Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

LArbG Schleswig-Holstein: unkenntnis des gesetzes, steuerberater, fristlose kündigung, arbeitsgericht, zustellung, vergütung, willenserklärung, gespräch, meldung, kellner

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Gericht:
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 74/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 615 BGB, § 623 BGB
Arbeitsbescheinigung ist keine Kündigungserklärung
Leitsatz
Erteilt ein Arbeitgeber über seinen Steuerberater eine Arbeitsbescheinigung, aus der
sich ergibt, dass er selbst das Arbeitsverhältnis - ggf. fristlos - gekündigt hat, so stellt
diese Erklärung nicht eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Die
Arbeitsbescheinigung ist zur Vorlage gegenüber der Agentur für Arbeit bestimmt und
kann deshalb nicht als Willenserklärung gegenüber dem Arbeitnehmer ausgelegt
werden.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom
11.01.2008 - 4 Ca 2285/07 - teilweise abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt an den Kläger 860 EUR brutto abzüglich 416,25 EUR
netto zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten erster Instanz tragen der Kläger zu 71 % und der Beklagte zu 29 %. Die
Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufung nur noch um die Frage, ob der Kläger
Anspruch auf Leistungen aus Annahmeverzug gegen den Beklagten hat.
Der Kläger war bei dem Beklagten seit dem 22.06.2007 als Kellner mit einer
Vergütung von 600 EUR brutto monatlich bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden in
der Woche beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsnachweis ist nicht erteilt worden. Am
30.07.2007 kam es zu einem Streitgespräch zwischen den Parteien, dessen Inhalt
im Einzelnen strittig ist. Am folgenden Tag fand ein Telefonat zwischen den
Parteien statt, dessen Inhalt ebenfalls strittig ist. Der Kläger behauptet, er habe
dabei seine Arbeitsleistung angeboten. Seit dem 31.07.2007 ist der Kläger nicht
mehr für den Beklagten tätig geworden. Der Steuerberater des Beklagten
übersandte der Agentur für Arbeit mit Datum vom 07.08.2007 eine
Arbeitsbescheinigung (Bl. 63 d. A.), in der angegeben wird, dass das
Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber am 31.07.2007 zum 31.07.2007
gekündigt worden sei. Mit Wirkung vom 07.08.2007 bis zum 31.10.2007 hat der
Kläger Leistungen nach SGB II von ALG im Gesamtumfang von 878,91 EUR
erhalten. Hinsichtlich auf die einzelnen Monate entfallenen Leistungen wird auf den
Bescheid vom 01.10.2007 (Bl. 11 d. A.) verwiesen.
Mit der am 06.09.2007 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt festzustellen,
dass das zwischen den Parteien mit Wirkung ab 22.06.2007 bestehende
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dass das zwischen den Parteien mit Wirkung ab 22.06.2007 bestehende
Arbeitsverhältnis nicht zum 31.07.2007 beendet worden ist, sondern darüber
hinaus fortbesteht. Diese Klage ist dem Beklagten am 18.09.2007 (Bl. 4 R d. A.)
zugestellt worden. In der Güteverhandlung vom 28.09.2007 ist dem Kläger eine
Kündigung zum 31.10.2007 übergeben worden. Am 19.10.2007 hat der Kläger eine
Klagerweiterung dahingehend vorgenommen, dass er Vergütung für die Monate
August bis Oktober 2007 in Höhe von insgesamt 1.800 EUR brutto abzüglich
878,91 EUR netto fordert. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.01.2008, auf
das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und
der Entscheidungsgründe verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Gegen dieses am
31.01.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.02.2008, beschränkt auf die
Klagabweisung bezüglich des Verzugslohns, Berufung eingelegt und diese nach
Verlängerung der Begründungsfrist am 15.04.2008 begründet.
Der Kläger trägt vor, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt.
Der Beklagte habe dies zwar bestritten. Jedoch habe er über seinen Steuerberater
der Arbeitsagentur in der Arbeitsbescheinigung angegeben, selbst das
Arbeitsverhältnis am 31.07.2007 fristlos gekündigt zu haben. Damit stehe fest,
dass der Beklagte seinerseits das Arbeitsverhältnis fristlos beendet habe. Es sei
nicht ersichtlich, warum die Arbeitsbescheinigung in diesem Punkt eine falsche
Angabe enthalten solle. Es treffe zu, dass er, der Kläger, gegenüber dem
Arbeitsgericht zunächst nur die ersten drei Seiten der Arbeitsbescheinigung
vorgelegt habe, da er nur diese Seiten zur Verfügung gestellt erhalten habe. Er
habe jedoch nicht damit rechnen können, dass der Beklagte erst im gerichtlichen
Termin die Urheberschaft dieser Arbeitsbescheinigung ins Blaue hinein bestreiten
würde, zumal ihm der entsprechende Schriftsatz vom 10.02.2007 bereits Mitte
Dezember 2007 vorgelegen habe. Das Arbeitsgericht hätte ihm, dem Kläger, die
Möglichkeit einräumen müssen, die vollständige Arbeitsbescheinigung vorzulegen,
was er hiermit tue. Danach stehe fest, dass die Arbeitsbescheinigung vom
Steuerberater auf Veranlassung des Beklagten ausgefüllt worden sei. Die fristlose
Kündigung des Beklagten stehe damit fest, so dass das Arbeitsangebot des
Klägers entbehrlich gewesen sei. Der Zahlungsanspruch sei begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck bezüglich der sich auf den Klagantrag zu
2 beziehenden Abweisung abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den
Kläger 1.800 EUR brutto abzüglich 878,91 EUR netto zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, er habe jetzt erst
anhand der vorliegenden vierten Seite erkennen können, dass die
Arbeitsbescheinigung tatsächlich von dem Steuerberater des Beklagten stamme.
Die Angaben, die dort gemacht seien, seien jedoch falsch bzw. unvollständig. Der
Kläger habe nicht als Koch sondern als Kellner gearbeitet. Der Beklagte habe das
Arbeitsverhältnis nicht gekündigt, schon gar nicht schriftlich. Nach dem zweiten
Telefonat sei er, der Beklagte, davon ausgegangen, dass der Kläger selbst von
einem zum 31.07.2007 beendeten Arbeitsverhältnis ausging, da er sich nicht mehr
gemeldet habe. In dem Vier-Augen-Gespräch am 30.07.2007 habe der Kläger
selbst sehr emotional gesagt „Hier will ich nicht mehr arbeiten! Ich komme nie
wieder!“. Dies habe er, der Beklagte, als Eigenkündigung verstehen dürfen und
den Sachverhalt seinem Steuerberater so mitgeteilt. Hätte der Steuerberater bzw.
die Sachbearbeiterin die Arbeitsbescheinigung richtig ausgefüllt, hätte eingetragen
werden müssen, dass der Arbeitnehmer selbst gekündigt habe.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen
Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
Nach § 615 BGB besteht ein Anspruch auf Zahlung der Vergütung auch dann,
wenn die Arbeitsleistung nicht erbracht worden ist, sich aber der Arbeitgeber mit
der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug befunden hat. Grundsätzlich ist der
Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitsplatz vorzuhalten und Arbeitsleistung
zuzuweisen, damit der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringen
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zuzuweisen, damit der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringen
kann. Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unberechtigter Weise fristlos, ist
ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers nicht mehr erforderlich. Der Arbeitgeber
gerät durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung in Annahmeverzug (BAG
Urteil v. 09.08.1984 - 2 AZR 374/83 - EZA BGB § 615 Nr. 43).
Der Kläger hat zwar den Ausspruch einer fristlosen Kündigung des Beklagten
behauptet, dies jedoch, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht
bewiesen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen
des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann auch nicht aus der
Arbeitsbescheinigung geschlossen werden, dass der Beklagte fristlos gekündigt
hat. Die Arbeitsbescheinigung selbst kann nicht als Kündigung des Beklagten
gewertet werden. Es handelt sich dabei lediglich um eine Meldung des
Arbeitgebers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit. Selbst wenn der
Steuerberater oder ein Mitarbeiter des Steuerberaters dem Arbeitnehmer von
dem Inhalt der Arbeitsbescheinigung Mitteilung macht, stellt diese Mitteilung nicht
eine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern lediglich die Unterrichtung über
eine vom Arbeitgeber erteilte Meldung dar (LAG Köln Urteil v. 05.12.2006 - 9 Sa
937/06 - NZA-RR 2007, 283 = Haufe-Index 1704914).
Die Arbeitsbescheinigung kann auch nicht als Indiz für eine vom Beklagten
ausgesprochene Kündigung gewertet werden mit der Folge, dass der Beklagte
gehalten wäre, dies zu widerlegen. Ein Indiz stellt eine mittelbare Tatsache dar, die
geeignet ist, logische Rückschlüsse auf den unmittelbaren Beweistatbestand
zuziehen (Zöller/Greger, Rn. 9a zu § 286 ZPO). Zwar handelt es sich bei dem
Steuerberater um einen Erfüllungsgehilfen des Beklagten. Auch kann als wahr
unterstellt werden, dass der Steuerberater, wie der Kläger vorträgt, die
Eintragungen auf Weisung des Beklagten vorgenommen hat. Jedoch reicht dies
nicht aus, um die behauptete fristlose mündliche Kündigungserklärung des
Beklagten als bewiesen anzusehen. Aus der Tatsache, dass die
Arbeitsbescheinigung vom Steuerberater stammt, folgt nicht, dass der Beklagte
selbst gekündigt hat, sondern nur, dass gegenüber der Agentur für Arbeit eine
entsprechende Mitteilung gemacht wird. Mehr kann hieraus nicht geschlossen
werden.
Der Beklagte ist jedoch mit Zustellung der Klageschrift in Annahmeverzug
geraten. Unabhängig davon, was in dem persönlichen Gespräch vom 30.07.2008
und in dem Telefonat vom 31.07.2007 erklärt worden ist, ist jedenfalls von keiner
der beiden Seiten eine wirksame Kündigung ausgesprochen worden. Denn hierfür
wäre Schriftform erforderlich, § 623 BGB. Es kommt nicht darauf an, ob der
Beklagte, wie sein Prozessbevollmächtigter in der Berufungsverhandlung erklärt
hat, nicht wusste, dass eine mündliche Kündigung unwirksam sei. Die Vorschrift
des § 623 BGB, die Schriftform für den Ausspruch einer Kündigung fordert, ist
durch Gesetz vom 30.03.2000 (BGBl. I S. 333) eingeführt worden und mit dem
01.05.2000 in Kraft getreten. Der Beklagte als Arbeitgeber hätte sich schon längst
um derartige Details kümmern müssen. Auf Unkenntnis des Gesetzes kann er sich
nicht berufen. Jeder mündige Bürger ist gehalten, sich um die Kenntnis des
Gesetzes zu bemühen. Das gilt erst recht für den Beklagten, der als Arbeitgeber
Pflichten zu beachten hat, wozu auch die Einhaltung von Formvorschriften für die
Begründung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse gehört.
Die Zustellung der Klage lässt, selbst wenn der Kläger in dem Streitgespräch vom
30.07.2008 oder dem Telefonat vom 31.07.2007 erklärt haben sollte, er wolle nicht
mehr für den Beklagten arbeiten, erkennen, dass der Kläger an dieser Erklärung
nicht mehr festhalten wolle. Der Beklagte war mithin ab diesem Zeitpunkt
gehalten, dem Kläger eine Arbeit zuzuweisen. Tat er dies nicht, geriet er jedenfalls
ab Zustellung der Klage in Annahmeverzug, § 615 BGB.
Der Beklagte befand sich daher in der Zeit vom 18.09.2007 bis 31.10.2007 in
Annahmeverzug. Auf diesen Zeitraum entfällt ein anteiliger Lohn von 860 EUR,
und zwar für September 260 EUR und Oktober 600 EUR. Hiervon sind die gemäß §
115 SGB X auf die Arge übergegangenen Leistungen abzuziehen. Für September
errechnet sich ein Anteil von 150,37 EUR, so dass sich ein insgesamt
abzuziehender Betrag von 416,25 EUR ergibt. Der Berufung ist demgemäß
insoweit stattzugeben, als der Beklagte zu verurteilen ist, an den Kläger 860 EUR
brutto abzüglich 416,25 EUR netto zu zahlen.
Die weitergehende Berufung ist zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt entsprechend dem wechselseitigen Unterliegen aus
§ 92 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.