Urteil des LG Aachen vom 16.10.1985

LG Aachen (treu und glauben, herausgabe, kläger, arzt, wirtschaftliche tätigkeit, verweigerung, interesse, einsichtnahme, röntgenstrahlen, vertrag)

Landgericht Aachen, 7 S 90/85
Datum:
16.10.1985
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 S 90/85
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 14 C 619/84
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 01. März 1985 verkündete
Urteils des Amtsgerichts Aachen -14 C 619/85- wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird 'gemäß § 53 Absatz 1 ZPO abgesehen,
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist an sich statthaft sowie form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht
begründet. Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, dem Kläger die
Röntgenaufnahmen herauszugeben, die der Beklagte anläßlich der Behandlung des
Klägers gefertigt hat,
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Der Kläger kann seinen Anspruch allerdings nicht auf § 810 BGB stützen. Eine
Röntgenaufnahme stellt keine Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift dar
(vergleiche BGH Urteil vom 06.11.62, NJW 1963, Seite 389 ff.; BGH Urteil vom
23.11.1982, NJW 1983, Seite 328 ff. IV a). Im übrigen geht der Anspruch aus § 810 BGB
nur auf Einsichtnahme in die Urkunden, also nicht auf endgültige Herausgabe, wie sie
im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht wird.
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Ein Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB scheidet aus, weil der Kläger nicht
Eigentümer der Röntgenaufnahmen ist( vergleiche BGH, Urteil vom 06.11.1962, a.a.O.).
Die Röntgenaufnahme sind vielmehr von dem Beklagten aus eigenem Material
hergestellt worden und dessen Eigentum.
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Ein werkvertraglicher Anspruch auf Herausgabe scheidet aus, weil ein auf Herstellung
der Röntgenaufnahmen gerichteter Vertrag nicht abgeschlossen worden ist. Der Vertrag
hatte vielmehr die Untersuchung des Klägers wegen Rückenschmerzen zum
Gegenstand, und die Röntgenaufnahmen sind nur gemacht worden, um die
diagnostische Grundlage hierfür zu gewinnen.
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Der Vertrag der Parteien stellt sich auch nicht als Geschäftsbesorgungsvertrag, im Sinne
des § 675 BGB dar, der den Beklagten nach § 667 zur Herausgabe der
Röntgenaufnahmen verpflichten würde (vgl. BGH, Urteil vom 6.11.1962, a.a.O.). § 667
BGB betrifft nur wirtschaftliche Tätigkeiten (vgl. Palandt-Thomas, BGB 43. Aufl., § 675,
Anm. 2a), und die Tätigkeit des Beklagten war keine solche wirtschaftliche Tätigkeit.
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Es kann auch nicht angenommen werden, daß die Parteien sich bei Vertragsschluß
stillschweigend dahin geeinigt hätten, der Beklagte habe die Röntgenaufnahmen bei
Beendigung des Vertrages dem Kläger herauszugeben. Zumindest der Beklagte hatte
bei Vertragsschluß nicht die Absicht, die Röntgenaufnahmen bei Vertragsbeendigung
dem Kläger zu überlassen, und er hat einen auf Herausgabe gerichteten Willen auch
nicht bei Vertragsschluß zum Ausdruck gebracht. Der Kläger konnte das Verhalten des
Beklagten bei Vertragsschluß insbesondere unter Berücksichtigung der
Verkehrsanschauung nicht gemäß §§ 133, 157, 242 BGB dahin auslegen, er werde
nach Beendigung des Vertrages ohne weiteres die Röntgenaufnahmen erhalten. In der
Regel behält der behandelnde Arzt nämlich die Röntgenaufnahmen, und hiervon mußte
auch der Kläger bei Vertragsschluß ausgehen.
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Den Beklagten trifft jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
eine vertragliche Nebenpflicht, auf das ausdrückliche Verlangen des Klägers hin diesem
die Röntgenaufnahmen herauszugeben, denn dieser hat ein erhebliches Interesse
hieran und Gründe für die Verweigerung liegen nicht vor (vgl. BGH, Urt. vom 23.11.82
a.a.O., wo darauf hingewiesen wird, vieles spreche dafür, einem Patienten einen
Anspruch aus § 242 BGB auf Einsicht in Behandlungsunterlagen zu gewähren, wenn er
ein Interesse daran haben und Gründe für die Verweigerung nicht vorlägen.
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Das Interesse des Klägers an der Herausgabe der Röntgenaufnahmen ergibt sich
daraus, daß er sie für die Fortsetzung seiner Behandlung durch einen anderen Arzt.
braucht. Die Anfertigung neuer Röntgenaufnahme durch den Arzt, von dem der Beklagte
sich weiter behandeln lassen will, würde nicht nur zusätzliche Kosten verursachen,
vielmehr den Kläger auch einer vermeidbaren erneuten Belastung mit Röntgenstrahlen
und damit einer gesundheitlichen Schädigung aussetzen. Zudem können die neuen
Röntgenbilder nicht den körperlichen Zustand des Klägers zur Zeit der Fertigung der
ersten Aufnahme wiedergeben. Der Vertrag der Parteien diente der Gesundung des
Klägers. Dies hatte der Beklagte nicht nur während der Vertragsdauer, vielmehr nach
Treu und Glauben auch noch bei Vertragsbeendigung zu beachten.
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Der Beklagte ist allerdings bereit, dem genannten Interesse des Klägers dadurch
Rechnung zu tragen, daß er die Aufnahmen dem Arzt herausgibt, der die Behandlung
des Klägers fortsetzt, sobald dieser ihm den Namen des Arztes nennt. Hierauf braucht
der Kläger sich jedoch nicht verweisen zu lassen. Seine personale Würde und sein
Selbstbestimmungsrecht verbieten es, ihm die Rolle eines bloßen Objektes zuzuweisen
(vgl. BGH, Urt. vom 23.11.82, a.a.O.). Er muß seine eigenen Angelegenheiten auch
selbst in die Hand nehmen können, wenn er dies wünscht. Dem läßt sich nicht
entgegenhalten, ein Patient sei gar nicht in der Lage, Röntgenaufnahmen zu verstehen.
Abgesehen davon, daß dies nicht auf alle Patienten zutrifft, ist es gegebenenfalls Sache
des Patienten sich sachkundig von einer Person seines Vertrauens beraten zu lassen,
und keine Rechtfertigung für die Verweigerung der Herausgabe der Röntgenaufnahmen
durch den Arzt.
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Durchgreifende Gründe für die Verweigerung der Herausgabe der Röntgenaufnahmen
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an den Kläger liegen nicht vor. Die Urheber und Eigentumsrechte an den
Röntgenaufnahmen müssen hinter dem Persönlichkeitsrecht des Klägers zurücktreten.
Dies gilt umsomehr, als der Beklagte nicht vorgetragen hat, er benötigte die
Röntgenbilder aus irgendeinem Grunde, zum Beispiel zu wissenschaftlichen Zwecken.
Der Beklagte beruft sich vielmehr lediglich auf eine vermeintliche Verpflichtung zur
Aufbewahrung aus § 29 Abs. 5 der Bestimmungen der Verordnung über den Schutz vor
Schaden durch Röntgenstrahlen - RöV - vom.1.3.1973, Bundesgesetzblatt 1973, Seite
173 ff., wo es heißt:
"Wer eine Person mit Röntgenstrahlen untersucht oder mit Röntgenstrahlen oder
sonstigen ionisierenden Strahlen behandelt hat, hat demjenigen, der später eine
Röntgenuntersuchung oder Röntgenbehandlung vornimmt, auf dessen Verlangen
Auskunft über die Aufzeichnungen nach Abs. 1 oder 2 zu erteilen und die sich hierauf
beziehenden Unterlagen vorübergehend zu überlassen.
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Die genannte Bestimmung des § 29 Abs. 5 RöV bekräftigt aber, wenn man sie
überhaupt auf die Röntgenaufnahmen bezieht und sie nicht auf die anläßlich der
Röntgenuntersuchung gefertigten Aufzeichnungen über die Strahlenbelastung der
Patienten beschränkt, (vgl. Daniels, NJW 1976, 345, Fußnote 6), nur das Recht des
Patienten, Herausgabe an einen anderen Arzt zu verlangen*, unmittelbar an sich selbst
zu verlangen. Die Pflicht des Arztes, Röntgenaufnahmen aufzubewahren, dient
ausschließlich dem Interesse des Patienten. Er soll vor einer vermeidbaren
Strahlenbelastung infolge neuer Röntgenaufnahmen dadurch geschützt werden, daß
die alten Aufnahmen aufbewahrt werden. Dieser Zweck der Pflicht des Arztes zur
Aufbewahrung wird durch eine Herausgabe der Röntgenaufnahmen an den Patienten
selbst nicht gefährdet, vielmehr erst recht erreicht. Nach Herausgabe der Aufnahmen an
den Patienten kann dieser sie verwerten, während er bei einer Verweigerung der
Herausgabe neue Aufnahmen fertigen lassen und sich dadurch einer erneuten
Strahlenbelastung aussetzen wird.
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Der Bundesgerichtshof hat (Urteil vom 23.11.1982, a.a.O.) in dem Fall, daß ein Patient
nicht durch einen Arzt, sondern durch seinen Rechtsanwalt Einsichtnahme in die ihn
betreffenden Krankenunterlagen begehrt, den Anspruch insoweit zuerkannt, als es sich
um Aufzeichnungen über naturwissenschaftlich, objektivierbare Befunde handelt. Eine
Röntgenaufnahme unterfällt danach zweifelsfrei dem Recht des Patienten auf eigene
Einsichtnahme. Nach Auffassung der Kammer ist der Patient aber nicht nur zur
Einsichtnahme berechtigt, vielmehr kann er auch Herausgabe verlangen.
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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Arzt berechtigt ist, Fotokopien zu fertigen und
diese anstelle der Originale herauszugebenr denn Fotokopien, bietet der Beklagte nicht
an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.000,- DM.
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Dr. T. Dr. N T1
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* schließt jedoch nicht sein Recht aus, stattdessen Herausgabe
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