Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 31.07.2008

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, arbeitsgericht, juristische person, fahrtenschreiber, wider besseres wissen, ehre, abmahnung, meinungsfreiheit, ruf, zuhörer

LAG
Mainz
31.07.2008
10 Sa 169/08
verhaltensbedingte Kündigung - Rufschädigung - Meinungsäußerungsfreiheit.
Aktenzeichen:
10 Sa 169/08
5 Ca 847/07
ArbG Mainz
- AK Bad Kreuznach -
Urteil vom 31.07.2008
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad
Kreuznach - vom 17. Januar 2008,
Az.: 5 Ca 847/08, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28.06. zum
30.09.2007.
Der Kläger ist am 29.03.1955 geboren, geschieden und Vater von zwei unterhaltsberechtigten Kindern im
Alter von 16 und 19 Jahren. Er ist seit dem 14.06.1999 bei der Beklagten beschäftigt. Er war ursprünglich
im Kundendienst tätig. Seit September 2006 wird er als gehobener Facharbeiter im Bereich Giebelbau in
der Produktion zu einer Bruttomonatsvergütung von ca. € 3.043,00 eingesetzt. Die Beklagte ist
Rechtsnachfolgerin der Fa. M.-A. Sie produziert und vertreibt Fertighäuser der Marken „M.“ und „A.“. Sie
beschäftigt am Standort Simmern ca. 350 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.
Die Beklagte hatte dem Kläger mit Schreiben vom 27.12.2006 zum 28.02.2007 u. a. wegen häufiger
krankheitsbedingter Fehlzeiten gekündigt. Deshalb war vor dem Arbeitsgericht der Rechtsstreit 5 Ca 39/07
anhängig. Das Arbeitsgericht hat mit rechtskräftigem Urteil vom 06.09.2007 der Kündigungsschutzklage
stattgegeben.
In diesem Vorprozess hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 05.04.2007 folgende
Behauptung aufgestellt:
„Bei M. werden (systematisch und regelmäßig) die Fahrtenschreiber der Kundendienstfahrzeuge
manipuliert“.
Die Verwendung der erstinstanzlich noch unstreitigen Adjektive „systematisch und regelmäßig“ bestreitet
der Kläger zweitinstanzlich.
Seine häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten begründete der Kläger im Vorprozess mit der Erklärung,
er sei
„aufgrund der akuten Mobbingsituation im Betrieb stark belastet“.
Wegen dieser Erklärungen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.06.
ordentlich zum 30.09.2007. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 02.07.2007
beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen weiterer Einzelheiten von einer nochmaligen
Darstellung des erstinstanzlichen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens gemäß
§ 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts (dort S. 2-8 =
Bl. 62-68 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten vom 28.06.2007 erklärte
Kündigung nicht zum 30.09.2007 aufgelöst wird,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet,
vielmehr zu unveränderten Bedingungen über den 30.09.2007 hinaus fortbesteht,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen über den 30.09.2007 hinaus weiter zu
beschäftigen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.01.2008 der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die
Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für sozial
ungerechtfertigt erachtet. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die
Äußerung des Klägers im Kammertermin vom 05.04.2007, er sei "aufgrund der akuten Mobbingsituation
im Betrieb stark belastet" habe unstreitig der Darlegung der Krankheitsursachen im Vorprozess gedient,
der eine krankheitsbedingte Kündigung zum Streitgegenstand hatte. Der Kläger habe die - aus seiner
subjektiven Sicht - bestehenden Gründe für seine Arbeitsunfähigkeit dargestellt und einen bei ihm
vorhandenen Gefühlszustand behauptet, der naturgemäß durch subjektive Wahrnehmungen und
Empfindungen eines Menschen bestimmt werde. Dies müsse ihm im Rahmen eines
Kündigungsschutzverfahrens, in dem es um Kündigungsgründe gehe, die er im Zusammenhang mit einer
Mobbingsituation sehe, sanktionslos möglich sein. Dem stehe auch nicht der Umstand entgegen, dass der
Kläger im Rahmen einer öffentlichen Sitzung seine schriftsätzlichen Darstellungen wiederholt habe. Das
Gebot der Öffentlichkeit i.S.d. § 169 GVG könne nicht zum Nachteil der Partei gereichen, die im Rahmen
der öffentlichen Verhandlung ihre Rechte wahrnehme, selbst wenn die Gefahr bestehe, dass eine
unbeteiligte Person vom Mobbingvorwurf Kenntnis erlange.
Auch die weitere Äußerung des Klägers in der mündlichen Verhandlung im Vorprozess „bei M. werden
systematisch und regelmäßig die Fahrtenschreiber der Kundendienstfahrzeuge manipuliert" könne die
ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Zunächst sei festzustellen, dass der Kläger nicht mehr bei der
Fa. M.-A., sondern bei der Beklagten beschäftigt sei. Der Kläger habe nicht behauptet, dass bei der
Beklagten derartige Manipulationen vorgenommen würden. Für einen unbeteiligten Zuhörer sei
anzunehmen, dass diese Manipulationen den Mitarbeitern der Firma "M." angelastet würden.
Sollten die Vorwürfe des Klägers unzutreffend und ein Bezug zur Beklagten herstellbar sein, etwa weil die
Beklagte durch Umfirmierung oder Betriebsübergang als Rechtsnachfolgerin aus der Fa. M.-A.
hervorgegangen sei und sie sich gegen die Beklagte gerichtet hätten, wäre zwar eine rufschädigende
Äußerung gegenüber der Beklagten festzustellen. In diesem Fall hätte nach dem ultima-ratio-Prinzip eine
Abmahnung als angemessene Reaktion genügt. Jedenfalls gehe die gebotene Interessenabwägung zu
Gunsten des Klägers aus, zumal die Beklagte konkrete negative Auswirkungen der Äußerungen nicht
dargelegt habe. Sie berufe sich lediglich allgemein auf den rufschädigenden Inhalt der Behauptung.
Allerdings bleibe unklar, ob überhaupt andere Personen als die Prozessbeteiligten zugegen gewesen
seien und ob diese Personen diese Äußerungen mit der Beklagten in Verbindung bringen konnten.
Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 8 bis 13 des
Urteils vom 17.01.2008 (Bl. 68 -73 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte, der das Urteil am 28.02.2008 zugestellt worden ist, hat am 26.03.2008 Berufung zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese innerhalb der bis zum 28.05.2008 verlängerten
Berufungsbegründungsfrist mit am 28.05.2008 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie ist der Ansicht, die Äußerungen des Klägers im Vorprozess seien rufschädigend und als
Kündigungsgründe geeignet. Die erstinstanzlichen Darstellungen des Klägers zu einer angeblichen
Mobbingsituation seien nicht geeignet, eine solche nachvollziehbar darzulegen. Der Kläger scheine
alltägliche Arbeitssituationen bzw. in der Arbeitswelt durchaus vorkommende Fehler und Pannen, als
zielgerichtete Maßnahmen gegen sich zu interpretieren. Dies könne seine Ursache in einer psychischen
Erkrankung haben, aufgrund der sich der Kläger nach seinem Vorbringen seit längerem in
psychologischer Behandlung befinde. Auch wenn die Mobbingvorwürfe im Vorprozess für die
Urteilsfindung nicht von Bedeutung gewesen seien, habe der Kläger diese Vorwürfe im vorliegenden
Rechtsstreit wider besseres Wissen wiederholt. Das Arbeitsgericht hätte deshalb darüber Beweis erheben
müssen, ob die behauptete Mobbingsituation tatsächlich vorliege oder aber der Kläger hier unwahre
Tatsachenbehauptungen aufrechterhalte, die ihren Ruf schädigten.
Dies müsse insbesondere auch im Hinblick auf die Äußerung des Klägers gelten, bei „M. werden
systematisch und regelmäßig die Fahrtenschreiber manipuliert.“ Dieser Vorwurf könne von Dritten nur
dahingehend verstanden werden, dass hier eine aktuelle Situation behauptet werde. Weiterhin hafte
dieser Äußerung auch die Behauptung an, dass sie diesen Zustand kenne und hinnehme. Der Vorwurf
richte sich gegen das Unternehmen als solches. Es entschuldige den Kläger nicht, dass er diese
Äußerung in der mündlichen Verhandlung im Vorprozess gemacht habe. Die im Vorprozess
streitgegenständliche personenbedingte Kündigung habe in keinerlei Zusammenhang mit dem Vorwurf
der Manipulation von Fahrtenschreibern gestanden. Der Vorwurf sei nicht hinnehmbar und schädige ihren
Ruf in der Öffentlichkeit. Im Gerichtssaal seien auch Dritte anwesend gewesen, die die Äußerung des
Klägers mitverfolgen konnten. Der Kläger könne seine haltlose Behauptung weder durch ihre
Hausmitteilung vom 05.02.2003 (Bl. 58 d. A.) noch durch das Protokoll der Besprechung des
Kundendienstes vom 23.04.2004 (Bl. 59-60 d. A.) rechtfertigen. Die Mitarbeiter seien lediglich darauf
hingewiesen worden, die gesetzlichen Ruhenszeiten einzuhalten und die Tachoscheiben
vorschriftsmäßig auszufüllen.
Der erstinstanzliche Vortrag des Klägers mache deutlich, dass er nicht gewillt sei, von seinen haltlosen
Behauptungen abzurücken. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich, sie wäre im Übrigen auch ohne Erfolg
gewesen.
Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom
28.05.2008 nebst Anlagen (Bl. 104-111 d. A.) und vom 28.07.2008 (Bl. 130-132 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 17.01.2008, Az.: 5 Ca
847/07, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt aus, seine Meinungsäußerungen seien vom
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst gewesen und nicht zu beanstanden. Verfassungsrechtliche
Schranken, die die Ausübung dieses Grundrechts einschränken könnten, seien nicht gegeben. Er habe
die Beklagte schon deshalb nicht in ihrer Ehre verletzt, weil sie als juristische Person nicht
Grundrechtsträger der Ehre sein könne. Er habe die Mobbingsituation nicht nur subjektiv empfunden,
sondern objektive Mobbinghandlungen schriftsätzlich näher substantiiert. Er sei systematisch angefeindet
und diskriminiert worden. Die Mobbingsituation habe seine psychische Erkrankung verstärkt.
Er habe in keinster Weise eine „systematische und regelmäßige“ Manipulation der Fahrtenschreiber
behauptet, sondern lediglich, dass Fahrtenschreiber manipuliert werden. Hierbei handele es sich um eine
Tatsachenbehauptung. Die Äußerung habe sich keineswegs auf die aktuelle Situation, sondern auf die
Vergangenheit bezogen. Aus der Hausmitteilung der Beklagten vom 05.02.2003 und dem Protokoll der
Besprechung des Kundendienstes vom 23.04.2003 ergebe sich, dass das Thema Fahrtenschreiber unter
den Arbeitnehmern des Kundendienstes problematisiert worden sei, weil erhebliche Unregelmäßigkeiten
aufgetreten seien. Der Hinweis auf die Einhaltung der Ruhezeiten sei wegen aufgedeckter
Manipulationen an den Fahrtenschreibern erfolgt.
Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom
03.07.2008 (Bl. 126- 129 d. A.) und vom 30.07.2008 (Bl. 133 d. A.) Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 5 Ca 39/07 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist
somit zulässig.
II.
das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom
28.06. zum 30.09.2007 aufgelöst worden ist. Der Kläger kann deshalb seine Weiterbeschäftigung
beanspruchen.
Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial
gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht -
schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer
anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint. Dabei spielt vor allem die
Qualität der Vertragsverletzung eine erhebliche Rolle. Als verletzte Vertragspflicht kommt im
Arbeitsverhältnis, wie in jedem Schuldverhältnis, auch eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht in
Betracht. Die Vertragspartner sind zur Rücksichtnahme und zum Schutz bzw. zur Förderung des
Vertragszwecks verpflichtet (BAG Urteil vom 12.01.2006 - 2 AZR 21/05 - NZA 2006, 917 ff.).
Nach der Rechtsprechung können geschäftsschädigende oder ehrkränkende Äußerungen des
Arbeitnehmers, die geeignet sind, das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen,
einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241
Abs. 2 BGB) darstellen und an sich eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung aus
verhaltensbedingten Gründen rechtfertigen (vgl. z.B. LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 30.05.2007 - 7 Sa
71/07 - Juris).
1.
Verteidigung gegen die Kündigung der Beklagten vom 27.12.2006 in der mündlichen Verhandlung vor
Gericht geäußert hat, seine krankheitsbedingten Fehlzeiten seien darauf zurückzuführen, dass er
„aufgrund der akuten Mobbingsituation im Betrieb stark belastet“ sei, kommt als Kündigungsgrund nicht in
Betracht. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.04.1991 (2 BvR 963/90 - NJW 1991,
2074) im Einzelnen ausgeführt hat, unterliegt der (strafrechtliche) Ehrenschutz gegenüber Äußerungen,
die ein Prozessbeteiligter in einem gerichtlichen Verfahren zur Wahrung seiner Rechtsposition
abgegebenen hat, rechtlichen Einschränkungen. Diese - auf den strafrechtlichen Ehrenschutz
bezogenen - Ausführungen gelten in gleicher Weise auch für den zivilrechtlichen Ehrenschutz (BGH Urteil
vom 18.10.1994 - VI ZR 74/94 - NJW 1995, 397, mit zahlreichen Nachweisen). Maßstab für die
Zulässigkeit einer ehrkränkenden Äußerung ist danach die Frage, inwiefern die aufgestellte Behauptung
mit Blick auf die konkrete Prozesssituation zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich erscheint und der
Rechtsgüter und Pflichtenlage angemessen ist. Abgesehen von bewusst unwahren
Tatsachenbehauptungen sind damit ehrverletzende Äußerungen unzulässig, die in keinem inneren
Zusammenhang mit der Ausführung der Verteidigung und der geltend gemachten Rechte stehen oder so
leichtfertig gemacht werden, dass deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt, wobei das
Merkmal der „Leichtfertigkeit" der Weitergabe unwahrer Äußerungen nicht über Gebühr ausgedehnt
werden darf (BVerfG vom 16.03.1999 - 1 BvR 734/98 - NJW 2000, 199).
Nach diesen Maßstäben hält sich die Äußerung des Klägers im Vorprozess, er sei „aufgrund der akuten
Mobbingsituation stark belastet“ im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB),
wobei auch die Besonderheit der damaligen prozessualen Situation berücksichtigt werden muss. Die
Beklagte hatte dem Kläger u. a. aus krankheitsbedingten Gründen gekündigt. Der damalige
Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Schriftsatz vom 19.03.2007 die Ursachen für die
krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers dargelegt und u.a. ausgeführt, die Arbeitsunfähigkeitszeiten
vom 10.02. bis zum 21.02.2003, vom 03.11. bis 14.11.2003, vom 06.04. bis 23.04.2004, vom 15.04. bis
24.04.2005 und vom 19.04. bis 24.04.2006 seien auf die akute Mobbingsituation im Betrieb der Beklagten
zurückzuführen. Wenn der Kläger diese Behauptung in der mündlichen Verhandlung vor dem
Arbeitsgericht wiederholt hat, handelte er - unabhängig davon, ob der Mobbingvorwurf zutraf oder nicht -
in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, muss es einem
Kläger im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens wegen einer krankheitsbedingten Kündigung
grundsätzlich sanktionslos möglich sein, seine Fehlzeiten in der mündlichen Verhandlung mit einer
Mobbingsituation zu begründen.
Gerichtsverfahren dürfen nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten
beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen,
was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen
berührt wird (vgl. BGH Urteil vom 18.10.1994, a.a.O.).
Es kann zu der Äußerung des Klägers, er sei „aufgrund der Mobbingsituation im Betrieb stark belastet“,
nicht festgestellt werden, dass er über das Maß desjenigen hinausgegangen ist, was ihm als
Arbeitnehmer, der sich im Prozess gegen eine krankheitsbedingte Kündigung verteidigen möchte,
zuzubilligen ist. Gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren können durch ein
berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein, selbst wenn sie rechtlich unzutreffend sind (BAG
Urteil vom 02.06.2005 - 2 AZR 234/04 - AP Nr. 51 zu § 9 KSchG 1969).
Die Berufungskammer folgt dem Arbeitsgericht auch darin, dass es dem Kläger nicht zum Nachteil
gereichen darf, dass er den Mobbingvorwurf in einer öffentlichen Sitzung geäußert hat. Nach § 52 ArbGG
ist eine Verhandlung vor dem Arbeitsgericht öffentlich, so dass beliebige Zuhörer die Möglichkeit haben,
an ihr teilzunehmen. Die Anwesenheit von Zuhörern kann das Recht einer Prozesspartei, sich zum
gesamten Streitstoff in der mündlichen Verhandlung - dem „Kernstück“ des gerichtlichen Verfahrens - zu
äußern, nicht beschneiden. Der Kläger durfte deshalb seinen Mobbingvorwurf, unabhängig davon, ob er
zutrifft oder nicht, in der mündlichen Verhandlung darlegen, um sich gegen die Kündigung zu verteidigen.
2.
(systematisch und regelmäßig) die Fahrtenschreiber der Kundendienstfahrzeuge manipuliert“, ist nicht
geeignet, die ordentliche Kündigung der Beklagten zu rechtfertigen. Die Berufungskammer folgt dem
Arbeitsgericht im Ergebnis.
Nach § 1 Abs. 2 KSchG muss die Kündigung durch das Verhalten des Arbeitnehmers bedingt sein. Eine
Kündigung ist hiernach nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um eine
Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Vorliegend ist die Pflichtverletzung des Klägers nicht so schwer,
dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte.
Bei der Äußerung, die der Kläger in zweiter Instanz relativiert, indem er die Verwendung der
erstinstanzlich noch unstreitigen Adjektive „systematisch und regelmäßig“ bestreitet, handelt es sich um
eine Tatsachenbehauptung. Dem Vortrag des Klägers lässt sich die Richtigkeit der Behauptung nicht
ansatzweise entnehmen. Prozessual ist deshalb von der Unwahrheit dieser Behauptung auszugehen,
weil der Kläger seiner Darlegungslast nicht nachgekommen ist, die ihn anhält, Belegtatsachen für seine
Behauptung anzugeben (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast BGH Urteil vom 22.04.2008 - VI ZR 83/07 -
NJW 2008, 2262).
Mit der Hausmitteilung der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 05.02.2003 (Bl. 58 d. A.) kann der
Kläger seinen Vorwurf nicht begründen. Ausweislich des eindeutigen Wortlautes der Hausmitteilung
wurden alle Kundendienstmitarbeiter im Außendienst darauf hingewiesen, dass sie die nach dem
Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Ruhepausen (30 Minuten zwischen 6 und 9 Arbeitsstunden,
45 Minuten bei mehr als 9 Arbeitsstunden, etc.) einzuhalten und auf ihren Stundenzetteln bzw.
Wochenberichten zu vermerken haben. Auch aus dem Besprechungsprotokoll vom 26.04.2004 (Bl. 59
d. A.) lässt sich der Vorwurf der Manipulation von Fahrtenschreibern nicht ableiten. Die
Kundendienstmitarbeiter wurden unter Tagesordnungspunkt 1. auf das vorschriftsmäßige Ausfüllen der
Tachoscheiben hingewiesen und gleichzeitig angewiesen, diese künftig mit den Wochenberichten im
Büro abzugeben. Diese beiden Papiere kann der Kläger nicht heranziehen, um seinen Vorwurf, bei „M.“
würden „Fahrtenschreiber manipuliert“, zu belegen. Zu Manipulationen an Fahrtenschreibern, die eine
Straftat darstellen (§ 268 StGB), verhält sich weder die Hausmitteilung noch das Besprechungsprotokoll.
Für seine erstinstanzliche Behauptung, der Beklagten sei „bekannt“, dass ein Mitarbeiter, dessen Namen
er im Bestreitensfall benennen könne, in seinem Beisein Manipulationen an „einem“ Fahrtenschreiber
vorgenommen habe, hat der Kläger nichts Schlüssiges dargetan. Er hat weder vorgetragen, welchen
Vertreter der Beklagten, dessen Kenntnis ihr zuzurechnen wäre, er über die behauptete Manipulation des
Fahrtenschreibers informiert noch wann er ihn über seine Beobachtung in Kenntnis gesetzt haben will.
Auch andere Fakten, woraus sich eine Kenntnis und Duldung von Repräsentanten der Beklagten ergeben
könnten, hat der Kläger nicht ansatzweise vorgetragen. Der Vortrag des Klägers enthält mithin keinerlei
Anhaltspunkte, die einen Rückschluss auf den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung „bei M. werden
Fahrtenschreiber manipuliert“ zuließen.
Ein unbefangener Durchschnittsempfänger konnte die streitbefangene Äußerung nur so verstehen, dass
der Kläger noch aktuelle gesetzeswidrige Vorgänge beschrieben hat, die die Beklagte kennt und toleriert.
Da im Betrieb der Beklagten unstreitig Fertighäuser der Marke „M.“ produziert werden, war es einem
Zuhörer im Sitzungssaal ohne weiteres möglich, eine Verbindung mit der Beklagten herzustellen.
An der Verbreitung ehrverletzender Tatsachenbehauptungen, die wie hier als unwahr anzusehen sind,
besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit regelmäßig kein schützenswertes Interesse. Dies
beruht darauf, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen nicht
schützt, und dass dieses Grundrecht - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht schrankenlos gewährt,
sondern insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt ist und
in ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesem gebracht werden muss (BAG Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR
927/98 - Juris).
Der Kläger irrt auch, wenn er meint, dass die Beklagte als juristische Person nicht Grundrechtsträger der
Ehre sein könne. Auch juristische Personen können zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in
Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird. Auf
Seiten des Arbeitgebers ist als verfassungsrechtlich geschützte Position auch Art. 12 GG in die Abwägung
einzubeziehen. In Art. 12 GG wird dessen wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, die insbesondere durch eine
Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens berührt werden kann, geschützt. Auch gehört die
Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Vertragspartei (§ 241 Abs. 2
BGB) zu den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Zwischen der Meinungsfreiheit und dem
beschränkenden Gesetz findet eine Wechselwirkung statt (vgl. BAG Urteil vom 12.01.2006 - 2 AZR 21/05 -
NZA 2006, 917, mit zahlreichen Nachweisen).
Im vorliegenden Fall ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er den unhaltbaren Vorwurf, „bei
M. werden (systematisch und regelmäßig) Fahrtenschreiber manipuliert“ in der mündlichen Verhandlung
vor dem Arbeitsgericht geäußert hat. Der Rechtsschutz in einem gerichtlichen Verfahren setzt auch
voraus, dass der Rechtsuchende gegenüber dem Gericht, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen,
jene Handlungen vornehmen kann, die nach seiner von guten Glauben bestimmten Sicht geeignet sind,
sich im Prozess zu behaupten (BVerfG Beschluss vom 11.04.1991, a.a.O.).
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass für den Ausgang des Vorprozesses von keinerlei Bedeutung war,
ob im Betrieb der Beklagten Fahrtenschreiber manipuliert werden. Die Behauptung des Klägers war mit
Blick auf die konkrete Prozesssituation objektiv nicht erforderlich. Sie stand auch in keinem inneren
Zusammenhang mit dem Streitgegenstand der krankheitsbedingten Kündigung. Der Kläger ist auch im
vorliegenden Rechtsstreit jedwede Erklärung dafür schuldig geblieben, weshalb er es (aus seiner
subjektiven Sicht) im Vorprozess für erforderlich hielt, zur Verteidigung gegen die krankheitsbedingte
Kündigung zu äußern, bei „M. werden Fahrtenschreiber manipuliert“. Daher spricht viel dafür, dass seine
Äußerung in der mündlichen Verhandlung in einer Art „Rundumschlag“ allein zur Stimmungsmache
gegen die Beklagte diente. Sie war deshalb nicht durch ein berechtigtes Interesse gedeckt.
Gleichwohl ist die Äußerung des Klägers in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung unter Berücksichtigung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geeignet, die ordentliche Kündigung der Beklagten zu
rechtfertigen. Mit Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung bestand für den Kläger die Gefahr,
seinen Arbeitsplatz und damit seine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu verlieren. Der Kläger kämpfte in
der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht um die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, so dass
seine emotionale Erregtheit bei der Bewertung seiner Äußerung nicht außer acht gelassen werden darf.
Auch wenn der Kläger über das Ziel hinausgeschossen ist, wiegt seine Äußerung in der öffentlichen
Sitzung nicht so schwer, dass es nicht ausgereicht hätte, auf sein Fehlverhalten mit einer Abmahnung zu
reagieren.
III.
zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die
Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.