Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 05.05.2010
LArbG Mainz: überwiegendes interesse, unwirksamkeit der kündigung, ordentliche kündigung, bauer, kreis, arbeitsgericht, vertragsklausel, beschränkung, arbeitsunfähigkeit, verpackung
LAG
Mainz
05.05.2010
8 Sa 693/09
Betriebsbedingte Kündigung
Aktenzeichen:
8 Sa 693/09
6 Ca 443/09
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Entscheidung vom 05.05.2010
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern
Neuwied - vom 19.8.2009, Az: 6 Ca 443/09, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt
teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom
17.2.2009 aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat ¾ und der Kläger ¼ der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Von einer (wiederholenden) Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen
streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen
auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom
19.08.2009 (Bl. 128 - 131 d. A.).
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
17.02.2009 nicht beendet wird,
im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen
Bedingungen als Whirlpool-Bauer weiterzubeschäftigen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Sozialplanabfindung nach dem Sozialplan vom
29.06.2007 in Höhe von 12.810,00 EUR brutto zu zahlen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn gemäß § 113 BetrVG einen Nachteilsausgleich zu
zahlen, dessen Höhe in das Ermessen d es Gerichtes gestellt wird, jedoch 28.800,00 EUR brutto nicht
unterschreiten sollte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.08.2009 der Klage insgesamt, d. h. den Klageanträgen zu 1. und
2. stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 bis 10
dieses Urteils (= Bl. 132 - 136 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihr am 04.11.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.11.2009 Berufung eingelegt und
diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 30.12.2009 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am
02.02.2010 begründet.
Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die Kündigung
nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Sie - die Beklagte - habe zu Recht nur die allesamt in
der Lohngruppe 4 eingruppierten Mitarbeiter der Produktionsabteilungen "Duo-Bau" und "Metallbau" in
die Sozialauswahl einbezogen. Der tariflichen Eingruppierung komme, insbesondere bei Hilfstätigkeiten,
ein ausreichender Indizwert bezüglich der Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern im Rahmen der
durchzuführenden Sozialauswahl zu. Darüber hinaus sei der Kläger arbeitsvertraglich als "Whirlpool-
/Dampfduschenbauer" beschäftigt gewesen, so dass bereits die sich hieraus ergebende Einschränkung
des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts einer Einbeziehung von Arbeitnehmern anderer Abteilungen in
die Sozialauswahl entgegenstehe. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts bestehe für den Kläger auch
nicht die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung in der Glas-Kommissionierung, wo er seit dem
01.03.2009, d. h. nach Stilllegung der Abteilung "Duo-Bau" und der Fremdvergabe der dort bislang
ausgeführten Arbeiten beschäftigt gewesen sei. Eine dauerhafte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den
Kläger bestehe dort nicht. In der Glaskommissionierung seien vier Mitarbeiter tätig, wobei jedoch drei
dieser Arbeitnehmer während des Jahres 2009 krankheits- und urlaubsbedingt nur zu einem geringen
Teil zur Verfügung gestanden hätten und daher durch andere Mitarbeiter, so auch durch den Kläger,
hätten ersetzt werden müssen. Einer dieser Mitarbeiter sei vom 06.02.2009 bis 30.08.2009 arbeitsunfähig
erkrankt gewesen und habe sich anschließend einer Wiedereingliederungsmaßnahme unterzogen.
Während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit dieses Mitarbeiters habe dessen Arbeitsplatz vorübergehend mit
dem Kläger besetzt werden können, soweit dieser nicht andere Mitarbeiter der Abteilung
Glaskommissionierung vertreten habe, was jedoch für die Zeit des Urlaubs eines weiteren Mitarbeiters
vom 24.08. bis 04.09.2009 bzw. dessen Arbeitsunfähigkeit vom 28.09. - 12.12.2009 und der sich hieran
anschließenden Wiedereingliederung notwendig gewesen sei. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht
bezüglich der Frage einer anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in unzulässiger Weise
Erkenntnisse aus Akten anderer Verfahren verwertet, ohne dass dies von einer der Parteien beantragt
worden sei.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren
Berufungsbegründungsschrift vom 02.02.2010 (Bl. 169 - 173 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom
20.04.2010 (Bl. 215 bis 218 d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
I.
somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch nur zum Teil Erfolg.
II.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst
worden. Dabei kann offen bleiben, ob die Kündigung an sich durch dringende betriebliche Erfordernisse i.
S. v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die Kündigung erweist sich nämlich jedenfalls wegen fehlerhafter
Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG als sozial ungerechtfertigt.
Das Berufungsgericht folgt insoweit den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 1. c) der
Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (dort Seite 7 - 9 = Bl. 133 - 135 d. A.) und stellt dies
gem. § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten erscheine lediglich
folgende Ergänzungen angezeigt:
Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer bestimmt sich in
erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies
gilt nicht nur bei Identität des Arbeitsplatzes, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner
Fähigkeiten und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die
Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Die tarifliche
Eingruppierung kann für die Beurteilung der Vergleichbarkeit in engen Grenzen herangezogen werden.
Bei ausgesprochenen Hilfstätigkeiten kommt der identischen Eingruppierung ein ausreichender Indizwert
zu (BAG v. 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Die
Beschränkung der Auswahl auf Mitarbeiter eines Betriebsteils oder einer Betriebsabteilung ist unzulässig;
vielmehr sind sämtliche vergleichbaren Arbeitnehmer des gesamten Betriebes in die Sozialauswahl
einzubeziehen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl als
fehlerhaft.
Die Beklagte hat unstreitig den Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer auf die
Produktionsabteilungen Duo-Bau und Metallbau, und somit auf 35 der insgesamt über 100 gewerblichen
Arbeitnehmer beschränkt. Die Durchführung der Sozialauswahl erfolgte daher unter Verkennung des
auswahlrelevanten Personenkreises.
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte bei der Bestimmung der in die soziale Auswahl
einzubeziehenden Arbeitnehmer daran orientiert hat, dass sämtliche in den betreffenden Abteilungen
beschäftigten Mitarbeiter nach Lohngruppe 4 vergütet werden. Die tarifliche Eingruppierung kann für die
Beurteilung der Vergleichbarkeit zwar in engen Grenzen herangezogen werden; bei ausgesprochenen
Hilfstätigkeiten kommt der identischen Eingruppierung ein ausreichender Indizwert zu. Bezogen auf den
Kläger bietet dessen Eingruppierung jedoch keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass er lediglich
mit solchen Arbeitnehmern vergleichbar ist, die ebenfalls nach Lohngruppe 4 vergütet werden. Die
Tätigkeit des Klägers als Whirlpool-Bauer stellt nämlich keineswegs eine ausgesprochene Hilfstätigkeit
dar. Dies ergibt sich bereits aus dem Inhalt des von der Beklagten am 05.03.2009 ausgestellten
Zwischenzeugnisses (Bl. 61 d. A.). Demnach umfasst das Aufgabengebiet des Klägers die
Komplettmontage der Whirlpools, die Installation von elektrischen Komponenten, die Durchführung von
TÜV-Prüfungen nach den Richtlinien der VDE, die Durchführung von Funktionsüberprüfungen, die Mithilfe
bei Entwicklungsarbeiten sowie Kundendiensteinsätze. Darüber hinaus war der Kläger, wie sich ebenfalls
aus dem Zwischenzeugnis ergibt, mit "Elektroprüftätigkeiten in diversen Betriebsteilen" betraut. Von einer
ausgesprochenen Hilfstätigkeit kann in Ansehung dieses Aufgabenbereichs keine Rede sein.
Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger aufgrund seiner bisherigen
Aufgaben im Betrieb und angesichts seiner beruflichen Qualifikation nur in der Lage ist, Tätigkeiten
anderer Arbeitnehmer in den Abteilungen Duo-Bau und Metallbau zu verrichten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten führt im Streitfall auch der Umfang des arbeitgeberseitigen
Direktionsrechts nicht zu einer Beschränkung des auswahlrelevanten Personenkreises. Zwar trifft es zu,
dass eine für die Durchführung der Sozialauswahl erforderliche Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern nur
dann gegeben ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kraft seines Direktionsrechts einseitig auf den
anderen Arbeitsplatz versetzen kann. Eine Vergleichbarkeit von Arbeitsplätzen scheidet daher in allen
Fällen aus, in denen eine anderweitige Beschäftigung nur auf Grund einer Vertragsänderung oder
Änderungskündigung in Betracht kommt. Im Streitfall steht der Beklagten jedoch, wie sich aus dem
Arbeitsvertrag vom 19.10.1999 (Bl. 64 - 68 d. A.), dessen Bestimmungen nach Maßgabe des
"Ergänzungsvertrages" vom 15.02.2000 (Bl. 62 d. A.) weiter gelten, ergibt, ein weitreichendes
Direktionsrecht hinsichtlich der Zuweisung von Tätigkeiten bzw. der Umsetzung auf andere Arbeitsplätze
zu. So haben die Parteien in Ziffer 2. des Arbeitsvertrages unter der Überschrift "Tätigkeit und Änderung
des Arbeitsverhältnisses" vereinbart, dass "das Arbeitsverhältnis geändert werden kann, wenn dies aus
betrieblichen, räumlichen, organisatorischen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen
sinnvoll werden sollte", wobei "die fachlichen Qualifikationen des Arbeitnehmers weitgehend
berücksichtigt" werden sollen. Diese Vertragsklausel beinhaltet ein äußerst weitgehendes, umfassendes
Direktionsrecht der Beklagten. Dabei kann offen bleiben, ob sich die betreffende Vertragsklausel nach §
307 BGB als unwirksam erweist, da sich jedenfalls die Beklagte als Verwender der vorformulierten
Vertragsbedingungen insoweit nicht auf deren Unwirksamkeit berufen kann (BAG v. 27.10.2005 - 8 AZR
3/05 - AP Nr. 5 zu § 310 BGB).
Die Beklagte hat daher aufgrund unrichtiger Erwägungen den Kreis der in die soziale Auswahl
einzubeziehenden Arbeitnehmer auf bestimmte Abteilungen beschränkt. Dies führt im vorliegenden Fall
zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 1 Abs. 3 KSchG. Zwar können auch unrichtige Erwägungen
zufällig zu dem Ergebnis führen, dass dem am wenigsten schutzbedürftigen Arbeitnehmer gekündigt wird.
Allerdings besteht in den Fällen eines objektiv nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden
Auswahlverfahrens eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass auch die
Auswahlentscheidung im Ergebnis objektiv fehlerhaft und damit die Kündigung sozialwidrig ist. Der für
eine fehlerhafte Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG an sich darlegungs- und beweisbelastete
Arbeitnehmer braucht dann (jedenfalls zunächst) nichts weiter vorzutragen. Vielmehr ist es Sache des
Arbeitgebers, näher darzulegen, weshalb trotz der gegen § 1 Abs. 3 KSchG verstoßenden Überlegungen
ausnahmsweise im Ergebnis soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt sein sollen (vgl. BAG v.
18.10.1984 - 2 AZR 61/83; v. 15.06.1989 - 2 AZR 580/88; v. 10.02.1999 - 2 AZR 715/98; v. 17.01.2002 - 2
AZR 15/01 - u. v. 24.02.2005 - 2 AZR 214/04).
Im Streitfall hat die Beklagte, nachdem der Kläger (bereits erstinstanzlich) ausdrücklich geltend gemacht
hat, dass auch Arbeitnehmer anderer Abteilungen, insbesondere aus den Bereichen
Glaskommissionierung und Verpackung/Versand bei der Sozialauswahl hätten berücksichtigt werden
müssen, die Vermutung einer auch im Ergebnis tatsächlich fehlerhaften Sozialauswahl nicht ausgeräumt.
Sie hat sich vielmehr lediglich auch eine Verteidigung ihrer Rechtsansicht bezüglich des
auswahlrelevanten Personenkreises beschränkt.
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist unbegründet.
Zwar hat ein Arbeitnehmer nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Instanzurteil
grundsätzlich einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein
überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiterzubeschäftigen.
Solche besonderen Umstände sind im Streitfall gegeben. Der Kläger begehrt nach dem insoweit
eindeutigen Wortlaut seines Klageantrages zu 2. ausdrücklich eine Weiterbeschäftigung als Whirlpool-
Bauer. Ein solcher Arbeitsplatz ist bei der Beklagten jedoch nicht mehr vorhanden. Die Beklagte hat
nämlich unstreitig nach Maßgabe ihres Gesellschafterbeschlusses vom 16.12.2008 (Bl. 26 d. A.) die
betreffenden Tätigkeiten an ein anderes Unternehmen vergeben. Dieser Umstand begründet ein
überwiegendes Interesse der Beklagten, den Kläger nicht - wie beantragt - als Whirlpool-Bauer
weiterzubeschäftigen.
III.
erstinstanzlichen Urteils abzuweisen. Im Übrigen unterliegt die Berufung der Beklagten der
Zurückweisung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG), werden die Parteien hingewiesen.