Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 20.02.2004
LArbG Mainz: arglistige täuschung, abfindung, druck, aufhebungsvertrag, arbeitsgericht, anfechtung, aufklärungspflicht, fürsorgepflicht, widerrechtlichkeit, unterzeichnung
LAG
Mainz
20.02.2004
8 Sa 1413/03
Offenbarungspflicht bei Aufhebungsvereinbarung
Aktenzeichen:
8 Sa 1413/03
6 Ca 230/03 PS
ArbG Kaiserslautern
- AK Pirmasens -
Verkündet am: 20.02.2004
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern
Pirmasens - vom 24.07.2003 - 6 Ca 230/03 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung und in der Folge um die
Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer weitergehenden Abfindung.
Der Kläger war seit 01.07.2001 bei der Beklagten als Ersatzteildisponent beschäftigt. Angesichts des
Personalabbaus bei der Beklagten bemühte er sich um einen Ersatzarbeitsplatz. Einen solchen fand er
am 27.01.2003. Die Beklagte erklärte sich mit der Aufhebung des Arbeitsvertrages zum 15.02.2003
einverstanden. Der Kläger sollte dieserhalb die Beklagte am 28.01.2003 aufsuchen. Er erkrankte in der
Nacht vom 27. auf den 28.01.2003. Am Nachmittag des 28.01.2003 unterzeichnete er eine
Aufhebungsvereinbarung mit einer Abfindung über 1.276,00 EUR.
Am 29.01.2003 erging die Mitarbeiterinformation Nr. 07, die eine unterschiedlich gestaffelte
Abfindungsregelung für den Fall des Ausscheidens vorsah (Bl. 8 d. A.).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 05.02.2003 erklärte der Kläger die Anfechtung seiner zum
Aufhebungsvertrag vom 27./ 28.01.2003 führenden Willenserklärung und nahm zugleich das Angebot aus
der Mitarbeiterinformation Nr. 07 vom 29.01.2003 an.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,
nach Mitteilung seiner Erkrankung habe ihm der Personalleiter X. ausrichten lassen, dass er die
Auflösungsvereinbarung am 28.01.2003 mittags abholen müsse, wenn er auf die darin enthaltene
Regelung Wert lege. In den Mittagsstunden habe er die Erklärung abgeholt, um sie mit nach Hause zu
nehmen. Hiermit sei Herr W. zunächst einverstanden gewesen. Auf dem Rückweg zum Auto sei dieser
jedoch an ihn herangetreten und habe ihm von Herrn X. ausrichten lassen, dass er die
Aufhebungsvereinbarung "heute oder gar nicht" unterschreiben solle. Sodann habe er unterschrieben. Zu
diesem Zeitpunkt habe Herr X. bereits Kenntnis von der Mitarbeiterinformation gehabt. Er sehe sich durch
das Verhalten des Personalleiters getäuscht. Die Beklagte habe im Rahmen ihrer arbeitgeberseitigen
Fürsorgepflicht eine entsprechende Aufklärungspflicht gehabt. Diese sei verletzt worden.
Der Kläger hat
erstinstanzlich
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung gemäß § 9, 10 KSchG in Höhe von 10.000,-- EUR
abzüglich gezahlter 1.276,-- EUR zu zahlen.
Die Beklagte hat
erstinstanzlich
Klageabweisung
beantragt und vorgetragen, über die Mitarbeiterinformation sei erst am 28.01.2003 nach 17.00 Uhr
endgültig entschieden worden. Am Vormittag des 29.01.2003 sei sie nochmals mit dem Ausschuss des
Betriebsrates besprochen worden, bevor man sie dann am Mittag des 29.01.2003 ausgehängt habe. Die
Entscheidung, eine Abfindung auf freiwilliger Basis als Anreiz für die Mitarbeiter zu anzubieten, sei
definitiv erst nach der Vertragsunterzeichnung erfolgt.
Zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 540 Abs.
1 ZPO Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige
Kammern Pirmasens - vom 24.07.2003 - 6 Ca 230/03 - (Bl. 38 - 40 d. A.).
Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil das Begehren des Klägers auf Zahlung einer Abfindung auf
der Grundlage der Mitarbeiterinformation Nr. 07 abgewiesen, weil die Aufhebungsvereinbarung vom
28.01.2003 rechtswirksam zustandegekommen sei. Eine arglistige Täuschung durch Vorspiegelung und
der Entstellung von Tatsachen läge nicht vor. Das Angebot der Beklagten, den Arbeitsvertrag zum
15.02.2003 gegen Zahlung einer Abfindung aufzuheben, stelle, selbst wenn dies unter der Bedingung
"heute oder gar nicht" geschehen sei, keine Täuschung dar. Zu diesem Zeitpunkt habe keine Verpflichtung
bestanden, einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Die Mitarbeiterinformation Nr. 07 sei erst am
29.01.2003 wirksam geworden. Insoweit stelle die Befristung des Angebots auf 28.01.2003 keine
arglistige Täuschung dar. Das interne Nachdenken und Verhandeln könne keine Täuschungshandlung
begründen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Beklagte bereits am 28.01.2003 verpflichtet gewesen wäre,
einen der Mitarbeiterinformation entsprechenden Aufhebungsvertrag zu schließen. Auch läge keine
Täuschung durch Unterlassen vor, da keine Aufklärungspflicht bestanden habe. Eine solche ergäbe sich
auch nicht aus der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht. Solange die Mitarbeiterinformation den internen
Bereich noch nicht verlassen gehabt habe, sei sie nicht verpflichtend gewesen. Die Anfechtung ginge
daher ins Leere.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf das vorbezeichnete Urteil (Bl. 40 - 43 d.
A.) verwiesen.
Gegen das dem Kläger am 20.10.2003 zugestellte Urteil, richtet sich die am 20.11.2003 eingelegte und
am 22.12.2003 begründete Berufung.
Der Kläger trägt
zweitinstanzlich
nach den unstreitigen zeitlichen Abläufen hätte er die Aufhebungsvereinbarung vom 28.01.2003 nicht
unterzeichnet, wenn die Beklagte nicht mehrfach Druck auf ihn ausgeübt hätte. Er sei am 28.01.2003
arbeitsunfähig gewesen. Ohne die aktive Beeinflussung der Beklagten am 28.01.2003 wäre es keinesfalls
zur Vertragsunterzeichnung durch ihn gekommen. Motivation der Beklagten sei zweifelsfrei gewesen, ihm
die höhere Abfindung aus der Mitarbeiterinformation Nr. 07 vorzuenthalten. Der erste Teil des aktiven
Tuns sei gewesen, ihn - der Kläger -trotz seiner Erkrankung zu veranlassen, den Betrieb aufzusuchen; der
zweite Teil habe darin gelegen, ihn, der die Konditionen des Vertrages zu Hause habe überprüfen wollen,
mit einer Ablehnung der Unterzeichnung zu konfrontieren.
Er hätte auch vom Inhalt der Mitarbeiterinformation Nr. 07 erfahren. Fürsorge- und Treuepflicht hätten
einen Hinweis auf diese Information geboten. Jedenfalls hätte von einem massiven Druck Abstand
genommen werden müssen. Ohne die Täuschungshandlung hätte er - der Kläger - das Angebot in Höhe
von 10.000,-- EUR angenommen.
von 10.000,-- EUR angenommen.
Der Kläger hat
zweitinstanzlich
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens
- vom 24.07.2003 - (6 Ca 230/03) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung gemäß § 9,
10 KSchG in Höhe von 10.000,-- EUR abzüglich gezahlter 1.276,-- EUR zu zahlen.
Die Beklagte hat
zweitinstanzlich
Zurückweisung der Berufung
beantragt und erwidert,
der Kläger sei am 20.01.2003 wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst vorstellig geworden.
Sein Arbeitsplatz sei nicht gefährdet gewesen. Bereits am 27.01.2003 hätte eine fernmündliche Abklärung
der Modalitäten zwischen dem Kläger und dem Personalleiter stattgefunden. Die Unterzeichnung sei am
28.01.2003 vor 17.00 Uhr erfolgt. Eine Entscheidung über die in der Mitarbeiterinformation Nr. 07
enthaltenen Freiwilligkeitsregelung sei intern erst nach 17.00 Uhr getroffen worden. Mit dieser Regelung
sollten nicht Fälle von Mitarbeitern abgedeckt werden, die sich sowieso zu einer Eigenkündigung
entschlossen gehabt hätten. Von dem eigentlichen Aushang der Mitarbeiterinformation am 27.01.2003 sei
noch die endgültige Zustimmung des Betriebsrats erforderlich gewesen. Auf den Kläger sei kein Druck
ausgeübt worden.
Hinsichtlich der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 18.12.2003 (Bl. 66 - 70 d.
A.), hinsichtlich der Berufungsbeantwortung auf den Schriftsatz der Beklagten vom 05.02.2004 (Bl. 76 - 81
d. A.) Bezug genommen.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt und
die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 20.02.2004 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Rechtsmittel der Berufung des Klägers nach § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Es ist gemäß §§ 66 Abs. 1,
64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt, sowie begründet worden. Es ist
somit zulässig.
II.
Die Berufung des Klägers ist jedoch n i c h t begründet.
Das Arbeitsgericht ist im angefochtenen Urteil mit überwiegend zutreffender Begründung zu Recht zu dem
Ergebnis gelangt, dass dem Kläger keine weitergehenden Abfindungsansprüche zustehen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt die Kammer gemäß §§ 540 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG
auf den diesbezüglich begründenden Teil des angefochtenen Urteils Bezug, stellt dies ausdrücklich fest
und sieht unter Übernahme der Entscheidungsgründe hier von einer weiteren Darstellung ab.
Die Angriffe der Berufung und die Feststellungen in der mündlichen Verhandlung vor der
Berufungskammer geben lediglich zu folgenden Ergänzungen Anlass:
1.
Aufhebungsvereinbarung vom 28.01.2003 nicht unterzeichnet, wenn die Beklagte nicht mehrfach Druck
auf ihn ausgeübt hätte, gibt die Sach- und Rechtslage keine Veranlassung, von der Nichtigkeit der
Aufhebungsvereinbarung nach § 142 Abs. 1 i. V. m. § 123 Abs. 1 BGB auszugehen. Soweit die
Anfechtung auf eine widerrechtliche Drohung gestützt wird, fehlt es an der Möglichkeit des Gerichts, einer
Widerrechtlichkeit des angedrohten Verhaltens, des erstrebten Erfolges oder der Mittel-/ Zweck-
Beziehung festzustellen, (vgl. BGH 25, 217). In der zeitlichen Phase, in welchem vom Kläger die
Unterschriftsleistung unter die von ihm initiierte Aufhebungsvereinbarung verlangt wurde, bestand
rechtlich gesehen keine Verpflichtung der Beklagten, auf mögliche verbesserte Abfindungsbedingungen
hinzuweisen; denn die Regelung trat erst am 29.01.2003 und damit zeitlich später in Kraft. Die Beklagte
hatte, zumal der Arbeitsplatz des Klägers nach ihrem Vortrag nicht direkt gefährdet war, erkennbar ein
Interesse, Kosten zu sparen; ob dies in dieser zeitlichen Phase aus moralischen Gründen gerechtfertigt
war, kann offenbleiben. Auch kann von einer Widerrechtlichkeit des Zweckes nicht ausgegangen werden,
weil der Abschluss der Aufhebungsvereinbarung im Interesse des Klägers gelegen hat. Schließlich ist
auch keine Inadäquanz von Mittel und Zweck gegeben, weil das Ausüben von zeitlichem Druck auf den
Kläger nach Meinung der Kammer nicht soweit ging, das Anstandsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden zu verletzen (vgl. BGH 25, 220). Für die Beklagte bestand nämlich keine Verpflichtung, einen
Aufhebungsvertrag mit dem Kläger zu schließen.
2.
erfolgversprechend. Eine Täuschung besteht in der Erregung eines Irrtums bezüglich objektiv
nachprüfbarer Umstände, durch die der Erklärungsgegner zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst
wurde (vgl. Erfurter Kommentar-Preis, 4. Auflage, 230 BGB § 611 Rz 445 m. w. N. auf BAG Urteil vom
05.10.1995 = AP Nr. 40 zu § 123 BGB; LAG Köln 13.11.1995 = NZA-RR 1996, 403; sowie Münchener
Kommentar zum BGB - Kramer § 123 Rn 14 ff). Bezüglich der Mitarbeiterinformation Nr. 07 - ihr
Bekanntsein beim Betriebsrat unterstellt - wurde keine Offenbarungspflicht der Beklagten begründet, da
diese noch nicht rechtswirksam war. Ob hier aus moralischen Gründen eine Verpflichtung zu Hinweisen
bestand, wird von der Rechtsordnung nicht erfasst. Die Rechtssprechung berücksichtigt für eine
Offenbarungspflicht in diesem Zusammenhang auch, von wem die Initiative zum Abschluss eines
Aufhebungsvertrages ausgegangen ist (vgl. BAG Urteil vom 21.02.2002 - 2 AZR 749/00 = EzA Nr. 7 zu § 1
KSchG Wiedereinstellungsanspruch) und lässt eine solche Pflicht nur bei drohenden
Versorgungsschäden und sozialrechtlichen Nachteilen zu. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen,
dass ein Arbeitgeber beim Abschluss eines vom Arbeitnehmer initiierten Aufhebungsvertrages
grundsätzlich nicht zu einer Zahlung einer Abfindung verpflichtet ist. Versorgungsrechtliche und
sozialrechtliche Ansprüche des Klägers sind offenbar nicht tangiert. In Übereinstimmung mit dem
Arbeitsgericht fehlt es rechtlich damit an dem ungeschriebenen Merkmal einer verletzungsfähigen
Aufklärungspflicht der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat zutreffend gesehen, dass für den Arbeitgeber
keine allgemeine Pflicht bestanden hat, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entscheidung des
anderen Teils von Bedeutung sein könnten. Eine Verpflichtung der Beklagten, dass am Folgetage des
Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung eine solche zu besseren Konditionen hätte abgeschlossen
werden können, ergibt sich mithin vor dem Hintergrund einer grundsätzlich nicht bestehenden
Abfindungspflicht nicht. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitsplatz des Klägers gefährdet gewesen wäre -
letzteres hat die Beklagte allerdings bestritten.
Aus vorgenannten Gründen scheidet auch ein denkbarer Schadensersatzanspruch gemäß § 280 BGB
aus (vgl. BAG Urteil vom 10.03.1988 - 8 AZR 420/85 = AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht).
III.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand Angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG
keine Notwendigkeit.