Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 16.04.2008

LArbG Mainz: arbeitsbedingungen, bad, bedürfnis, kündigung, umstrukturierung, arbeitsgericht, verkäuferin, vergleich, quelle, zustand

LAG
Mainz
16.04.2008
8 Sa 763/07
Änderungskündigung zur Reduzierung der Arbeitszeit
Aktenzeichen:
8 Sa 763/07
6 Ca 755/07
ArbG Mainz
- AK Bad Kreuznach -
Urteil vom 16.04.2008
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad
Kreuznach - vom 27.09.2007,
6 Ca 755/07, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
1.) Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom
15.5.2007 unwirksam ist.
2.) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat 1/3 und die Beklagte 2/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.
Die Klägerin ist seit dem 29.03.1999 bei der Beklagten, die Drogeriemärkte betreibt, in deren
Verkaufsstelle in Baumholder als Verkäuferin/Kassiererin beschäftigt. Ihre vertragsgemäße Arbeitszeit
belief sich zuletzt auf 20 Stunden pro Woche bei einer Bruttomonatsvergütung von 1.069,90 Euro. Die
Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Der
Aufgabenbereich der Klägerin umfasst das Kassieren an einer der beiden in der Verkaufsstelle
vorhandenen Kassen und die Durchführung der Kassenabrechnungen. Darüber hinaus obliegt ihr das
Einräumen von Waren.
Mit Schreiben vom 15.05.2007, das der Klägerin am 30.05.2007 zuging, kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.08.2007. Zugleich bot die Beklagte der Klägerin an, das
Arbeitsverhältnis ab dem 01.09.2007 mit einer auf 17,5 Stunden reduzierten Wochenarbeitszeit und einem
Bruttomonatsgehalt von 936,20 € - zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen - fortzusetzen.
Gegen diese Kündigung richtet sich die von der Klägerin am 12.06.2007 eingereichte Klage. Zuvor hatte
die Klägerin das Angebot der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen
fortzusetzen, unter dem Vorbehalt angenommen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial
ungerechtfertigt ist.
Von einer weitergehenden wiederholenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des
erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß
§ 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 27.09.2007 (dort S. 2 bis 6 = Bl. 58 bis
62 d. A.).
Die Klägerin hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen durch die auf den 15.05.2007
datierte Änderungskündigung unwirksam sind,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag Ziffer 1 wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin zu
unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin und Kassiererin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 27.09.2007 insgesamt stattgegeben. Wegen der
maßgeblichen Entscheidungsgründe auf die Seiten 6 bis 10 dieses Urteils (= Bl. 62 bis 66 d. A.)
verwiesen.
Gegen das ihr am 27.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.12.2007 Berufung eingelegt und
diese am 07.01.2008 begründet.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die Personalstärke in ihren einzelnen Verkaufsstellen sei seit
mehr als 20 Jahren umsatzabhängig. d. h. je höher der monatliche Umsatz, der in einer Verkaufsstelle
erwirtschaftet werde, desto höher das Stundenbudget (Summe der wöchentlichen Arbeitszeiten aller
Mitarbeiter), welches für die betreffende Verkaufsstelle zur Verfügung gestellt werde. Wie sich aus der
bereits erstinstanzlich vorgelegten Personalsollzahlen - Tabelle ergebe, gelte grundsätzlich für jede
Verkaufsstelle das minimale Stundenbudget. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände (z. B. die
Verkaufsstelle verfügt über mehrere Etagen) werde dieses Stundenbudget erhöht. Die Verkaufsstelle
Baumholder habe im Jahr 2006 einen durchschnittlichen monatlichen Umsatz von 26.110,00 €
erwirtschaftet sowie im Zeitraum vom 01.01. bis 30.04.2007 einen durchschnittlichen Umsatz von
monatlich 26.912,00 €. Ausweislich der erstinstanzlich vorgelegten Personalsollzahlen - Tabelle belaufe
sich bei diesem Umsatz das minimale Stundenbudget für die Verkaufsstelle Baumholder auf 70,5
Stunden, das maximale wöchentliche Stundenbudget auf 75 Stunden. Tatsächlich habe sich jedoch die
Summe der wöchentlichen Arbeitsstunden der in dieser Verkaufsstelle beschäftigten Mitarbeiterinnen auf
77,5 Stunden (37,5 + 20 + 20) belaufen und damit die unternehmenseinheitliche Regelung um 7 Stunden
überschritten. Im April 2007 sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, die
Personalsollzahlen - Tabelle in allen Verkaufsstellen ausnahmslos anzuwenden und das darin
vorgesehene minimale Stundenbudget umzusetzen, sofern keine besonderen verkaufsstellenspezifischen
Faktoren vorlägen. Betreffend die Verkaufsstelle Baumholder habe dies zur Folge, dass das
Stundenbudget um 7,0 Stunden pro Woche zu reduzieren gewesen sei. Diesem Erfordernis sei dadurch
entsprochen worden, dass im Wege von Änderungskündigungen die wöchentlichen Arbeitszeiten der drei
in dieser Verkaufsstelle beschäftigten Mitarbeiterinnen reduziert werden seien. Entgegen der Ansicht des
Arbeitsgerichts erweise sich die streitbefangene Änderungskündigung als wirksam. Sie sei aus
betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die unternehmerische Entscheidung, die Arbeitszeiten
entsprechend dem Personalsollzahlen - Kostenkonzept zu reduzieren, sei umsetzbar und unterliege nur
einer Missbrauchskontrolle. Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische Entscheidung unsachlich,
unvernünftig oder willkürlich sei, seien auch nicht nur ansatzweise erkennbar. Die Öffnungszeiten der
Verkaufsstelle Baumholder seien in den Jahren 2005 bis 2007 unverändert geblieben, nämlich montags
bis freitags von 8.30 Uhr bis 18.00 Uhr und samstags von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr. Lediglich im Juni 2007
sei die Filiale montags bis freitags jeweils bis 18.30 Uhr geöffnet gewesen. Es treffe zwar zu, dass im Jahr
2006 in der Verkaufsstelle Baumholder Überstunden geleistet worden seien, diese stünden jedoch in
keinerlei Zusammenhang mit dem Arbeitsanfall. Ursache sei vielmehr der Umstand, dass die
Mitarbeiterinnen einer Verkaufsstelle die krankheits- und urlaubsbedingten Ausfallzeiten ihrer Kolleginnen
durch Ableistung von Überstunden kompensierten. Ausschließlich bei Urlaub oder Krankheit einer
Mitarbeiterin seien Mehrstunden in der Verkaufsstelle geleistet worden. Die Durchführbarkeit der
Umsetzung der unternehmenseinheitlich geltenden Personalsollzahlen - Tabelle in der Verkaufsstelle
Baumholder ergebe sich auch daraus, dass in allen umsatzmäßig vergleichbaren Verkaufsstellen die
anfallenden Arbeiten mit einem maximalen Stundenbudget von 70,5 Stunden durchgeführt würden, ohne
dass hierbei Mehrarbeit wegen erhöhten Arbeitsanfalls geleistet werde. Die streitgegenständliche
Änderungskündigung sei daher sozial gerechtfertigt und wirksam.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren
Berufungsbegründungsschrift vom 17.01.2008
(Bl. 132 bis 144 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Zur Darstellung aller Einzelheiten ihres Vorbringens im
Berufungsverfahrens wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 09.04.2008 (Bl. 195 bis 199 d. A.)
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das
Arbeitsgericht hat der Änderungsschutzklage sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender
Begründung stattgegeben. Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin erweist sich hingegen als
unbegründet.
1.
sozial ungerechtfertigt und daher als unwirksam.
Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich
anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der
Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Im Rahmen der § 1, 2 KSchG ist dabei zu prüfen, ob das
Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen
entfallen ist. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot
abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat.
Die eine ordentliche Änderungskündigung sozial rechtfertigenden dringenden betrieblichen Erfordernisse
i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1, § 2 KSchG setzen voraus, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers im Betrieb zu den bisherigen Bedingungen entfallen ist (BAG v. 22.04.2004 - 2 AZR 385/03
- AP Nr. 74 zu § 2 KSchG 1969). Dies kann auf einer unternehmerischen Entscheidung zur
Umstrukturierung des gesamten oder von Teilen eines Betriebes oder einzelner Arbeitsplätze beruhen,
von der auch das Anforderungsprofil der im Betrieb nach Umstrukturierung verbleibenden Arbeitsplätze
erfasst werden kann.
Eine solche Organisationsentscheidung unterliegt im Kündigungsschutzprozess nur einer
Missbrauchskontrolle. Sie ist lediglich dahingehend zu überprüfen, ob sie offenbar unvernünftig oder
willkürlich ist und ob sie ursächlich für den vom Arbeitgeber geltend gemachten Änderungsbedarf ist.
Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne
nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, so kann auch im Falle der Änderungskündigung
die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht in jedem Fall von
vornherein greifen (BAG v. 23.06.2005
- 2 AZR 642/04 - AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969). In diesen Fällen muss der Arbeitgeber vielmehr darlegen,
in welchem Umfang die vom Arbeitnehmer auszuführenden Arbeiten zukünftig im Vergleich zum
bisherigen Zustand anfallen, d. h. es geht um die Darlegung einer näher konkretisierten Prognose der
Entwicklung aufgrund außerbetrieblicher Faktoren oder unternehmerischer Vorgaben. Der Arbeitgeber
muss im Kündigungsschutzprozess konkrete Angaben dazu machen, in welchem Umfang ein konkreter
Arbeitskräfteüberhang entsteht. Auch die Entscheidung des Arbeitgebers, den Personalbestand auf Dauer
zu reduzieren, gehört zu den unternehmerischen Maßnahmen, die einen Beschäftigungsbedarf entfallen
lassen können. Eine solche Unternehmerentscheidung ist jedoch hinsichtlich ihrer organisatorischen
Durchführbarkeit und hinsichtlich des Begriffs "Dauer" zu verdeutlichen, damit das Gericht überhaupt
prüfen kann, ob sie nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG v. 17.06.1999 - 2
AZR 141/99
- AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Je näher die eigentliche
Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, umso mehr muss der Arbeitgeber durch
Tatsachenvortrag verdeutlichen, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bzw. -
im Falle der Änderungskündigung - jedenfalls für dessen Weiterbeschäftigung zu unveränderten
Arbeitsbedingungen entfallen ist.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die streitbefangene Änderungskündigung als sozial
ungerechtfertigt.
Die Beklagte stützt die streitbefangene Änderungskündigung ausschließlich auf ihre Entscheidung, die die
in ihrer Verkaufsstelle Baumholder von den dort beschäftigten Mitarbeiterinnen insgesamt zu erbringende
vertragsgemäße Arbeitszeit in Anpassung an eine im Unternehmen geltende, am Umsatz ausgerichtete
Personalsollzahlen - Tabelle zu reduzieren. Diese unternehmerische Maßnahme ist mit dem
Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich, zumal es an jeglichen konkreten Darlegungen seitens
der Beklagten fehlt, ob und inwieweit sich das in einer Verkaufsstelle erwirtschaftete Umsatzvolumen auf
den tatsächlichen Arbeitsanfall auswirkt. Von daher hätte es nach Maßgabe der vorstehenden
Ausführungen bereits substantiierter Ausführungen der Beklagten bezüglich der organisatorischen
Durchführbarkeit der Reduzierung des Arbeitszeitvolumens bedurft. Dieses ist nämlich insbesondere
davon abhängig, mit welcher Personalstärke, d. h. mit welcher Anzahl von Mitarbeiterinnen die
betreffende Verkaufsstelle, in der ohnehin bereits in der Vergangenheit lediglich eine Vollzeitkraft (37,5
Stunden pro Woche) sowie zwei Teilzeitkräfte (jeweils 20 Stunden pro Woche) tätig waren, an bestimmten
Wochentagen und zu bestimmten Tageszeiten nach Maßgabe unternehmerischer bzw.
arbeitgeberseitiger Vorgaben besetzt sein soll. Eine Darlegung diesbezüglicher organisatorischer
Maßnahmen könnte die Prüfung ermöglichen, ob und inwieweit die von der Beklagten im Wege der
Änderungskündigung beabsichtigte Reduzierung der Gesamt-Arbeitszeitmenge überhaupt durchführbar
ist. Hierzu fehlt es jedoch an jeglichem Sachvortrag der Beklagten. Die Entscheidung zur Reduzierung der
Arbeitszeit ist - soweit ersichtlich - in keinerlei sonstigen organisatorischen Maßnahmen eingebettet. Die
bloße Heranziehung einer Personalsollzahlen-Tabelle ist daher nicht geeignet, die streitbefangene
Änderungskündigung als sozial gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Mit der Erstellung oder auch nur der
Änderung einer solchen Tabelle könnte ansonsten u. U. die Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit in
x-beliebigem Umfang und der Ausspruch entsprechender Änderungskündigen gerechtfertigt werden. Das
ist jedoch mit
§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG nicht zu vereinbaren.
2.
Dauer des Kündigungsrechtsstreit bezogene Klageantrag zu 2. ist nicht begründet.
Da die Klägerin die Änderungskündigung unter Vorbehalt nach § 2 KSchG angenommen hat, ist die
Beklagte nicht aufgrund des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs verpflichtet, die Klägerin vorläufig, d.
h. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen Bedingungen
weiter zu beschäftigen (BAG v. 18.01.1990 - 2 AZR 183/89 - AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969).
II.
erstinstanzlichen Urteils abzuweisen. Im Übrigen unterlag die Berufung der Zurückweisung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.