Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

LArbG Schleswig-Holstein: treu und glauben, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, arbeitsunfall, krankenkasse, baustelle, subunternehmer, unverzüglich, vergütung, wartezeit

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Gericht:
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Sa 74/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 611 Abs 1 BGB,
§ 242 BGB, § 1 Abs 1 KSchG
Kein Treuwidrigkeit einer Kündigung außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes im Zusammenhang mit einem
möglichen Arbeitsunfall
Leitsatz
Eine Kündigung ist nicht deshalb treuwidrig, weil sie im Zusammenhang mit einem
möglichen Arbeitsunfall ausgesprochen wurde.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom
29.01.2009 – 52 Ca 1839 a/08 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten jetzt noch darum, ob die ursprünglich fristlose, vom
Arbeitsgericht in eine ordentliche Kündigung umgewandelte Kündigung vom
20.10.2008 das Arbeitsverhältnis überhaupt beendet hat oder treuwidrig ist.
Der Kläger war aufgrund eines mündlichen Arbeitsvertrages seit dem 17.09.2008
bei dem Beklagten als Gerüstbauhelfer tätig. Die vereinbarte Vergütung belief sich
auf 11,00 EUR brutto pro Stunde. Auf das Arbeitsverhältnis findet der
allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für das Gerüstbauerhandwerk
Anwendung. Die tarifliche Kündigungsfrist beträgt in den ersten sechs Monaten
eines Beschäftigungsverhältnisses sechs Werktage.
Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte ist als Subunternehmer für die D. in H. tätig. Am Freitag, dem
17.10.2008 stieß der bei ihm beschäftigte Kläger auf der Baustelle mit seinem Knie
gegen einen Eisenriegel. Wie es dazu kam, ist streitig. Ebenso, ob der Kläger die
Verletzung nachlässig verschuldet hat. Jedenfalls arbeitete er weiter. Wann er den
Vorfall dem Beklagten erstmalig mitgeteilt hat, ist streitig. Am Montag, dem
20.10.2008, wurde der Kläger - zunächst bis zum 31.10.2008 – arbeitsunfähig
krank geschrieben. Auf der Bescheinigung ist „Arbeitsunfall“ angekreuzt. Die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überbrachte er dem Beklagten. Der Inhalt des
damit verbundenen Gesprächs ist streitig.
Am Abend des 20.10.2008 überbrachte der Beklagte dem Kläger – mit welchen
Worten ist streitig - die außerordentliche Kündigung, gegen die dieser fristgemäß
Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das Arbeitsgericht hat ihr teilweise
stattgegeben. Es hat die außerordentliche Kündigung mangels Vorliegens eines
wichtigen Kündigungsgrundes in eine ordentliche Kündigung umgewandelt und das
Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 27.10.2008 beendet. Der Beklagte hat das Urteil
akzeptiert und zwischenzeitlich auch die restliche Vergütung gezahlt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 12.02.2009 zugestellte Urteil des
Arbeitsgerichts Elmshorn vom 29.01.2009 am 06.03.2009 Berufung eingelegt, die
am 20.03.2009 begründet wurde.
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Er ergänzt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Er hält
die Kündigung für treuwidrig. Der Beklagte habe ihn im Zusammenhang mit der
Krankmeldung und im Zusammenhang mit der Übergabe der Kündigung bedroht.
Auch habe der Beklagte den Kläger schon unmittelbar am Tage nach dem
Arbeitsunfall bei der Krankenkasse abgemeldet, nämlich am 18.10.2008. Die
Kündigung sei ausgesprochen worden, um die Entgeltfortzahlungskosten zu
sparen. Der Beklagte habe den Kläger genötigt, die Kündigung zu akzeptieren. Die
Kündigung sei im Übrigen auch im Kontext des erlittenen Arbeitsunfalls zu
beanstanden und unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände treuwidrig.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des am 29.01.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts
Elmshorn (Az. 52 Ca 1839 a/08) festzustellen, dass das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom
20.10.2008 beendet wurde, sondern ungekündigt fortbesteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher
Hinsicht für zutreffend. Zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Kläger sei
es zu keinem Zeitpunkt gekommen. Nach seinen Recherchen und der Befragung
der Arbeitskollegen habe er ermittelt, dass der Kläger die Knieverletzung auf der
Baustelle selbst verschuldet habe, weil er, statt die Leiter zu nehmen,
verbotswidrig eine Diagonalstange herunter gerutscht sei. Der Kläger habe den
behaupteten Arbeitsunfall auch nicht ordnungsgemäß und nicht unverzüglich
gemeldet. Das falle auf ihn als Subunternehmer, der angewiesen worden sei,
Arbeitsunfälle unverzüglich zu melden, mit entsprechenden Unannehmlichkeiten
zurück. Zudem habe der Kläger ihm zunächst einen ganz anderen Grund für die
Krankschreibung genannt. Vor diesem Kontext habe er sich zum Ausspruch der
Kündigung entschlossen. Entgeltfortzahlungskosten hätten insoweit keine Rolle
gespielt, da er, der Beklagte, dem Umlageverfahren bei den Krankenkassen
angeschlossen sei.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt
der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der
Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht
festgestellt, dass die Kündigung des Beklagten vom 20.10.2008 das
Arbeitsverhältnis des Klägers fristgemäß beendet hat. Dem folgt das
Berufungsgericht.
1. Die Kündigung ist nicht nach § 1 KSchG unwirksam. Das Arbeitsverhältnis hat
bei der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate ohne Unterbrechung
bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG).
2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 242 BGB unwirksam.
a) Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus
Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Nichts
anderes gilt für die Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen
Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung
findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes
ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden würde. Zu den
typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen Rechtsmissbrauch
und Diskriminierungen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen
derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim
Arbeitnehmer (BAG vom 22. Mai 2003 – 2 AZR 426/02 – zitiert nach juris, Rzn. 27,
28). Es kommt nicht auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung an,
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28). Es kommt nicht auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung an,
sondern lediglich auf die Gründe, die den unmittelbaren Kündigungsentschluss des
Kündigenden bestimmt haben (ArbG Berlin vom 07.03.2000 – 86 Ca 34037/99 –
zitiert nach juris). Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf
sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen. Der Vorwurf
willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts
scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die
Rechtsausübung vorliegt (BAG vom 28.03.2003 – 2 AZR 333/02- zitiert nach juris,
Rz. 17).Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben im Einzelnen ergeben,
lässt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles
entscheiden (BAG vom 16.09.2004 – 2 AZR 447/03 – zitiert nach juris, Rzn. 36, 37).
b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die – ordentliche – Kündigung des
Beklagten vom 20.10.2008 nicht als treuwidrig eingeordnet werden. Der Kläger hat
keine spezifischen Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine besondere
Missachtung seiner persönlichen Belange oder eine gegen den Grundsatz von Treu
und Glauben verstoßende Rechtsausübung des Beklagten oder gar eine
Ausnutzung seiner Rechtslage mit damit einhergehender unzulässiger
Rechtsüberschreitung ergibt. Der Kläger hat sich nach vierwöchiger Tätigkeit für
den Beklagten auf der Baustelle bei der Tätigkeit verletzt. Die genauen Umstände
sind streitig. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis, wenn auch erst nach
Korrektur durch das Arbeitsgericht unter Zahlung der von ihm geschuldeten
Entgeltfortzahlung abgewickelt. Auslöser für die Kündigung war nach dem
Vorbringen des Beklagten unter anderem der Arbeitsausfall des Klägers. Das ist
arbeitsrechtlich zulässig. Die Kündigung wird auch nicht dadurch treuwidrig, dass
die Aushändigung des Kündigungsschreibens unter Umständen mit einer verbalen
Auseinandersetzung der Parteien verbunden war. Ein etwaiger verbaler Streit
zwischen den Parteien war nicht der Auslöser der Kündigung, mithin nicht der
Kündigungsgrund. Er stellt allenfalls die Begleitumstände bei Gelegenheit der
Übergabe des Kündigungsschreibens dar. Zu diesem Zeitpunkt war der
Kündigungsentschluss des Beklagten jedoch bereits gefallen. Weiterer Auslöser
der Kündigung war nach dem nicht vom Kläger wiederlegten Vorbringen des
Beklagten die Tatsache, dass letzterer infolge unstreitig nicht am 17.10.2008
erfolgter Dokumentation des Geschehens im Zusammenhang mit der Darlegung
eines Arbeitsunfalles Aufklärungs- und Abwicklungsschwierigkeiten gegenüber dem
Unfallversicherer sowie dem Auftraggeber zu bewältigen hatte. Auch vor diesem
Hintergrund ist das Verhalten des Beklagten nicht als treuwidrige Reaktion
einzuordnen.
Unzutreffend ist die Behauptung des Klägers unter Bezugnahme auf ein Schreiben
der BKK MOBIL OIL, der Beklagte habe ihn nachweisbar schon vor Überreichen der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse abgemeldet. Das zur Akte
gereichte Schreiben der BKK MOBIL OIL (Anlage K 3) datiert vom 20.11.2008. Es
besagt nichts anderes, als dass dem Kläger eine Mitgliedschaft im Rahmen eines
Arbeitsverhältnisses beim Beklagten für die Zeit vom 17.09.2008 bis zum
18.10.2008 bescheinigt wurde. Der 18.10.2008 war unstreitig der letzte Arbeitstag
des Klägers. Der Beklagte hat unter dem Datum des 20.10.2008 das
Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt. Er hat dargelegt, dass die kranken-
und sozialversicherungsrechtliche Abwicklung des Arbeitsverhältnisses durch
seinen Steuerberater vorgenommen wurde, und zwar nach Ausspruch der
Kündigung. Es fehlt in Bezug auf das Verhalten des Beklagten gegenüber der
Krankenkasse jegliches substantiierte Vorbringen des Klägers zu einer treuwidrigen
Vorgehensweise des Beklagten bei Ausspruch der Kündigung am 20.10.2008.
Allein der Umstand, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behauptung
eines Arbeitsunfalles ausgesprochen wurde, macht die Kündigung weder treuwidrig
noch willkürlich. Auch ist eine Kündigung aus Anlass von Arbeitsunfähigkeit ist nicht
per se treuwidrig. Zudem wäre der Kläger insoweit durch § 8 Abs. 1 Satz 1
EntgeltfortzahlungsG abgesichert gewesen. Um die Ersparung von
Entgeltfortzahlungskosten ging es dem Beklagten erkennbar ebenfalls nicht.
3. Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass
die Kündigung des Beklagten vom 20.10.2008 das Arbeitsverhältnis fristgemäß mit
Ablauf des 27.10.2008 beendet hat. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision
nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine
nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine
Einzelfallentscheidung.