Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 31.10.2006

LArbG Mainz: betriebsrat, unwirksamkeit der kündigung, anhörung, arbeitsgericht, beweislast, firma, freizeit, befragung, unterrichtung, mitteilungspflicht

LAG
Mainz
31.10.2006
5 Sa 511/06
fehlerhafte Betriebsratsanhörung
Aktenzeichen:
5 Sa 511/06
7 Ca 203/06
ArbG Kaiserslautern
Entscheidung vom 31.10.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Kaiserslautern vom 04.05.2006 - 7 Ca 203/06 -
wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 6.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wehrt sich gegen die beiden Kündigungen, die ihm die Beklagte
- mit dem Schreiben vom 31.01.2006 (Bl. 5 d.A.) zum 14.02.2006 und
- mit dem Schreiben vom 01.03.2006 (Bl. 31 d.A.) zum 17.03.2006
erklärt hat.
Bezüglich der Kündigung vom 01.03.2006 hat der Kläger im Schriftsatz vom 12.04.2006 (dort S. 2 = Bl. 62
d.A.) u.a. geltend gemacht:
"…Die Anhörung des Betriebsrates vom 21.02.2006 ist aber nicht ordnungsgemäß erfolgt, denn man hat
dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, dass eine Betriebsübernahme vorliegt und dass daher keine vertraglich
vereinbarte Probezeit von sechs Monaten überhaupt Geltung hat …".
In der Klageerwiderung vom 20.02.2006 (dort S. 1 = Bl. 20 d.A.) hat die Beklagte mit Nichtwissen
bestritten, dass der Kläger 1998 von der Firma M. eingestellt worden sei und bis zum 30.09.2005 dort als
Reinigungskraft beschäftigt bzw. als Staplerfahrer beschäftigt worden sei.
Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom
04.05.2006 - 7 Ca 203/06 - (dort S. 2 ff. = Bl. 76 ff. d.A.). Nach näherer Maßgabe des Urteilstenors - 7 Ca
203/06 - (Bl. 76 d.A.) hat das Arbeitsgericht die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien
durch die Kündigungen vom 31.01.2006 und vom 01.03.2006 festgestellt sowie die Beklagte zur
Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt.
Gegen das am 06.06.2006 zugestellte Urteil vom 04.05.2006 - 7 Ca 203/06 - hat die Beklagte am
30.06.2006 Berufung eingelegt und diese am 31.07.2006 mit dem Schriftsatz vom 28.07.2006 begründet.
Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 28.07.2006
(Bl. 106 ff. d.A.) verwiesen.
Die Beklagte beanstandet dort u.a., dass es das Arbeitsgericht als unstreitig dargestellt habe, dass der
Kläger bis zum 30.09.2005 bei einer Firma M. beschäftigt gewesen sei, die bei der Firma O. in
Kaiserslautern u.a. Abfallentsorgungsarbeiten verrichte. Weiterhin habe das Arbeitsgericht den
Klägervortrag falsch dargestellt, in dem der Klägervortrag streitig sei, wonach weder zur ersten noch zur
zweiten Kündigung der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Beklagte macht geltend,
dass dies betreffend die zweite Kündigung falsch sei.
Hinsichtlich der Kündigung vom 31.01.2006 verweist die Beklagte insbesondere auf ihr schriftsätzliches
Vorbringen vom 21.03.2006. Dort (S. 1 = Bl. 53 d.A.) hatte die Beklagte vorgetragen:
"…Der Betriebsrat teilte dem Zeugen A. mit, er werde sich weder mit einer irgendwie gearteten
Betriebsratstätigkeit noch mit dieser bevorstehenden Kündigung befassen…".
Diese eindeutige Ansage habe den Zeugen A. dazu bewogen gehabt, von einer schriftlichen Anhörung
abzusehen. Der Betriebsrat sei schließlich ein Organ zur Interessenvertretung der Arbeitnehmer und
müsse nicht vom Arbeitgeber an seine Pflichten erinnert werden. Das Arbeitsgericht lasse die Frage
unbeantwortet, ob dann, wenn der Betriebsrat sich weigere, tätig zu werden, eine Anhörung noch
erforderlich sei. Auch von einem verständigen Arbeitgeber könne kaum verlangt werden, sich sozusagen
taub zu stellen und das Anhörungsverfahren trotzdem durchzuführen. Soweit das Arbeitsgericht darauf
abstelle, dass der Betriebsrat ja bei der zweiten Anhörung aktiv geworden sei, sei dies ein Zirkelschluss.
Hinsichtlich der Kündigung vom 01.03.2006 macht die Beklagte geltend, dass die diesbezügliche
schriftliche Anhörung letztendlich unstreitig gewesen sei, - insbesondere was deren Ordnungsgemäßheit
betreffe. Der Kläger habe die zweite Betriebsratsanhörung ausschließlich nur wegen der angeblich
fehlenden Hinweise auf einen Betriebsübergang moniert. Die Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht
- unzutreffende - Einwände gegen die Betriebsratsanhörung vorgebracht habe, die selbst vom Kläger
nicht erhoben worden seien. Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Jedenfalls deswegen habe der
Betriebsrat diesbezüglich auch nicht angehört werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 04.05.2006 - 7 Ca 203/06 - die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der
Berufungsbeantwortung vom 04.09.2006 (Bl. 121 f. d.A.), worauf zwecks Darstellung aller Einzelheiten
verwiesen wird.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt
verwiesen (- insbesondere auch auf das BR-Anhörungs-schreiben vom 21.02.2006, Bl. 59 d.A., sowie auf
die Sitzungsniederschrift vom 31.10.2006 - 5 Sa 511/06 -, Bl. 170 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigungen vom 31.01.2006 und vom 01.03.2006 nicht aufgelöst
worden.
1.
Beide Kündigungen sind gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam.
a)
nicht nur dann eintritt, wenn die Anhörung überhaupt nicht erfolgt, sondern nach näherer Maßgabe der
einschlägigen BAG-Rechtsprechung, der die Berufungskammer folgt, auch dann eintreten kann, wenn die
Anhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Vorliegend wurde die Anhörung jeweils nicht
ordnungsgemäß durchgeführt.
Soweit es um die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 102 BetrVG geht, gilt -
nach näherer Maßgabe der BAG-Rechtsprechung (s. dazu die Nachweise in Etzel u.a. 6. Aufl. KR-BetrVG
§ 102 Rz 192 ff.) zunächst eine abgestufte Darlegungslast. Sache des Arbeitnehmers ist es, durch ein
entsprechendes Bestreiten die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers erst auszulösen. Der
diesbezügliche erstinstanzliche Vortrag des Klägers war und ist ausreichend, um die entsprechende
Darlegungs- und Beweislast der Beklagten auszulösen. Es war und ist unstreitig, dass jedenfalls bis zur
Unterredung am 21.01. oder 22.01.2006 ein anzuhörender Betriebsrat im Amt gewesen ist (vgl. Schriftsatz
der Beklagten vom 21.03.2006 dort S. 1 = Bl. 53 d.A.: "…Richtig ist, dass es zum Zeitpunkt kurz vor der
Kündigung einen gewählten Betriebsrat gegeben hat …"). Keineswegs verhält es sich so, dass der Kläger
die Frage der Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG erstinstanzlich überhaupt nicht angesprochen
hätte. Steht hiernach fest, dass zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt ein Betriebsrat existierte,
bedarf es von Arbeitgeberseite des Vortrags von Tatsachen, aus denen auf eine ordnungsgemäße
Anhörung des Betriebsrats geschlossen werden kann.
Derartige Tatsachen lassen sich vorliegend nicht feststellen.
b)
hat die Beklagte den Kündigungsgrund nur unzureichend bezeichnet. "Gründe" im Sinne des § 102 Abs. 1
S. 2 BetrVG sind die nach Ansicht des Arbeitgebers maßgeblichen Gesichtspunkte, wobei damit
Tatsachen und subjektive Vorstellungen gemeint sind ("subjektive Determination"). Zwar geht die
betriebsverfassungsrechtliche Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 102 Abs.1 S. 2 BetrVG nicht so
weit wie die Darlegungslast gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG. Pauschale Angaben reichen jedoch nicht. Der
für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist vielmehr so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne
zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe
zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Ausnahmsweise kann es
betriebsverfassungsrechtlich genügen, wenn der Kündigungsgrund mit einem Werturteil oder mit
subjektiven Vorstellungen angegeben wird. Ein derartiger Ausnahmefall liegt etwa dann vor, wenn der
Arbeitgeber seine Kündigungsabsicht nicht mit konkreten Tatsachen begründen kann. Er muss dann die
Kündigungsbegründung im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG nicht schlüssig "lügen". Im Übrigen ist aber
zu betonen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Umfang der Mitteilungspflicht
des Arbeitgebers gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG auch dann gelten, wenn der zu kündigende
Arbeitnehmer (noch) keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießt. Freilich ist
bei der Intensität der Unterrichtung des Betriebsrats über den Kündigungsgrund innerhalb der ersten
sechs Monate des Arbeitsverhältnisses dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Wartezeit der
beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien dient.
c)
ordnungsgemäß erfolgt ist.
Die Angaben, die der Zeuge A. gegenüber dem Betriebsrat B. am 21.01./22.01.2006 gemacht hat (- nach
der Darstellung der Beklagten -) und wie sie in ähnlicher Weise in dem Anhörungsschreiben vom
21.02.2006 (Bl. 59 d.A.) enthalten sind, lassen erkennen, dass der jeweilige Kündigungsentschluss der
Beklagten keineswegs von subjektiven, durch Tatsachen nicht belegbaren Vorstellungen der Beklagten
bestimmt wurde, sondern von durchaus genau konkretisierbaren Kündigungsgründen. Der jeweilige
Kündigungsentschluss beruhte erkennbar auf der Würdigung konkreter Kündigungssachverhalte. So
spielten die Erzielung von Synergieeffekten ebenso eine Rolle, wie die weitgehende Miterledigung der
Tätigkeit des Klägers von anderen Mitarbeitern und die Einsetzbarkeit von Mitarbeitern. Den
entsprechenden - hiernach konkretisierbaren - Kündigungsgrund hat die Beklagte sowohl im Gespräch
vom 21.01./22.01.2006 als auch in der schriftlichen Anhörung vom 21.02.2006 nur pauschal vorgetragen.
Die jeweiligen Informationen versetzten den Betriebsrat nicht in die Lage - ohne zusätzliche eigene
Nachforschungen -, die Stichhaltigkeit des Kündigungsgrundes zu prüfen und sich über eine
Stellungnahme schlüssig zu werden.
d) aa)
deswegen geringere Anforderungen an die Angabe des Kündigungsgrundes zu stellen sind, weil der
Betriebsrat B. - nach der Behauptung der Beklagten - dem Bereichsleiter A. mitgeteilt hat, er werde sich
weder mit einer irgendwie gearteten Betriebsratstätigkeit noch mit dieser bevorstehenden Kündigung
befassen. Nach dem Ereignis der im Berufungsverhandlungstermin durchgeführten Befragung der
Beklagten bzw. des Bereichsleiters A. zur Unterredung vom 21.01./22.01.2006 stellt sich das Verhalten
des Betriebsrates jedoch keineswegs als Treuwidrigkeit dar, die gemäß den §§ 162 und 242 BGB unter
Umständen im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG zu berücksichtigen sein könnte. Im
Berufungsverhandlungstermin hat die Beklagte klargestellt, dass die entsprechende Unterredung vom
21.01./22.01.2006 - tatsächlich handelte es sich um eine Telefonat - außerhalb der Arbeitszeit des
Betriebsrats B. stattgefunden hat. A. habe damals den Zeugen B. vom Objektleiterbüro in Kaiserslautern
aus zu Hause oder auf dem Handy angerufen. Seit etwa Sommer 2006 sei B. kein Betriebsrat mehr.
bb)
Arbeitgeber die Verpflichtung, durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass
Betriebsratsmitglieder in ihrer Amtseigenschaft regelmäßig nur während der Arbeitszeit in Anspruch
genommen werden. (Auch) ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist vom Arbeitgeber grundsätzlich
während der Arbeitszeit des für die Vertretung des Betriebsrates zuständigen Betriebsratsmitgliedes
einzuleiten. Der Betriebsrat ist grundsätzlich nicht verpflichtet, außerhalb der Arbeitszeit sowie außerhalb
der Betriebsräume Mitteilungen im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenzunehmen. In Eilfällen kann
unter Umständen möglicherweise etwas anderes gelten. Vorliegend ging es um keinen Eilfall.
cc)
B. - also während dessen Freizeit - an den Betriebsrat gewandt hat, lässt sich dessen Äußerung ("…er
werde sich weder mit einer irgendwie gearteten Betriebsratstätigkeit noch mit dieser bevorstehenden
Kündigung befassen …") weder als Rücktritt oder Amtsniederlegung, noch als Treuwidrigkeit deuten, die
im Rahmen der Anwendung des § 102 BetrVG eventuell von Bedeutung sein könnte. Der objektive
Erklärungswert der - von der Beklagten behaupteten - Mitteilung des Betriebsrats B. besteht darin, dass er
während seiner Freizeit nicht mit betrieblichen Angelegenheiten befasst werden wollte (§ 133 BGB
analog). Insoweit hat er die Mitteilung des Bereichsleiters A. über die Kündigungsabsicht der Beklagten
auch nicht etwa widerspruchslos entgegengenommen. Damit ist auch aus diesem Grunde am
21.01./22.01.2006 das gemäß § 102 BetrVG notwendige Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß
eingeleitet worden.
e)
dass der Betriebsrat B. bis Sommer 2006 sein Betriebsratsamt ausgeübt hat. Da zuvor eine
Amtsniederlegung nicht erfolgt ist, war der Betriebsrat auch vor der Kündigung vom 01.03.2006
anzuhören. Bereits oben (- bei I. 1. c) -) ist ausgeführt worden, dass (auch) die im Anhörungsschreiben
vom 21.02.2006 enthaltenen Angaben zum Kündigungsgrund für eine ordnungsgemäße Unterrichtung
des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht ausreichen. Damit erweist sich auch die
Kündigung vom 01.03.2006 als rechtsunwirksam.
2.
Da die beiden Kündigungen rechtsunwirksam sind, hat das Arbeitsgericht die Beklagte auch zu Recht zur
Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Die diesbezüglichen Entscheidungsgründe macht sich die
Berufungskammer gemäß § 69 Abs.2 ArbGG zu eigen und stellt dies hiermit ausdrücklich bezugnehmend
fest.
II.
Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung muss die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO tragen.
Der Streitwert wurde gemäß den §§ 42 Abs. 4 S. 1 und 63 Abs. 2 GKG sowie den §§ 3 ff. ZPO festgesetzt.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.