Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

LArbG Schleswig-Holstein: abmahnung, kündigung, vergleich, form, kontrolle, arbeitsgericht, personalakte, augenschein, farbe, gespräch

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Gericht:
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 350/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 611 Abs 1 BGB,
§ 314 BGB
Überprüfbarkeit einer Abmahnung - gerichtliche Kontrolle
Leitsatz
Die Berechtigung einer Abmahnung ist nur insoweit nach dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen, als Form und Umstände der Abmahnung
gemeint sind. Ob die Abmahnung als solche eine Überreaktion darstellt, unterliegt nicht
der gerichtlichen Kontrolle (im Anschluss an LAG Köln, Urt. v. 12.05.1995 - 13 Sa 137/95
- NZA-RR 1996, 204).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom
30.06.2005 - 5 Ca 676 d/05 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit einer Abmahnung.
Der Kläger ist am …1949 geboren. Bei der Beklagten ist er seit dem 30.09.1985
als Maschinenführer mit einer Vergütung von zuletzt 2.000 EUR brutto beschäftigt.
Die Beklagte hatte im Jahr 2003 eine verhaltensbedingte Kündigung
ausgesprochen, die der Kläger durch Klage angegriffen hatte (5 Ca 1459 c/03 ArbG
Elmshorn). Die Beklagte erklärte in diesem Rechtsstreit in der Verhandlung vom
22.03.2003, aus dieser Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen. Sie
behielt sich aber vor, wegen des der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhaltes
eine Abmahnung auszusprechen. Die mit Datum vom 09.12.2003 erteilte
Abmahnung griff der Kläger durch Klage vor dem Arbeitsgericht Elmshorn an (5 Ca
2878 b/03). In diesem Rechtsstreit verglichen sich die Parteien am 13.01.2004 wie
folgt:
„Unter der Voraussetzung, dass dem Kläger im Jahr 2004 keine weitere
rechtmäßige Abmahnung erteilt wird, verpflichtet sich die Beklagte, die
Abmahnung vom 09.12.2003 mit Ablauf des Jahres 2004 aus der Personalakte des
Klägers zu entfernen.“
Der Kläger war im Jahr 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 06.12.2004 wurde
ihm bis zum 14.01.2005 Erholungsurlaub erteilt.
Am 23.02.2005 wurde der Kläger zum Falzen des Kunstkataloges S. eingeteilt. Der
Auftrag umfasste mehrere Falzbögen, und zwar in Form eines so genannten 2-
Bund-Falzes und war in einer Auflage von 700 Stück zu erstellen. Der Kläger hatte
den Auftrag, die Bögen 6, 8 und 4 zu falzen. Seine Kolleginnen K. F. und Si. L.
waren für die Falzung der weiteren Bögen eingeteilt. Nachdem der Kläger etwa ein
Drittel seines Teils erledigt hatte, wurde er abgerufen. Die weiteren Arbeiten
wurden durch andere Mitarbeiter erledigt. Die Beklagte gab die gefalzten Bögen an
eine externe Buchbinderei, wo Farbablagerungen auf den Falzbögen festgestellt
wurden. Strittig ist, ob dies bei den gesamten 700 Exemplaren der Fall ist.
Die Beklagte führte mit dem Kläger sowie den beiden anderen für die Arbeit
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Die Beklagte führte mit dem Kläger sowie den beiden anderen für die Arbeit
eingeteilten Mitarbeiterinnen Gespräche und erteilte dem Kläger mit Datum vom
22.03.2005 eine Abmahnung (Bl. 7, 8 d. A.). Den anderen beiden Mitarbeiterinnen
sprach sie Ermahnungen aus, die sie in diesem Rechtsstreit damit begründet hat,
dass deren Arbeitsverhältnisse bislang unbelastet gewesen seien.
Mit der am 30.03.2005 erhobenen Klage hat der Kläger Unzulässigkeit der
Abmahnung gerügt und vorgetragen, er habe die Bögen ordnungsgemäß in die
Falzmaschine gelegt und auch die ersten vier Bögen eines jeden Falzvorganges
kontrolliert, wobei sich keine Farbauffälligkeiten gezeigt hätten. Bei einer
Abteilungsversammlung, die kürzlich stattgefunden habe, seien schwerwiegendere
Fehler angesprochen worden, ohne dass diese Mitarbeiter Abmahnungen oder
Ermahnungen erhalten hätten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 22.03.2005 erteilte
Abmahnung ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, ihr Betriebsleiter habe den Kläger im Gespräch vom
04.03.2005 darauf hingewiesen, dass der Farbaufbau vom ersten zu den weiteren
Falzbögen immer stärker geworden sei und mit jedem weiteren Bogen das
Ablegen der Farbe bereits beim Falzbeginn zu erkennen gewesen sei. Der Kläger
habe in diesem Gespräch eingeräumt, dies nicht bemerkt zu haben und geäußert,
dass er seinen Fehler selbst als ärgerlich empfinde. Die Fehlproduktion hätte sich
vermeiden lassen, wenn der Kläger fachgerechte Kontrollen durchgeführt und den
Falzvorgang gestoppt hätte. Das Aufblättern der einzelnen gefalzten Bogen sei bei
dem 2-Bund-Falz einfach und schnell möglich.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.06.2005 die Klage abgewiesen und
ausgeführt, der Kläger habe die erforderlichen Kontrollen unterlassen. Er könne
sich nicht darauf berufen, dass die Beklagte gegenüber anderen Mitarbeitern keine
Abmahnungen ausgesprochen oder die beiden Kolleginnen lediglich ermahnt
habe. Die Beklagte habe dargetan, dass sie ein abgestuftes Programm „bei
Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter“ befolge und in der Vergangenheit bereits ermahnt
und auch abgemahnt habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt und diese
begründet.
Der Kläger trägt vor, es sei unzulässig, ihn auf die vorhergehende Abmahnung zu
verweisen, da diese durch den Vergleich erledigt und nach Ablauf des Jahres
entfernt worden sei. Ein Fehlverhalten könne ihm nicht vorgehalten werden. Die
Abfärbungen seien beim ersten Durchblättern der Kunstkataloge nicht zu
erkennen. Erst nach Hinweis auf die Verfärbungen seien diese überhaupt,
allerdings nur unter größten Mühen und teilweise mit der „Lupe“ erkennbar. Er, der
Kläger, wie auch seine beiden Kolleginnen hätten diese Streifen nicht mit bloßem
Auge wahrnehmen können. Eine Kontrolle wäre daher mangels Erkennbarkeit ins
Leere gelaufen. Darüber hinaus habe er nach dem Durchlaufen der ersten drei bis
vier Bögen eines jeden Falzvorganges die Maschine angehalten und die Bögen
kontrolliert. Zudem habe er den Falzvorgang nach jedem 50. Bogen kontrolliert. Er
bestreite, dass alle 700 Kunstkataloge die entsprechenden Farbverunreinigungen
aufwiesen. Er habe ausdrücklich beantragt, der Beklagten aufzugeben, alle 700
Exponate vorzulegen, damit diese sowohl durch das Gericht wie auch durch den
Klägervertreter in Augenschein genommen werden könnten. Diesem Beweisantrag
hätte das Arbeitsgericht nachkommen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 30.06.2005 - 5 Ca 676 d/05 -
abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, der Kläger habe gegen
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, der Kläger habe gegen
seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Bei allen drei vom Kläger gefalzten
Bögen hätten sich ungewünschte Markierungen gezeigt, die dadurch entstanden
seien, dass der durch das Transportrad der Falzmaschine ausgeübte Druck zu
stark eingestellt gewesen sei. Die Transportrolle sei zu stark an das Papier
angepresst worden und habe daher von den durchlaufenden Druckbögen Farbe
aufgenommen, die wiederum auf den anderen Bögen verteilt worden seien. Diese
Farbablagerungen hätten sich von Falzbogen zu Falzbogen stärker und
unübersehbar aufgebaut. Bei dem Bogen 6, der als erstes gefalzt worden sei,
seien die Markierungen erst auf dem letzten Bogen der insgesamt 700 Stück
ersichtlich gewesen. Bei den anschließend vom Kläger gefalzten Bögen 8 und 4
seien die ungewünschten Markierungen dann auf allen 700 Stück sehr stark und
unübersehbar vorhanden gewesen. Unzutreffend sei, dass die Markierungen nicht
mit bloßem Auge und nur mit der Lupe zu erkennen gewesen seien. Bei dem
Kunstkatalog handele es sich um ein sehr hochwertiges Druckprodukt, bei dem
sehr edles und hochwertiges Papier verwendet worden sei, so dass auch erhöhte
Sorgfaltspflichten bei der Bearbeitung dieses Auftrages zu beachten gewesen
seien. Hier seien sehr viel höhere Anforderungen zu stellen als z. B. an eine
Tageszeitung oder Zeitschrift. Da der Kläger zum wiederholten Mal massiv und
grob fahrlässig gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe, zu
denen im konkreten Fall gehört habe, fachgerechte Kontrollen durchzuführen, sei
die Abmahnung berechtigt. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass bereits im Jahr
2003 eine Abmahnung ausgesprochen worden sei, auch wenn diese inzwischen
wegen Zeitablaufs entfernt worden sei.
In der Berufungsverhandlung vom 29.11.2005 sind zwei mangelhafte Kataloge in
Augenschein genommen worden, des Weiteren zum Vergleich ein einwandfreies
Exemplar. Dabei ist festgestellt worden, dass die Farbmarkierungen sich jeweils auf
den weißen Rückseiten befinden. Die Farbmarkierungen weisen das Bild eines
gelochten Bandes auf.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen
Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat nicht Erfolg. Die Beklagte hat
berechtigterweise eine Abmahnung wegen des Verhaltens des Klägers
ausgesprochen.
Grundsätzlich ist ein Arbeitnehmer, dem gegenüber eine Abmahnung
ausgesprochen worden ist, wegen sich hieraus ergebenden Belastungen für das
Arbeitsverhältnis befugt, die Berechtigung dieser Abmahnung überprüfen zu
lassen. Dies gilt insbesondere, weil in der Regel eine Abmahnung einer Kündigung
vorauszugehen hat, § 314 BGB. Zweck der Abmahnung ist, den Empfänger der
Erklärung an seine vertraglichen Pflichten zu erinnern und ihn zu ermahnen,
künftig wieder vertragsgerecht zu arbeiten (LAG Hamm, Beschl. v. 07.12.1999 - 4
Sa 327/99 - NZA-RR 2000, 494). Die Abmahnung unterliegt nicht einer
Verhältnismäßigkeitskontrolle (BAG, Urt. v. 13.11.1991 - 5 AZR 74/91 - NZA 1992,
690; BAG Urt. v. 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 - NZA 1995, 225). Vielmehr stellt das
Erfordernis einer berechtigten Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung bereits
einen Ausfluss des Billigkeitsprinzips und der Interessenabwägung, die auch im
Kündigungsschutzgesetz ihren Niederschlag gefunden hat, dar. Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist im Rahmen der gerichtlichen
Abmahnungskontrolle nur insoweit von Bedeutung, als Form und Umstände der
Abmahnung gemeint sind, nicht die Frage, ob die Abmahnung als solche eine
Überreaktion darstellt (LAG Köln, Urt. v. 12.05.1995 - 13 Sa 137/95 - NZA-RR 1996
- 204). Ebenso ist für den Gleichbehandlungsgrundsatz im Abmahnungsrecht nicht
Raum (LAG Köln a.a.O.).
Danach ist die von der Beklagten ausgesprochene Abmahnung berechtigt. Die
vorgelegten Kataloge wiesen eindeutig Mängel auf, auch wenn es sich - lediglich -
um die weiße Rückseite handelte. Die Farbmarkierungen waren deutlich zu
erkennen. Der Kläger als Fachkraft hätte diese Farbmarkierungen erkennen und
sofort einschreiten müssen. Wie die Berufungsverhandlung ergeben hat, ist das
Auftreten derartiger Mängel nicht ungewöhnlich, so dass der Kläger auch damit
rechnen und besonders darauf achten musste, zumal es sich um ein teures
hochwertiges Produkt handelte.
Darauf, ob die gesamte Produktion von 700 Stück oder nur Teile verdorben waren,
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Darauf, ob die gesamte Produktion von 700 Stück oder nur Teile verdorben waren,
kommt es im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit nicht an. Der Kläger hat
zwar bestritten, dass alle 700 Kataloge verdorben gewesen seien. Angesichts des
Vortrages in der Berufungsbegründung zur Sichtbarkeit der Mängel sind schon
erhebliche Zweifel daran angebracht, ob dieses Bestreiten des Klägers wirklich
ernsthaft gemeint ist. Aber auch wenn er den Umfang des eingetretenen
Schadens ernsthaft hätte bestreiten wollen, wäre es seine Aufgabe gewesen,
darzulegen, wieso die Farbmarkierungen nur bei einzelnen Bögen und dann gerade
bei den von ihm nicht kontrollierten aufgetreten seien sollten. Es handelte sich
ersichtlich um Farbmarkierungen des Transportbandes. Dass diese
Farbmarkierungen bei dem einen Bogen auftreten sollen und bei dem anderen
dann nicht mehr, ist nicht nachvollziehbar und vom Kläger auch nicht erklärt
worden. Insoweit hat der Kläger seiner Darlegungslast nicht ausreichend genügt.
Die Abmahnung ist, wie oben ausgeführt, weder einer
Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen noch ist zu berücksichtigen, ob der
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt ist. Aber auch unter Berücksichtigung des
von der Beklagten gewählten abgestuften Verfahrens ist die Abmahnung
berechtigt. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Beklagte sich nach
dem vorhergehenden Abmahnungsprozess verpflichtet hatte, die Abmahnung
vom 09.12.2003 zurückzunehmen, wenn während des gesamten Jahres 2004
keine berechtigte Abmahnung mehr ausgesprochen würde. Dies bedeutet zwar,
dass die Beklagte kündigungsrechtlich das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger als
insoweit unbelastet ansehen will. Hieraus folgt aber nicht, dass das gesamte
Arbeitsverhältnis wieder „auf Null gesetzt werden soll“. Diese Schlussfolgerungen
kann dem Vergleich im vorangegangenen Rechtsstreit nicht entnommen werden.
Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen. Gründe
für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Im Übrigen wird auf § 72a
ArbGG verwiesen.