Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 14.08.2009

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, wichtiger grund, arbeitsgericht, übereinstimmende willenserklärungen, dissens, abmahnung, irrtum, anfechtung, vergleich, gespräch

LAG
Mainz
14.08.2009
9 Sa 261/09
Verhaltensbedingte Kündigung - Arbeitsverweigerung
Aktenzeichen:
9 Sa 261/09
4 Ca 1276/08
ArbG Koblenz
Urteil vom 14.08.2009
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.03.2009, Az.: 4 Ca
1276/08 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund fristloser,
hilfsweise ordentlicher Kündigung der Beklagten gemäß deren Schreiben vom 15.05.2008 aufgelöst
worden ist. Hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Parteivorbringens erster Instanz
wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts
Koblenz vom 11.03.2009, Az.: 4 Ca 1276/08. Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht - soweit für
das Berufungsverfahren von Interesse - festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch
die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.05.2008 aufgelöst
worden ist. Ferner hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Produktionsmitarbeiter weiter zu
beschäftigen.
Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat das Arbeitsgericht zur Begründung -
zusammengefasst - ausgeführt:
Zwischen den Parteien habe entsprechend dem im Verfahren Arbeitsgericht Koblenz, Az.: 4 Ca 2727/08
geschlossenen Vergleich vom 07.05.2008 ab dem 08.05.2008 wieder ein Arbeitsverhältnis bestanden.
Die Unterzeichnung des schriftlichen Arbeitsvertrages am 08.05.2008 habe lediglich der näheren
Ausgestaltung der Arbeitsvertragsbedingungen unter Beachtung der bereits im Prozessvergleich
getroffenen Rahmenbedingungen gedient. Ein Dissens bei Vertragsschluss (§§ 154, 155 BGB) liege nicht
vor, da sich sowohl bei Abschluss des Prozessvergleiches als auch bei Unterschriftsleistung unter den
neuen schriftlichen Arbeitsvertrag am 08.05.2008 die Erklärungen der Parteien objektiv gedeckt hätten.
Allenfalls habe sich der Kläger über die rechtlichen Konsequenzen dahingehend geirrt, dass mit
Abschluss des neu gegründeten Arbeitsverhältnisses kein Anspruch mehr auf Einsatz an seinem früheren
Arbeitsplatz bestehe, sondern auch eine andere Tätigkeit habe zugewiesen werden können. Das somit
wirksam begründete Arbeitsverhältnis sei nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten
aufgelöst worden. Eine beharrliche, unberechtigte Arbeitsverweigerung durch den Kläger habe die
Beklagte nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht beweisen können. Beide von der Beklagten
benannten und glaubwürdigen Zeuginnen hätten gerade nicht die Behauptung der Beklagten gestützt, der
Kläger habe unter Hinweis darauf, die neue Stelle auf keinen Fall anzutreten, das Gespräch am
08.05.2008 verlassen. Im Übrigen sei auch der Beweiswert der unstreitig vom Kläger eingereichten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 13.05. bis 16.05.2008 nicht erschüttert, so dass nicht
davon ausgegangen werden könne, dass die Nichtaufnahme der Tätigkeit durch den Kläger am
13.05.2008 eine konsequente Durchführung einer Arbeitsverweigerung darstelle.
Auch die ordentliche Kündigung sei aus den genannten Gründen mangels sozialer Rechtfertigung
rechtsunwirksam. Eine Arbeitsverweigerung habe nicht vorgelegen. Es könne dahin gestellt bleiben, ob
der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten unverzüglich angezeigt habe. Eine etwaige
diesbezügliche Pflichtverletzung könne nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ohne vorherige
Abmahnung eine ordentliche Kündigung im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen.
Aufgrund des Obsiegens des Klägers in erster Instanz bestehe auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits.
Das genannte Urteil ist der Beklagten am 03.04.2009 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am
30.04.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese
innerhalb der mit Beschluss vom 03.06.2009 bis zum 16.06.2009 verlängerten Berufungsbegründungsfrist
mit Schriftsatz vom 16.06.2009, am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründet.
Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 148 ff. d. A.),
macht die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend:
Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, der Kläger habe bei Abschluss des
Prozessvergleiches bzw. bei Unterzeichnung des neuen Arbeitsvertrages einem Irrtum über den
Erklärungsgehalt unterlegen. Sofern in der Erhebung der Kündigungsschutzklage die Erklärung einer
Anfechtung zu sehen wäre, hätte dies zur Folge, dass weder der Prozessvergleich noch der neue
Arbeitsvertrag zustande gekommen wäre. Im Übrigen habe der Kläger über ausreichende Kenntnisse der
deutschen Sprache verfügt. Ihm sei bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.05.2008 von
seinem Rechtsanwalt mitgeteilt worden, dass er den neuen Arbeitsplatz gemäß dem geschlossenen
Vergleich antreten müsse.
Der Arbeitsvertrag vom 08.05.2008 sei jedenfalls aufgrund eines Dissens, zumindest aber aufgrund eines
widersprüchlichen Verhaltens nicht zustande gekommen.
Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts sei durch die erstinstanzlich durchgeführte
Beweisaufnahme auch eine beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers bewiesen. Bereits aus dem
Gesprächsprotokoll vom 08.05.2008 gehe eindeutig hervor, dass der Kläger ausschließlich an seinem
alten Arbeitsplatz habe eingesetzt werden wollen. Hierdurch sei bereits deutlich die Ablehnung eines
anderen Arbeitsplatzes durch den Kläger zum Ausdruck gekommen. Auch die erstinstanzlich
vernommenen Zeuginnen hätten die beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.03.2009, Az.: 4 Ca 1276/08 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz
vom 20.07.2009, auf den Bezug genommen wird (Bl. 163 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Entscheidungsgründe:
I.
form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet.
II.
zutreffender Begründung festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die
außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.05.2008 aufgelöst worden
ist. Deshalb hat das Arbeitsgericht die Beklagte auch zu Recht verurteilt, den Kläger bis zum
rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten
Arbeitsbedingungen als Produktionsmitarbeiter weiter zu beschäftigen. Die Berufungskammer folgt der
zutreffenden und ausführlichen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit gem. § 69
Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende ergänzende Ausführungen:
1. Soweit die Beklagte in ihrer Berufung in Erwägung zieht, es könne an einem Arbeitsvertrag der
Parteien unter dem Gesichtspunkt der Irrtumsanfechtung bzw. des Dissens fehlen, teilt die
Berufungskammer diese Auffassung nicht.
Rechtlich zutreffend ist allerdings, dass die vom Kläger begehrte Feststellung auch beinhaltet, dass zum
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung überhaupt noch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
bestand und die Klage hätte abgewiesen werden müssen, wenn es hieran gefehlt hätte.
Eine Anfechtung des Arbeitsvertrags der Parteien unter dem Gesichtspunkt eines i. S. d. § 119 BGB
beachtlichen Irrtums scheidet aus. Eine Anfechtungserklärung des Klägers liegt nicht vor. Die Erhebung
der Kündigungsschutzklage stellt keine Anfechtungserklärung dar. Im Gegenteil macht der Kläger mit der
Kündigungsschutzklage ja gerade den (weiteren) Bestand eines Arbeitsverhältnisses geltend. Auch fehlt
es an einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum i. S. d. § 119 Abs. 1 BGB. Wenn überhaupt, läge
allenfalls ein Irrtum des Klägers über die Rechtsfolgen des abgeschlossenen Vergleiches vor. Bei einem
Rechtsfolgenirrtum ist ein Inhaltsirrtum i. S. d. § 119 BGB aber nur zu bejahen, wenn das Rechtsgeschäft
nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtsfolgen erzeugt. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, ein neues Arbeitsverhältnis sei wegen eines Dissens i. S. d. §§
154, 155 BGB nicht zustande gekommen, hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen,
dass ein Dissens dann nicht vorliegt, wenn sich die Erklärungen beider Parteien bei Vertragsschluss
objektiv decken, das subjektive Verständnis eines Vertragspartners zudem auch mit dem objektiven
Vertragsinn übereinstimmt und lediglich bei dem anderen Vertragspartner ein Irrtum vorlag. Vorliegend
liegen sowohl hinsichtlich des gerichtlichen Vergleiches vom 07.05.2008, als auch im Hinblick auf den
schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 08.05.2008 objektiv übereinstimmende Willenserklärungen
vor, welche auch zumindest dem subjektivem Verständnis der Beklagten hinsichtlich des objektiven
Vertragssinnes entsprachen.
2. Zu Recht ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die von der Beklagten ausgesprochene
außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam ist, da es an einem wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1
BGB fehlt.
Eine nachhaltige rechtswidrige und schuldhafte Arbeitsverweigerung ist an sich als wichtiger Grund für
eine außerordentliche Kündigung geeignet. Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem
Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigen Ermessens zuweisen, soweit das
Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag
eingeschränkt ist. Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des
Weisungsrechts zugewiesenen Tätigkeit auszuführen, so kann dies im Falle der sogenannten
beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen. Eine
beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus;
der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es
nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt. Vielmehr muss eine intensive
Weigerung vorliegen. Das Moment der Beharrlichkeit kann allerdings auch schon darin zu sehen sein,
dass der Arbeitnehmer in einem einmaligen Fall eine Anweisung nicht befolgt. Dies muss dann aber z. B.
durch eine hervorgehende erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden (vgl. etwa BAG 05.04.2001 - 2 AZR
580/99 - NZA 2001, 893 ff.).
Vorliegend ist die Würdigung des Arbeitsgerichts, nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten
Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass der Kläger durch Nichterscheinen am Arbeitsplatz am 13.05.2008
seine Arbeitspflicht verletzt hat bzw. eine ernsthafte und endgültige Weigerung der Ausübung der Tätigkeit
an seinem neuen Arbeitsplatz ab 13.05.2008 ernsthaft und endgültig abgelehnt hat, rechtlich nicht zu
beanstanden.
Das Gesprächsprotokoll vom 08.05.2008 ist inhaltlich insoweit unergiebig. Aus diesem ergibt sich
lediglich, dass der Kläger mitgeteilt hat, dass er ausschließlich an seinem alten Arbeitsplatz eingesetzt
werden wolle. Die Äußerung eines derartigen Willens ist legitim. Weder der gerichtliche Vergleich noch
der Arbeitsvertrag vom 08.05.2008 schließen einen Einsatz am alten Arbeitsplatz aus. Vielmehr
beinhalten beide Regelungen ein weitgefasstes Direktionsrecht der Beklagten. Die Äußerung eines
Arbeitnehmers, dieses Direktionsrecht in bestimmter Weise entsprechend seinen Wünschen auszuüben,
beinhaltet noch nicht die für die Annahme eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 BGB erforderlichen
Weigerung, eine andersartige Ausübung des Direktionsrecht nicht zu akzeptieren. Angesichts des
Schreibens der Beklagten an den Kläger vom 08.05.2008 bestehen auch Zweifel daran, ob die Beklagte
die Äußerungen des Klägers im Gespräch vom 08.05.2008 tatsächlich als Ankündigung einer
beharrlichen Arbeitsverweigerung verstanden hat. Wenn aus Sicht der Beklagten der Kläger bereits
während des vorausgegangenen Gespräches am 08.05.2008 ernsthaft und endgültig die Aufnahme der
Arbeit an dem neuen Arbeitsplatz abgelehnt hätte, ist das Schreiben vom 08.05.2008 nicht plausibel.
Jedenfalls aber hätte es nahegelegen, dieses Schreiben mit einer Kündigungsandrohung für den Fall zu
versehen, dass der Kläger die Arbeit nicht am neuen Arbeitsplatz aufnimmt. Ein im Sinne einer
beharrlichen Weigerung des Klägers zur Aufnahme der Arbeit am neuen Arbeitsplatz hinausgehender
Inhalt des Gesprächs vom 08.05.2008 lässt sich auch nicht den Aussagen der erstinstanzlich
vernommenen Zeuginnen entnehmen. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts ist nicht zu
beanstanden. Aus den Aussagen der Zeuginnen ergibt sich lediglich, dass der Kläger - wenn auch
nachdrücklich - den Willen geäußert hat, an seinem alten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, und es den
Zeuginnen nicht gelang, den Kläger zu überzeugen. Auf der anderen Seite lässt sich den Aussagen der
Zeuginnen nicht entnehmen, dass dem Kläger unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass es bei der
seitens der Beklagten getroffenen Entscheidung über den Einsatz des Klägers verbleibt. Ebenso wenig
lässt sich den Aussagen der Zeuginnen entnehmen, dass der Kläger in diesem Gespräch erklärt hat, er
werde die Arbeit am neuen Arbeitsplatz auf keinen Fall aufnehmen.
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden wäre es deshalb auch in Anwendung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit erforderlich gewesen, dem Kläger durch eine Abmahnung zu verdeutlichen, dass er
im Falle der Nichtbefolgung der Weisung zur Aufnahme der Tätigkeit am neuen Arbeitsplatz mit einer
Gefährdung des Bestands des Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Eine derartige Abmahnung liegt -
unstreitig - nicht vor.
3. Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten ist mangels sozialer
Rechtfertigung i. S. d. § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Eine Arbeitsverweigerung oder auch nur
angekündigte Arbeitsverweigerung liegt - wie ausgeführt - nicht vor. Eine schuldhafte
Arbeitspflichtverletzung am 13.05.2008 scheidet aus. Der Kläger war an diesem Tag arbeitsunfähig.
Anhaltspunkte, die den Beweiswert der unstreitig vom Kläger vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, hat die Beklagte nicht dargelegt. Im Gegenteil hat sich die
Beklagte erstinstanzlich sogar auf den Standpunkt gestellt, dass noch am 04.08.2008 erhebliche Zweifel
an der Arbeitsfähigkeit des Klägers bei der Einstellungsuntersuchung vom 04.08.2008 ergeben hätten.
III.
Revisionszulassungsgrund besteht nicht.