Urteil des LG Aachen vom 11.02.2002

LG Aachen: gütliche einigung, schlichtungsverfahren, wiederholungsgefahr, auflage, ferienwohnung, hauptsache, entlastung, beschränkung, versuch, prozessökonomie

Landgericht Aachen, 6 T 6/02
Datum:
11.02.2002
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 T 6/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Monschau, 1 C 293/01
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde Klägerin wird der Beschluss des
Amtsgerichts Monschau vom 14.01.2002 - 1 C 293/01 - teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs wer-den
gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Be-klagten
auferlegt.
G r ü n d e
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Die gemäß §§ 91 a Abs. 2, 567 Abs. 1 ZPO n.F. statthafte und auch sonst zulässige -
insbesondere fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den
Kostenbeschluss des Amtsgerichts Monschau vom 14.01.2002 führt auch in der Sache
zum Erfolg.
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Nachdem der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Vergleich vom 14.12.2001 erledigt
wurde, dieser jedoch ausdrücklich keine Regelung über die Kosten des Verfahrens und
des Vergleichs enthielt, war über diese gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO nach billigem
Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
entscheiden. Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung führt indes die
vorzunehmende Billigkeitsprüfung zur Kostenaufhebung insgesamt. Auch für den von
der Klägerin gestellten Widerrufsantrag war nämlich - wie hinsichtlich des zugleich
gestellten Räumungsantrages vom Amtsgericht zu Recht angenommen - von hälftiger
Kostentragungspflicht der Parteien auszugehen. Auch insoweit - also im Hinblick auf
den Widerrufsantrag - war nämlich der Ausgang des Rechtsstreits bei
Vergleichsabschluss offen. Der Beklagte hatte bestritten, gegenüber der Schwester der
Klägerin die inkriminierte Äußerung getätigt zu haben, so dass zur Entscheidung des
Rechtsstreits die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der
benannten Zeugin erforderlich geworden wäre. Entgegen der Auffassung des Beklagten
scheitert das Widerrufsbegehren der Klägerin weder daran, dass keine
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Wiederholungsgefahr bestand noch daran, dass die Klägerin dem Beklagten keine
strafbewehrte Unterlassungserklärung abverlangt hatte. Der Beklagte verwechselt
insoweit ersichtlich das anhängig gewesene Widerrufs- mit einem
Unterlassungsbegehren. Nur das Unterlassungs-, nicht aber das Widerrufsverlangen
setzt Wiederholungsgefahr voraus, die dann gegeben sein kann, wenn der in Anspruch
Genommene sich weigert, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Für das hier
streitige Widerrufsbegehren ist jedoch weder Wiederholungsgefahr noch die
Nichtabgabe einer Unterlassungserklärung vorausgesetzt.
Die Kammer teilt aber auch nicht die Auffassung des Amtsgerichts, die Klägerin sei
gehalten gewesen, vor Anhängigmachen des Widerrufsbegehrens ein
Schlichtungsverfahren gemäß § 10 des Nordrhein-Westfälischen Ausführungsgesetzes
zu § 15 a EGZPO vom 09.05.2000 (GVNW S. 476) durchzuführen. Vielmehr vertritt die
Kammer die Auffassung, dass, wenn - wie hier - ein schlichtungsbedürftiger Antrag mit
einem nicht schlichtungsbedürftigen im Wege der objektiven Klagehäufung verbunden
wird, das Verfahren regelmäßig insgesamt nicht schlichtungsbedürftig ist.
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Freilich ergibt sich die fehlende Schlichtungsbedürftigkeit des vorliegenden
Rechtsstreits entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits aus dem Umstand,
dass die Parteien im maßgeblichen Zeitpunkt des (möglichen) Schlichtungsverfahrens
nicht im selben Landgerichtsbezirk wohnten (§ 11 Ausführungsgesetz zu § 15 a
EGZPO). Das gilt zunächst unter Zugrundelegung des Vortrags des Beklagten, er habe
die streitige Wohnung nicht nur als Ferienwohnung, sondern als Hauptwohnsitz genutzt.
Das gilt aber auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin, der Beklagte habe
die streitige Wohnung lediglich als Ferienwohnung nutzen wollen. Im Grunde
unwidersprochen trägt nämlich der Beklagte vor, er habe von nach umziehen wollen. Da
aber auch im Bezirk des Landgerichts Aachen liegt, wäre gemäß § 11
Ausführungsgesetz zu § 15 EGZPO unter Zugrundelegung dieses unwidersprochenen
Sachvortrags des Beklagten ein Schlichtungsverfahren durchzuführen gewesen. Soweit
die Klägerin in diesem Zusammenhang behauptet, der Beklagte habe von nach
umziehen wollen, ändert dies nichts, da es auf den Zeitpunkt des (möglichen)
Schlichtungsverfahrens ankommt (vgl. hierzu Zöller-Gummer, ZPO, 23. Auflage 2002, §
15 a EGZPO Rz. 16).
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Maßgeblich ist demzufolge die Rechtsfrage zu beantworten, welche Konsequenzen sich
daraus ergeben, dass vorliegend ein Sachantrag, der ein vorheriges
Schlichtungsverfahren zwingend voraussetzt (hier: Widerruf) mit einem solchen, bei
welchem dies nicht der Fall ist (hier: Räumung), im Wege der objektiven Klagehäufung
verbunden worden ist. Nach Auffassung der Kammer führt dies dazu, dass das gesamte
Verfahren regelmäßig nicht schlichtungsbedürftig ist. Dies ergibt sich nach Auffassung
der Kammer aus Sinn und Zweck des Nordrhein-Westfälischen Schlichtungsgesetzes.
Im Bereich der nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten (§§ 15 a Abs. 1 Ziffern 2 und 3
EGZPO, 10 Abs. 1 Ziffern 2 und 3 des Nordrhein-Westfälischen Ausführungsgesetzes
zu § 15 a EGZPO) haben sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber zum
Ausdruck gebracht, dass sie in bestimmten Bereichen der Nachbarschaftsstreitigkeiten
und in solchen Verfahren, die die Verletzung der persönlichen Ehre betreffen, den
vorgängigen Versuch einer gütlichen Einigung einerseits zur Entlastung der Gerichte,
andererseits aber auch deswegen für sinnvoll und erfolgversprechend erachten, weil
diese Streitigkeiten ihrer Natur nach häufig in persönlichen Beziehungen der Beteiligten
wurzeln und die - auch aus der forensischen Praxis heraus - begründete Erwartung
besteht, dass gerade diese Streitigkeiten einer gütlichen Einigung zugeführt werden
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können. Diese Erwartung ist bei typisierender Betrachtung von vorne herein dann nicht -
oder jedenfalls nicht in gleichem Maße - gerechtfertigt, wenn die Streitigkeiten der
Parteien sich nicht auf die im Gesetz ausdrücklich genannten
nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten beschränken, sondern darüber hinausgehen.
Die Chancen für eine gütliche Einigung vor einer Schlichtungsstelle sind dann
regelmäßig weitaus geringer, weil die Parteien dokumentieren, dass der zwischen ihnen
bestehende Konflikt gravierender ist als in jenen Fällen, die den Gesetzgebern bei der
Typisierung der Verfahren vor Augen standen, für welche nunmehr die vorgängige
Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zwingend vorgeschrieben ist. Nach Sinn
und Zweck des Nordrhein-Westfälischen Schlichtungsgesetzes und der Beschränkung
der obligatorischen Schlichtung auf bestimmte typisierte Verfahren ist daher nach
Auffassung der Kammer das gesamte Verfahren regelmäßig dann nicht
schlichtungsbedürftig, wenn im Wege der objektiven Klagehäufung ein
schlichtungsbedürftiger mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag verbunden wird.
Neben den zuvor dargestellten Erwägungen sprechen auch solche der
Prozessökonomie für die hier vertretene Lösung. Wollte man Verfahren wie das
vorliegende in einen schlichtungsbedürftigen und einen nicht schlichtungsbedürftigen
Teil aufspalten, wäre der Kläger entweder - gegebenenfalls bei höheren Kosten -
gezwungen, zwei getrennte Verfahren zu führen oder aber mit dem - unter Umständen
wirtschaftlich erheblich gewichtigeren - nicht schlichtungsbedürftigen Verfahrensteil bis
zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens für den schlichtungsbedürftigen
zuzuwarten. Entsprechend ist bei den vermögensrechtlichen Streitigkeiten anerkannt,
dass Klagehäufungen nach § 5 ZPO mit der Folge zu behandeln sind, dass mehrere
Ansprüche, die jeder für sich oder einzeln schlichtungsbedürftig wären, durch die
objektive Klagehäufung ihre Schlichtungsbedürftigkeit verlieren (vgl. Wolf in: MüKo
ZPO, 2. Auflage 2001, § 15 a EGZPO Rz. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Auflage 2001, §
15 a EGZPO Rz. 3). Im Übrigen hat es das Gericht in der Hand, etwaigen
Missbrauchsfällen durch Prozesstrennung gemäß § 145 ZPO vorzubeugen.
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Da somit das vorliegende Verfahren insgesamt nicht schlichtungsbedürftig war, wäre bei
weiterer streitiger Durchführung dieses Verfahrens eine Beweisaufnahme zu der von der
Klägerin behaupteten ehrkränkenden Tatsachenbehauptung mit ungewissem Ausgang
erforderlich gewesen, so dass es gerechtfertigt war, die Kosten insgesamt
gegeneinander aufzuheben.
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Beschwerdewert:
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G S X N2
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