Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 27.12.2010

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LAG
Mainz
27.12.2010
9 Sa 307/10
Unzulässige Berufung: Berufung statt Einspruch
Aktenzeichen:
9 Sa 307/10
7 Ca 2182/07
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Entscheidung vom 27.12.2010
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Versäumnis- und Schlussurteil des Arbeitsgerichts Koblenz -
Auswärtige Kammern Neuwied- vom 21.8.2008, Az. 7 Ca 2182/07 wird auf Kosten der Beklagten
verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I. Mit dem am gleichen Tag verkündeten Versäumnis- und Schlussurteil des Arbeitsgerichts Koblenz –
Auswärtige Kammern Neuwied- vom 21.08.2008, Az. 7 Ca 2182/07, ist die Beklagte zur Zahlung von
Arbeitsvergütung verurteilt worden. Nachdem der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte zuvor sein
Mandat niedergelegt hatte und das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 30.07.2008 der Beklagten
aufgegeben hatte, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, was innerhalb der
gesetzten Frist nicht erfolgte, veranlasste das Arbeitsgericht die Zustellung des angefochtenen Urteils vom
21.08.2008 durch Aufgabe zur Post. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beschluss vom 30.07.2008
und das angefochtene Urteil der Beklagten wirksam zugestellt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 18.06.2010, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, legte die
Beklagte gegen „das am 21.08.2008 verkündete und am 19.05.2010 durch persönliche Übergabe an den
Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und Berufungsklägerin zugestellte Urteil..“ Berufung ein und hat
diese innerhalb der mit Beschluss vom 12.07.2010 bis zum 19.08.2010 verlängerten
Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 19.08.2008, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag
eingegangen, begründet.
Sie vertritt nach Maßgabe der genannten Schriftsätze sowie des weiteren Schriftsatzes vom 21.12.2010,
auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 277 f., Bl. 297 ff., 361 ff. d.A.) die Auffassung,
dass vor dem 19.05.2010 keine wirksame Zustellung des Urteils an sie erfolgt und deshalb die
Berufungsfrist gewahrt sei. Sie sei auch nicht Partei des Rechtsstreits gewesen, da ursprüngliche Beklagte
die A., R., gewesen sei und die Voraussetzungen eines Parteiwechsels nicht vorgelegen hätten. Die
Berufung sei auch statthaft. Die Bezeichnung des Urteils sei mehrdeutig. Deshalb sei das Rechtsmittel
unter dem Gesichtspunkt der sog. Meistbegünstigung an sich statthaft.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz, Auswärtige Kammern Neuwied, vom
21.08.2008, Az. 7 Ca 2182/07, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Berufung nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 25.10.2010, auf den
Bezug genommen wird (Bl. 339 ff. d.A.), wegen Versäumung der Berufungsfrist für unzulässig. Ein
Parteiwechsel habe nicht stattgefunden. Dem Vertretungsberechtigten der Beklagten sei der Gang des
Verfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt gewesen. Die Berufung sei auch nicht das statthafte Rechtsmittel.
Im Übrigen wird ergänzend auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.
1. Die Berufung ist bereits als Rechtsmittel nicht statthaft. Sie richtet sich gegen das Versäumnis- und
Schlussurteil des Arbeitsgerichts vom 21.08.2008. Gegen Versäumnisurteile ist aber das Rechtsmittel der
Berufung nicht gegeben. Vielmehr ist statthafter Rechtsbehelf der Einspruch, § 59 ArbGG i.V.m. § 338
ZPO, wobei die Einspruchsfrist 1 Woche nach Zustellung beträgt, wie sich dies auch aus der
Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ergibt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung. Danach steht der Partei
dasjenige Rechtsmittel zu, welches nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist.
Zulässig ist aber auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung
gegeben gewesen wäre (vgl. etwa BGH 17.10.1986 -V ZR 169/85-, NJW 1987, 442; 03.12.1993 -V ZR
275/92- NJW 1994, 665). Die Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung setzt mithin voraus,
dass das Gericht eine der Form nach inkorrekte Entscheidung getroffen hat.
Hieran fehlt es vorliegend. Das Arbeitsgericht hat der Form nach korrekt ein Versäumnisurteil erlassen.
Die Bezeichnung als "Versäumnis- und Schlussurteil" rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dem Urteil
war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die darauf hinweist, "dass gegen dieses Versäumnisurteil " für
die Beklagte der Einspruch gegeben ist. Zweifel an der Rechtsnatur des genannten Urteils als
Versäumnisurteil und hinsichtlich des gegebenen Rechtsbehelfs konnten damit nicht entstehen.
2. Selbst wenn aber die Berufung das statthafte Rechtsmittel wäre, wäre sie verspätet eingelegt worden
und daher wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1ArbGG unzulässig.
Die Berufungsfrist beginnt nach § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit Zustellung des in vollständiger Form
abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von 5 Monaten seit Verkündung. Selbst wenn es also
entsprechend der Rechtsauffassung der Beklagten an einer wirksamen Zustellung gefehlt haben sollte,
begann diese Frist mit Verkündung des angefochtenen Urteils, also am 21.08.2008 und endete mit Ablauf
21.01.2009, so dass die Berufungsfrist ihrerseits mit Ablauf von Montag, dem 23.2.2009 ablief. Sie wurde
somit durch die erst am 18.06.2010 eingelegte Berufung nicht gewahrt.
Eine der Ausnahmen, für die nach der Rechtsprechung eine Abweichung von der Regel, dass die
Berufungsfristen spätestens nach Ablauf von 5 Monaten nach Verkündung des Urteils beginnen, in
Betracht kommt, liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 516 a.F. ZPO kommt eine
Ausnahme in Betracht, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem
Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war (BGH 1.3.1994 -XI ZB 23/93- NJW RR 1994, 1022).
Der Beschluss des Arbeitsgericht vom 16.06.2008, in welchem Termin zur Kammerverhandlung bestimmt
wurde auf den 21.08.2008, ist dem seinerzeitigen Bevollmächtigten der Beklagten ausweislich dessen
Empfangsbekenntnis am 18.06.2008 zugestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der seinerzeitige
Bevollmächtigte der Beklagten das Mandat noch nicht niedergelegt. Für die Berufungskammer steht ferner
auch fest, dass es sich bei dem seinerzeitigen Bevollmächtigten um den der Beklagten und nicht etwa den
einer anderen Partei gehandelt hat. Dies ergibt sich aus dessen Schriftsatz vom 11.02.2008, in welchem
dieser unter Vorlage eines unbeglaubigten Handelsregisterauszugs darauf hinwies, dass es sich bei der
Beklagten um eine AG nach dem Recht der Schweiz handelt und diese u.a. die Räumlichkeiten in R.
anmietete. Er hat hierbei weiterhin diverse Unterlagen vorgelegt, die ohne entsprechende Mitwirkung der
Beklagten nicht hätten vorgelegt werden können. Aus den schriftsätzlich dokumentierten
außergerichtlichen Vergleichsbemühungen, insbesondere dem Schreiben des seinerzeitigen
Prozessbevollmächtigten der Beklagten an den Bevollmächtigten des Klägers vom 14.04.2008 (Bl. 99 f.
d.A.) ergibt sich, dass dieser in Kontakt und in Absprache mit Herrn S. gehandelt hat, der seinerseits zum
damaligen Zeitpunkt Vertretungsberechtigter der Beklagten war (vgl. insoweit Kopie des unbeglaubigten
Handelsregisterauszugs des Kanton Tessin, Bl. 33 f. d.A.). Über ihren Vertretungsberechtigten aber hatte
die Beklagte Kenntnis von dem Verfahren.
III. Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge als unzulässig zu
verwerfen. Dieser Beschluss konnte nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 522 Abs. 1 ZPO ohne mündliche
Verhandlung durch den Vorsitzenden ergehen. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht
nicht.