Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 17.11.2010

LArbG Mainz: treu und glauben, arbeitsgericht, nachzahlung, abrede, gehalt, kündigung, zustandekommen, beendigung, formmangel, arbeitsrecht

LAG
Mainz
17.11.2010
8 Sa 346/10
Unwirksamkeit einer mündlichen Abrede bei doppelter Schriftformklausel
Aktenzeichen:
8 Sa 346/10
9 Ca 2551/09
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Entscheidung vom 17.11.2010
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern
Neuwied - vom 20.5.2010, Az.: 9 Ca 2551/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung rückständiger Arbeitsvergütung.
Die Klägerin war bei der Beklagten, die bis zum 30.11.2009 ein Altenpflegeheim betrieb, seit dem
15.11.1993, zuletzt als Hauswirtschaftsleiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer
seitens der Klägerin zum 31.12.2009 ausgesprochenen Kündigung.
Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien enthält u.a. folgende Bestimmungen:
" § 16
Ausschlußfristen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, auch anlässlich seiner Beendigung, sind verwirkt, wenn sie nicht
innerhalb 2 Monaten nach der Fälligkeit, spätestens jedoch 2 Monate nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, schriftlich beim Vertragspartner geltend gemacht werden. Sofern dieser den
Anspruch abgelehnt hat, ist der Anspruch innerhalb von 2 Monaten gerichtlich geltend zu machen,
andernfalls ist er verwirkt. ….
§ 20
Schlussbestimmungen
Ergänzungen und Änderungen des Arbeitsvertrages bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für einen
Verzicht auf das Schriftformerfordernis. Mündliche Nebenabreden -auch solche vor Vertragsabschluß-
haben keinerlei Rechtswirksamkeit…."
Die Klägerin erhielt bis einschließlich Juli 2005 eine vertragsgemäße Arbeitsvergütung von 1.836,00 Euro
brutto monatlich. Ab August 2009 wurde die Arbeitsvergütung um 50 Euro brutto monatlich gekürzt, wobei
zwischen den Parteien streitig ist, ob sich die Klägerin seinerzeit im Rahmen einer mündlichen
Vereinbarung mit dieser Gehaltskürzung einverstanden erklärt hat.
Mit ihrer am 28.12.2009 beim Arbeitsgericht eingereichten und der Beklagten am 05.01.2010 zugestellten
Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2006 bis einschließlich
November 2009 die Nachzahlung von Arbeitsvergütung in Höhe von 50,00 Euro brutto monatlich.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für das Jahr 2006 rückständiges Gehalt in Höhe von 600,00
EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für das Jahr 2007 rückständiges Gehalt in Höhe von 600,00
EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für das Jahr 2008 rückständiges Gehalt in Höhe von 600,00
EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für das Jahr 2009 rückständiges Gehalt in Höhe von 550,00
EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69
Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 20.05.2010 (Bl. 119 R - 121 d.A.).
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 20.05.2010 insgesamt stattgegeben. In den
Entscheidungsgründen seines Urteils hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die beklagtenseits behauptete
mündliche Vereinbarung mit der Klägerin über eine Reduzierung ihres Gehalts um 50 Euro monatlich sei
im Hinblick auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte doppelte Schriftformklausel unwirksam und stehe daher
dem geltend gemachten Nachzahlungsanspruch ebenso wenig entgegen wie die im Arbeitsvertrag
vereinbarte Verfallfrist, die sich nach § 307 Abs. 1 BGB als rechtsunwirksam erweise. Schließlich seien die
Ansprüche der Klägerin auch nicht verwirkt. Zur Darstellung aller Einzelheiten der erstinstanzlichen
Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 - 10 des Urteils vom 20.05.2010 (Bl. 121 - 123 R d.A.)
verwiesen.
Gegen das ihr am 08.06.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.07.2010 Berufung eingelegt und
diese am 04.08.2010 begründet.
Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, die Berufung der Klägerin auf die Formnichtigkeit der
hinsichtlich der Gehaltsreduzierung getroffenen mündlichen Vereinbarung sei rechtsmissbräuchlich. Die
Klägerin habe sich nämlich - wie bereits erstinstanzlich vorgetragen - an einer Massenkündigung beteiligt,
um die Übernahme des Altenpflegezentrums durch die W GmbH zu ermöglichen. Das Verhalten der
Klägerin stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB dar. Unter diesen Umständen
sei es auch ihr selbst - der Beklagten - nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der im Arbeitsvertrag der
Klägerin enthaltenen Schriftformklausel zu berufen. Durch die "feindliche Übernahme" des
Altenpflegezentrums sei ihr die Möglichkeit genommen worden, nach mehreren verlustreichen Jahren im
Geschäftsjahr 2010 einen Gewinn zu erzielen. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie sich im Gegenzug zu
dem Gehaltsverzicht der Klägerin zumindest konkludent dazu bereit erklärt habe, auf Beendigungs- oder
Änderungskündigungen zum Zwecke der Personalkostenreduzierung zu verzichten. Wegen der
wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Altenpflegezentrums wäre seinerzeit eine Änderungskündigung zur
Entgeltsenkung nicht sozialwidrig gewesen. Hätte sie die wahre Absicht der Klägerin seinerzeit gekannt,
nämlich die Restvergütung einzuklagen, so hätte sie nicht von einer Änderungskündigung abgesehen.
Letztlich sei der mündlich erklärte Gehaltsverzicht der Klägerin auch gemäß § 305 b BGB wirksam, da
insoweit der Grundsatz des Vorrangs individueller Vertragsabreden gelte.
Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird
auf die Berufungsbegründungsschrift vom 04.08.2010 (Bl. 154 - 160 d.A.) sowie auf den Schriftsatz der
Beklagten vom 16.11.2010 (Bl. 181 - 187 d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom
23.09.2010 (Bl. 178 f. d.A.) auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
I.
worden. Die hiernach insgesamt zulässige Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das
Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung
stattgegeben.
II.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte für die Zeit vom Januar 2006 bis einschließlich November 2009
gemäß § 611 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Nachzahlung einer monatlichen Restvergütung von 50 Euro
brutto, mithin auf insgesamt 2.350,00 Euro brutto.
Das Berufungsgericht folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des
erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener
vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der
Beklagten erscheinen lediglich folgende Ergänzungen angezeigt:
1.
Vereinbarung über eine Reduzierung ihres Gehalts um 50 Euro brutto getroffen hat bzw. dass sich die
Klägerin mit einer solchen Gehaltsreduzierung mündlich einverstanden erklärt hat. Die insoweit
darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung nicht
ausreichend dargetan. Das diesbezüglich Vorbringen der Beklagten beschränkt sich auf die pauschale
Behauptung, die Heimleiterin, Frau V, habe seinerzeit mit den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
vereinbart, dass diese für einen begrenzten Zeitraum auf einen kleinen Teil ihres Einkommens verzichten
sollten und dass die Heimleiterin diese Vereinbarungen mit Wirkung ab August 2005 umgesetzt habe.
Dieser Sachvortrag erweist sich als unsubstantiiert. Es wäre insoweit Sache der Beklagten gewesen,
zumindest vorzutragen, wann in etwa und bei welcher Gelegenheit die Heimleiterin gerade mit der
Klägerin eine solche Abrede getroffen hat. Darüber hinaus hätte es der zumindest sinngemäßen
Wiedergabe der wechselseitigen Erklärungen der Heimleiterin und der Klägerin bedurft, aus denen sich
das Zustandekommen der betreffenden Vereinbarung herleiten ließe.
2.
Gehaltsreduzierung getroffen wurde, so steht dies dem Nachzahlungsanspruch der Klägerin nicht
entgegen. Wie bereits das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils
zutreffend und unter Zitierung der einschlägigen Rechtsprechung des BAG ausgeführt hat, führt die in § 20
des Arbeitsvertrages der Parteien vereinbarte doppelte Schriftformklausel gemäß § 125 Satz 2 BGB zur
Unwirksamkeit der von der Beklagten behaupteten mündlichen Abrede. Eine Schriftformklausel, die - wie
in § 20 des Arbeitsvertrages der Parteien - nicht nur für Vertragsänderungen die Schriftform vorschreibt,
sondern auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits der Schriftform unterstellt, kann regelmäßig
nicht durch eine die Schriftform nicht wahrende Vereinbarung abbedungen werden. Bei einer solchen
Klausel sind Änderungen und Ergänzungen des Vertrags ohne Beachtung der Schriftform unwirksam. §
20 des Arbeitsvertrages enthält auch nicht eine nur Beweiszwecken dienende deklaratorische
Schriftformklausel. Vielmehr handelt es sich, wie sich aus dem Wortlaut der vertraglichen Bestimmung
ergibt, wonach "mündliche Nebenabreden" …"keinerlei Rechtswirksamkeit" haben, um ein konstitutives
Schriftformerfordernis. Die Klausel bestimmt nämlich selbst als Rechtsfolge ihrer Nichteinhaltung die
Unwirksamkeit der formlosen Vereinbarung.
Die Beklagte kann sich auch nicht selbst auf eine etwaige Unwirksamkeit gemäß § 307 Abs. 1 BGB der in
§ 20 des Arbeitsvertrages enthaltenen Regelung berufen. Die Inhaltskontrolle schafft nämlich lediglich
einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, sie
dient jedoch nicht dem Schutz der Beklagten als Klauselverwenderin vor den von ihr selbst eingeführten
Formularbestimmungen (BAG v. 27.10.2005 - 8 AZR 3/05 - AP Nr. 5 zu § 310 BGB).
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es der Klägerin hingegen nicht nach Treu und Glauben verwehrt,
die Formunwirksamkeit der behaupteten Gehaltsverzichtsabrede geltend zu machen. Der Einwand, eine
Partei handele treuwidrig, wenn sie sich auf die Nichtbeachtung der Form berufe, kann nur in
Ausnahmefällen erfolgreich sein. Formvorschriften können über den Einwand der unzulässigen
Rechtsausübung regelmäßig nicht gegenstandslos gemacht werden. Im Allgemeinen hat jede Partei die
Rechtsnachteile zu tragen, die sich aus der Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäftes ergeben (BAG v.
06.09.1972 - 4 AZR 422/71 - AP Nr. 2 zu § 4 BAT). Die Berufung auf die Formunwirksamkeit einer
Vereinbarung kann jedoch rechtsmissbräuchlich sein, wenn sich der eine Vertragsteil dadurch zu Lasten
des anderen Vorteile verschafft, die die Rechtsordnung missbilligen muss. Im Übrigen kann über den
Formmangel im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242
BGB) auch nur dann hinweggesehen werden, wenn das Ergebnis für die betroffene Partei nicht nur hart,
sondern schlechthin untragbar wäre (BAG v. 29.01.1986 - 7 AZR 295/84 -).
Im Streitfall verschafft sich die Klägerin durch die Berufung auf die Nichtigkeit einer mündlichen Abrede
weder Vorteile, welche die Rechtsordnung missbilligt, noch erweist sich dies im Ergebnis für die Beklagte
als schlechthin untragbar. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin die Beklagte von
der Einhaltung der erforderlichen Schriftform abgehalten hat. Auch bestehen keinerlei Anhaltspunkte
dafür, dass die Klägerin bereits seinerzeit, d.h. bei Abschluss der betreffenden Vereinbarung,
beabsichtigte, sich Jahre später an einer Massenkündigung zu beteiligen und in diesem Zusammenhang
auch ihre rückständige Arbeitsvergütung einzuklagen. Das formnichtige Rechtsgeschäft im Jahre 2005
und die Eigenkündigung der Klägerin zum 31.12.2009 stehen erkennbar in keinerlei Zusammenhang.
Soweit die Beklagte der Ansicht ist, die Kündigung der Klägerin sowie weiterer 58 Mitarbeiter zum
31.12.2009 stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB dar, so bleibt es ihr
unbenommen, etwaige Schadensersatzansprüche ihrerseits ggf. im Klagewege geltend zu machen. Die
Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, nur im Hinblick auf den mündlichen
Gehaltsverzicht der Klägerin vom Ausspruch einer Änderungskündigung abgesehen zu haben. Dies
ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin im Falle des Ausspruchs einer Kündigung die Möglichkeit
gehabt hätte, deren Wirksamkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Insgesamt bestehen keinerlei
ausreichende Anhaltspunkte, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Nachzahlung der eingeklagten
Gehaltsrückstände schlechthin untragbar ist.
3.
Klägerin nicht entgegen, da sie sich wegen der vereinbarten Kürze von weniger als drei Monaten nach §
307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers als rechtsunwirksam
erweist (vgl. Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl., §§ 194 - 218 BGB Rz. 46 m.N.a.d.R.).
4.
des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils (dort Seite 9 unter IV. = Bl.
123 d.A.) nichts hinzuzufügen.
III.
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 92 a ArbGG), wird hingewiesen.