Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 08.09.2004
LArbG Mainz: haftung des arbeitgebers, arbeitsunfall, bewusste fahrlässigkeit, unternehmen, kauf, arbeitsgericht, montage, verkehr, verschulden, installation
LAG
Mainz
08.09.2004
10 Sa 263/04
Haftung des Arbeitgebers bei Arbeitsunfall
Aktenzeichen:
10 Sa 263/04
5 Ca 530/03
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Verkündet am: 08.09.2004
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitgerichts Koblenz - Auswärtige
Kammern Neuwied - vom 02.12.2003, AZ: 5 Ca 530/03, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz wegen eines Arbeitsunfalls.
Der Kläger war bei der Beklagten über viele Jahre hinweg als Sandstrahler tätig. Am 01.09.1989 war er
damit beschäftigt, mittels eines Rundmagneten Stahlträger auf einem Förderband abzulegen und nach
Durchlaufen des Förderbandes wieder von diesem abzuheben und aufeinander zu stapeln. Als der Kläger
einen Stahlträger über einem Stapel bereits abgelegter anderer Stahlträger positioniert hatte, um diesen
abzulegen, löste sich der Stahlträger von dem Elektromagneten, schlug auf den anderen Stahlträger auf
und fiel schließlich auf den linken Fuß des Klägers. Dabei wurden mehrere Zehen des Klägers
zertrümmert. Aufgrund der dabei erlittenen Verletzungen musste die zweite Zehe am linken Fuß des
Klägers teilamputiert werden, das Endglied wurde entfernt. Die dritte Zehe wurde grundgelenksnah
amputiert, die vierte und fünfte Zehe wurden komplett amputiert. Im postoperativen Verlauf traten
schwerere Komplikationen dadurch auf, dass sich Weichteilnekrosen bildeten, die anschließend wieder
entfernt werden mussten. Der Vorfall hatte die Erwerbsunfähigkeit des Klägers zur Folge.
Mit seiner am 27.09.2002 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage begeht der Kläger von der Beklagten
Ersatz des ihm infolge des Unfalls vom 01.09.1989 entstandenen Schadens, welchen er mit 116.124,00 €
beziffert. Hinsichtlich der Schadensberechnung des Klägers wird auf die Klageschrift vom 27.09.2002
(dort Seite 8 bis Seite 26 = Bl. 10 bis 28 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat der seinerzeit mit der Montage des Elektromagneten betrauten Person, Herrn Dipl. Ing.
R A , mit Schriftsatz vom 18.11.2002 (Bl. 86 und 87 d. A.) den Streit verkündet. Dieser ist dem
Rechtsstreit jedoch nicht beigetreten.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 116.124,00 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01.09.1989 zu
zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren materiellen Schäden, die ihm
zukünftig aus dem Unfall vom 01.09.1989 auf dem Gelände der Beklagten entstehen, zu ersetzen, soweit
sie nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des
Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 02.12.2003 (Bl. 127 bis 129 d.
A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.12.2003 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen
Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 und 6 dieses Urteils (= Bl. 130 und 131 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihm am 19.03.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.04.2004 Berufung beim
Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese am 19.05.2004 begründet.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, Ursache für den Arbeitsunfall sei ein zu großer Luftspalt zwischen
dem Elektromagneten und dem Stahlträger gewesen. Hierdurch sei die Tragkraft des Elektromagneten so
erheblich gemindert gewesen, dass der Stahlträger herabgefallen sei. Der Luftspalt habe nur dadurch
entstehen können, dass die Oberfläche des Stahlträgers oder die des Elektromagneten durch Staub oder
Strahlpartikel verschmutzt gewesen sei. Weitere Unfallursache sei eine nicht ausreichende Zugentlastung
der Anschlussleitungen des Elektromagneten gewesen. Letztlich komme als Unfallursache auch der
Umstand in Betracht, dass der Elektromagnet zum Unfallzeitpunkt bereits sehr lange im Einsatz gewesen
sei und sich dadurch so stark erwärmt habe, dass die Kraft des Magnetfeldes abgenommen habe.
Sämtliche Ursachen seien der Beklagten anzulasten. Ihm - dem Kläger - sei niemals gesagt worden, dass
er die Oberflächen selbst von kleinsten Verunreinigungen freihalten müsse. Die Beklagte habe auch keine
hinreichenden Vorkehrungen dafür getroffen, dass die Oberflächen der Träger tatsächlich absolut sauber
geblieben seien. Über die maximale Betriebsdauer des Elektromagneten habe man ihn ebenfalls nicht
unterrichtet. Soweit die mangelhafte Zugentlastung ursächlich für den Unfall gewesen sei, so beruhe dies
auf der fehlerhaften Durchführung der Montage des Elektromagneten durch das damit beauftragte
Unternehmen, wofür die Beklagte gemäß § 278 BGB einzustehen habe. Das nebeneinander aller drei
Ursachen lasse nur den Schluss zu, dass die Beklagte bzw. die für sie handelnden Personen sich in
keiner Weise um die Einhaltung der maßgeblichen Unfallverhütungsvorschriften gekümmert hätten.
Erreiche aber die Gleichgültigkeit einen solchen Grad, so sei davon auszugehen, dass der Unfall als
Folge der Verstöße gegen die Unfallverhütungsvorschriften billigend in Kauf genommen werde, was für
die Annahme eines bedingten Vorsatzes ausreiche. Darüber hinaus stelle die unzureichende Entlastung
der Verbindungsstellen der Anschlussleitungen des Elektromagneten von Zug bzw. Schub einen so
gravierenden Fehler dar, dass das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes nicht verneint werden könne.
Zur Darstellung des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die
Berufungsbegründungsschrift vom 19.05.2004 (Bl. 159 bis 164 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern
Neuwied - vom 02.12.2003, AZ: 5 Ca 530/03, zu verurteilen, an ihn 116.124,32 € nebst 4 % Zinsen
hieraus seit dem 01.09.1989 zu zahlen,
2. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom
02.12.2003, AZ: 5 Ca 530/03, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren materiellen
Schäden, die ihm zukünftig aus dem Unfall vom 01.09.1989 entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf
Dritte übergegangen sind.
Hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der
Vorwurf einer vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalls sei in jeder Hinsicht unberechtigt. Bis zum
Unfallzeitpunkt habe der Magnet einwandfrei gearbeitet. Es bestehe schon von daher kein Anlass für die
Annahme, dass sich der Unfall wegen Versagens des Magneten ereignet habe. Es sei nämlich durchaus
möglich, dass der Kläger bei der Arbeit mit dem Magneten den Schwerlastpunkt des Trägers nicht
genügend beachtet, den Träger schräg gezogen und somit den Arbeitsunfall selbst verschuldet habe.
Zur Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren im Weiteren wird auf die
Berufungserwiderungsschrift vom 15.07.2004 (Bl. 176 bis 181 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der
Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen des
Arbeitsunfalls vom 01.09.1989.
Die Haftung der Beklagten gegenüber dem Kläger beurteilt sich im Streitfall nach der zum Zeitpunkt des
Arbeitsunfalls noch in Kraft befindlichen Vorschrift des § 636 RVO a. F. Nach § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO a. F.
ist eine Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden, die ein in seinem Betrieb beschäftigter
Versicherter bei einem Arbeitsunfall erleidet, nur gegeben, wenn ein den Schaden auslösender
Arbeitsunfall entweder durch eine vorsätzliche Handlung des Arbeitgebers verursacht ist oder wenn sich
der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat. Der in dieser Vorschrift enthaltene
Haftungsausschluss zu Gunsten der Beklagten könnte daher, da ein Fall der Teilnahme am allgemeinen
Verkehr vorliegend zweifellos nicht gegeben ist, nur dann entfallen, wenn die Beklagte den Arbeitsunfall
des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hätte. Hiervon kann im Streitfall indessen nicht ausgegangen
werden.
Nach § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO a. F. muss der - unbedingte oder bedingte - Vorsatz den Arbeitsunfall
umfassen. Es genügt nicht, dass ein bestimmtes Handeln gewollt oder gebilligt wird, das für einen Unfall
ursächlich wird, der Unfall selbst aber nicht gewollt und nicht gebilligt war. Der Vorsatz des Schädigers
muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Diesbezüglich
genügt auch nicht die bloße vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften, auf die der
Arbeitsunfall zurückzuführen ist (vgl. BAG, AP Nr. 9 zu § 636 RVO).
Der Kläger behauptet selbst nicht, die Beklagte habe den Eintritt des Arbeitsunfalls vom 01.09.1989
gewollt. Vielmehr macht der Kläger diesbezüglich geltend, die Beklagte habe bedingt vorsätzlich
gehandelt, da sie den eingetretenen Unfallschaden gebilligt, also in Kauf genommen habe. Hiervon kann
jedoch - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht ausgegangen werden. Ein bedingt vorsätzliches
Herbeiführen des Arbeitsunfalls kann im Streitfall nicht festgestellt werden.
Der bewussten Fahrlässigkeit, bei der eine Haftung des Unternehmers nach § 636 Abs. 1 ZPO
ausgeschlossen ist, und dem bedingten Vorsatz, welcher den betreffenden Haftungsausschluss entsperrt,
ist gemeinsam, dass der Täter den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht. Hofft er, der Erfolg werde
nicht eintreten oder ist es ihm gleichgültig, ob der Erfolg eintritt, so liegt bewusste Fahrlässigkeit vor. Nur
dann, wenn er den Erfolg für den Fall seines Eintritts billigt, handelt er mit bedingtem Vorsatz. Es kommt
also auf die innere Einstellung des Täters an (vgl. BAG, AP Nr. 4 zu § 636 RVO).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes auf Seiten der
Beklagten keinesfalls bejaht werden. Es bestehen bereits Zweifel, ob die Beklagte im Zusammenhang mit
den vom Kläger behaupteten Versäumnissen (unzureichende Einweisung in die Bedienung des
Elektromagneten, unzureichende Vorkehrungen gegen Verschmutzungen der Trägeroberflächen) und
den damit nach Ansicht des Klägers einhergehenden Verstößen gegen Unfallverhütungsvorschriften
erkannt bzw. gesehen hat, dass sich deshalb ein Arbeitsunfall wie der vom 01.09.1989 ereignen konnte.
Jedenfalls liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigen könnten, die
Beklagte habe das betreffende Ereignis (Arbeitsunfall) für den Fall seines Eintritts gebilligt. Eine billigende
Inkaufnahme ergibt sich auch nicht aus der Behauptung des Klägers, am Elektromagneten sei keine
ordnungsgemäße Zugentlastung installiert worden. Diesbezüglich ist bereits weder vorgetragen noch
ersichtlich, ob die Beklagte von diesem technischen Mangel überhaupt Kenntnis hatte.
Entgegen der Ansicht des Klägers haftet die Beklagte auch nicht nach § 278 BGB für ein Verschulden des
mit der Installation des Elektromagneten betrauten Unternehmens. Sie hat sich nämlich dieses
Unternehmen nicht zur Erfüllung einer gegenüber dem Kläger bestehenden Verbindlichkeit bedient. Das
betreffende Unternehmen ist nicht in dem Pflichtenkreis der Beklagten gegenüber dem Kläger
eingebunden gewesen und somit kein Erfüllungsgehilfe i. S. v. § 278 BGB. Darüber hinaus liegen auch
keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass das den Elektromagneten installierende Unternehmen bzw. einer
seiner Erfüllungsgehilfen den Eintritt des Arbeitsunfalls zumindest billigend in Kauf genommen und somit
vorsätzlich gehandelt hat.
Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung.