Anhaltspunkte,
wann genau der Sauerstoffmangel bei dem Kläger eingetreten ist, nicht ganz exakt
eingrenzen, wann es zu der Sauerstoffunterversorgung im weiteren Geburtsverlauf
gekommen ist. Angesichts des erheblichen Sauerstoffmangels, der sich bei der Entbindung
des Klägers in seinem Zustand manifestierte, ist aber davon auszugehen, daß der
Sauerstoffmangel wahrscheinlich in der Zeit zwischen 11:30 Uhr und 12:00 Uhr eingetreten
ist, während der Zeit also, während der in der Dokumentation keine Kontrollmaßnahmen
von der Beklagten zu 5) niedergeschrieben worden sind. Bei einem kontinuierlich
fortgeschriebenen CTG hätte dieser pathologische Zustand sich also bereits frühzeitiger
erkennen lassen. Jedenfalls wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
frühzeitig der fetale Streßzustand aufgefallen, der aufgrund der Art der Überwachung
ansonsten unentdeckt blieb und letztlich zu dem deletären kindlichen Zustand führte.
Da die - hypothetische - Nichtreaktion auf einen solchermaßen gewonnenen
pathologischen Befund aufgrund der kontinuierlichen CTG-Registrierung schlechterdings
unvertretbar und grob behandlungsfehlerhaft gewesen wäre, greifen im Rahmen des
Kausalitätsbandes zum Primärschaden Beweiserleichterungen zugunsten des Klägers in
dem Sinne ein, daß es nunmehr den Beklagten obliegt, nachzuweisen, daß auch bei einer
rechtzeitigen Reaktion der Schaden beim Kläger eingetreten wäre. Hierzu hat der
Sachverständige ausgeführt, daß nicht mit der insoweit erforderlichen Sicherheit davon
ausgegangen werden kann, daß auch bei einer frühzeitigen Reaktion aufgrund der im
Rahmen der CTG-Befundung erhobenen Werte der hier in Rede stehende Schaden
eingetreten wäre. Denn allenfalls in 10 % der Fälle ist es so, daß es dennoch zu Schäden
kommt, selbst wenn sofort reagiert worden wäre. In der überwiegenden Zahl der Fälle - so
der Sachverständige weiter - würde es aber wohl nicht zu diesen Schäden kommen mit der
Folge, daß die bei hypothetischer Betrachtungsweise grob behandlungsfehlerhaft
unterlassene Reaktion auf den frühzeitiger erkennbaren pathologischen Befund im
vorliegenden Fall kausal für die später eingetretene Retardierung des Klägers war.
Es kann nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S2 auch
nicht davon ausgegangen werden, daß eine vorbestehende respiratorische
Plazentainsuffizienz ursächlich für den Sauerstoffmangel bei dem Kläger geworden ist. Der
Sachverständige hat hierzu in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargelegt, daß das -
entgegen der Auffassung des Klägers - nicht pathologische Aufnahme-CTG ein
unauffälliges fetales Wohlbefinden eindeutig belegt und eine chronisch nutritive
Plazentaissufizienz - so sie überhaupt vorlag - zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme jedenfalls
vollständig kompensiert war.
Insgesamt decken sich die Wertungen und Schlußfolgerungen des Sachverständigen Prof.
Dr. S2 im Kern mit denen des vorprozessual im Auftrag des Klägers mit der Bewertung des
vorliegenden Falles befaßten Sachverständigen Prof. Dr. P in dessen schriftlichen
Gutachten vom ##1998 (Bl. 218 ff. d. A.) mit dem einzigen wesentlichen Unterschied, daß
der letztgenannte Sachverständige unabhängig von einer bestehenden Risikokonstellation
in jedem Fall eine kontinuierliche CTG-Überwachung als geburtshilflichen Standard
ansieht mit der Folge, daß die von der Beklagten zu 5) vorgenommene Sonicaid-
Überwachung unabhängig von dem frühzeitigen Blasensprung und der anhand der
schuldhaft unterlassenen Ultraschalluntersuchung festzustellenden Konstitution des
Klägers in jedem Fall behandlungsfehlerhaft gewesen wäre.
Die streitigen Geburtsschäden aufgrund der unzureichenden Sauerstoffversorgung sind
durch die vom Kläger vorgelegten diversen Arztberichte ausreichend belegt, so daß die
Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens insoweit nicht erforderlich war. In
dem Entlassungsbericht der Kinderklinik der S B vom ##1995 ist als Diagnose eine
perinatale Asphyxie mit Postasphyxiesyndrom, Neugeborenen-Krampfanfälle, periodische
Atmung und Rotavirusenteritis angegeben. Bei der abschließenden körperlichen
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Untersuchung ergab sich bis auf eine bei Aktivität hypotone Muskulatur kein klinisch
auffälliger Befund. In einem weiteren Befundbericht über die klinische Verlaufskontrolle
vom ##1996 wird in der Diagnose eine zerebrale Bewegungsstörung mit choreo-athetoiden
Bewegungsmustern und eine generalisierte Muskelhypertonie dokumentiert. Aufgrund des
dezelerierten Kopftwachstums wird eine Störung des Hirnwachstums festgestellt, wobei
eine deutliche innere und äußere Hirnvolumenminderung vorliegt. In dem Arztbericht der
Kinderabteilung des C-Krankenhauses vom ##1996 wird eine zwischenzeitlich bereits im
Klinikum erstellte Diagnose eines BNS-Krampfleidens bestätigt. In dem Aufnahmebefund
ist eine beinbetonte Tetraspastik und eine Neigung zu opisthotonen Körperhaltung
beschrieben. Die daraufhin eingeleitete Valproat-Therapie führte - jedenfalls zunächst - zu
einer Besserung. In dem Bericht der Augenklinik der S B vom ##1996 wird eine Esotropie
rechts, eine Hyperopie und Astigmatismus diagnostiziert. In einem Attest zur Vorlage bei
der Krankenkasse vom ##1996 beschreibt der Kinder- und Jugendarzt Dr. Q unter
anderem, daß der Kläger ständig von seiner Mutter beaufsichtigt werden und meist auf dem
Arm getragen werden muß. Darüber hinaus benötigt er die Hilfe seiner Mutter in allen
täglichen Verrichtungen, insbesondere kann er noch nicht selber Essen und Trinken, ferner
liegt eine Funktionsstörung am Stütz- und Bewegungsapperat vor, die eine ständige
Beaufsichtigung und eine Hilfe in allen Verrichtungen des täglichen Lebens notwendig
macht. Einem Befundbericht der Neuroradiologie der S B vom ## 1995 zufolge spricht der
CTG-Befund vom ## 1995 für eine globale schwere hypoxidotische Hirnschädigung. Der
Befundbericht der Kinderklinik der S B vom ## 1996 verweist ebenfalls auf eine
Hirnvolumenminderung mit einem ausgeprägtem posthypoxischen Hirnschaden. Die
anschließenden Befundberichte bei den in regelmäßigen Abständen erfolgten
Wiedervorstellung in der Kinderklinik bestätigen auch in der Folgezeit die erhobenen
Befunde. Eine wesentliche Verbesserung der Entwicklung ist nicht eingetreten. In dem
Bericht vom ## 1998 heißt es, daß zwar nach der Gabe von Ergenyl vor einem Jahre keine
Anfälle mehr aufgetreten seien, von Seiten seiner bisherigen Entwicklung aber keiner der
Entwicklungs-Meilensteine erfüllt worden ist. In dem Bericht vom ##1999 ist wiederum die
Rede davon, daß Meilensteine der Entwicklung nicht erfüllt worden sind, wobei im
einzelnen beschrieben wird, wozu der Kläger immer noch nicht in der Lage ist (der Kläger
ist nicht in der Lage zuzuknöpfen, sich unter Anleitung anzuziehen pp.). Weiter heißt es,
daß von Seiten der klinisch-pädiatrischen sowie neurologischen Untersuchung ein
unverändertes Bild besteht. In dem Arztbericht der Dres. L und C2 vom ##1999 wird die
grob motorische Entwicklung des Klägers als der eines sechs bis sieben Monate alten
Kleinkindes entsprechend dargestellt. Pflegerisch ist er hiernach überhaupt nicht in der
Lage, auch nur kleinste Tätigkeiten des täglichen Lebens allein durchzuführen mit der
Folge, daß er auf die ständige Hilfe seiner Eltern angewiesen ist. Auch auf mentalem
Gebiet wie Sprache oder Auffassungsvermögen besteht eine starke Retardierung. Der
Kläger ist hiernach weder in der Lage, altersgemäße Sätze zu sprechen, noch zu
kombinieren. Das mentale Verständnis für Begriffe wie heiß und kalt, durstig und müde fehlt
vollständig. Insgesamt liegt hiernach bei dem Kläger eine schwere Verzögerung der
Entwicklung auf allen Ebenen vor, die bei Zustand nach schweren perinataler Asphyxie
wenig Hoffnung auf deutliche Besserung beinhaltet. Dies wird durch den Bericht der
Kinderklinik der S B vom ## 1999 bestätigt, wonach von Seiten der Entwicklung des
Klägers keinerlei Fortschritte zu verzeichnen sind und eine erhebliche psychomotorische
Retardierung besteht. Der Kläger kann hiernach auch seine Stuhl- und Blasenfunktion nicht
kontrollieren. Eine Rotation um die Körperachse, freies Sitzen, Aufsetzen, Sitzen ohne
Hilfe, Bücken und Aufrichten, alleine Stehen beziehungsweise Krabbeln erfolgt nicht.
Vor dem Hintergrund dieser über mehrere Jahre erfolgten Befunderhebung insbesondere
durch die kontinuierliche Kontrolle der behandelnden Ärzte der Kinderklinik der S B, hat die
Kammer keinen Zweifel daran, daß die darin genannten Beeinträchtigungen bei dem
Kläger vorliegen. Diese Einschätzung teilt im übrigen der vorgerichtlich bereits von dem
Kläger beauftragte Prof. Dr. T1 in seinem Gutachten vom ## 1998, in dem er ausführt, daß
es überhaupt keinen Hinweis dafür gibt, daß bei einer neuerlichen Untersuchung des
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Klägers irgendwelche wesentlichen oder bisher verdeckten Informationen festzustellen
seien. Festzuhalten ist hiernach, daß bei dem Kläger eine schwere Hirnschädigung
aufgrund des Geburtstraumas eingetreten ist, die die Beklagten zu 2) und 3), für die der
Beklagte zu 1) gemäß §§ 276, 831 BGB mit haftet, und die Beklagte zu 5) zu verantworten
haben.
Auf die Frage, ob den Beklagten zu 2) und 3) im Zusammenhang mit der ärztlichen
Betreuung der Geburt nach der Alarmierung durch die Beklagte zu 5) weitere
Behandlungsfehler anzulasten sind, kommt es im Ergebnis nicht an. Anhaltspunkte hierfür
haben sich indes nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S2 insoweit nicht
ergeben. Genauso wenig kommt es darauf an, ob der Beklagten zu 5) darüber hinaus
anzulasten ist, daß sie ab 11:30 Uhr nicht die mit dem Sonicaid-Gerät von ihr - angeblich in
regelmäßigen Abständen - nicht im einzelnen dokumentierte Überprüfung der
Herztonfrequenz durchgeführt hat oder nicht und welche Konsequenzen sich insoweit für
ihre Haftung ergeben. Daß darüber hinaus Mängel in der Überwachung vorlagen, legen die
bisherigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S2 nahe, wonach es an der
ausreichenden Überwachung im Anschluß an das Verlassen der Mutter des Klägers aus
der Badewanne fehlte. Es kommt letztlich auch nicht mehr darauf an, ob es einer
Behandlungsaufklärung hinsichtlich der Überwachungsalternative einer kontinuierlichen
CTG-Überwachung bedurft hätte.
Schließlich scheidet eine Haftung der Beklagten zu 4) aus. Sie hatte unstreitig nur bis
09:00 Uhr Dienst und war in dem Zusammenhang nicht mit der Beurteilung der Anamnese
und der Durchführung einer weiterführenden Aufnahmeuntersuchung befaßt. Denn die
Beklagte zu 5) hat das Aufnahme-CTG unstreitig erst kurz nach 09:00 Uhr fertiggestellt und
im Anschluß hieran erst die Beklagte zu 3) beziehungsweise die Beklagte zu 2) hiervon in
Kenntnis gesetzt.
Auch der Beklagte zu 6) hat im Zusammenhang mit den ihm obliegenden
Reanimationsmaßnahmen keinen Behandlungsfehler begangen. Unwiderlegt ist er um
12:30 Uhr im Kreissaal eingetroffen und hat bereits um 12:31 Uhr die erforderliche
Intubation vorgenommen. Daß er entgegen der Dokumentation erst um 12:40 Uhr intubiert
hat, steht nicht fest. Eine derartige Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden und entsprach
dem insoweit gebotenen ärztlichen Standard zur Wiederbelebung des ateminsuffizienten
Klägers.
Was die Höhe des Schmerzensgeldes angeht, mußte sich auswirken, daß der Kläger Zeit
seines Lebens aufgrund des unter der Geburt erlittenen Hirnschadens schwerstgeschädigt
und auf die ständige Hilfe seiner Eltern in allen Bereichen angewiesen sein wird. Unter
Berücksichtigung der erheblichen Einschränkung der Lebensqualität im Verhältnis zu
einem gesunden Menschen erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 DM als
angemessen und ausreichend.
Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus §§ 284 Abs. 1, 288 BGB a. F. Dem Grunde
nach kann der Kläger Zinsen erst ab Rechtshängigkeit verlangen, weil er einen
weitergehenden Zinsanspruch ab dem Tag seiner Geburt beziehungsweise ab einem
Zeitpunkt bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit nicht schlüssig dargetan hat. Mit der
Rechtshängigkeit ist Verzug eingetreten, so daß Verzugszinsen geltend gemacht werden
können. § 288 Abs. 1 BGB n. F., wonach eine Geldschuld während des Verzugs mit 5 %
Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist, findet auf die Schmerzensgeldforderung
keine Anwendung, weil diese bereits vor dem 01.05.2000 fällig war und die Neufassung
des § 288 BGB nur auf später fällig werdende Forderungen Anwendung findet. Zurecht
weist der Kläger indes darauf hin, daß bei der Größenordnung des hier in Rede stehenden
Schmerzensgeldes davon ausgegangen werden kann, daß der Betrag von dem Kläger
beziehungsweise seinen gesetzlichen Vertretern jedenfalls zum überwiegenden Teil
angelegt worden wäre. Ein Teil des Geldes wäre demgegenüber anderweitig verwendet
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worden, was angesichts des Umstandes, daß die Eltern des Klägers Sozialhilfe beziehen,
wahrscheinlich ist. Um eine differenzierende Aufteilung des sofort verwandten
Geldbetrages und des angelegten Geldbetrages über den Lauf der Jahre im Rahmen der
gebotenen Schätzung gemäß § 286 ZPO zu vermeiden, erscheint es der Kammer
angemessen, pauschal einen Zinssatz von insgesamt 6 % für die gesamte Summe
anzusetzen.
Der Feststellungsantrag ist im übrigen insgesamt wegen der fortschreitenden
Schadensentwicklung für Vergangenheit und Zukunft gemäß § 256 ZPO zulässig und
begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufig Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.
Streitwert:
Antrag zu 1) - 500.000,00 DM
Antrag zu 2) - 100.000,00 DM
U1
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U3