Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 15.03.2011

LArbG Mainz: zusammenarbeit, abmahnung, zukunft, kündigung, auflösung, unterbrechung, arbeitsgericht, verstecken, abgabe, ausländer

LAG
Mainz
15.03.2011
3 Sa 618/10
Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Aktenzeichen:
3 Sa 618/10
2 Ca 438/08
ArbG Kaiserslautern
Entscheidung vom 15.03.2011
Tenor:
Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits (Verfahren - 2 Ca 438/08 -, - 3 Sa 643/08 -, - 2 AZR 297/09 -
und - 3 Sa 618/10 -) zu tragen.
Der Streitwert wird auf 7500,00 EUR festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 06.06.1961 in Nigeria geborene Kläger ist seit dem Jahre 1997 bei den US-Streitkräften
beschäftigt. Zuletzt arbeitete der Kläger als Ladengehilfe in dem D.-Supermarkt V. Die D. ist eine Behörde
des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die weltweit Lebensmittelgeschäfte (Supermärkte) für US-
Soldaten und deren Angehörige unterhält. Mit dem Schreiben vom 25.03.2008 wurde dem Kläger
außerordentlich gekündigt. Mit dem Schreiben vom 03.04.2008 wurde dem Kläger (vorsorglich) ordentlich
zum 30.09.2008 gekündigt. Am 14.08.2008 - 2 Ca 438/08 - fand die erstinstanzliche Kammerverhandlung
im Kündigungsschutzprozess statt. Für die Beklagte wurde dieser Termin von dem Zeugen Dr. C. (damals
noch Personalreferent des Zivilpersonalbüros der US-Streitkräfte) und von der Zeugin B. (von der
A./Lohnstelle ausländische Streitkräfte) wahrgenommen. Die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts - 2
Ca 438/08 - über die Kammerverhandlung vom 14.08.2008 befindet sich in Bl. 78 ff. d.A.. Im Urteil vom
14.08.2008 - 2 Ca 438/08 - stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis (des Klägers) weder
durch die Kündigung vom 25.03.2008, noch durch die Kündigung vom 03.04.2008 aufgelöst worden ist.
Über die Berufung der Beklagten gegen das
eben bezeichnete Urteil des Arbeitsgerichts vom 14.08.2008 - 2 Ca 438/08 - entschied das
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz im Urteil vom 03.02.2009 - 3 Sa 643/08 -. Hierauf (s. LAG-Urteil Bl.
212 ff. d.A.) wird verwiesen. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Arbeitsgerichts kostenpflichtig unter Zurückweisung des Auflösungsantrages zurück. Auf die - im LAG-
Urteil vom 03.02.2009 - 3 Sa 643/08 - zugelassene - Revision der Beklagten entschied das
Bundesarbeitsgericht am 10.06.2010 - 2 AZR 297/09 - wie folgt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom
03.02.2009 - 3 Sa 643/08 - aufgehoben, soweit es den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen
hat.
In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten
der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Nach erfolgter Zurückverweisung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers (RA A.) im neuerlichen
Berufungsverfahren - 3 Sa 618/10 - folgende Erklärung abgegeben:
Der Kläger distanziert sich von den von der Beklagten behaupteten Äußerungen des
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.08.2008 für den Fall, dass diese damals so oder so ähnlich
doch getätigt wurden.
(s. dazu S. 2 der Sitzungsniederschrift vom 25.01.2011 - 3 Sa 618/10 - = Bl. 285 d.A.).
Mit Wirkung ab dem 29.06.2009 ist der Kläger im Rahmen einer sogenannten Prozessbeschäftigung als
Ladengehilfe in dem D.-Supermarkt V. vorläufig weiterbeschäftigt worden. Nach den Angaben des
Klägers wurde er in der Zeit vom 16.12.2010 bis zum 13.02.2011 nicht beschäftigt. Mit dem Schreiben vom
17.12.2009 (Bl. 317 f. d.A.) erteilte die Dienststelle dem Kläger wegen des dort bezeichneten Geschehens
vom 01.12.2009 eine Abmahnung. Im Abmahnungsschreiben vom 17.12.2009 heißt es u.a.:
"Die herabwürdigende Äußerung ("Mammacita") zu einer Arbeitskollegin trotz deren ausdrücklicher Bitte,
sie nur mit ihrem Namen anzureden sowie Ihr aggressives Verhalten gegen einen Arbeitskollegen
(Schulterklaps) können nicht toleriert werden.
In Zukunft erwarte ich von Ihnen, dass Sie solche Verhaltensweisen wie geschildert gegenüber
Arbeitskollegen unterlassen.
Hiermit mache ich Sie darauf aufmerksam, dass ich in Zukunft gleiches oder ähnliches Fehlverhalten nicht
mehr hinnehmen werde. Sollte sich ein ähnlicher Vorfall wie der oben beschriebene wiederholen, ist Ihr
Beschäftigungsverhältnis gefährdet. …".
Im neuerlichen Berufungsverfahren verfolgt die Beklagte ihren Auflösungsantrag weiter. Zur Begründung
des Auflösungsantrages führt die Beklagte (insbesondere im Schriftsatz vom 26.01.2009, Bl. 169 ff. d.A.)
u.a. wie folgt aus:
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt A., habe dem (damals) zuständigen
Personalreferenten Dr. C. vorgeworfen, er sei ein "Rassist". Dies sei im Kammertermin vom 14.08.2008
vor dem Arbeitsgericht geschehen. Rechtsanwalt A. habe damals noch geäußert, dass der
Personalreferent unter Zuhilfenahme von fadenscheinigen Gründen Fälle aufbaue, um "Schwarzen aus
Afrika kündigen zu können". Dass es zum Ausspruch einer Kündigung gekommen sei, liege - so die
Äußerung von RA A. - alleine an der "rassistischen Vorurteilsstruktur" des Personalreferenten. Dieser - so
RA A. - kündige Arbeitnehmern, auch wenn sie vorbildlich gehandelt hätten und in keiner Weise ihre
Arbeitsverträge verletzt hätten, nur weil sie aus Schwarzafrika kämen. Die Beklagte verweist darauf, dass
bei den US-Stationierungsstreitkräften als Militärangehörige und im zivilen Gefolge der Truppe im großen
Umfang Personen beschäftigt werden, die einer - auch ethnischen - Minderheit angehören. Das US-Militär
verfolge rassistische Verhaltensmuster mit Nachdruck. Entsprechend verhalte es sich bei den
Zivilbeschäftigten der US-Stationierungsstreitkräfte in Deutschland. Der Vorwurf von Rechtsanwalt A. - so
macht die Beklagte geltend -, die US-Stationierungsstreitkräfte würden an maßgeblichen Stellen
"Rassisten" beschäftigen, berühre daher das Selbstverständnis dieses Arbeitgebers, so dass eine
gedeihliche Zusammenarbeit für die Zukunft nicht mehr zu erwarten sei.
Ergänzt und vertieft hat die Beklagte die Begründung ihres Auflösungsantrages im Schriftsatz vom
15.02.2011 (Bl. 305 ff. d.A.), worauf ebenfalls verwiesen wird. Die Beklagte geht dort auch auf den Fall des
C. A. ein, stellt den Verlauf des Kammertermins am 14.08.2008 sowie die von ihr behaupteten
Äußerungen des RA A. dar und führt zu dem Zielobjekt der behaupteten verbalen Angriffe des RA A. aus
sowie zur Verbreitung des Rassismus-Vorwurfs nach dem Kammertermin und der Reaktion von RA A. (s.
dazu im Einzelnen die S. 2 bis 5 - oben - des Schriftsatzes vom 15.02.2011).
Erweiternd stützt die Beklagte den Auflösungsantrag zuletzt auch darauf, dass eine gedeihliche
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deswegen nicht zu erwarten sei, weil der Kläger erneut während der
Arbeitszeit gegenüber einer Frau auffällig geworden sei. In diesem Zusammenhang führt die Beklagte auf
den Seiten 5 und 6 des Schriftsatzes vom 15.02.2011 zum Kündigungssachverhalt und zu Vorfällen
sexueller Belästigung aus, die nach den Behauptungen der Beklagten (zeitlich) vor dem
Kündigungssachverhalt gelegen haben. Hierauf wird verwiesen.
Soweit es um von der Beklagten behauptete Auffälligkeiten des Klägers nach dem
Kündigungssachverhalt geht, bringt die Beklagte insbesondere vor:
Der Vortrag des Klägers, dass seit der (am 29.06.2009 erfolgten) Wiederaufnahme der Arbeit "nicht die
geringsten Probleme zwischen den Arbeitsvertragsparteien aufgetreten" seien, sei falsch. Dazu führt die
Beklagte unter Wiedergabe des Sachverhalts, der in der Abmahnung vom 17.12.2009 dargestellt wird,
weiter aus (Bezeichnung der Arbeitskollegin M. A. C. als bzw. mit "Hey Mammacita"; gegen den
Arbeitskollegen B. O. gerichteter Schlag bzw. "Klaps").
Die Beklagte würdigt das von ihr vorgetragene Geschehen so, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit für
die Zukunft nicht zu erwarten sei. Wegen der diesbezüglichen Darlegungen im Einzelnen wird auf die
Seiten 7 bis 9 des Schriftsatzes vom 15.02.2011 Bezug genommen. Dort bringt die Beklagte u.a. auch vor,
dass es in einem Fall der vorliegenden Art Sache des Arbeitnehmers sei vorzutragen, weshalb er sich
Parteivortrag seines Prozessbevollmächtigten nicht zu eigen gemacht habe oder dass er sich hiervon
nachträglich distanziert habe. Dies habe - so bringt die Beklagte vor - der Kläger nicht getan. Die Beklagte
bestreitet mit Nichtwissen, dass sich der Kläger tatsächlich von den Äußerungen seines
Prozessbevollmächtigten distanzieren wolle. Hiergegen spreche, dass er an ihm auch dann festgehalten
habe, als der Auflösungsantrag gestellt worden sei. Der Kläger habe - was unstreitig ist - sich auch im
Revisionsverfahren (- 2 AZR 297/09 -) von RA A. als Prozessbevollmächtigtem vertreten lassen. Eine
Distanzierung sei mithin nicht zu erkennen.
Auch was den Umgang des Klägers mit Frauen anbelange, müsse die Arbeitgeberin befürchten, dass der
Kläger auch in Zukunft den natürlichen Abstand zu einem weiblichen Kunden oder zu Arbeitskolleginnen
breche und es zu damit verbundenen Störungen des Betriebsfriedens bzw. der Kundschaft komme.
Eine gedeihliche Zusammenarbeit sei - so bringt die Beklagte weiter vor - auch nicht etwa dadurch zu
erwarten, dass ein Prozessbeschäftigungsverhältnis angeboten worden sei. (Auch) dazu führt die
Beklagte weiter aus (S. 9 des Schriftsatzes vom 15.02.2011).
Die Beklagte beantragt,
das Arbeitsverhältnis des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts
gestellt wird, zum 30.09.2008 aufzulösen.
Der Kläger beantragt,
den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Der Kläger ist dem Auflösungsantrag der Beklagten nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in den
Schriftsätzen vom 20.12.2010 (Bl. 273 ff. d.A.) und vom 04.03.2011 (Bl. 328 ff. d.A.), worauf jeweils
verwiesen wird, entgegengetreten.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die einzelnen
Sitzungsniederschriften sowie auf die von den Parteien vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Arbeitgebers, den die in Prozessstandschaft handelnde Beklagte für diesen gestellt hat, ist unbegründet.
Die Beklagte stützt den Auflösungsantrag auf die Tatsachen, die sie in den Schriftsätzen vom 26.01.2009
und vom 15.02.2011 vorgetragen hat. Einer Beweiserhebung über diese Tatsachen bedurfte es nicht.
Unterstellt man den entsprechenden Tatsachenvortrag der Beklagten als richtig, führt dies gleichwohl
nicht zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die von der Beklagten vorgetragenen
Umstände konnten (jedenfalls) am 15.03.2011 nicht mehr als hinreichend gravierend im Sinne des § 9
Abs. 1 KSchG gewertet werden. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ließ sich eine schwere
Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses weder feststellen noch prognostizieren. Dazu im Einzelnen:
1.
14.08.2008:
Die zutreffende Auslegung und Anwendung des § 9 Abs. 1 KSchG ergibt, dass
- sollte das diesbezügliche, vom Kläger bestrittene Vorbringen der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht
zutreffen - die von der Beklagten behaupteten Tatsachen nicht von vornherein als Auflösungsgründe
ausscheiden. Der (behauptete) Vorwurf, die Kündigungsentscheidung beruhe auf rassistischen Motiven
und es sei dem (damaligen) Personalreferenten nur darum gegangen, Schwarzafrikanern kündigen zu
können, ist beleidigend und gerade angesichts der Personalstruktur bei den US-Streitkräften als schwere
Beeinträchtigung der Vertrauensgrundlage anzusehen. Der (noch) im Urteil vom 03.02.2009 - 3 Sa 643/08
- vertretenen Auffassung, nur ein vom Arbeitnehmer veranlasstes Verhalten seines
Prozessbevollmächtigten könne als Auflösungsgrund herangezogen werden (vgl. APS/Biebl 3. Aufl.
KSchG § 9 Rz 66; KR/Spilger 9. Aufl. KSchG § 9 Rz 56) folgt die Berufungskammer gemäß § 563 Abs. 2
ZPO nicht mehr.
Zugunsten der Beklagten unterstellt die Berufungskammer, dass die Beklagte behaupten will, dass der
Kläger die fraglichen Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten vom 14.08.2008 verstanden habe.
Freilich bestehen diesbezüglich Zweifel. Diese Zweifel rühren daher, dass es sich bei dem Kläger um
einen Ausländer handelt, der nach seinen unwidersprochenen Erklärungen im Termin vom 15.03.2011 (=
S. 2 der Sitzungsniederschrift = Bl. 336 d.A.) sich sowohl bei der Arbeit als auch in seiner Freizeit der
englischen Sprache bedient. Da nicht dargetan ist, wann und wie im Einzelnen der Kläger die deutsche
Sprache erlernt hat, erscheint es fraglich, ob der Kläger den von der Beklagten behaupteten Vortrag des
Prozessbevollmächtigten des Klägers im Kammertermin vom 14.08.2008 tatsächlich so verstanden hat,
dass er hinreichende Veranlassung hatte, sich davon zu distanzieren. Ausreichender Vortrag dazu,
weshalb der Kläger die fraglichen Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten doch hätte verstehen
können, lassen sich weder dem Schriftsatz der Beklagten vom 26.01.2009 noch dem Schriftsatz vom
15.02.2011 entnehmen. Den damit verbundenen Fragen muss deswegen nicht weiter nachgegangen
werden, weil sich der Kläger jedenfalls im Berufungsverfahren von den beleidigenden Äußerungen seines
Prozessbevollmächtigten - sollten sie denn so erfolgt sein - distanziert hat. Die entsprechende
Distanzierungs-Erklärung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausweislich der
Sitzungsniederschrift vom 25.01.2011 - 3 Sa 618/10 - (dort S. 2 = Bl. 285 d.A.) im Termin vom 25.01.2011
für den Kläger abgegeben. Die Abgabe dieser Erklärung ist durch die genannte Sitzungsniederschrift
urkundlich belegt, - sie kann von der Beklagten nicht erfolgreich mit Nichtwissen bestritten werden.
Ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger habe diese Erklärung nur aus
prozesstaktischen Gründen oder nicht ernst gemeint abgeben lassen, sind nicht gegeben. Ein
entsprechender Anhaltspunkt ist nicht allein in dem Umstand zu sehen, dass die beleidigenden
Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 14.08.2008 erfolgt sind bzw. erfolgt
sein sollen, - wohingegen die Distanzierungserklärung erst am 25.01.2011 abgegeben worden ist.
Insoweit ist zu beachten, dass im Berufungsurteil vom 03.02.2009 - 3 Sa 643/08 - die auch in den
Standardkommentaren zum Kündigungsschutzgesetz (APS/Biebl und KR-Spilger jeweils aaO.) geäußerte
Auffassung vertreten worden ist, (ohnehin) könne nur ein vom Arbeitnehmer veranlasstes Verhalten
seines Prozessbevollmächtigten als Auflösungsgrund herangezogen werden und dass der Kläger keine
Veranlassung gehabt habe, sich von Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten zu distanzieren. In
tatsächlicher Hinsicht ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass der Kläger die (nach dem Vortrag
der Beklagten) beleidigenden Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten nicht veranlasst hat. Es kann
vorliegend gerade nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger bewusst seines
Prozessbevollmächtigten im Prozess bedient hätte, um den Arbeitgeber durch unfaire und herabsetzende
Erklärungen anzugreifen und sich gleichzeitig hinter seinem Prozessbevollmächtigten zu verstecken. So
ist der vorliegende Sachverhalt - legt man das Vorbringen der Beklagten zugrunde - nicht beschaffen. Die
Distanzierungserklärung hat der Kläger nach erfolgter Zurückverweisung der Sache im ersten
Berufungsverhandlungs-Termin abgeben lassen. Dies war unter den gegebenen Umständen
ausreichend. Die Distanzierungserklärung ist auch nicht etwa deswegen wertlos, weil der Kläger seinen
Anwalt nicht "gewechselt" hat. Zwar kann der Arbeitnehmer sich auch dadurch von bestimmten
Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten distanzieren bzw. eine Distanzierung zusätzlich bekräftigen,
dass er sich einen neuen Anwalt "nimmt". Unbedingt notwendig ist dies in einem Fall der vorliegenden Art
jedoch nicht.
Demgemäß ist die Distanzierungserklärung vom 25.01.2011 im Rahmen der gemäß § 9 Abs. 1 KSchG
gebotenen Vorausschau zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen. Die Beantwortung der Frage, ob
aufgrund der Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.08.2008 keine den
Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den US-Streitkräften und dem Kläger zu
erwarten ist, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung bzw. einer Würdigung im Rahmen einer
Gesamtabwägung vorzunehmen. Bei der in diesem Rahmen anzustellenden Vorausschau hat die
Berufungskammer - abgestellt auf den 15.03.2011 - insbesondere auch geprüft, ob und inwieweit eine
beeinträchtigte bzw. erschütterte Vertrauensgrundlage sich auf das Austauschverhältnis auswirkt oder
auszuwirken droht. Eine derartige Auswirkung ist zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist (auch) auf
die hierarchische Stellung des Klägers im Betrieb/in der Dienststelle Bedacht zu nehmen sowie darauf,
dass der Zeuge Dr. C., gegen den sich nach dem Vortrag der Beklagten die Äußerungen des
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.08.2008 gerichtet haben, unstreitig eine berufliche
Veränderung erfahren hat. (Bereits) seit dem 01.09.2008 ist Dr. C. nicht mehr Personalreferent, sondern
Angestellter im Pressebüro des (US-)Flugplatzes R. (Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit der US-Streitkräfte).
Konfliktsituationen - wie am 14.08.2008 - sind deswegen nicht mehr zu befürchten.
Abgesehen davon musste der Kläger als Ladengehilfe eines Supermarktes bereits vor dem 01.09.2008
nicht mit dem Zeugen Dr. C. zusammenarbeiten, - und zwar weder tagtäglich noch überhaupt. Der Kläger
musste als Ladengehilfe in einem "DeCA"-Supermarkt keineswegs regelmäßig mit Repräsentanten oder
vergleichbaren Personen der US-Streitkräfte zusammenarbeiten. Die tatsächliche Arbeit des Klägers
vollzog und vollzieht sich in dem Alltag eines Supermarktes. Bei der faktischen Durchführung des
Arbeitsverhältnisses, also im Austauschverhältnis, hatte bzw. hat der Kläger in der Regel ohnehin - sieht
man einmal von der Marktleiterin T. ab - mit keinem weiteren, höheren Amtsträger der Dienststelle D. EU
bzw. der US-Streitkräfte zu tun (vgl. dazu das Vorbringen der Beklagten auf S. 6 der Klageerwiderung = Bl.
24 d.A.). In ähnlicher Weise ist nicht ersichtlich, dass es künftig zu Konfliktsituationen im Verhältnis "Dr.
C./RA A." kommen könnte.
Im Rahmen der Vorausschau, die die Berufungskammer aufgrund der gebotenen Gesamtbetrachtung
bzw. Gesamtabwägung vorgenommen hat, wurde weiter berücksichtigt, dass es sich bei den streitigen
Äußerungen vom 14.08.2008 um einen singulär-einmaligen Vorgang ("Rassismusvorwurf") gehandelt hat,
der sich so oder so ähnlich nach dem damaligen Kammertermin nicht wiederholt hat. Weder der Kläger
noch der Prozessbevollmächtigte des Klägers haben in der Folgezeit Rassismusvorwürfe erhoben. (Auch)
insoweit vermag die Berufungskammer keine entsprechende Wiederholungsgefahr zu erkennen. Soweit
Vertrauen beeinträchtigt war, ist dieses dadurch wiederhergestellt worden, dass der Kläger seit dem
29.06.2009 tatsächlich auf seinem Arbeitsplatz im D.-Supermarkt V. beschäftigt wird. Maßgeblich ist in
diesem Zusammenhang nicht, ob die für den Arbeitgeber handelnden Personen subjektiv noch
hinreichendes Vertrauen in den Kläger haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie es aus der Sicht eines
objektiven Betrachters haben müssten. Insoweit wäre ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber
nach Ablauf eines so langen Zeitraumes zwischen dem 14.08.2008 und dem 15.03.2011 in der Lage,
Abstand zu solchen Äußerungen, wie sie die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Last
legt, zu gewinnen. Der Beginn der Prozessbeschäftigung ist mit dem 29.06.2009 als unstreitig anzusehen.
Zwar ist die Prozessbeschäftigung in der Zeit zwischen dem 16.12.2010 und dem 13.02.2011
vorübergehend unterbrochen gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass eine zeitlich längere Unterbrechung
gegeben gewesen wäre, lassen sich nicht feststellen. Die genannte, nur vorübergehende Unterbrechung
ist deswegen nicht geeignet, die eben aufgezeigte Wiederherstellung der Vertrauensgrundlage
durchgreifend in Zweifel zu ziehen, - zumal der Kläger am 25.01.2011 die oben erwähnte
Distanzierungserklärung hat abgeben lassen.
Wie das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09 - (erneut) betont hat, - setzt die
gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers die Prognose einer (- hier
nicht gegebenen -) schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus (BAG 09.09.2010 - 2
AZR 482/09 - juris Rz 24; vgl. auch BVerfG 22.10.2004 - 1 BvR 1944/01 - juris Rz 26, wonach eine
Auflösung nach § 9 KSchG nur ausnahmsweise in Betracht kommt und an die Auflösungsgründe strenge
Anforderungen zu stellen sind).
2.
darauf stützen, dass das Verhalten des Klägers im Umgang mit Frauen eine gedeihliche Zusammenarbeit
nicht erwarten lasse. Zwar kann sich der Arbeitgeber bzw. hier die Beklagte als Prozessstandschafterin
zur Begründung des Auflösungsantrages an sich auch auf solche Gründe berufen, mit denen zuvor -
erfolglos - die ausgesprochenen Kündigungen begründet wurden. Die Kündigungen vom 25.03.2008 und
vom 03.04.2008 sind rechtsunwirksam und haben das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufgelöst. Dies
steht rechtskräftig fest. In einem derartigen Fall muss der Arbeitgeber bzw. hier die Beklagte zusätzlich
greifbare Tatsachen dafür vortragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht
rechtfertigt, gleichwohl so beschaffen ist, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten
lässt (BVerfG aaO.). Die Tatsachen, die die Beklagte insoweit ergänzend vorgetragen hat ("vor dem
Kündigungssachverhalt liegende Vorfälle" und "Auffälligkeiten des Klägers nach dem
Kündigungssachverhalt") sind nicht so beschaffen, dass deswegen die Prognose einer schweren
Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses gerechtfertigt wäre. Das Geschehen vom 01.12.2009
erlaubt auch in Verbindung mit den fraglichen Äußerungen vom 14.08.2008 sowie mit dem Sachverhalt
der zu den Kündigungen vom 25.03.2008 und vom 03.04.2008 geführt hat, letztlich noch keine negative
Vorausschau im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG. Das Verhalten des Klägers lässt noch keine sicheren
Rückschlüsse darauf zu, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen dem
Kläger und seinem Arbeitgeber sei nicht zu erwarten. Dies hat erkennbar auch der Arbeitgeber bzw. die
Dienststelle so gesehen, denn der Arbeitgeber hat das Prozessbeschäftigungsverhältnis mit dem Kläger
im Dezember 2009 nicht etwa beendet, - vielmehr wurde die Prozessbeschäftigung des Klägers -
abgesehen von der oben erwähnten, vorübergehenden Unterbrechung - fortgesetzt, wobei dem Kläger
allerdings die Abmahnung vom 17.12.2009 erteilt wurde. Der objektive Erklärungswert dieses Verhaltens
des Arbeitgebers (Ausspruch der Abmahnung vom 17.12.2009 und Fortsetzung der
Prozessbeschäftigung) liegt darin, dass der Arbeitgeber durch die Abmahnung seine Einschätzung zum
Ausdruck gebracht hat, das künftige Verhalten des Klägers könne durch die in der Abmahnung erfolgte
Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden. Diese
Einschätzung teilt die Berufungskammer. Die im Rahmen des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG erforderliche
negative Vorausschau lässt sich nicht bejahen.
II.
Der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.
Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann nach näherer Maßgabe des § 72a
ArbGG und unter den dort genannten Voraussetzungen selbständig durch Beschwerde angefochten
werden.
Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt oder
Bundesarbeitsgericht, Postfach, 99113 Erfurt, Telefaxnummer: 0361/26 36 - 2000 einzulegen. Darauf wird
die Beklagte hingewiesen.