Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 28.06.2005

LArbG Mainz: stadt, arbeitsgericht, beendigung, form, tarifvertrag, anfang, erlass, interessenabwägung, abfindungsbetrag, arbeitsrecht

LAG
Mainz
28.06.2005
2 Sa 213/05
Aufklärungspflicht des (öffentlichen) Arbeitgebers
Aktenzeichen:
2 Sa 213/05
7 Ca 2716/04
ArbG Ludwigshafen
Entscheidung vom 28.06.2005
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14.01.2005 - 7 Ca
2716/04 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um einen Schadensersatzanspruch.
Die schwerbehinderte Klägerin mit einem GdB von 60 war von 1965 bis zum 11.09.2004 halbtags im
Schreibdienst (Vergütungsgruppe VII BAT) beim Berufsförderungsdienst des Kreiswehrersatzamtes K. als
Angestellte beschäftigt. Sie war eingesetzt in der Dienststelle in A-Stadt/Weinstraße. Schon anfangs des
Jahres 2002 zeichnete sich ab, dass der in A-Stadt angesiedelte Berufsförderungsdienst in der bisherigen
Form nicht aufrechterhalten bleibt. Mit Erlass vom 11.09.2003 ordnete der C. an, dass der
Berufsförderungsdienst in A-Stadt zum 01.10.2003 aufgelöst wird. Nachdem bereits Ende 2002 / Anfang
2003 verschiedene Beamte dieser Beschäftigungsbehörde aus A-Stadt weg versetzt worden waren, führte
die Klägerin am 22.08.2003 ein Personalgespräch, in dem es um Veränderungen ihres
Arbeitsverhältnisses gegangen ist. Gegenstand des Personalgesprächs waren Fragen der Altersteilzeit
und die Anwendung einer so genannten Härtefallregelung nach dem "Tarifvertrag über sozialverträgliche
Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr (TV UmBw)". Unstreitig
wurde in diesem Gespräch nicht über die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen
Zahlung einer Abfindung gesprochen, was nach § 9 TV UmBw allerdings nur bis zur Vollendung des 58.
Lebensjahres des dem Tarifvertrag unterworfenen Arbeitnehmers möglich ist. Im Anschluss an das
Personalgespräch wechselten die Parteien mehrere Schreiben, in denen die Klägerin über die
Anwendung der Härtefallregelung oder die Fortführung des Arbeitsverhältnisses als Altersteilzeitverhältnis
nähere Informationen erhalten hat.
Mit Schreiben vom 25.03.2004 (Bl. 74 d.A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit,
" aufgrund des Wegfalls meines Arbeitsplatzes beim BFD A-Stadt, habe ich mich nunmehr endgültig
entschlossen, mit einer Abfindung mein Arbeitsverhältnis zu beenden.
Ich bitte Sie deshalb, mir auf der Basis meiner aktuellen Vergütungsbescheinigung März´04 - Bruttogehalt:
1.189,23 € die Höhe meiner Abfindung auszurechnen."
In der Folgezeit wechselten die Parteien unter dem 02.04.2004, 26.04.2004 und 27.04.2004 (Bl. 75 - 77
d.A.) weitere Schreiben, auf deren Inhalt hiermit Bezug genommen wird. Die Beklagte übersandte der
Klägerin sodann unter dem 10.05.2004 einen vorbereiteten Auflösungsvertrag, den die Klägerin am
17.05.2004 unterschrieben an die Standortverwaltung Zweibrücken zurückgeschickt hat (Bl. 78 - 81 d.A.).
Mit Schreiben vom 24.05.2004 bat die Klägerin um die Ausfüllung eines beigefügten Formulars für die
Agentur für Arbeit mit dem Hinweis, sie habe mit dieser Stelle Verbindung aufgenommen, um sich über
eine eventuelle Zahlung von Arbeitslosengeld zu informieren.
Im Hinblick auf den Abschluss eines Auflösungsvertrages und die Nichteinhaltung der tariflich längst
möglichen Kündigungsfrist ruhte der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Arbeitslosengeld bis zum
28.01.2005.
Im vorliegenden Verfahren ist die Klägerin der Auffassung, die Beklagte sei ihr zum Ersatz des durch den
verspäteten Bezugs von Arbeitslosenunterstützung eingetretenen Schadens verpflichtet, weil die Beklagte
ihrer Informations- und Aufklärungspflichten nicht nachgekommen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.688,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie leugnet eine Schadensersatzverpflichtung, weil es Sache der Klägerin gewesen sei, sich selbst über
die Modalitäten des Bezuges von Arbeitslosenunterstützung mit möglichen Anrechnungstatbeständen und
Ruhezeiträumen zu informieren.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14.01.2005, auf dessen Tatbestand zur näheren
Sachverhaltsdarstellung hiermit Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. In den
Entscheidungsgründen hat es angegeben, die Beklagte habe keine Verstöße gegen
schadensersatzbegründende Unterrichtungspflichten begangen. Auch scheide ein
Schadensersatzanspruch aus, weil die Beklagte bei Abschluss des Aufhebungsvertrages die Klägerin
nicht über mögliche negative Konsequenzen in Bezug auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit
aufgeklärt habe. Es wäre Sache der Klägerin selbst gewesen, sich über die näheren Modalitäten in ihrem
konkreten Falle bei der Bundesagentur selbst zu informieren. Dies habe sie erst dann unternommen, als
sie den Auflösungsvertrag unterzeichnet hatte. Das auf ihre eigene Initiative zurückgehende
Abfindungsangebot der Beklagten habe ihr genügend Überlegungszeit eingeräumt, um sich über
eventuelle negative Konsequenzen zu informieren. Zur näheren Darstellung der Entscheidungsgründe
wird hiermit auf die Seiten 8 - 13 dieses Urteils Bezug genommen.
Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese in gleicher Weise
begründet.
Nach Auffassung der Klägerin habe das Arbeitsgericht die Sach- und Rechtslage nicht zutreffend beurteilt.
Es habe unberücksichtigt gelassen, dass sie als Laie nach nahezu 40-jähriger Dienstzugehörigkeit habe
darauf vertrauen dürfen, dass sie von dem öffentlichen Arbeitgeber umfassend aufgeklärt werde. Wäre ihr
bewusst gewesen, dass sie Nachteile bei der Arbeitslosenunterstützung erleide, hätte sie keinen
Auflösungsvertrag mit einer Abfindungszahlung unterzeichnet.
Die Klägerin wiederholt im Berufungsverfahren ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, das die Sach- und Rechtslage zutreffend beurteilt habe. Ein
Verstoß gegen eine Unterrichtungspflicht habe nie vorgelegen. Gegenstand des Personalgespräches
seien allein Fragen der Altersteilzeit und der Anwendung der Härtefallregelung gewesen. Erst als die
Klägerin von sich aus definitiv erklärte, sie wolle gegen Zahlung einer Abfindung ausscheiden, sei sie
auch hierüber aufgeklärt worden. Angesichts der mehrwöchigen Korrespondenz sei sie davon
ausgegangen, dass sich die Klägerin ausreichend über den Bezug von Arbeitslosenunterstützung selbst
informiert habe.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zur
Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor
dem Berufungsgericht waren sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung der Klägerin wurde insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und in gleicher Weise begründet und erweist sich auch sonst als zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Klage
abgewiesen, weil die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch im Streitfalle nicht gegeben
sind. Dies hat das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen seines angefochtenen Urteils zutreffend
festgestellt. Das Berufungsgericht folgt den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, stellt dies
hiermit ausdrücklich fest und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zur Vermeidung eines doppelten
Schriftwerkes von der erneuten Darstellung dieser Entscheidungsgründe ab. Im Hinblick auf den Verlauf
des Berufungsverfahrens sind folgende Ergänzungen angezeigt:
Wie schon das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen hat, beruhen
Hinweis- und Aufklärungspflichten der Vertragspartner auf den besonderen Umständen des Einzelfalles
und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Dabei gilt der Grundsatz, dass jeder
Vertragspartner selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen hat. Daher dürfen auch die
vertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten nicht überspannt werden. Hinweis- und Aufklärungspflichten
können vor allem dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber einen Vertrauenstatbestand oder durch sein
früheres Verhalten eine Gefahrenquelle geschaffen hat. Je größer das beim Arbeitnehmer erweckte
Vertrauen ist oder je größer, atypischer und schwerer erkennbar die Gefahrenquellen für den
Arbeitnehmer sind, desto eher treffen den Arbeitgeber Informationspflichten und desto weitreichender sind
sie (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. NZA 1988, 837, NZA 2001, 206, NZA 2002,1152).
Informationspflichten des Arbeitgebers können insbesondere dann entstehen, wenn der Arbeitgeber
erkennen kann, dass der jeweilige Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation etwa mit den Gefahren des
Abschlusses eines Aufhebungsvertrages überfordert ist und etwa betriebsrentenrechtliche oder
sozialversicherungsrechtliche Gefahren nicht abschätzen kann und auch nicht in der Lage ist, sich
innerhalb angemessener Zeit hierüber ausreichende rechtliche Klarheit zu verschaffen.
An einem derartigen Vertrauenstatbestand oder dem Vorliegen einer besonderen Gefahrenquelle fehlt es
vorliegend.
Nach der Behauptung der Klägerin sei schon anfangs des Jahres 2002 klar gewesen, dass der
Berufsförderungsdienst in der bisherigen Form mit dem Dienstsitz in A-Stadt/Weinstraße nicht weiter
aufrechterhalten wird. Veränderungen zeichneten sich allein schon dadurch ab, dass Ende 2002/Anfang
2003 Beamte aus diesem Dienstbereich versetzt wurden und dieser Dienstbereich personell ausgedünnt
wurde. Dass in solch einem Umfeld Gerüchte und Spekulationen darüber, wie es mit dem Dienstbetrieb
weitergeht, üppig geblüht haben, ist dem Sachvortrag der Parteien, insbesondere dem der Klägerin zu
entnehmen und entspricht auch allgemeiner Lebenserfahrung. Diesem Umstand hat die Klägerin
Rechnung getragen, in dem sie bereits zu einem Zeitpunkt um ein Personalgespräch am 22.08.2003
nachgesucht hat, als der endgültige Erlass zur Schließung des Berufsförderungsdienstes in A-Stadt durch
den C. vom 11.09.2003 noch nicht bekannt war. Bei diesem Personalgespräch ging es nach dem
unbestrittenen Sachvortrag der Parteien um die Fortführung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines
Altersteilzeitverhältnisses bzw. um die Anwendung der "Härtefallregelung". Letztere ist in § 11 TV UmBw
enthalten. Nach der Aktennotiz des Gesprächspartners der Klägerin vom 11.09.2003 (Bl. 66 d.A.) zeigte
sich die Klägerin an diesen beiden Lösungsmöglichkeiten interessiert. Dies deutet darauf hin, dass sich
die Klägerin mit den Regelungen des TV UmBw beschäftigt haben musste, ansonsten hätte eine
Härtefallregelung, die es im allgemeinen Arbeitsrecht als solche nicht gibt, nicht Gesprächsgegenstand
sein können. In dem sich anschließenden Schriftwechsel der Parteien ging es auch nur um diese beiden
Modelle. Erstmals mit Schreiben vom 25.03.2004 erklärte die Klägerin sodann von sich aus mit
Entschiedenheit, sie habe sich "nunmehr endgültig entschlossen, mit einer Abfindung mein
Arbeitsverhältnis zu beenden". In dem Schreiben der Standortverwaltung Zweibrücken vom 02.04.2004
(Bl. 75 d.A.) wurde die Klägerin dann noch einmal ausdrücklich auf § 9 TV UmBw hingewiesen und u.a.
darüber aufgeklärt, dass der Abfindungsbetrag sozialabgabenfrei aber einkommensteuerpflichtig mit
einem Freibetrag für die Klägerin in Höhe von 11.000,-- € sei. Obwohl in diesem Schreiben zum
Beendigungszeitpunkt keine Angaben enthalten waren, hat die Klägerin sodann in ihrem
Antwortschreiben vom 26.04.2004 von sich aus angegeben, sie nehme das Angebot des Arbeitgebers an
und sie "möchte bis 12.09.2004 (Beendigung meines 58. Lebensjahres) arbeiten". Die Klägerin zeigte
sich somit in der Sache informiert; zumindest konnte die Beklagte aus ihrer Sicht davon ausgehen, dass
sich die Klägerin auch mit den Modalitäten des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages hinreichend
vertraut gemacht hatte. Hierfür sprach auch, dass die Klägerin den ihr von der Beklagten zugeleiteten
Entwurf eines Auflösungsvertrages umgehend unterzeichnet zurückgeschickt hat, obwohl sie ausdrücklich
darauf hingewiesen wurde, sie habe 6 Wochen Zeit zur Unterzeichnung des Vertrages, um in den Genuss
des erhöhten Abfindungsbetrages zu kommen. Die Klägerin erhielt dann eine Abfindung in Höhe von
23.955,20 €, was rund 20 Bruttomonatsverdiensten der Klägerin entsprochen hat. Aus der Sicht der
Beklagten bestand in dieser Situation keine Notwendigkeit, die Klägerin über die rund 4 ½-monatige
Sperr- bzw. Ruhenszeit bei dem Bezug von Arbeitslosenunterstützung hinzuweisen.
Auf den weitergehenden Sachvortrag der Klägerin bezüglich einer Verletzung von Aufklärungs- und
Hinweispflichten, die kausal für den von ihr geltend gemachten Schaden waren, bestand weder für das
Arbeitsgericht noch für das Berufungsgericht Veranlassung, hierauf näher einzugehen, weil das
Klagebegehren hierauf offensichtlich nicht gestützt werden kann. So hat die Klägerin etwa selbst nicht
behauptet, es sei ihr unmöglich gewesen, an die tariflichen Bestimmungen des TV UmBw
heranzukommen, um sich etwa über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer
Abfindung informieren zu können. Im Übrigen sind in diesem Tarifvertrag auch keine
sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages enthalten. Für
die Beklagte bestand auch keine Veranlassung, auf alle möglichen denkbaren Verästelungen bei den
jeweiligen Konstruktionen generell und im Vorfeld hinzuweisen angesichts der völlig unterschiedlichen
Gegebenheiten und Ausgangslagen der jeweiligen Arbeitnehmer. Die Beklagte konnte davon ausgehen,
dass die Klägerin ein Mindestmaß an Eigeninitiative zum Kundigmachen von Bezug von Arbeitslosengeld
bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entwickelt.
Nach alledem war die unbegründete Berufung der Klägerin gegen das zutreffende Urteil des
Arbeitsgerichts mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Revision konnte angesichts der gesetzlichen Kriterien von § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zugelassen
werden.