Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

LArbG Schleswig-Holstein: herausgabe von gegenständen, abmahnung, fristlose kündigung, wichtiger grund, ordentliche kündigung, geschäftsführung, anhänger, eigentum, fahrzeug, zukunft

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Gericht:
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Sa 324/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 S 1 Alt 2 KSchG, §
626 Abs 1 BGB
Außerordentliche Kündigung wegen Mitnahme eines im
Betrieb ausgesonderten Gegenstandes
Leitsatz
1. Es reicht zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung nicht automatisch
aus, dass die Mitnahme eines im Betrieb ausgesonderten Gegenstandes (hier:
Werkbankteil) nicht erlaubt war. Es ist immer eine konkrete Einzelfallprüfung mit
Interessenabwägung vorzunehmen. 2. Im konkreten Einzelfall kann sich ein Eingriff in
das Eigentum des Arbeitgebers auch als nur abzumahnende Eigenmächtigkeit
erweisen. 3. Nicht aus jedem unkorrekten, eigentumsrechtlich relevanten Verhalten
eines Arbeitnehmers kann darauf geschlossen werden, dass ihm eine an Korrektheit
und Ehrlichkeit ausgerichtete Grundhaltung fehlt. 4. Einzelne zu berücksichtigende
Umstände
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom
17.07.2009 – 2 Ca 723 c/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise
ordentlichen Kündigung aus Anlass eines vorgeworfenen Eigentumsdeliktes.
Der Kläger ist am ….1969 geboren, verheiratet und zwei Kindern gegenüber
unterhaltspflichtig. Mit Wirkung ab 01.01.1997 nahm er ein Arbeitsverhältnis bei
der Beklagten als Arbeiter in der Endmontage auf. Seine durchschnittliche
monatliche Vergütung belief sich zuletzt auf 2.900,-- EUR brutto.
Abgemahnt wurde der Kläger in dem mehr als 12 Jahre bestehenden
Arbeitsverhältnis bisher nicht.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und
beschäftigt 48 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Der Kündigung liegt ein Vorfall vom 27.03.2009 zugrunde, der auf folgendem
Hintergrund beruht:
Im Arbeitsbereich des Klägers waren ca. 30 Jahre alte Werkbänke vorhanden,
bestehend aus einer Holzplatte nebst Holzfüßen mit Verstrebungen und ein bis
zwei Schubladen; ca. 3,60 m lang und ca. 1 m breit. Sie wurden im Jahre 2007
ausgetauscht und ausgesondert. Für die Mitarbeiter bestand die Gelegenheit, für
private Zwecke Bedarf anzumelden. Von der Möglichkeit der Mitnahme – ob mit
oder ohne Zahlung ist streitig - machte niemand Gebrauch. Daraufhin wurde eine
der alten Werkbänke auseinandergeschweißt, zersägt und entsorgt. Da der hierfür
verwandte Zeitaufwand unverhältnismäßig war und niemand Bedarf angemeldet
hatte, wurden die anderen Werkbänke in einer Ecke des Arbeitsbereichs des
Klägers in der Fertigungshalle zum Zwecke der Entsorgung zwischengelagert (Blatt
58 – 60 d. A.).
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Im ersten Quartal des Jahres 2009 entstand beim Kläger eine private
Nutzungsmöglichkeit eines Teils einer solchen Werkbank in seinem Schuppen. Aus
diesem Grunde trat er sowohl an den jetzigen Fertigungsleiter der Beklagten,
seinen direkten Vorgesetzten, den Zeugen S... B..., als auch an den die
sogenannte Kaffeekasse führenden Betriebsratsvorsitzenden Herrn H... heran, um
Bedarf anzumelden und die Mitnahmemöglichkeit absegnen zu lassen. Wie viele
Gespräche wegen der Werkbank geführt wurden und welchen genauen Inhalt sie
hatten, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist jedoch, dass in der Regel
ein Lieferschein zur Dokumentation der Mitnahmeberechtigung erstellt und auch
ein zumindest kleiner Obolus in die „Kaffeekasse“ gezahlt wird. Ob nach
vorangegangener Ankündigung in der Vergangenheit eine Preisabsprache und die
Ausstellung eines Lieferscheins manchmal auch noch nachträglich erfolgten, ist
zwischen den Parteien streitig.
Am Freitag, dem 27.03.2009, erschien der Kläger mit einem Pkw nebst Anhänger
zur Arbeit. Um die Mittagszeit kann Feierabend gemacht werden. Herr H... war an
diesem Tag nicht im Betrieb. Bei einem Rundgang durch die Produktionshalle fiel
dem Prokuristen Herrn K... das Fahrzeug des Klägers auf, das an einer Stelle
geparkt war, an der das Abstellen privater Fahrzeuge verboten ist. Er erkundigte
sich beim Kläger, der zu dieser Zeit noch als einziger in der Fertigungshalle
arbeitete, wem das Fahrzeug gehöre. Der Kläger antwortete darauf, dass es sich
um sein Fahrzeug handeln würde und wurde auf das Parkverbot hingewiesen.
Danach ging Herr K... zu dem Fahrzeug mit Anhänger, um sich beides genauer
anzuschauen. Dabei bemerkte er, dass sich auf dem Hänger ein funktionsfähiger
Teil der alten Werkbank befand. Herr K... befragte daraufhin den Fertigungsleiter
B... und kehrte dann zusammen mit dem Geschäftsführer, Herrn B..., sowie dem
kaufmännischen Leiter der Beklagten, Herrn G..., zurück. Der Kläger war gerade
dabei, die zwei zu der Werkbank gehörenden Schubladen im Kofferraum seines
Fahrzeugs zu verstauen. Er wurde von den drei Personen zu dem Vorgang befragt.
Über das Gespräch verfasste die Beklagte einen Vermerk unter dem Datum vom
27.03.2009 (Blatt 55 f d. A.). Der dort niedergelegte Sachverhalt ist im Detail
streitig.
Mit Schreiben vom 01.04.2009 (Blatt 12 – 14 d. A.) hörte die Beklagte den
Betriebsrat zu einer fristlosen Kündigung, hilfsweise zu einer ordentlichen
Kündigung zum 30.09.2009 mit den Kündigungsgründen einer Tatkündigung und
einer Verdachtskündigung an. Der Betriebsrat widersprach dem Ausspruch einer
Kündigung mit dem Hinweis, der Kläger habe fahrlässig gehandelt. Eine
Abmahnung seines Vorgehens sei ausreichend.
Mit Schreiben vom 07.04.2009 (Blatt 5 d. A.) kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum
30.09.2009.
Das Arbeitsgericht hat der hiergegen am 21.04.2009 eingegangenen
Kündigungsschutzklage stattgegeben, nachdem zuvor Beweis erhoben wurde über
die betrieblichen Praktiken in Bezug auf die Mitnahme von Gegenständen aus dem
Betrieb; deren konkrete Anwendung im Umgang mit den 30 Jahre alten
Werkbänken sowie den Inhalt der zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten,
Herrn B..., geführten Gespräche stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der
Begründung geschehen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei dem Kläger
kein rechtswidriger und vorsätzlicher Diebstahl bzw. Diebstahlversuch des
Werkbankteils zur Last zu legen. Aus dem von dem Kläger an den Tag gelegten
Verhalten und dem tatsächlich im Betrieb existierenden konkurrierenden System
einer Preisabstimmung in Bezug auf mitzunehmende Gegenstände ergebe sich,
dass sich der Kläger tatsächlich berechtigt gefühlt haben könnte, den Teil der
Werkbank ohne Gegenleistung aus dem Betrieb mitnehmen zu dürfen. Angesichts
dessen läge kein Kündigungsgrund vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird
auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts
Elmshorn vom 17.07.2009, Aktenzeichen 2 Ca 723 c/09, verwiesen.
Gegen diese der Beklagten am 05.08.2009 zugestellte Entscheidung hat sie am
03.09.2009 per Fax/07.09.2009 im Original Berufung eingelegt, die am 02.10.2009
per Fax/06.10.2009 im Original begründet worden ist.
Die Beklagte trägt vor, bereits die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, jedenfalls
aber die hilfsweise fristgemäß ausgesprochene Kündigung. Der Kläger habe
versucht, Gegenstände aus dem Eigentum der Beklagten widerrechtlich
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versucht, Gegenstände aus dem Eigentum der Beklagten widerrechtlich
mitzunehmen. Jedenfalls bestehe insoweit ein entsprechender dringender
Verdacht. Der Kläger habe keine Erlaubnis gehabt, die Werkbank mitzunehmen.
Insbesondere habe auch der als Zeuge benannte Herr H... eine solche Erlaubnis
nicht erteilt. Der Kläger sei auch nicht irrig davon ausgegangen, die Werkbank
ohne Gegenleistung aus dem Betrieb der Beklagten mitnehmen zu dürfen. Das
ergebe sich bereits u. a. daraus, dass er zuvor sowohl Herrn B... als auch Herrn
H... um Genehmigung der Mitnahme gebeten hat und ihm ausweislich der
erstinstanzlichen Beweisaufnahme von Herrn B... zweimal gesagt worden sei, er
müsse einen Obolus zahlen. Auch Herr H... habe immer einen Obolus verlangt.
Dieser habe sich gegenüber dem Kläger jedoch überhaupt nicht zu einem Preis
geäußert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.07.2009, Aktenzeichen 2 Ca
723 c/09, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher
Hinsicht für zutreffend. Nach seinem Gespräch mit Herrn H... sei er davon
ausgegangen, dass er die Werkbank ohne jegliche Zuzahlung habe mitnehmen
dürfen. Herr H... habe zu ihm in einem der Gespräche noch gesagt, ob er
tatsächlich für diese Werkbank noch etwas zahlen wolle. Er habe Herrn H... noch
vor dem 27.03.2009 informiert, dass er die Werkbank mitnehme, und sich dann
eine Transportgelegenheit organisiert. Er habe angesichts der betrieblichen
Praktiken und der geführten Gespräche kein Unrechtsbewusstsein gehabt, sei
vielmehr angesichts der betrieblichen, oft unkonventionellen Praktiken in der
Vergangenheit davon ausgegangen, korrekt zu handeln, zur Mitnahme des Teils
der ausgesonderten Werkbank berechtigt zu sein, gegen keine Spielregeln zu
verstoßen und ggf. den noch fehlenden Lieferschein zur Dokumentation
nachträglich zu erhalten, da Herr H... am 27.03.2009 nicht im Betrieb gewesen sei.
Deshalb habe er sich beim Aufladen der Werkbank auch nicht heimlich verhalten,
ja sogar noch die zwei Schubladen vor den Augen des Prokuristen, Herrn K..., in
den Kofferraum verladen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt
der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der
Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache konnte sie
jedoch keinen Erfolg haben.
Mit ausführlicher Begründung hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage
stattgegeben. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird vorab auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auch auf den
neuen, konkretisierten Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelfallumstände und des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berechtigt das Verhalten des Klägers weder zum
Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB noch zum
Ausspruch einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2
Satz 1 KSchG. Vor Ausspruch einer Kündigung hätte die Beklagte hier eine
Abmahnung aussprechen müssen.
I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2009 ist unwirksam.
Ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt nicht vor.
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen,
aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet
werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt
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werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt
einen wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626
Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die
besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich
geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob
die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
zumutbar ist oder nicht (BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 – zitiert nach Juris,
Rz. 18 m. w. N).
2. Vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte
sind regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund
zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner
Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen das Vermögen seines
Arbeitgebers begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche
Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihn gesetzte
Vertrauen in erheblicher Weise. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des
BAG auch dann, wenn die rechtwidrige Verletzungshandlung nur Sachen von
geringem Wert betrifft (BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/08 – zitiert nach Juris,
Rz. 16 m. w. N.).
Für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes ist stets der Arbeitgeber darlegungs-
und beweisbelastet.
3. Der Teil der Werkbank, den der Kläger auf den Anhänger verladen hat, stand im
Eigentum der Beklagten. Auch die Tatsache, dass diese Werkbank bereits 2007
ausgesondert und zur Entsorgung und Verschrottung vorgesehen war, ändert
hieran nichts. Die Beklagte ist Eigentümerin dieses Schrotts geblieben. Der Kläger
hat, indem er die Werkbank auf den Anhänger seines Pkw verschaffte, jedenfalls
unmittelbar damit begonnen, den Gewahrsam der Beklagten zu beenden und
eigenen Gewahrsam zu begründen. Er hat für diesen Werkbankteil nichts in die
Kaffeekasse bezahlt. Er hatte auch keinen Lieferschein, der ihn offiziell zu seiner
Handlung berechtigte. Dieser Sachverhalt ist an sich ohne weitere besondere
Umstände geeignet, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung
gemäß § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Insoweit kommt eine Tatkündigung, aber
auch eine Verdachtskündigung in Betracht. Die Beklagte stützt sich auf beide
Kündigungsgründe nach vorangegangener entsprechender Betriebsratsanhörung.
4. Aber selbst wenn zugunsten der Beklagten unter Berücksichtigung des
Ergebnisses der Beweisaufnahme erster Instanz unterstellt wird, dass der Kläger
keine ausdrückliche - ggf. mündliche – Erlaubnis dazu hatte, die Werkbank an sich
zu nehmen, liegt vorliegend unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles sowie unter Abwägung der Interessen beider Parteien keine Handlung
des Klägers vor, die es der Beklagten als Arbeitgeberin unzumutbar macht, das
Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Vorliegend konnte nicht auf eine Abmahnung
verzichtet werden.
a) Für eine Kündigung aus Anlass eines bestimmten Verhaltens eines
Arbeitnehmers gilt das sogenannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist
nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des
Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich
deshalb noch in Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor,
wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden
Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den
Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder
ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer
Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der
Objektivierung der negativen Prognose (BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 103/08 –
zitiert nach Juris, Rz. 32 m. w. N.). Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt,
wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu
beseitigen. Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine
gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des
Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine
Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder
es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem
Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des
Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom
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Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom
15.11.2007 – 2 AZR 605/00 -; BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 – Rz. 33).
Selbst bei Störungen des Vertrauensbereiches durch Eigentums- und
Vermögensdelikte kann es danach Fälle geben, in denen eine Abmahnung nicht
ohne weiteres entbehrlich erscheint. Dies gilt etwa, wenn dem Arbeitnehmer zwar
die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er aber Grund zu der
Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als ein so erhebliches
Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem
Spiel stünde (BAG vom 23.06.2009 – a. a. O.).
b) Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich
nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des
Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes
Gewicht zu. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist auch zu berücksichtigen, wenn
eine Kündigung auf ein Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird
(BAG vom 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 - zitiert nach Juris, Rz. 19 m. w. N.). Ferner
können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber
entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht kommen, ob dem
Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch
Unterhaltspflichten und der Familienstand können – je nach Lage des Falles –
Bedeutung gewinnen (BAG vom 27.04.2006 – a.a.O.).
c) Gemessen hieran ist vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung als
ausreichend anzusehen, um eine Wiederholung des vom Kläger an den Tag
gelegten beanstandeten Verhaltens nachhaltig auszuschließen.
aa) Unter Berücksichtigung des Vorbringens beider Parteien in beiden Instanzen
sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht für die
Kammer fest, dass sich im Laufe der Jahre – ob ohne Wissen der Geschäftsführung
sei dahingestellt – im Betrieb der Beklagten mehrere Wege entwickelt haben, die
von den Arbeitnehmern gegangen wurden, wenn sie etwas aus dem Eigentum der
Beklagten erwerben/für sich privat nutzen wollten. Der ehemalige, aber schon seit
längerer Zeit ausgeschiedene Betriebsleiter, der Zeuge L..., hat zwar bekundet,
dass nach seinem Handeln und dem Willen der Geschäftsführung dann, wenn
Sachen für private Zwecke herausgegeben werden, mindestens ein kleiner Obolus
in die Kaffeekasse zu entrichten ist. So soll verhindert werden, dass Gegenstände
aus dem Betrieb einfach ohne Bezahlung mitgenommen werden, weil individuell
beurteilt wurde, sie würden im Betrieb nicht mehr gebraucht. Der Zeuge hat
ausgesagt, deshalb hätte er, wenn ein Mitarbeiter eine Werkbank ohne Entrichtung
eines Obolus hätte mitnehmen wollen, dieses nicht erlaubt. Seine Ansicht
bezüglich eines solchen betrieblichen Arrangements habe er stets kundgetan. Auf
Nachfrage, ob das vom Kläger abgesägte Stück der Werkbank, die Holzplatte,
ebenfalls nur gegen einen Obolus hätte mitgenommen werden dürfen, hat der
Zeuge ausgesagt, dass er persönlich hierfür keine Obolusleistung erwartet hätte.
Bereits hieraus ergibt sich, dass es selbst auf Betriebsleitungsebene Ausnahmen
von dem geschilderten Arrangement der Verpflichtung zur Erbringung eines
kleinen Obolus in die Kaffeekasse gab.
bb) Zudem ist festzustellen, dass – anders als von der Geschäftsführung der
Beklagten gewünscht – tatsächlich im Betrieb der Beklagten nicht nur die
Geschäftsführung, nicht nur der Betriebsleiter und auch nicht nur der Zeuge B. die
Höhe eines jeweiligen Obolus festgelegt haben, sondern auch der
Betriebsratsvorsitzende H.... Dieser hat die Kaffeekasse geführt, nicht die
Geschäftsführung und nicht Herr B. . Auch er wurde zum Zwecke der Abwicklung
von Wünschen auf Herausgabe von betrieblichen Gegenständen für die private
Nutzung angesprochen. Soweit die Beklagte anführt, er habe nur für kleinere
Gegenstände Preise festgelegt, ändert nichts an der Tatsache, dass er objektiv
angesprochen wurde und werden durfte und dass er tatsächlich auch
Preisabsprachen getroffen hat. Was „kleinere Gegenstände“ ist, ist im Übrigen
relativ. Letztendlich ist hervorzuheben, dass dem Mitarbeiter H... sogar Blanko-
Lieferscheine zur Ausfüllung und zu Aushändigung an die Mitarbeiter bei der
Abwicklung erlaubter Mitnahme von Gegenständen zur Verfügung gestellt worden
sind.
Insoweit bleibt festzuhalten, dass es keine stringente Handhabung im Betrieb der
Beklagten gegeben hat, vielmehr das gelebte Leben die vom Zeugen L...
geäußerten klaren Handhabungsvorstellungen aufgeweicht hat, ohne dass seitens
der Geschäftsführung der Beklagten klarstellend und explizit regelnd eingegriffen
wurde.
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cc) Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger den Weg, der sich für die
Abwicklung der Mitnahmeberechtigung von Gegenständen aus dem Betrieb
eingeschlichen hat, auch eingeschlagen hat, bevor er die Werkbank auf den
Anhänger auflud. Er hat sowohl mit seinem Vorgesetzten, Herrn B..., als auch mit
dem für die Kaffeekasse zuständigen Kollegen H... darüber gesprochen, dass er
einen Teil der ausrangierten Werkbank mitnehmen wolle. Der Kläger hat in diesem
Rechtsstreit stets betont, dass er die Werkbank nicht stehlen wollte. Dafür spricht
Folgendes:
Wenn er einen Diebstahl hätte begehen wollen, hätte er nicht vorher offiziell die zur
Absegnung der Herausgabe von Gegenständen zuständigen Personen hierüber
informiert, den Vorgang mithin nicht offiziell gemacht. Schon angesichts dieses
Verhaltens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger mit dem
Aufladen des Teils der Werkbank letztendlich zwar eine Eigenmächtigkeit begangen
hatte, aber keine Bereicherung und auch keine rechtswidrige Entreicherung der
Beklagten wollte.
dd) Für die Kammer von Bedeutung ist darüber hinaus, dass dem Kläger im
Zusammenhang mit den Gesprächen über seinen Wunsch, den Teil der Werkbank
privat mitnehmen zu dürfen, von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt ein Betrag
genannt wurde, den er in die Kaffeekasse zahlen müsse. Der Zeuge B... hat
ausdrücklich ausgesagt, er habe dem Kläger gesagt, er solle sich überlegen,
welchen Betrag er in die Kaffeekasse zahlen wolle. Selbst dem Vorbringen der
Beklagten hat auch der Zeuge H... dem Kläger keinen konkreten Betrag genannt,
der Bedingung für die Berechtigung zur Mitnahme des Werkbankteils sein sollte.
Etwaige Preise blieben in Bezug auf dieses Objekt stets und ständig offen. Das
bringt für die Kammer ein hohes Maß an nicht kalkulierbarer Beliebigkeit der
betrieblichen Handhabungen zum Ausdruck bringt.
ee) Dass der Kläger nicht von einer Unkorrektheit seines Vorgehens ausging,
ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch daraus, dass er in Ruhe und mit
Gelassenheit vor den Augen der Geschäftsleitung die beiden Schubladen in den
Kofferraum seines Pkw geladen hat. Auch parkte der Pkw mit Anhänger – wenn
auch verbotswidrig - ausweislich der in der Berufungsverhandlung erörterten
Skizze von allen Seiten einsehbar, bei Tageslicht, selbst während der Beladung auf
dem Gelände der Beklagten vor einem geöffneten Hallentor. Das Handeln des
Klägers war ohne weiteres sichtbar.
ff) Bedeutungsvoll ist weiter, dass selbst der Zeuge B. mit dem Kläger bei dessen
Äußerung des Wunsches, den Werkbankteil mitzunehmen, über den Satz des
Klägers „er erwarte, dass er von der Firma noch etwas dafür bekomme, dass er
die Werkbank mitnehme“ geflachst hatte. Diese „flachsige Ebene“ des
Gespräches zeigt der Kammer ebenfalls, dass die klaren stringenten Vorgaben,
die die Geschäftsführung der Beklagten an sich wünscht, vorliegend in ihrem
Betrieb tatsächlich auch von den zuständigen Personen nicht tatsächlich so
stringent gesehen wurden.
gg) In Anwendung der zitierten Rechtsprechung des BAG bewertet die Kammer zu
Gunsten des Klägers auch, dass der Beklagten objektiv kein wirtschaftlicher
Schaden entstanden ist. Die Werkbänke sind ca. 30 Jahre alt. Sie wurden bereits
2007 ausrangiert. Sie waren nur noch zwischengelagert, weil selbst das Zersägen,
Auseinanderschweißen und Entsorgen der Beklagten zu zeitaufwendig und zu
teuer war. Der Zeuge L... hat ausgesagt: Wenn die Werkbänke weiterhin dort
rumgestanden hätten und er noch weiterhin in seiner Position im Betrieb tätig
gewesen wäre, hätte er persönlich sie zu irgendeinem Zeitpunkt wohl entsorgt,
denn sonst stünden sie ewig dort herum und störten. Der Zeuge B... hat
bekundet, dass er einige Zeit vor dem 27.03.2009 kontrolliert hat, ob die
Werkbank nunmehr auf dem Müll gelandet ist. Er hat das abgesägte Holzstück auf
dem Müllhaufen gesehen. Er hat weiter ausgesagt, dass er davon ausging, dass in
diesem größeren Müllhaufen auch der streitbefangene Teil der Werkzeugbank lag.
Auch aus dieser Aussage wird ersichtlich, dass der vom Kläger aufgeladene Teil
der Werkzeugbank bis zum Mittag des 27.03.2009 wertloser, lästiger Müll war.
Andernfalls hätte der Zeuge B... den Kläger gefragt oder anweisen müssen, den
streitbefangenen Werkzeugteil aus dem Müllhaufen wieder auszusortieren.
Erst am Mittag des 27.03.2009 erhält dieser Werkbankteil für die Beklagte wieder
materiellen Wert, nämlich zu dem Zeitpunkt, als er auf dem Hänger des Klägers
gesehen wird und die Beklagte dieses zum Anlass für den Ausspruch einer
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gesehen wird und die Beklagte dieses zum Anlass für den Ausspruch einer
Kündigung nimmt. Diesen Wechsel der Sichtweise und Bewertung des bis dahin zur
Bedeutungslosigkeit degradierten Gegenstandes kann die Kammer nicht
nachvollziehen. Die Kammer kann im Handeln des Klägers keinen Missbrauch des
ihm entgegengebrachten Vertrauens feststellen. Die Vorgehensweise der
Beklagten widerspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, wonach
der Zweck der Kündigung nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung ist,
sondern der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen dient. Die
Beklagte ahndet jedoch ein Verhalten des Klägers, ohne den Blick in die Zukunft
zu richten und eine Prognose zu erstellen, ob eine weitere gedeihliche
Zusammenarbeit angesichts des Verhaltens noch möglich sein wird. Im Kontext
der Einzelheiten dieses Falles ordnet die Kammer das Verhalten des Klägers,
Mitnahme von Müll ohne Lieferschein, als Eigenmächtigkeit, nicht aber als ein
rechtswidriges, gewolltes, vermögensrechtlich relevantes Eigentumsdelikt ein. Die
Beklagte hat insoweit bei der Bewertung der Pflichtverletzung und der Stellung der
Vertrauensfrage im Wege des Ausspruchs der Kündigung zu wenig differenziert.
hh) Die Kammer gewichtet im Rahmen der Interessenabwägung auch, dass der
Kläger, auf den Werkbankteil angesprochen, diesen ohne zu zögern sofort an die
Beklagte zurückgegeben hat, sobald die Arbeitgeberin eine etwaige Unkorrektheit
seines Verhaltens in den Raum gestellt hat. Der Kläger hat sich demzufolge sofort
und mit Erfolg bemüht, einen etwa eingetretenen Schaden wieder gutzumachen,
sobald ihm eine etwaige Unkorrektheit seines Vorgehens klar wurde. Sowohl
dieses Verhalten als auch die Beschreitung des offiziellen Genehmigungsweges
und das Fehlen jeglicher Heimlichtuerei wertet die Kammer als Ausdruck einer auf
Korrektheit und Ehrlichkeit ausgerichteten Grundhaltung des Klägers. Soweit er
betriebsintern durch das in der Vergangenheit unbeanstandete, gelebte Leben
betriebliche Spielregeln im Umgang mit im Eigentum stehenden Gegenständen
der Beklagten nicht eingehalten hat, lässt dieses konkrete Fehlverhalten in diesem
Fall keine eindeutige Negativprognose zu. Es fehlte im Betrieb die Stringenz von
Regelungen und eine ausnahmslos eindeutige Handhabung.
ii) Angesichts dieses Sachverhaltes sowie den Tatsachen, dass der verheiratete,
zwei Kindern und seiner Ehefrau unterhaltspflichtige Kläger 12 Jahre lang
unbeanstandet seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht hat, und dass auch
sein beanstandetes Fehlverhalten zu der arbeitsvertraglich geschuldeten
Arbeitsleistung keinen unmittelbaren Bezug aufweist, ist vorliegend nicht von einer
so nachhaltigen Störung des Vertrauensbereiches auszugehen, die eine
Abmahnung entbehrlich erscheinen ließe. Danach ist die außerordentliche
Kündigung vom 07.04.2009 unwirksam.
II. Auch die ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch
Gründe in dem Verhalten des Klägers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist.
Auch insoweit fehlt es an der erforderlichen Abmahnung.
III. Nach alledem war der Kündigungsschutzantrag begründet. Der Klage ist zu
Recht stattgegeben worden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision
nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine
Einzelfallentscheidung.