Urteil des LAG Saarland vom 17.11.2010

LArbG Saarbrücken: behinderung, grundsatz der effektivität, arbeitsgericht, angemessene entschädigung, teleologische auslegung, vorstellungsgespräch, europäisches recht, tarifvertrag, anschluss

LArbG Saarbrücken Urteil vom 17.11.2010, 1 Sa 23/10
Entschädigungsansprüche nach § 15 Absatz 2 AGG
Leitsätze
Zu den Auswirkungen der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes vom 8. Juli 2009
(C-246/09 - Bulicke) auf die Anwendung der Zweimonatsfrist zur Geltendmachung von
Entschädigungsansprüchen (§ 15 Absatz 4 AGG).
Gegen diese Entscheidung wurde beim BAG Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen: 8
AZR 160/11.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Februar 2010 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Saarbrücken (63 Ca 3/09) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen das beklagte Land Schadensersatzansprüche beziehungsweise
Entschädigungsansprüche geltend, weil das beklagte Land eine Bewerbung des Klägers auf
eine ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt, sondern die Stelle anderweitig vergeben
hat.
Das beklagte Land schrieb Mitte des Jahres 2008 zwei Stellen für Lehrkräfte an der
Justizvollzugsanstalt in O. aus. Bei der Justizvollzugsanstalt O. handelt es sich um eine
Anstalt für den Vollzug der Untersuchungshaft und der Strafhaft von männlichen
Jugendlichen und Heranwachsenden. Die einzustellenden Lehrkräfte sollten primär für die
Erteilung von Unterricht zur Vorbereitung der Gefangenen auf den Erwerb des
Hauptschulabschlusses eingesetzt werden. Die Details der Ausschreibung ergäben sich aus
dem über die Bundesagentur für Arbeit verbreiteten Stellenangebot (Blatt 4 und 5 der
Akten). Auf diese Stellen bewarb sich auch der 1950 geborene Kläger. Der Kläger ist als
schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Mit einem Schreiben vom 29. August 2008 (Blatt 6 der Akten) teilte das beklagte Land
dem Kläger mit, dass die Auswahlkommission einer anderen Bewerbung den Vorzug
gegeben habe. Dieses Schreiben hat der Kläger am 2. September 2008 erhalten. Mit
einem Schreiben vom 30. Oktober 2008 (Blatt 14 der Akten) teilte der Kläger dem
beklagten Land folgendes mit:
Dieses Schreiben ging am 4. November 2008 bei dem beklagten Land ein. Mit einem
Schreiben vom 19. November 2008 (Blatt 8 der Akten) erwiderte das beklagte Land
darauf, dass das Schreiben des Klägers unter Berücksichtigung von § 15 Absatz 4 AGG
verfristet eingegangen sei.
Daraufhin reichte der Kläger mit einem am 13. Januar 2009 bei dem Arbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz (Blatt 1 bis 3 der Akten) Klage ein. In der Klageschrift vertritt
der Kläger die Auffassung, er habe seine Ansprüche auf Schadensersatz beziehungsweise
Entschädigung nicht verfristet geltend gemacht. Das gelte selbst dann, wenn sein
Schreiben nicht innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des ablehnenden Schreibens des
beklagten Landes bei dem beklagten Land eingegangen sein sollte, denn nach § 15 Absatz
4 Halbsatz 2 AGG könnten die Tarifvertragsparteien eine andere Frist vereinbaren. Das sei
hier geschehen, denn das beklagte Land beziehe sich in seiner Stellenausschreibung auf
den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), nach dem eine Frist von
sechs Monaten gelte. Er, der Kläger, sei auch Mitglied einer Gewerkschaft. Abgesehen
davon könne er die geltend gemachten Ansprüche auch auf § 15 Absatz 5 AGG stützen,
denn eine Benachteiligung wegen einer Behinderung stelle immer auch eine Verletzung des
Allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.
Das beklagte Land, so hat der Kläger in erster Instanz weiter ausgeführt, habe die nach
den §§ 81 und 82 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches bestehenden Pflichten
nicht erfüllt. Erstens habe das beklagte Land die Bundesagentur für Arbeit nicht frühzeitig
von den frei werdenden Stellen benachrichtigt. Zweitens sei die
Schwerbehindertenvertretung des beklagten Landes nicht über seine Bewerbung informiert
worden. Drittens sei er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Diese
Tatbestände rechtfertigten bereits jeder für sich die Vermutung einer Benachteiligung nach
dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Und darüber hinaus habe ihm das beklagte
Land entgegen der Regelung in § 81 Absatz 1 Satz 9 des Neunten Buches des
Sozialgesetzbuches auch keine Gründe für die Ablehnung seiner Bewerbung mitgeteilt.
Auch deswegen sei eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung zu vermuten. Ihm
stehe daher gegen das beklagte Land ein Anspruch auf Schadensersatz beziehungsweise
auf Entschädigung zu. Der Höhe nach werde der Anspruch in das Ermessen des Gerichts
gestellt. Der von dem beklagten Land zu zahlende Betrag solle aber nicht unter zwei
Monatsgehältern der Stufe 2 der Entgeltgruppe 13 des Tarifvertrages für den öffentlichen
Dienst, die sich auf zusammen 6.450 EUR beliefen, liegen.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, ihm Schadensersatz
beziehungsweise Entschädigung nach Ermessen des Gerichts nebst
5 Prozent Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat darauf verwiesen, dass der von dem Kläger geltend gemachte
Anspruch nach § 15 Absatz 4 AGG verfristet sei. Das Schreiben des Klägers vom 30.
Oktober 2008 sei nicht innerhalb von zwei Monaten, nachdem dem Kläger der ablehnende
Bescheid zugegangen sei, eingegangen. Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich
aus dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder nichts anderes. Die dort
geregelte Ausschlussfrist gelte nicht für Personen, die sich um die Einstellung in ein
Beschäftigungsverhältnis bewürben. Diese Ausschlussfrist gelte erst dann, wenn ein
Beschäftigungsverhältnis begründet worden sei.
Unabhängig davon sei der Anspruch des Klägers aber auch nicht begründet. Nach § 82
Satz 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches sei die Einladung eines
Schwerbehinderten zu einem Vorstellungsgespräch entbehrlich, wenn dessen fachliche
Eignung für die Stelle offensichtlich fehle. Das sei hier der Fall gewesen. Der Kläger habe
zwar im Jahre 1979 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und
Hauptschulen abgelegt. Er habe jedoch seitdem an keiner Schule unterrichtet, er sei
vielmehr seit diesem Zeitpunkt ausschließlich in der Erwachsenenbildung tätig gewesen.
Über die nach der Stellenausschreibung gewünschte sonderpädagogische
Zusatzausbildung oder Erfahrung in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Jugendlichen
verfüge der Kläger nicht. Solche Qualifikationen hätten hingegen die schließlich eingestellten
Bewerberinnen gehabt. Diese seien zuvor in ähnlichen Funktionen über mehrere Jahre
hinweg für Dritteinrichtungen in den saarländischen Justizvollzugsanstalten pädagogisch
tätig gewesen.
Dem hielt der Kläger - im Anschluss an umfangreiche rechtliche Ausführungen zu der Frage
einer etwaigen Verfristung der Geltendmachung von Ansprüchen sowie zu den in Betracht
kommenden Tatbeständen, die nach seiner Auffassung die Vermutung einer
Benachteiligung wegen seiner Behinderung rechtfertigten - in einem von ihm selbst
verfassten Schriftsatz vom 17. April 2009 (Blatt 20 bis 25 der Akten) unter anderem
entgegen, dass er ausgebildeter Lehrer für Grund- und Hauptschulen sei. Er habe auch
Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge durchgeführt. Diese
Tätigkeit und andere von ihm in der Vergangenheit durchgeführte Tätigkeiten hätten Anlass
sein müssen, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, denn bekanntlich sei der Anteil
der jungen Gefangenen mit Migrationshintergrund sehr hoch. Darüber hinaus könne er
wegen seines Studiums der Ausländerpädagogik und wegen seiner Arbeit mit Menschen
aus verschiedenen Kulturkreisen auf eine große Erfahrung verweisen. Er habe lange Zeit
nahezu ausschließlich junge Erwachsene in einem Alter zwischen 18 und 30 Jahren
unterrichtet. In der Stellenausschreibung des beklagten Landes würden, so hat der Kläger
schließlich noch argumentiert, Erfahrungen in der Arbeit mit verhaltensauffälligen
Jugendlichen auch nur als wünschenswert bezeichnet, ebenso wie eine
sonderpädagogische Zusatzausbildung. Verlangt worden seien diese Qualifikationen aber
nicht.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens erster Instanz hat der Kläger angeregt, den
vorliegenden Rechtsstreit auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof über eine vom 3.
Juni 2009 datierende Vorlage des Landesarbeitsgerichts Hamburg betreffend die Auslegung
der Fristenregelung in § 15 Absatz 4 AGG (5 Sa 3/09, abrufbar bei juris) eine Entscheidung
getroffen habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, ein
Anspruch des Klägers nach § 15 AGG bestehe nicht, denn der Kläger habe den Anspruch
verspätet geltend gemacht. Ansprüche nach § 15 Absatz 1 und 2 AGG müssten innerhalb
einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden, wobei die Frist im Falle einer
Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung zu laufen beginne. Nachdem der Kläger das
Ablehnungsschreiben des beklagten Landes am 2. September 2008 erhalten habe, hätte
sein Schreiben, so hat das Arbeitsgericht weiter ausgeführt, spätestens am Montag, den
3. November 2008, bei dem beklagten Land eingehen müssen. Unstreitig sei das
Schreiben aber erst am 4. November 2008 bei dem beklagten Land eingegangen. Eine
andere Frist ergebe sich auch nicht aus dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der
Länder. Eine Anwendung der in diesem Tarifvertrag vereinbarten Fristen setze voraus, dass
bereits ein Beschäftigungsverhältnis begründet worden sei. Dies sei hier aber nicht der Fall
gewesen. Die Anbahnung von Vertragsverhältnissen genüge dafür nicht.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er macht geltend, das Arbeitsgericht
habe zu Unrecht einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 AGG abgelehnt. Entgegen
der Auffassung des Arbeitsgerichts sei dieser Anspruch von ihm nicht verspätet geltend
gemacht worden. Der Ansicht des Arbeitsgerichts, § 37 des Tarifvertrages für den
öffentlichen Dienst der Länder, der eine Ausschlussfrist von sechs Monaten vorsehe, sei
hier nicht anwendbar, könne nicht gefolgt werden. Insoweit sei auf § 6 Absatz 2 AGG
hinzuweisen, wonach als Beschäftigte auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein
Beschäftigungsverhältnis gelten sollten. Zudem sei für Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis im Sinne der Tarifnorm eine weite Auslegung geboten, deshalb sei die
Anbahnung eines solchen Arbeitsverhältnisses einzubeziehen. Unabhängig davon sei aber
auch fraglich, ob die in § 15 Absatz 4 AGG normierte Frist mit europäischem Recht
vereinbar sei. Mit der Entscheidung dieser Frage sei derzeit der Europäische Gerichtshof
auf eine Vorlage durch das Landesarbeitsgericht Hamburg hin befasst. Im Hinblick darauf
hätte das Arbeitsgericht, so hat der Kläger schließlich geltend gemacht, das Verfahren bis
zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aussetzen müssen.
beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und das beklagte Land zu
verurteilen, an ihn Schadensersatz/Entschädigung nach Ermessen
des Gerichts, mindestens jedoch in Höhe von zwei Monatsgehältern
(6.450 EUR) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Zu Recht habe
das Arbeitsgericht entschieden, dass der Kläger die Monatsfrist des § 15 Absatz 4 AGG
versäumt habe. § 37 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der
eine sechsmonatige Ausschlussfrist vorsehe, sei hier nicht anwendbar. Das habe das
Arbeitsgericht zutreffend dargelegt. Der Hinweis des Klägers auf § 6 Absatz 2 AGG ändere
daran nichts. In dieser Norm würden Bewerberinnen und Bewerber als Beschäftigte im
Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes angesehen, nicht hingegen als
Beschäftigte im Sinne des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder. Die
gegenteilige Auffassung käme, so führt das beklagte Land weiter aus, einem Eingriff in die
Tarifautonomie gleich, denn die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs eines
Tarifvertrages obliege ausschließlich den Tarifvertragsparteien. Zu Recht habe das
Arbeitsgericht das Verfahren auch nicht bis zur Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes über den Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg ausgesetzt.
Auch das Landesarbeitsgericht Saarland sei zur Aussetzung des Verfahrens bis zur
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nicht verpflichtet, denn eine solche
Verpflichtung bestehe nur dann, wenn ein Gericht letztinstanzlich entscheide. Die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts könne aber jedenfalls noch mit einer
Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht angegriffen werden. Der
Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg betreffe auch einen Fall, der mit
dem in dem vorliegenden Rechtsstreit zu entscheidenden Fall nicht in jeder Hinsicht
vergleichbar sei. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg sei auch nicht
überzeugend. Die in § 15 Absatz 4 AGG vorgesehene zweimonatige Ausschlussfrist
verstoße nicht gegen europäisches Recht. Im Rahmen von Arbeitsverhältnissen seien kurze
Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen im Interesse der Rechtssicherheit üblich und
von dem Bundesarbeitsgericht ausdrücklich gebilligt. Demgemäß habe das
Bundesarbeitsgericht die zweimonatige Frist in § 15 Absatz 4 AGG auch als
europarechtskonform angesehen. Dies müsse erst recht gelten, wenn es um die
Ansprüche eines Bewerbers um einen Arbeitsplatz gehe, der seinen "Arbeitgeber" in
seinem Leben nie wieder sehe, weshalb der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit um so
wichtiger sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand und
die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Blatt 38 bis 41 der Akten), auf die
Schriftsätze der Parteien in erster und zweiter Instanz sowie auf die Niederschrift über die
Sitzung der Kammer vom 17. November 2010 (Blatt 114 bis 116 der Akten) Bezug
genommen.
Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil vom
8. Juli 2010 (C-246/09 - Bulicke) über den Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts
Hamburg entschieden. Im Anschluss daran hat das Berufungsgericht den Parteien mit einer
Verfügung vom 13. August 2010 (Blatt 77 und 78 der Akten) Gelegenheit gegeben,
ergänzend dazu vorzutragen, welche rechtlichen Folgen sich aus ihrer Sicht für den
vorliegenden Rechtsstreit aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergeben.
Dies haben die Parteien in der Folge getan.
Der Kläger hat im Anschluss an die Erörterung der Sach- und Rechtslage in dem Termin zur
mündlichen Verhandlung vor der Kammer angeregt, die Revision zuzulassen. Er habe auch
bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf einen Rechtsstreit geführt, in dem es im
wesentlichen um die gleichen Fragen gegangen sei wie in dem vorliegenden Rechtsstreit.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf habe seine Klage zwar abgewiesen, aber die Revision
zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu dem
Ergebnis gelangt, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. Das
Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung.
A.
Der Kläger kann gegen das beklagte Land keine Entschädigungsansprüche nach § 15
Absatz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geltend machen.
I.
Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen
der Rasse oder der ethischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern
oder zu beseitigen (§ 1 AGG). Nach § 7 Absatz 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht aus einem
der in § 1 AGG genannten Gründe benachteiligt werden. Benachteiligt der Arbeitgeber
einen Beschäftigten aus einem dieser Gründe, so verletzt er damit vertragliche Pflichten (§
7 Absatz 3 AGG). Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, dem Arbeitnehmer den dadurch
entstandenen Schaden zu ersetzen (§ 15 Absatz 1 AGG). Wegen eines Schadens, der kein
Vermögensschaden ist, kann der Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld
verlangen (§ 15 Absatz 2 Satz 1 AGG). Als Beschäftigte gelten dabei auch Bewerberinnen
und Bewerber um einen Arbeitsplatz (§ 6 Absatz 1 Satz 2 AGG). Ist ein Bewerber oder
eine Bewerberin um einen Arbeitsplatz nicht eingestellt worden, kann er beziehungsweise
sie daher ebenfalls eine Entschädigung beanspruchen, die aber der Höhe nach drei
Monatsgehälter nicht überschreiten darf, wenn der Bewerber beziehungsweise die
Bewerberin auch bei einer benachteiligungsfreien Auswahl nicht eingestellt worden wäre (§
15 Absatz 2 Satz 2 AGG).
II.
Ob dem Kläger aus den von ihm angeführten Gründen gegen das beklagte Land
Entschädigungsansprüche nach § 15 Absatz 2 AGG hätten zustehen können, kann hier
offen bleiben, denn solche Ansprüche kann der Kläger im Hinblick auf die Fristenregelung in
§ 15 Absatz 4 AGG nicht mehr geltend machen. Ansprüche nach § 15 Absatz 1 oder
Absatz 2 AGG müssen innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht
werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart (§ 15
Absatz 4 Satz 1 AGG). Der Kläger hat etwaige ihm zustehende Ansprüche nicht
fristgerecht geltend gemacht.
1.
beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der
Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, zu dem der
oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt (§ 15 Absatz 4 Satz 2
AGG). Hier geht es um den Fall einer des Klägers um eine von dem beklagten
Land ausgeschriebene Stelle. Die Zweimonatsfrist begann daher zu dem Zeitpunkt zu
laufen, zu dem dem Kläger das Schreiben des beklagten Landes vom 29. August 2008
zugegangen ist, denn mit diesem Schreiben hat das beklagte Land dem Kläger mitgeteilt,
dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte. Zugegangen ist dem Kläger
dieses Schreiben ausweislich des von ihm auf dem Schreiben selbst angebrachten
handschriftlichen Eingangsvermerks (Blatt 6 der Akten) am 2. September 2008. Die Frist
von zwei Monaten wäre daher nach § 188 Absatz 2 BGB am 2. November 2008
abgelaufen. Da es sich bei diesem Tag um einen Sonntag gehandelt hat, lief die Frist
jedoch bis zum Montag, dem 3. November 2008 (§ 193 BGB). Eingegangen ist das
Schreiben des Klägers, mit dem er Entschädigungsansprüche gegen das beklagte Land
geltend gemacht hat, bei dem beklagten Land jedoch erst am 4. November 2008. Dies
ergibt sich aus dem Eingangsstempel des beklagten Landes (Blatt 14 der Akten). Das
bestreitet der Kläger auch nicht.
Davon ausgehend hat der Kläger die Frist zur Geltendmachung von
Entschädigungsansprüchen versäumt, mit der Folge, dass er solche Ansprüche nicht mehr
geltend machen kann. Es handelt sich bei § 15 Absatz 4 AGG - ebenso wie bei der eine
Benachteiligung wegen einer Behinderung betreffenden Vorgängerregelung in § 81 Absatz
2 Satz 2 Nummer 4 des Neunten Teils des Sozialgesetzbuches (dazu etwa BAG, Urteil
vom 12. September 2006, 9 AZR 807/05, NZA 2007, 507) - um eine materiellrechtliche
Ausschlussfrist. Wird die Frist nicht eingehalten, so verfällt der Anspruch (dazu auch
beispielsweise Stein, in: Schröder/Stein, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2008,
Randnummer 66 zu § 15 AGG).
2.
a.
vereinbar ist, hat sich der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 8. Juli 2009
(C-246/09 - Bulicke, abrufbar bei juris) befasst. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser
Entscheidung unter anderem ausgeführt, dass die Frist mit europäischem Recht vereinbar
sei, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt seien. Zum einen dürfe diese Frist nicht weniger
günstig sein als die Fristen für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des
Arbeitsrechts. Und zum anderen dürfe durch die Festlegung des Zeitpunkts, zu dem der
Lauf dieser Frist beginne, die Ausübung der Rechte, die von Artikel 9 der Richtlinie zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf verliehen seien, nicht unmöglich gemacht oder übermäßig
erschwert werden. Es sei Sache des Gerichts zu prüfen, ob diese beiden
Bedingungen erfüllt sind.
Diese von dem Europäischen Gerichtshof angeführten Bedingungen sind hier nach
Auffassung der Kammer erfüllt.
aa.
sicherzustellen, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche nach
der Richtlinie gerichtlich geltend machen können (Grundsatz der Effektivität). Rechte, die
sich aus einer etwaigen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergeben, konnte
der Kläger hier aber auch bei uneingeschränkter Anwendung des § 15 Absatz 4 AGG ohne
weiteres geltend machen. Dies wurde ihm durch die gesetzliche Regelung in § 15 Absatz 4
AGG weder unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert.
Die Zweimonatsfrist des § 15 Absatz 4 AGG beginnt, wie bereits erwähnt, im Falle einer
Bewerbung mit dem Zugang des Schreibens, mit dem dem Bewerber mitgeteilt wird, dass
seine Bewerbung nicht berücksichtigt wurde. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung zu dieser Norm ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei der Fassung dieser
Norm davon ausging, dass im Falle einer Bewerbung um einen Arbeitsplatz der Bewerber
mit dem Zeitpunkt, zu dem er das Ablehnungsschreiben des Arbeitgebers erhält, von der
Benachteiligung erlangt (Begründung zu dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 16/1780, Seite 38). Ob diese Annahme des
Gesetzgebers in jedem Fall zutreffend ist oder ob das in bestimmten Fallkonstellationen
nicht so ist, so dass in diesen Fallkonstellationen geprüft werden muss, ob eine
teleologische Auslegung der Norm dahin zulässig und geboten ist, dass die Frist erst mit
dem (späteren) Zeitpunkt beginnt, zu dem der Bewerber von der Benachteiligung
tatsächlich Kenntnis erlangt (zu einer solchen unter bestimmten Umständen
möglicherweise gebotenen teleologischen Auslegung des § 15 Absatz 4 AGG auch die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 8. Juli 2009, C-246/09 - Bulicke,
abrufbar bei juris), kann hier offen bleiben. Denn in dem hier zu entscheidenden Fall ist die
Annahme des Gesetzgebers, dass der Bewerber um einen Arbeitsplatz bereits zu dem
Zeitpunkt, zu dem er das Ablehnungsschreiben des Arbeitgebers erhält, von der
Benachteiligung Kenntnis erlangt, , so dass es einer teleologischen Korrektur des
Wortlauts der Norm nicht bedarf.
Mit dem Zugang des Ablehnungsschreibens des beklagten Landes vom 29. August 2008
hatte nämlich der Kläger hinreichende Kenntnis der Tatsachen, die - aus seiner Sicht - die
Vermutung rechtfertigen konnten, dass er wegen seiner Behinderung bei der Besetzung
der Stelle nicht berücksichtigt wurde. Der Kläger war nicht zu einem Vorstellungsgespräch
eingeladen worden. Allein dieser Gesichtspunkt hätte - wenn man weiter unterstellt, dass
der Kläger für die Stelle fachlich objektiv geeignet gewesen ist, was der Kläger geltend
macht - ausgereicht, um eine Benachteiligung wegen der Behinderung des Klägers
vermuten zu lassen (dazu beispielsweise BAG, Urteil vom 21. Juli 2009, 9 AZR 431/08,
NZA 2009, 1087). Demgemäß beanstandet der Kläger in seinem Schreiben vom 30.
Oktober 2008, mit dem er Entschädigungsansprüche gegen das beklagte Land erstmals
geltend gemacht hat, auch gerade ausdrücklich, dass er trotz seiner Schwerbehinderung
nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. In seiner Klageschrift betont er
zudem ausdrücklich, dass bereits jeder der von ihm behaupteten Benachteiligungsgründe
für sich, also auch die nicht erfolgte Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, die
Vermutung einer Benachteiligung rechtfertige. Mit anderen Worten: Bereits zu diesem
Zeitpunkt hatte der Kläger genügend Informationen, um eine - von ihm behauptete -
Benachteiligung wegen seiner Behinderung geltend zu machen. Diese Informationen hatte
der Kläger zudem nicht erst Ende Oktober 2008, sondern schon Anfang September 2008,
als ihm das Ablehnungsschreiben des beklagten Landes zugegangen war, denn bereits zu
diesem Zeitpunkt war klar, dass das beklagte Land die Stellen anderweitig vergeben hatte,
ohne den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Die dadurch
begründete Vermutung einer Diskriminierung hätte das beklagte Land nach § 22 AGG
widerlegen müssen - wiederum die Auffassung des Klägers als richtig unterstellt, dass er
für die Stelle objektiv fachlich geeignet gewesen ist.
Gleiches gilt, soweit der Kläger in seinem Schriftsatz erster Instanz vom 17. April 2009
nachträglich auch noch geltend gemacht hat, dass das beklagte Land ihm die für
seine Bewerbung nicht mitgeteilt habe, was dahin verstanden werden muss, dass das
beklagte Land nach Auffassung des Klägers verpflichtet gewesen wäre, ihm näher
darzulegen, weshalb einem anderen Bewerber beziehungsweise anderen Bewerberinnen
der Vorzug gegeben wurde. Dass es an einer solchen - nach Auffassung des Klägers
erforderlichen - Begründung fehlte, war ebenfalls bereits mit der Kenntnisnahme des
Klägers von dem Inhalt des Ablehnungsschreibens des beklagten Landes vom 29. August
2008 ohne weiteres ersichtlich.
Davon, dass er über hinreichende Informationen und Anhaltspunkte verfügt, um
Entschädigungsansprüche nach § 15 Absatz 2 AGG gegen das beklagte Land geltend
machen zu können, ist der Kläger offensichtlich auch selbst ausgegangen. Denn er hat
solche Ansprüche mit seinem Schreiben vom 30. Oktober 2008 auch tatsächlich geltend
gemacht. Dieses Schreiben wurde, obwohl der Kläger die selben Informationen bereits fast
zwei Monate vorher hatte, nur wenige Tage vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 15
Absatz 4 AGG verfasst, was nach Auffassung der Kammer die Annahme nahe legt, dass
der Kläger - der, wie seine von ihm selbst gefertigten Schriftsätze erster Instanz zeigen,
keine Probleme damit hat, sich auch mit rechtlichen Vorschriften und dazu ergangenen
Gerichtsentscheidungen näher zu befassen - diese Frist auch tatsächlich einhalten wollte,
er das Schreiben aber nicht so rechtzeitig zur Post gegeben hat, dass es noch fristgerecht
bei dem beklagten Land einging.
Zwar hat der Kläger in der Folge noch zwei weitere Indizien angeführt, die - aus seiner
Sicht - die Vermutung rechtfertigen, dass das beklagte Land ihn wegen seiner Behinderung
benachteiligt habe, nämlich zum einen, dass das beklagte Land die bei ihm eingerichtete
Schwerbehindertenvertretung von der Bewerbung nicht unterrichtet und auch die
Bundesagentur für Arbeit nicht mit dem Ziel der Einstellung eines schwerbehinderten
Bewerbers eingeschaltet habe - wobei es sich allerdings offenbar lediglich um eigene
Vermutungen des Klägers zu handeln scheint, denn er trägt im weiteren Verlauf des
Berufungsverfahrens (im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
vom 8. Juli 2010) vor, dass er bis heute keine Kenntnis darüber habe, ob die Tatbestände
einer Nichtbenachrichtigung der Arbeitsagentur über die freie Stelle und einer
Nichtinformation der Schwerbehindertenvertretung des beklagten Landes erfüllt seien.
Letzteres muss aber hier nicht vertieft werden. Es kann vielmehr unterstellt werden, dass
die Vermutungen des Klägers zutreffend sind. Auf diese Tatbestände kommt es nämlich
letztlich nach Auffassung der Kammer nicht mehr an. Denn es handelt sich dabei lediglich
um zwei Gesichtspunkte, die die Einschätzung des Klägers, er sei wegen seiner
Behinderung benachteiligt worden, stützen sollen. Dies ändert aber nichts daran, dass sich
- wiederum aus Sicht des Klägers - hinreichende Indizien für eine solche Benachteiligung
bereits lange Zeit vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 15 Absatz 4 AGG für den Kläger
erkennbar ergeben hatten. Bereits aufgrund dieser Indizien war es dem Kläger ohne
weiteres möglich und zumutbar, seine Ansprüche gegenüber dem beklagten Land geltend
zu machen. Die beiden weiteren erwähnten Indizien hätte er in dem Rechtsstreit dann
problemlos ergänzend anführen können. Demgemäß wird im Anschluss an die erwähnte
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes auch zu Recht vertreten, dass die Frist des §
15 Absatz 4 AGG (jedenfalls) dann zu laufen beginnt, wenn der Bewerber Kenntnis von
Umständen hat, die zu einer Beweislastumkehr nach § 22 AGG führen (KOCK, Festlegung
angemessener Ausschlussfristen - § 15 AGG, § 15 Absatz 4 AGG europarechtskonform,
NJW 2010,2713).
bb.
Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen wegen einer Verletzung des letztlich auf
europäischem Gemeinschaftsrecht beruhenden Benachteiligungsverbots des § 7 AGG ist
auch nicht weniger günstig als die Fristen für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe
im Bereich des Arbeitsrechts (Grundsatz der Äquivalenz). Das hat das
Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24. Dezember 2009 (8 AZR 705/08, NZA
2010, 387) bereits entschieden und - insbesondere unter Hinweis darauf, dass das
deutsche Arbeitsrecht auch in einer Reihe anderer Fälle kurze Fristen zur Geltendmachung
von Rechten kenne - ausführlich begründet, soweit es um Entschädigungsansprüche nach §
15 Absatz 2 AGG aus einem Arbeitsverhältnis geht. Dem folgt die Kammer.
Für auf § 15 Absatz 2 AGG beruhende Entschädigungsansprüche, die sich aus Anlass einer
um einen Arbeitsplatz ergeben, kann nach Auffassung der Kammer nichts
anderes gelten. Die Rechte aus dem Arbeitsverhältnis, die ein Arbeitnehmer innerhalb einer
sehr kurzen Frist geltend machen muss, damit sie ihm erhalten bleiben, haben häufig - wie
etwa im Fall der sogar nur dreiwöchigen Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage -
erheblich größere Bedeutung als Entschädigungsansprüche, die sich aus § 15 Absatz 2
AGG ergeben können. Es ist daher kein Grund erkennbar, weshalb für die zuletzt
genannten Ansprüche eine (noch) längere Frist als zwei Monate gelten sollte. Zu bedenken
ist darüber hinaus, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat, innerhalb
einer relativ kurzen Frist Klarheit darüber zu erhalten, ob er im Zusammenhang mit der
Besetzung einer bestimmten Stelle noch mit Entschädigungsansprüchen von Bewerbern,
die nicht zum Zuge gekommen sind, rechnen muss. Denn so lange er mit der
Geltendmachung von solchen Entschädigungsansprüchen rechnen muss, ist er im Hinblick
auf die sich aus § 22 AGG ergebende Beweislastregelung - danach trägt der Arbeitgeber,
wenn der Bewerber Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen einer Behinderung
vermuten lassen, die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum
Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat - gehalten, die Unterlagen, mit denen er seine
Entscheidung für einen bestimmten Bewerber oder eine bestimmte Bewerberin und gegen
andere Bewerberinnen und Bewerber dokumentieren muss, aufzubewahren (zu diesem
Gesichtspunkt - wenn auch im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt des effektiven
Rechtsschutzes des abgelehnten Bewerbers - auch BAG, Urteil vom 24. September 2009,
8 AZR 705/08, NZA 2010, 387). Vor allem dies war auch der Grund dafür, dass der
Gesetzgeber für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Absatz 1
und 2 AGG eine Frist von zwei Monaten vorgesehen hat (Begründung zu dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 16/1780, Seite 38; dazu
auch LAG München, Urteil vom 21. Januar 2009, 5 Sa 385/08, abrufbar bei juris).
Allerdings wurde im Anschluss an die bereits mehrfach zitierte Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes vertreten, § 15 Absatz 4 AGG sei deshalb weniger günstig als
die Fristen für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts,
weil Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung des
(§ 823 Absatz 1 BGB) erst nach Ablauf von drei Jahren verjähren
(Fischinger, Europarechtskonformität des § 15 IV AGG, NZA 2010, 1048, 1050). Dies wird
damit begründet, dass es sich auch bei solchen Schadenersatzansprüchen um Ansprüche
handele, die mit den sich aus § 15 Absatz 1 und 2 AGG ergebenden Ansprüchen
vergleichbar seien. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht. Ansprüche nach § 15 Absatz 1
und 2 AGG einerseits und Ansprüche wegen einer Verletzung des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts andererseits sind nicht vergleichbar. Bei den Ansprüchen nach § 15
Absatz 1 und 2 AGG handelt es sich um spezielle arbeitsrechtliche Ansprüche, die sich in
ihren Voraussetzungen wesentlich von den Voraussetzungen eines Anspruchs wegen einer
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterscheiden. Ergeben sich aufgrund
eines Sachverhalts Ansprüche nach § 15 Absatz 1 und 2 AGG, so bedeutet dies nicht
zugleich, dass wegen dieses Sachverhalts zwangsläufig auch Ansprüche wegen der
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen. Und umgekehrt ergeben sich,
wenn aufgrund eines bestimmten Sachverhalts ein (Entschädigungs-) Anspruch wegen der
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegeben ist, aufgrund dieses
Sachverhalts nicht zwangsläufig auch (Entschädigungs-) Ansprüche nach § 15 Absatz 1
und 2 AGG. Die Anspruchsvoraussetzungen beider Ansprüche sind deutlich unterschiedlich.
Das gilt insbesondere für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Absatz 2 AGG. Dieser
Entschädigungsanspruch setzt weder ein Verschulden des Arbeitgebers voraus noch bedarf
es, damit der Entschädigungsanspruch entsteht, der gesonderten Feststellung eines
immateriellen Schadens (BAG, Urteil vom 19. August 2010, 8 AZR 530/09, NZA 2010,
1412 mit weiteren Nachweisen). Für den Anspruch nach § 15 Absatz 2 AGG gelten zudem
wesentlich erleichterte Voraussetzungen, was die Darlegungs- und Beweislast angeht (§ 22
AGG). Demgemäß hat der Gesetzgeber, wie sich aus § 15 Absatz 5 AGG - danach bleiben
Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben,
unberührt - ergibt, solche Ansprüche mit guten Gründen als eigenständige, von § 15
Absatz 1 und 2 AGG unabhängige Ansprüche angesehen, für die es auch bei der
gesetzlichen Verjährungsfrist verbleibt.
b.
Absatz 2 der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung
der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Nach Artikel 8 Absatz 2 dieser Richtlinie
darf deren Umsetzung nicht als Rechtfertigung für eine Absenkung des von den
Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus in Bezug auf
Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen genutzt werden.
Dass § 15 Absatz 4 AGG auch nicht gegen diesen Grundsatz der Richtlinie verstößt, hat
das Bundesarbeitsgericht, soweit es um eine Diskriminierung wegen der oder der
geht, ebenfalls bereits entschieden. Das Bundesarbeitsgericht hat
dazu ausgeführt, dass es vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am
18. August 2006 im deutschen Recht keine konkrete gesetzliche Regelung zur
Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, wie sie
von der Richtlinie verlangt werde, gegeben habe. Damit habe es bis zum Inkrafttreten des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes an einer nationalen Regelung gefehlt, die der
Regelung im europäischen Gemeinschaftsrecht gleichartig sei. Demgemäß habe durch die
Schaffung einer Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen
wegen einer unzulässigen Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft
auch keine Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen
Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen eintreten können (BAG, Urteil vom 24.
Dezember 2009, 8 AZR 705/08, NZA 2010, 387).
Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit es um eine Diskriminierung wegen einer
geht. Allerdings gab es auch bereits vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes eine gesetzliche Regelung eines Entschädigungsanspruchs für
den Fall einer Benachteiligung aufgrund einer Behinderung. Bereits nach § 81 Absatz 2
Nummer 2 und 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches in der bis zum 17. August
2006 geltenden Fassung konnten schwerbehinderte Menschen, deren Bewerbung um
einen Arbeitsplatz keinen Erfolg hatte, eine Entschädigung beanspruchen, wenn sie bei ihrer
Bewerbung wegen ihrer Behinderung benachteiligt wurden. Auch für solche Ansprüche galt
jedoch inhaltlich bereits die Ausschlussfrist wie diejenige, die in der Folge in § 15
Absatz 4 AGG normiert wurde. Sie war in § 81 Absatz 2 Nummer 4 des Neunten Buches
des Sozialgesetzbuches geregelt. Auch danach musste eine Entschädigung innerhalb von
zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung der Bewerbung schriftlich geltend gemacht
werden.
3.
AGG zwar nur dann innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht
werden, wenn die Tarifvertragsparteien nicht etwas anderes vereinbart haben. Eine solche
andere Vereinbarung liegt hier aber nicht vor.
Sie kann insbesondere nicht in § 37 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der
Länder (TV-L) gesehen werden. Nach § 37 TV-L verfallen Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach
Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Auf den Tarifvertrag für den öffentlichen
Dienst der Länder kann sich der Kläger jedoch - ungeachtet der Frage, ob der Kläger einer
Gewerkschaft angehört, die Vertragspartner des Tarifvertrages ist, was der Kläger nicht
näher dargelegt hat - nicht berufen. Denn der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der
Länder gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Beschäftigte), die in einem
"Arbeitsverhältnis" zu einem Arbeitgeber stehen, der Mitglied der Tarifgemeinschaft
deutscher Länder oder eines Mitgliedsverbandes dieser Tarifgemeinschaft ist (§ 1 Absatz 1
TV-L). Voraussetzung für eine Anwendung des Tarifvertrages ist daher das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses. Dem entspricht, dass auch § 37 TV-L nur Ansprüche "aus einem
Arbeitsverhältnis" erfasst. Der Kläger macht aber keine Ansprüche aus einem
geltend, denn ein Arbeitsverhältnis ist zwischen dem Kläger und dem
beklagten Land nicht zustande gekommen.
Aus § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nichts
anderes. In § 6 Absatz 1 AGG heißt es zunächst, Beschäftigte im Sinne dieses
Gesetzes seien Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu ihrer Berufsbildung
Beschäftigten sowie Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als
arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen seien. Daran schließt sich ein weiterer Satz an,
nämlich , in dem es heißt, dass als "Beschäftigte" auch die Bewerberinnen und
Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gelten. Beschrieben wird aber auch mit diesem
zweiten Satz lediglich, wer "Beschäftigter"
ist. Damit erschöpft sich der Regelungsgehalt dieser Norm.
Aus der von dem Kläger zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26.
Februar 2009 (17 Sa 923/08, abrufbar bei juris) ergibt sich nichts anderes. Im Rahmen
dieser Entscheidung ist das Landesarbeitsgericht Hamm - im Zusammenhang mit der
Prüfung eines Anspruchs nach § 15 Absatz 2 AGG und im Zusammenhang mit der Prüfung
einer anderweitigen tariflichen Vereinbarung im Sinne von § 15 Absatz 4 AGG -
offensichtlich davon ausgegangen, dass § 37 TV-L deshalb anwendbar ist, weil zwischen
den Parteien jenes Rechtsstreits bereits zum Zeitpunkt der Bewerbung der Klägerin jenes
Verfahrens ein (befristetes) Arbeitsverhältnis bestanden hat, für das einzelvertraglich die
Anwendbarkeit von § 37 TV-L vereinbart worden war.
Und schließlich kann der Kläger auch daraus, dass sich nach § 611 a BGB in der bis zum
17. August 2006 geltenden Fassung dieser Norm die Länge der Ausschlussfrist nach einer
für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen "im angestrebten
Arbeitsverhältnis" vorgesehenen Ausschlussfrist bemessen hat, zu seinen Gunsten nichts
herleiten. Diese Regelung, die zudem nur für geschlechtsbezogene Benachteiligungen galt,
hat der Gesetzgeber in § 15 Absatz 4 AGG gerade nicht übernommen.
III.
Scheitert der von dem Kläger geltend gemacht Anspruch danach bereits daran, dass der
Kläger die materiellrechtliche Ausschlussfrist des § 15 Absatz 4 AGG versäumt hat, mit der
Folge, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers jedenfalls verfallen ist, kommt es nicht mehr
darauf an, ob das beklagte Land den Kläger, wie der Kläger mutmaßt, bei seiner
Entscheidung über die Besetzung der beiden Stellen wegen seiner Behinderung
benachteiligt hat. Dem muss daher nicht weiter nachgegangen werden.
B.
In erster Instanz hatte der Kläger, wenn auch eher beiläufig, noch geltend gemacht, dass
ihm auch (Entschädigungs-) Ansprüche wegen einer Verletzung des Allgemeinen
Persönlichkeitsrechts zustünden. Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs hat der
Kläger jedoch nicht schlüssig dargelegt. Zwar kommen solche Entschädigungsansprüche
wegen immaterieller Schäden, wie sich aus der bereits erwähnten Vorschrift des § 15
Absatz 5 AGG ergibt, neben Ansprüchen aus § 15 Absatz 1 und 2 AGG grundsätzlich in
Betracht. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn eine
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt (dazu etwa BAG, Urteil vom 24.
September 2009, 8 AZR 636/08, NZA 2010, 159 mit weiteren Nachweisen), etwa weil
die Benachteiligung in besonders kränkender Weise erfolgt oder wenn die Benachteiligung
Ursache für eine psychisch bedingte Erkrankung wird (dazu etwa Stein, in: Schröder/Stein,
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2008, Randnummer 89 zu § 15 AGG). Dazu hat
der Kläger aber nichts Konkretes vorgetragen, etwas Derartiges ist auch nicht ersichtlich.
Demgemäß kommt der Kläger im Berufungsverfahren auf solche Ansprüche auch nicht
mehr zurück.
IV.
Die Berufung des Klägers konnte danach keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung
ergibt sich aus § 97 Absatz 1 ZPO. Die Revision wurde nach § 72 Absatz 2 Nummer 1
ArbGG zugelassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Welche Folgerungen sich aus
der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 8. Juli 2010 für die Anwendung von
§ 15 Absatz 4 AGG ergeben, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt, die Frage wird in der
rechtswissenschaftlichen Literatur diskutiert. Von dem Bundesarbeitsgericht nicht
entschieden ist insbesondere, ob die in § 15 Absatz 4 AGG normierte Zweimonatsfrist
europarechtlich auch unbedenklich ist, soweit es nicht um Entschädigungsansprüche aus
einem bestehenden Arbeitsverhältnis geht, sondern um Entschädigungsansprüche eines
Bewerbers, der mit seiner Bewerbung um einen Arbeitsplatz keinen Erfolg hatte.