Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

LArbG Schleswig-Holstein: wiedereinsetzung in den vorigen stand, glaubhaftmachung, organisation, zustellung, verfügung, verschulden, quelle, kündigung, prozesshandlung, arbeitsgericht

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Gericht:
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 583/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO,
§ 237 ZPO, § 66 Abs 1
ArbGG, § 66 Abs 2 S 2 ArbGG
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand -
Organisationsverschulden
Leitsatz
Zu einem ordnungsgemäßen Fristenwesen gehört es, dass sichergestellt ist, dass keine
versehentlichen Löschungen oder Eintragungen erfolgen. Zur Glaubhaftmachung
bedarf es Vortrags zu den insoweit erteilten Anweisungen, den getroffenen
organisatorischen Vorkehrungen und ergriffenen Kontrollmaßnahmen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom
09.11.2010 – 6 Ca 1134/10 – wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Das
Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihr am 03.12.2010 zugestellte
Urteil hat die Klägerin am 23.12.2010 Berufung eingelegt.
Mit Schriftsatz vom 14.02.2011, beim Landesarbeitsgericht am Folgetag
eingegangen, hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezogen auf
die am 03.02.2011 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist beantragt. Gleichzeitig
hat sie um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Auf den Hinweis
des Landesarbeitsgerichts, dass die versäumte Prozesshandlung innerhalb der
Frist des
§ 234 ZPO nachzuholen und diese Frist nicht verlängerbar ist, hat die Klägerin am
17.02.2011 die Berufung begründet.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags führte die Klägerin aus, im
Fristenkalender sei zunächst die Berufungsbegründungsfrist für den 03.02.2011
notiert worden. Diese Frist habe die Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. gestrichen
und als neue Frist den 03.03.2011 notiert. Anlass hierfür sei die am 03.01.2011 im
Büro der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangene Verfügung des
Landesarbeitsgerichts vom 28.12.2010 gewesen. In dieser Verfügung heißt es
unter Ziffer 2:
„Die Frist für die Begründung der Berufung beträgt 2 Monate. Diese beginnt mit
der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils 1. Instanz,
spätestens aber mit Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung (§ 66 Abs. 1 S. 1
ArbGG).“
Die Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. habe nur den ersten Satz der Ziffer 2
gelesen und deshalb die Frist 03.02.2011 gestrichen und eine neue Frist
03.03.2011 notiert. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin auf die eidesstattliche
Versicherung der nach ihrem Vortrag seit über 20 Jahren im Büro des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin beschäftigten und sehr gewissenhaft
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Prozessbevollmächtigten der Klägerin beschäftigten und sehr gewissenhaft
arbeitenden Rechtsanwalts- und Notargehilfin S. verwiesen (Anlage A 5 = Bl. 186
d. A.).
Die zum Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin angehörte Beklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es fehle Vortrag zur Organisation des Büros und zum Umgang mit Fristen. Im
Rahmen einer ordnungsgemäßen Büroorganisation müsse sichergestellt sein,
dass Kanzleimitarbeiter einmal eingetragene Fristen nicht eigenmächtig abändern.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen
Frist begründet worden. Folglich ist ihre Berufung als unzulässig zu verwerfen, §
522
Abs. 1 Satz 2 ZPO.
1. Die Frist zur Berufungsbegründung beginnt mit dem Tag der Zustellung des
angegriffenen Urteils und beträgt zwei Monate, § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG.
Der Klägerin ist das Urteil des Arbeitsgerichts am 03.12.2010 zugestellt worden.
Demnach ist die Berufungsbegründungsfrist am 03.02.2011 abgelaufen. Der
Berufungsbegründungsschriftsatz ist jedoch erst am 17.02.2011 beim
Landesarbeitsgericht eingegangen, sodass die Berufungsbegründungsfrist nicht
gewahrt ist.
2. Der Klägerin war auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren. Zwar kann gemäß § 233 ZPO einer Partei, die ohne ihr
Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren, auf
Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Das
Fristversäumnis beruht jedoch auf einem Verschulden des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO
zurechnen lassen muss. Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht,
dass ihr Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation in
seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass notierte Fristen vor ihrer Erledigung
nicht irrtümlich gelöscht werden.
a) Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen verlangt zuverlässige
Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze
sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch
entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen
ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein
Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von
Fristen auszuschließen (BGH 13.07.2010 – VI ZB 1/10 – MDR 2010, 1142 m. w. N.;
LAG S-H 25.10.2010 – 6 Sa 301/10 – zitiert nach JURIS). Prozessbevollmächtigte
müssen in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig
gewährleistet wird, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann
gestrichen werden, wenn die Frist bei einer Maßnahme tatsächlich durchgeführt,
ein fristwahrender Schriftsatz also gefertigt und zumindest postfertig gemacht
worden ist (BGH 06.11.2001 – XI ZB 11/01 – m. w. N. zitiert nach JURIS).
b) Die Klägerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten dargelegt und glaubhaft
gemacht, dass in seinem Büro ein Fristenkalender geführt wird. Zu ihren Gunsten
kann auch unterstellt werden, dass die Berufungsbegründungsfrist (03.02.2011)
zunächst zutreffend notiert worden ist. Nicht dargelegt und glaubhaft gemacht ist
aber, wodurch sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor einer irrtümlichen
Löschung der korrekt eingetragenen Berufungsbegründungsfrist geschützt hat.
Dazu hätte es Vortrags bedurft. Es muss sichergestellt sein, dass keine
versehentlichen Eintragungen oder Löschungen erfolgen (BGH 14.03.1996 – III ZB
13/96 –; 10.07.1997 – IX ZB 57/97 –; 02.03.2000 – V ZB 1/00 – zitiert nach JURIS).
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht dargelegt, welche Sicherungen
er im vorliegenden Fall gegen ein versehentliches Löschen von Fristen vor
Erledigung der Fristsache getroffen hat. Entsprechender Vortrag zu den insoweit
erteilten Anweisungen, getroffenen organisatorischen Vorkehrungen und
ergriffenen Kontrollmaßnahmen, der zum Kern der Glaubhaftmachung des
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ergriffenen Kontrollmaßnahmen, der zum Kern der Glaubhaftmachung des
Wiedereinsetzungsgrundes gehört hätte, fehlt. Bereits die Möglichkeit eines
Organisationsverschuldens schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus
(BGH 06.11.2001, a. a. O.). Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur
Berufungsbegründung kommt deshalb nicht in Betracht.
III.
Im Ergebnis ist die Berufung nach § 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 522 Abs. 1 Satz 2
ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann nach § 522 Abs. 1 Satz 1
ZPO durch Beschluss ergehen. Nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG erfolgt die
Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des
Vorsitzenden. Die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zur Verwerfung
der Berufung ohne mündliche Verhandlung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2
ArbGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung umfasst auch die
Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung (BAG 05.10.2010 – 5 AZB
10/10 – NZA 2010, 1442).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Für die Zulassung der
Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, §§ 77 Satz 2, 72
Abs. 2 ArbGG.