Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 21.02.2005

LArbG Mainz: unwirksamkeit der kündigung, zuckerkrankheit, arbeitsgericht, diabetes, arbeitsstelle, form, beweislast, zulage, zukunft, empfehlung

LAG
Mainz
21.02.2005
7 Sa 981/04
Diabetes kein Kündigungsgrund für einen LKW-Fahrer
Aktenzeichen:
7 Sa 981/04
5 Ca 291/04
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Verkündet am: 21.02.2005
Tenor:
1.
291/04 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 2 des Urteils dahin ergänzt wird, dass es
heißen muss: "abzüglich am 30.04.2004 erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 968,50 € netto
(restliches März/Aprilgehalt)"
2.
3.
Tatbestand:
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren zunächst nur) darüber, ob
das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung sein
Ende gefunden hat, sowie desweiteren darüber, ob dem Kläger für die Monate März bis einschließlich
Juni 2004 noch Restgehalt zusteht.
Der Kläger ist seit dem 01. Oktober 1997 bei der Beklagten als LKW Fahrer zu einem Bruttomonatsgehalt
von ca. 2.500,00 € beschäftigt.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29.01.2004, dem Kläger zugegangen am 30.01.2004, das
Arbeitsverhältnis zum 29.02.2004 gekündigt.
Der Kläger hat vorgetragen,
er habe der Beklagten keine Kündigungsgrund gegeben, denn es treffe nicht zu, dass er geäußert habe,
wegen einer Erkrankung nicht mehr als Fahrer tätig sein zu können. Im Übrigen sei die Beklagte
verpflichtet, sein Entgelt für die Monate März, April, Mai, Juni 2004 zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten
vom 29.01.2004 nicht zum 29.02.2004 beendet wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.584,48 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Bruttobetrag seit dem 03.05.2004 zu zahlen
abzüglich seitens des Klägers am 18.04.2004 erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 782,25 EUR
netto und abzüglich am 30.04.2004 erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 118,00 EUR netto
(restliches März/ Aprilgehalt)
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.584,48 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Bruttobetrag seit dem 03.06.2004 zu zahlen
abzüglich am 28.05.2004 vom Kläger erhaltenen Arbeitslosengeld in Höhe von 1.154,75 EUR netto
(Maigehalt),
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.584,48 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Bruttobetrag seit dem 03.07.2004 zu zahlen
abzüglich am 30.06.2004 vom Kläger erhaltenen Arbeitslosengeld in Höhe von 1.117,50 EUR netto
(Junigehalt),
5. die Beklagte zu verurteilen, für die Monate März bis einschließlich Juli insgesamt 199,40 EUR an die
W unter der Bausparvertragsnummer 00 zu zahlen.
Die Beklagte hat,
beantragt,
Die Beklagte hat vorgetragen,
sie habe das Arbeitsverhältnis zu Recht gekündigt, da der Kläger aufgrund seines Krankheitszustandes
Zuckerkrankheit nicht mehr in der Lage sei, als LKWFahrer tätig zu werden und sein Arzt ihm auch
verboten habe, Auto zu fahren. Im Übrigen sei durch das klägerische Verhalten auch wohl von einer
Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Deshalb seien Gehaltsansprüche über den
29.02.2004 hinaus unbegründet, da das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt wirksam beendet worden
sei.
Das Arbeitsgericht Koblenz Auswärtige Kammern Neuwied hat daraufhin durch Urteil vom 10.08.2004 5
Ca 291/04 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 29.01.2004 nicht zum 29.02.2004 beendet wird und die Beklagte hinsichtlich der zuvor
dargestellten Zahlungsanträge antragsgemäß verurteilt.
Gegen das ihr am 18.11.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 06.12.2004 beim
Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die
Berufung durch am 06.01.2005 beim Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz eingegangenem Schriftsatz
begründet.
Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die
Zuckerkrankheit des Klägers könne im Straßenverkehr ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. Der
Kläger habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, ein Stadium der Zuckerkrankheit erreicht zu
haben, das nicht mehr so behandelt werden könne, dass er die Teilnahme als Berufskraftfahrer im
Straßenverkehr verantworten könne. Im Übrigen sei zu überprüfen, ob in den Äußerungen des Klägers
nicht eine Eigenkündigung zu sehen sei, die die Beklagte lediglich unter Wahrung der gesetzlichen
Schriftform bestätigt habe. Es könne nicht angehen, dass sich ein Arbeitnehmer nach Belieben völlig
undifferenziert von seiner Arbeitsstelle und von seinem Arbeitgeber und den mit der Arbeitsstelle
verbundenen Pflichten differenziere. Aufgrund der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung
seien auch die hier geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz Ziffern 1) bis 5) die Klage insgesamt
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung insoweit zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen
Vorbringens und hebt insbesondere hervor, es treffe nicht zu, dass er zum Ausdruck gebracht habe, an
einer derart schweren Form der Diabetes zu leiden, dass er nicht mehr in der Lage sei, als
Berufskraftfahrer am Straßenverkehr teilzunehmen. Er habe lediglich erklärt, dass seine Diabetes
ärztlicherseits eingestellt werden müsse und er deshalb vorübergehend arbeitsunfähig sei. Nachdem dies
passiert sei, sei er ab April 2004 wieder in vollem Umfang dazu in der Lage, im Straßenverkehr einen LKW
zu führen. Insbesondere sei nicht zu befürchten, dass beim Kläger in Zukunft Erkrankungen wegen seiner
Diabetes eintreten würden. Auch könne es wegen der Diabetes des Klägers nicht zu
Ausfallerscheinungen des Klägers im Straßenverkehr kommen. Ebensowenig bestehe ein
Sicherheitsrisiko für seine Teilnahme als Lastkraftwagenfahrer im Straßenverkehr. Eine Eigenkündigung
des Klägers liege zudem nicht vor, sie wäre zudem auch formunwirksam gewesen. Der Kläger habe sich
schließlich auch gegenüber der Beklagten keineswegs vor den mit seiner Arbeitsstelle verbundenen
Pflichten distanziert.
Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung seien die für das Teilurteil maßgeblichen Zahlungsansprüche
ohne weiteres begründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten
gereichten Schriftstücke verwiesen.
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 21.02.2005.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64
Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form und fristgerecht eingelegt und begründet
worden.
II.
Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch, soweit für das TeilUrteil von Belang, keinen Erfolg.
Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam
ist und die Zahlungsansprüche begründet sind.
Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe,
die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche
Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen,
bedingt ist. Dass das Kündigungsschutzgesetz aufgrund der Beschäftigungsdauer des Klägers und der
Beschäftigtenzahl bei der Beklagten Anwendung findet, ist zwischen den Parteien nicht streitig.
Vorliegend hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt, weil dieser an eine
Zuckerkrankheit leidet und aus diesem Grunde nicht mehr geeignet sein soll, als LKWFahrer tätig zu
werden. Selbst wenn man aber zugunsten der Beklagten davon ausgeht, auch dies hat das Arbeitsgericht
zutreffend erkannt, dass der Kläger bei einem Gespräch am 23.01.2004 dem Zeugen V gegenüber erklärt
haben soll, dass er wegen Zuckerkrankheit zunächst nicht als LKWFahrer tätig sein könne, so kann
gleichwohl nicht vom Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes
ausgegangen werden.
Bei der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung handelt es sich erkennbar um eine
krankheitsbedingte Kündigung, wobei die Beklagte dafür die Darlegungs und Beweislast trägt, dass der
Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes über längere Zeit in der Vergangenheit nicht in der Lage
war (mindestens 30 Arbeitstage pro Jahr) seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, dass dies
zu erheblichen betrieblichen Auswirkungen führt, von einer negativen Gesundheitsprognose für die
Zukunft auszugehen ist mit der Folge, dass mehr als 30 Arbeitstage an Arbeitsunfähigkeit anfallen
müssen, und im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung das Interesse der Beklagten an der
Nichtweiterbeschäftigung des Klägers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus das Interesse des
Klägers an der Weiterbeschäftigung überwiegt.
Vorliegend fehlt es, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, bereits an einer negativen
Gesundheitsprognose. Denn die Beklagte hat weder schlüssig dargelegt, noch unter Beweis gestellt, dass
der Kläger über einen längeren, ihr nicht zumutbaren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt war, noch hat sie
detailliert dargelegt, dass der Kläger aufgrund seiner Zuckerkrankheit auch künftig nicht in der Lage sein
wird, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen als LKWFahrer nachzukommen. Das schließt eine
negative Gesundheitsprognose vorliegend aus. Denn selbst wenn man zugunsten der Beklagten
annimmt, dass es sich zumindest vorübergehend um einen krankheitsbedingten Kündigungsgrund
gehandelt hatte, weil die Behandlung der Zuckerkrankheit medikamentös eingestellt werden musste, so ist
zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass dieser in seiner Person liegende Hinderungsgrund nur
von vorübergehender Natur ist und dass der Kläger künftig ohne weiteres in der Lage ist, seinen
arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Der Kläger hat eine ärztliche Bescheinigung der
Ärzte Dr. U und Dr. T (Bl. 41 d. A.) vom 04.05.2004 vorgelegt, aus der sich die ärztliche Empfehlung ergibt,
keine weiteren Untersuchungen mehr durchzuführen, da keine Beeinträchtigung des körperlichen oder
geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnte. Von daher ist ohne weiteres davon
auszugehen, dass der Kläger in der Lage ist, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen wieder
nachzukommen mit der Konsequenz, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial ungerechtfertigt ist
und das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.
Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier
maßgeblichen Lebenssachverhaltes. Denn hinsichtlich der streitgegenständlichen Kündigung wird
lediglich allgemein und ohne Bezug auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger behauptet, es könne bei zu
starkem Zucker im Blut zu massiven Ausfallerscheinungen des Betroffenen kommen, so dass die
Zuckerkrankheit im Straßenverkehr ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen könne. Dies ist im Hinblick
auf die vom Kläger vorgelegte ärztliche Bescheinigung, mit der sich die Beklagte schlicht nicht
auseinandersetzt, unverständlich und im Hinblick auf die ihr obliegende Darlegungs und Beweislast, die
sich nicht mit allgemeinen Erwägungen zu einer Krankheitssymptomatik, sondern mit dem
Gesundheitszustand des Klägers zu beschäftigen hat, nicht ausreichend.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren desweiteren behauptet hat, im Verhalten des Klägers könne
unter Umständen eine Eigenkündigung zu sehen sein, folgt die Kammer dem nicht. Es liegt auf der Hand,
dass der Kläger nach Bekanntwerden seiner Krankheit eine gewisse Zeit benötigt hat, diese behandeln zu
lassen und wieder zu genesen. Folglich musste er die Beklagte als Arbeitgeber darüber auch informieren.
Anhaltspunkte für einen rechtsgeschäftlichen Willen, das Arbeitsverhältnis zu beenden, lassen sich dem
Sachvortrag der Beklagten insoweit jedoch nicht nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligen Personen
substantiiert entnehmen. Im Übrigen wäre eine Eigenkündigung des Klägers gemäß § 623 BGB
formnichtig, da allenfalls mündlich erklärt. Auch bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, eine
Berufung des Klägers auf diese Formnichtigkeit als treuwidrig (§ 242 BGB) anzusehen.
Aufgrund des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses sind, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, die
ausgeurteilten Zahlungsansprüche begründet. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf
Seite 10, 11 der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Soweit die Beklagte insoweit Berechnungsfehler moniert, führen diese nicht zu einer abweichenden
Entscheidung. Denn die Auffassung, dass beispielsweise eine Zulage nur bei tatsächlicher Erbringung
der Arbeitsleistung anfällt, was der Kläger substantiiert im Hinblick auf die tatsächliche Handhabung bei
der Beklagten bestritten hat, ist bereits in dieser Allgemeinheit so ohne weiteres nicht zutreffend. Vielmehr
hängt es von der Ausgestaltung der jeweiligen Zulage und ihrem Zweck ab, ob dem so ist. Nähere
Anhaltspunkte dafür lassen sich dem Sachvortrag der Beklagten aber nicht entnehmen. Ebenso
unsubstantiiert und in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend ist der Hinweis, dass Urlaubsgeld für eine
allgemeine Lohnberechnung herauszurechnen sei. Warum im Ergebnis der Arbeitgeberanteil
vermögenswirksame Leistungen doppelt berücksichtigt worden sein soll, ist nicht verständlich.
Nach alledem war die Berufung mit der im Urteilstenor enthaltenen Maßgabe zurückzuweisen.
Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine
Veranlassung gegeben.