Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 21.07.2005

LArbG Mainz: abmahnung, venire contra factum proprium, geburt, arbeitsgericht, geschäftsführer, arbeitskraft, zugang, schwangerschaft, anzeige, berufsausbildung

LAG
Mainz
21.07.2005
1 Sa 241/05
Kündigung wegen Inanspruchnahme von Elternzeit
Aktenzeichen:
1 Sa 241/05
2 Ca 915/04
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 21.07.2005
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.11.2004 - 2 Ca
915/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung.
Die Klägerin war seit 24.07.2000 als Bürokauffrau bei der Beklagten beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt
betrug zuletzt 1687,26 Euro. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer
ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden erschien die Klägerin ab Mai 2002 bis zur Geburt ihrer
Tochter am 12.08.2002 nicht mehr zur Arbeit (Bl. 44 d. A.). Die Geburt des Kindes war der Beklagten
bekannt (Bl. 38 d. A.). In der Überzeugung, die Elternzeit antreten zu dürfen, erschien die Beklagte auch
nach der Geburt des Kindes jedenfalls nach dem 23.8.2002 nicht mehr zur Arbeit (Bl. 42 d. A.).
Mit Schreiben vom 09.03.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2004. Nach
Ausspruch der Kündigung mahnte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 29.03.2004 wegen
unentschuldigten Fehlens seit dem 23.08.2002 ab und forderte sie auf, die Arbeit im Betrieb sofort wieder
aufzunehmen.
Die Klägerin hat vorgetragen:
Im Januar 2002 habe sie unter Vorlage ihres Mutterpasses vom 11.01.2002 mündlich bei Herrn S., einem
Geschäftsführer der Beklagten, Elternzeit für drei Jahre ab der Geburt ihres Kindes beantragt (Bl. 43 d. A.).
Gegen Ende September/Anfang Oktober 2002 habe die Klägerin mit ihrem Neugeborenen den Betrieb
der Beklagten besucht, um das Kind zu zeigen. Herr S. habe anlässlich des Besuchs ausdrücklich zur
Geburt der Tochter gratuliert (Bl. 45 d. A.) und deshalb gewusst, aus welchen Gründen die Klägerin nicht
zur Arbeit erschienen sei (Bl. 48 d. A.).
Die Klägerin meint, mit der Abmahnung vom 29.03.2004 habe die Beklagte ihr Kündigungsrecht
verbraucht, weshalb die streitige Kündigung unwirksam sei (Bl. 47 d. A.). Die Klägerin ist weiter der
Ansicht, die Kündigung sei treuwidrig, da die Beklagte sich zuvor - Unkenntnis von der Schwangerschaft
und Geburt unterstellt - zumindest nach dem Grund des Fernbleibens bei der Klägerin habe erkundigen
müssen. Schließlich meint sie, das Kündigungsrecht der Beklagten sei nach ca. 19 Monaten der
Abwesenheit der Klägerin zumindest verwirkt, da keine Abmahnung erfolgt sei und die Klägerin deshalb
darauf vertrauen durfte, dass keine Kündigung ausgesprochen werde (Bl. 47 d. A.).
Mit Schriftsatz vom 21.04.2004 hat die Klägerin ihre Klage erweitert mit dem Antrag, die Beklagte zu
verurteilen, der Klägerin ein wohlwollendes und qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erstellen (Bl. 25 d. A.).
Über dieses Begehren haben die Parteien am 26.05.2004 einen gerichtlichen Teilvergleich geschlossen
(Bl. 30. d. A.).
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 09.03.2004
nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Die Klägerin habe vor der streitgegenständlichen Kündigung weder schriftlich noch mündlich Elternzeit
bei der Beklagten beantragt. Insbesondere habe ein solches Gespräch im Januar 2002 mit einem
Geschäftsführer der Beklagten nicht stattgefunden. Die Beklagte ist der Ansicht, das Arbeitsverhältnis sei
mit der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist zum 30.06.2004 beendet worden (Bl. 38 d. A.). Die Kündigung
sei aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt, da die Klägerin letztmalig am 23.08.2002 gearbeitet
habe und seitdem unentschuldigt fehle.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der Sitzungen in erster Instanz
verwiesen.
Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 12.11.2004 stattgegeben. Es hat zur Begründung
im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei ohne den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung nicht
sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG. Die Abmahnung sei hier auch nicht entbehrlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung wird auf das Urteil (Bl. 67-73 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 24.02.2005 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 11.03.2005,
eingegangen bei dem Landesarbeitsgericht am 16.03.2005, die Berufung eingelegt und diese mit
Schriftsatz vom 04.04.2005, eingegangen bei dem Landesarbeitsgericht am 06.04.2005, begründet.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor:
Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Abwesenheit der Klägerin von 1 ½ Jahren dokumentiere,
dass sie zur Erbringung der Arbeitsleistung weder willens noch in der Lage gewesen sei. Wegen der
Betreuung ihrer Tochter habe sie nicht arbeiten können. Sie sei hierzu auch nicht willens gewesen, da sie
Kündigungsschutzklage erhoben und ihre Arbeitskraft nicht angeboten habe. Die Klägerin habe die
Beklagte weder schriftlich noch mündlich von der beabsichtigten Inanspruchnahme einer Elternzeit
informiert. Die Beklagte musste deshalb davon ausgehen, dass die Klägerin die Arbeitsleistung nicht
erbringen wolle (Bl. 95 d. A.).
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichtes Koblenz vom 12.11.2004 - 2 Ca 915/04 -
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil, nimmt Bezug auf ihren Vortrag in erster Instanz und trägt
ergänzend vor:
Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung sei nicht entbehrlich gewesen (Bl. 100 d. A.). Die Klägerin
habe angenommen, eine mündliche Anzeige der beabsichtigten Elternzeit sei ausreichend. Da mit
Schreiben vom 31.03.2004 für die Klägerin "Erziehungsurlaub beantragt" worden war, habe die Klägerin
ihre Arbeitskraft nach Erhalt der Kündigung nicht anbieten müssen. Sie habe auch im Januar 2002 dem
Geschäftsführer der Beklagten erklärt, nach Ablauf der dreijährigen Erziehungszeit die Arbeit wieder
aufnehmen zu wollen (vgl. Bl. 43 d. A.) Die Kündigung sei treuwidrig, das Kündigungsrecht nach 19
Monaten jedenfalls verwirkt.
Zur Ergänzung des dargestellten Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Berufungsschriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist im Ergebnis und in der
Begründung nicht zu beanstanden.
A.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m.
§§ 517, 519 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist deshalb zulässig.
B.
I. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Die ohne vorherige Abmahnung erfolgte Kündigung
seitens der Beklagten ist unverhältnismäßig und daher unwirksam.
II.
1.
als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten beschäftigt und das
Arbeitsverhältnis der Parteien länger als sechs Monate besteht, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG.
2.
durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten der Klägerin liegen oder durch dringende
betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Unternehmen der Beklagten
entgegenstehen, bedingt ist, vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG.
3.
seitdem unentschuldigt. Sie stützt sich damit auf einen im Verhalten der Arbeitnehmerin liegenden Grund.
Kündigungsgeeignet ist ein Verhalten, wenn darin ein nicht unerheblicher Verstoß gegen
arbeitsvertragliche Pflichten zu sehen ist. Die Klägerin hat die Inanspruchnahme der Elternzeit nicht nach
§ 16 Abs. 1 S. 1 BErzGG (schriftlich) gegenüber der Beklagten angezeigt und war deshalb auch nach der
Geburt ihrer Tochter am 12.08.2002 zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet. Die Verletzung der
arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht ist an sich kündigungsgeeignet.
4.
sozial gerechtfertigt ist, weil sie die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht wahrt.
Die Kündigung ist keine Sanktion für eine Vertragsverletzung. Sie soll vielmehr zukunftsbezogen
verhindern, dass es zu weiteren Vertragsverletzungen im Dauerschuldverhältnis kommt. Entscheidend ist
deshalb, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig
belastend auswirkt (BAG v. 16.08.1991 AP Nr. 27 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung). In
der Regel wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich
der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird.
Dieser Prognosegedanke und das dem Kündigungsrecht zugrunde liegende Verhältnismäßigkeitsprinzip
verlangen deshalb grundsätzlich, dass vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung dem
Arbeitnehmer eine Abmahnung erteilt wird, die das vertragswidrige Verhalten genau bezeichnet und für
den Wiederholungsfall die Kündigung androht (vgl. BAG v. 04.06.1997, NZA 1997, 1281; BAG v.
26.01.1995, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung [Ziffer B.III.4.a) der Gründe
m.w.N.]; BAG v. 17.02.1994, AP Nr. 116 zu § 626 BGB [Ziffer II.1. der Gründe]).
Eine solche Abmahnung hat die Beklagte nicht erteilt.
a)
09.03.2004. Mit der Abmahnung soll dem Arbeitnehmer deutlich gemacht werden, dass ein genau
bezeichnetes Fehlverhalten als vertragswidrig angesehen wird (Rügefunktion) und im Wiederholungsfall
eine Kündigung nach sich zieht (Warnfunktion). Diese Warnfunktion erfüllt die Abmahnung jedoch nur,
wenn sie
vor
Nr. 18). Eine auf den Zeitpunkt der Kündigung rückwirkende Abmahnung ist deshalb ausgeschlossen.
b)
Einer Abmahnung bedarf es ausnahmsweise dann nicht, wenn im Einzelfall besondere Umstände
vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden konnte (vgl. BAG
v. 26.01.1995, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung [Ziffer B.III.4.a) der Gründe];
BAG v. 29.07.1976, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung [Ziffer 4.d) der Gründe]).
aa)
vertragsgerecht zu verhalten. Dies ist der Fall, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und
uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kannte; der Arbeitgeber müsste
dann auch bei Ausspruch einer Abmahnung mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen rechnen (BAG v.
26.01.1995, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung [Ziffer B.III.4.a) der Gründe]).
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin nach ihrem unwidersprochenen
Vortrag stets davon ausging, nach der Geburt ihrer Tochter am 12.08.2002 die Elternzeit antreten zu
dürfen. Für die Klägerin bestand zunächst kein Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln, da die
Beklagte die Abwesenheit der Klägerin über einen Zeitraum von etwa
1 ½ Jahren
Ganz im Gegenteil hat sie die Klägerin sogar zur Teilnahme an betrieblichen Festen (Sommerfest 2003,
Weihnachtsfeier 2003) eingeladen. Allein aus der langen Abwesenheit der Klägerin konnte die Beklagte
deshalb nicht auf einen fehlenden Arbeitswillen bei der Klägerin schließen. Da der Klägerin die
Vertragswidrigkeit ihres Verhaltens bis zum Zugang der Kündigung unstreitig nicht bekannt war, ist die
Dauer ihres Fehlverhaltens auch kein Ausdruck besonderer Rücksichtslosigkeit, die eine Abmahnung
entbehrlich machen könnte. Auf das Verhalten der Klägerin nach Zugang der Kündigung kommt es -
entgegen der Ansicht der Beklagten (Bl. 95 d. A.) - nicht an, weil es den unstreitigen Sachverhalt nicht in
Frage stellt.
Schließlich waren der Beklagten auch die Schwangerschaft der Klägerin und die Geburt des Kindes
bekannt (Bl. 38, 51 d. A.). Zutreffend hat das Arbeitsgericht deshalb entschieden, dass die Beklagte unter
diesen Umständen in Betracht ziehen musste, dass die Klägerin Elternzeit in Anspruch nimmt und dies
lediglich nicht ordnungsgemäß angezeigt hat. Der Ausspruch einer Kündigung ohne vorherige
Abmahnung verletzt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Selbst wenn aber der Klägerin bewusst gewesen wäre, dass sie ohne eine formwirksame Anzeige der
Elternzeit nicht befugt ist, der Arbeit fernzubleiben, begegnet die Kündigung der Beklagten erheblichen
Bedenken. Die Kündigung stünde dann in offenem Widerspruch zur
Duldung
die Beklagte über einen Zeitraum von etwa 1 ½ Jahren. Die Klägerin durfte bei dieser konkreten
außergewöhnlichen Sachverhaltskonstellation sogar davon ausgehen, dass die Beklagte mit dem
Fernbleiben einverstanden war. Auch unter dem Gesichtspunkt des Verbotes widersprüchlichen
Verhaltens (§ 242 BGB - venire contra factum proprium) wäre also die Kündigung ohne vorangegangene
Abmahnung unwirksam.
bb)
sei nicht in der Lage gewesen, die Arbeitsleistung zu erbringen.
Die erforderliche Kindesbetreuung allein vermag diese Annahme der Beklagten jedenfalls nicht zu
stützen. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, wonach die Klägerin die Kindesbetreuung
zwingend höchstpersönlich übernehmen muss. Demgegenüber ist es nicht völlig ungewöhnlich, dass
man die Betreuung eines Kleinkindes beispielsweise einer Tagesmutter überträgt und sodann seiner
Arbeit nachgeht. Weitere Alternativen der Kindesbetreuung, etwa durch Verwandte oder Freunde, sind
denkbar. Dass die Klägerin ein betreuungsbedürftiges Kleinkind hat, bedeutet deshalb nicht ohne
weiteres, dass sie nicht in der Lage wäre, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Auch unter diesem
Gesichtspunkt hätte die Beklagte deshalb nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor der Kündigung
eine Abmahnung aussprechen müssen.
Nach all dem war das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz nicht zu beanstanden und die Berufung der
Beklagten zurückzuweisen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
D.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorlagen.