Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 11.03.2011

LArbG Mainz: versetzung, betriebsrat, mitbestimmungsrecht, einheit, entzug, wechsel, meinung, begriff, beamter, arbeitsort

LAG
Mainz
11.03.2011
6 TaBV 33/10
Mitbestimmung bei Abordnung einer gleichgestellten Beamtin
Aktenzeichen:
6 TaBV 33/10
2 BV 14/09
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 11.03.2011
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.5.2010 - 2
BV 14/09 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Auffassung nach gegebenes Mitbestimmungsrecht im Zusammenhang mit der Abordnung einer
gleichgestellten Beamtin zu einer nach einem Beschäftigungssicherungstarifvertrag eingeschalteten
Beschäftigungsgesellschaft.
Antragsteller ist der im Wahlbetrieb Nord der Arbeitgeberin errichtete Betriebsrat, zu dessen
Betreuungsbereich auch Frau E D als zugewiesene Beamtin gehört. Die Beamtin war ursprünglich als
Sachbearbeiterin Personaldienst in der damaligen Zweigniederlassung K beschäftigt. Am
10. Januar 2007 nahm sie nach 10-jähriger Abwesenheit wegen Mutterschutz, Elternzeit und Beurlaubung
ihren Dienst wieder auf.
Zuvor - am 14. Dezember 2006 - erfolgte eine Abordnung der Beamtin zur D J GmbH, einer seit
01. Januar 2005 im D-Konzern bestehenden Beschäftigungsgesellschaft. Dieser Maßnahme hat der
besondere Personalrat bei BEVDst. Mitte in Frankfurt zugestimmt. Eine Beteiligung des antragstellenden
Betriebsrats erfolgte jedoch nicht.
Der Betriebsrat hat
erstinstanzlich
eine Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dar. Das diesbezügliche
Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG sei nicht beachtet worden und deshalb die Versetzung
aufzuheben. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung, u. a. die Abordnung von weiteren Beamten zur D J
GmbH, sei für die Feststellung eines entsprechenden Mitbestimmungsrechts ein allgemeines
Feststellungsinteresse gegeben.
Die Arbeitgeberin ist der Auffassung des Betriebsrates entgegengetreten und hat ein
Mitbestimmungsrecht wegen Fehlens einer konkreten Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches
abgelehnt.
Zu den erstinstanzlich gestellte Anträgen und dem weiteren Sachvortrag wird auf die Gründe I des
Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12. Mai 2010 - 2 BV 14/09 - Seite 2 und 3 (= Bl. 166 - 167 d.
A.) Bezug genommen.
Es hat die Anträge auf Aufhebung der Abordnung der Beamtin D, auf Androhung eines Ordnungsgeldes
und die Feststellung des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts unter Hinweis auf die Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2007 - 4 TaBV 5/07 - zurückgewiesen.
Bei der Abordnung zur D J GmbH ginge es um eine Vermittlungsmaßnahme und eine eventuelle
Weiterqualifizierungsmaßnahme zur Beschäftigungssicherung. Dies sei kein neuer Arbeitsbereich,
welcher vom bisherigen Beschäftigungsarbeitgeber zugewiesen würde.
Zu den diesbezüglichen Gründen wird auf Seite 4 - 5 (= Bl. 168 - 169 d. A.) Bezug genommen.
Gegen den dem Betriebsrat am 30. Juni 2010 zugestellten Beschluss richtet sich dessen am 19. Juli 2010
eingelegte und am 30. September 2010 begründete Beschwerde nach entsprechender Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist.
Zur Begründung der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgetragen,
die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Voraussetzungen zu § 95 Abs. 3
Satz 1 BetrVG lägen bei der Abordnung der zugewiesenen Beamtin von der D AG zur J GmbH vor. Auch
der Entzug von Funktionen begründe die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches. Die Beamtin sei
nicht lediglich freigestellt. Sie erbringe ihre Arbeit nicht nur an einem anderen Ort, sondern auch in einer
anderen organisatorischen Einheit. Es lägen entsprechend der Rechtsprechung des BAG ein anderes
Arbeitsregime vor. Der Schutzzweck des diesbezüglichen Mitbestimmungsrechts sei auch auf den Schutz
des Einzelnen gerichtet. Der allgemeine Feststellungsantrag beträfe die Reichweite des
Mitbestimmungsrechts, das einer gesonderten Feststellung zugänglich sei. Er sei begründet, da die
Arbeitgeberin mit dem 01. März 2009 erhebliche Umorganisationen und Umstrukturierungen
vorgenommen habe. Im Rahmen des sogenannten neuen "Matrix "es sei zu befürchten, dass die
Arbeitgeberin, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen der Konzernbetriebsvereinbarungen nicht
vorlägen, weitere Abordnungen zur D J GmbH vornehme. Bei der Stellenpoolentscheidung habe das
Bundesarbeitsgericht zwar entschieden, dass dies ohne tatsächliche Änderung der tatsächlichen
Tätigkeiten noch keine Versetzung darstelle; impliziert sei damit aber, dass unmittelbar mit der Änderung
der tatsächlichen Tätigkeiten in jedem Fall eine Versetzung verbunden sei. Vorliegend sei eine endgültige
Herausnahme aus der bisherigen Tätigkeit gegeben.
Zu den weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Schriftsätze des Betriebsrats vom
30. September 2010 (Bl. 196 - 209 d. A.), den Schriftsatz vom 18. November 2010 (Bl. 233 - 235 d. A.) und
den Schriftsatz vom 28. Dezember 2010 (Bl. 243 - 245 d. A.) mit sämtlichen Unterlagen Bezug genommen.
Der Betriebsrat beantragt zweitinstanzlich
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.05.2010 - AZ: 2 BV 14/09 - wird aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Abordnung der Frau E D zur D J GmbH mit Wirkung zum
01.02.2007 aufzuheben.
Für jeden Tag der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nummer 2 wir der Antragsgegnerin
ein Ordnungsgeld bis zu 500,-- € angedroht.
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller bei der Abordnung oder Zuweisung von Arbeitnehmern
und Beamten aus dem Wahlbetrieb Nord der A. Region S zur J GmbH ein Mitbestimmungsrecht nach
§ 99 BetrVG hat.
Hilfsweise wird beantragt:
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller bei der Abordnung oder Zuweisung von Arbeitnehmern
oder Beamten aus dem Wahlbetrieb Nord der A. Region S zur D J GmbH unter gleichzeitigem oder
zeitlich zusammenhängendem Entzug aller oder wesentlicher bisheriger Tätigkeiten ein
Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG hat.
Die Arbeitgeberin hat
Zurückweisung
beantragt und erwidert, in der beamtenrechtlichen Abordnung der Beamtin D läge keine Maßnahme, die
als Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes anzusehen wäre. Es sei keine "Zuweisung
eines anderen Arbeitsbereiches" gegeben. Diesen habe das BAG stets im Zusammenhang mit einer
arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit gesehen und nicht mit einer Tätigkeit, die lediglich in
Mitwirkungspflichten bei der Beschäftigungsvermittlung bestünden. Frau D habe seit ihrer Abordnung
wesentliche Hilfsfunktionen im Vermittlungsmanagement zur Erhaltung und Verbesserung ihrer
Beschäftigungsfähigkeit ausgeübt. Seit der Wahl zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin Mitte 2010 sei sie
von der Aufgabe der J GmbH freigestellt und befinde sich de facto in "Heimbereitschaft". Die
Mitwirkungspflichten ergäben sich nach dem Beschäftigungssicherungstarifvertrag und dem Tarifvertrag
zur Erweiterung des Schutzbereichs des Beschäftigungssicherungstarifvertrages.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebeantwortung wird auf den Schriftsatz der Arbeitgeberin
vom 12. Oktober 2010 (Bl. 220 - 231 d. A.) und vom 28. Februar 2011 (Bl. 259 - 261 d. A.) einschließlich
der vorgelegten Unterlagen Bezug genommen. Zugleich wird auf die Feststellungen in den
Sitzungsniederschriften des Landesarbeitsgerichts vom 10. Dezember 2010 (Bl. 236 - 239 d. A.) sowie
vom 11. März 2011 (Bl. 263 - 265 d. A.) verwiesen.
II.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zur Aufhebung der Abordnung der Frau E D und dem
damit verbundenen Ordnungsgeldantrag sowie die weiteren Haupt- und Hilfsanträge auf Feststellung zum
Bestehen eines Mitbestimmungsrechts zu Recht zurückgewiesen.
1.
Maßnahme verlangen kann, wenn der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1
Satz 1 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt hat, sind vorliegend nicht erfüllt; denn in
der Abordnung der Beamtin E D zur D J GmbH liegt k e i n e Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG,
die für den Betriebsrat des abgebenden Betriebes ein Mitbestimmungsrecht auslöst.
Unstreitig ist zwar der Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gegeben; nach § 19 Abs. 1 DB
GrdG wird nämlich die Arbeitnehmereigenschaft zugewiesener Beamter - wie vorliegend der Beamtin D -
fingiert (BAG Beschluss vom 12. Dezember 1995 - 1 ABR 23/95 = NZA 1996, 667, 671). Der
Schutzbereich des § 99 BetrVG in Verbindung mit § 95 Abs. 3 BetrVG für die gegenüber der Beamtin D
getroffene Maßnahme ist hingegen nicht eröffnet.
Für eine Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG gilt nach der für zutreffend gehaltenen Rechtsprechung des
BAG, dass sich der Begriff des Arbeitsbereichs im Sinne der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgabe
nach § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG richtet. Er wird durch die Aufgabe und Verantwortung, sowie die Art der
Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs bestimmt. Arbeitsbereich ist danach der
konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und
organisatorischer Hinsicht. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches ist etwa anzunehmen, wenn
der Arbeitsort sich ändert, der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer
anderen zugeordnet wird oder sich die Umstände ändern, unter denen die Arbeit zu leisten ist (BAG
Beschluss vom 27. Juni 2006 - 1 ABR 35/05 -). Im Übrigen ist für eine Versetzung kennzeichnend der
dauerhafte Wechsel eines Arbeitsplatzes in eine andere Dienststelle desselben Arbeitgebers (vgl. BAG
Urteil vom 15. August 2006 - 9 AZR 571/05 - = NZA 2007, 1310, 1314).
Hieraus resultiert primär, dass der betriebsverfassungsrechtliche Versetzungsbegriff im Zusammenhang
mit der arbeitsvertraglich geschuldeten und der potentiellen Tätigkeit steht. Es muss zu einer tatsächlichen
Zuweisung zu einem anderen neuen Arbeitsbereich als Gegenstand der Zuweisungsentscheidung des
bisherigen Arbeitgebers kommen. Erst dann läge das vom Betriebsrat prinzipiell richtig gesehene
Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat des abgebenden Betriebs vor.
Vorliegend fehlt es nach Meinung der Beschwerdekammer jedoch an einer den Schutzbereich des § 95
Abs 3 BetrVG eröffnenden Zuweisung eines anderen neuen Arbeitsbereiches hinsichtlich der Abordnung
der Beamtin D. Die von der Arbeitgeberin getroffene Maßnahme stellt sich nämlich als Folge eines
Arbeitsplatzabbaues im Bereich Personal wegen der Verlagerung von Standardprozessen in zentrale
Servicecenter dar. Sie geschieht auf der Grundlage des Beschäftigungssicherungstarifvertrages (BeSiTV),
der sinngemäß auf zugewiesene Beamte angewandt wird (vgl. Protokollnotiz zu § 1 BeSiTV) und des
Tarifvertrages zur Erweiterung des Schutzbereichs des Beschäftigungssicherungstarifvertrages (BeSi-
Erweiterungs-TV). Nach der Präambel des Beschäftigungssicherungstarifvertrages wird das Ziel verfolgt,
dass Arbeitnehmer als Folge des Wegfalls ihrer Beschäftigung nicht arbeitslos werden und die
Tarifvertragsparteien voraussetzen, dass alle Arbeitnehmer die Flexibilität und Mobilität beweisen, die
notwendig ist, um sie - bei Aufrechterhaltung des bisherigen Arbeitsvertrages - bis zur Rückkehr auf einen
neuen Regelarbeitsplatz anderweitig zu beschäftigen. Die Tarifvertragsparteien haben in diesem
Zusammenhang nach § 10 (BeSiTV) vorgesehen, dass zur Prüfung der Weiterbeschäftigung in einem
anderen Betrieb desselben Unternehmens oder einem anderen Unternehmen die Dienstleistungen der D
AG (J) zu nutzen sind. Anders als bei einer Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn, die - wie
die Arbeitgeberin richtig sieht - einen Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich bisher geschuldeten
Tätigkeit und innerlich mit der neuen Tätigkeit haben muss, sehen die tariflichen Bestimmungen primär
Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers vor, die in § 23 des Beschäftigungssicherungstarifvertrages und
in § 13 des Tarifvertrages zur Erweiterung des Schutzbereiches des
Beschäftigungssicherungstarifvertrages fixiert sind. Danach besteht insbesondere die Verpflichtung des
Arbeitnehmers alle Maßnahmen, die seiner Vermittlung in eine Regel- oder Integrationsbeschäftigung
dienen, aktiv zu unterstützen und insbesondere an Bewerbungs- und Integrationstrainings sowie bei der
Erstellung von eigenen Befähigungsprofilen und überhaupt an Qualifizierungsmaßnahmen mit dem
Bestreben eines erfolgreichen Abschlusses teilzunehmen. Im Ergebnis erweist sich die vorgenommene
Abordnung als Suspendierung von der bisherigen Beschäftigungstätigkeit beim bisherigen
Beschäftigungsarbeitgeber. Diese Situation hat sich mittlerweile deshalb verstärkt, weil die Beamtin D
sogar von den Aufgaben der J GmbH freigestellt ist und sich im Hinblick auf ihre Wahl als ehrenamtliche
Bürgermeisterin Mitte 2010 de facto in "Heimbereitschaft" befindet.
Das von der Arbeitgeberin vorgelegte Mitarbeiterprofil (Bl. 272 d. A.) sieht unter dem beruflichen
Werdegang der Beamtin D auch lediglich "Mithilfe HCJ 52" und "berufliche Neuorientierung" vor und zeigt
damit ebenfalls deutlich, dass die Tarifanforderungen für eine betriebsverfassungsrechtliche Versetzung
und der daraus verfolgten Rechte des Betriebsrats nicht in Betracht kommen. Unabhängig hiervon fehlt es
auch an einem "dauerhaften Wechsel" im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung des BAG. Die Tätigkeit
nach dem Beschäftigungssicherungstarifvertrag ist - wie sich aus seiner Intention ergibt - regelmäßig nicht
auf Dauer angelegt und wird daher auch unter diesem Aspekt nicht von dem von der Rechtsprechung
entwickelten Merkmalen zum betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsbegriff erfasst. Die spezifisch
kollektivrechtlichen Regelungen des Beschäftigungssicherungstarifvertrages und des Tarifvertrages zur
Erweiterung des Schutzbereichs des Beschäftigungssicherungstarifvertrages führen damit zu einer
kollektivrechtlichen Überlagerung der betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen des Betriebsrats des
abgebenden Betriebs.
Da der Schutzbereich des § 95 Abs. 3 BetrVG aus vorgenannten Gründen vorliegend nicht eröffnet ist,
kommt es auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der Tangierung der Belange der Arbeitnehmer
im abgebenden Betrieb angesichts der tarifgestützten Sondersituation nicht an.
2.
entsprechenden Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats noch der hilfsweise spezifizierte entsprechende
Antrag begründet sind. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die Anträge als Globalsanträge
einzuordnen sind und keine Fälle denkbar sind, die - wie vorliegend - Ausnahmen zulassen und damit
auch aus diesem Grund zur Unbegründetheit der Anträge führen (vgl. BAG Beschluss vom 3. Mai 1994 - 1
ABR 24/93; BAG Beschluss vom 20. April 2010 - 1 ABR 78/08).
3.