Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 17.05.2010

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, betriebsrat, anhörung, unwirksamkeit der kündigung, komplexität des sachverhaltes, blanko, fristlose kündigung, graphologisches gutachten, subjektives recht

LAG
Mainz
17.05.2010
11 Sa 663/08
Anforderungen an die Wirksamkeit einer Betriebsratsanhörung
Aktenzeichen:
11 Sa 663/08
3 Ca 905/07 MZ
ArbG Mainz
Entscheidung vom 17.05.2010
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. August 2008 - 3 Ca
905/07 - weiter teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. bestehende Arbeitsverhältnis
weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. vom 06. Februar 2008 noch durch die
ordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. vom 08. Februar 2008 beendet worden ist.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger und der Beklagte zu 1. jeweils ½ zu
tragen,
die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 2. hat der Kläger,
die außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Beklagten zu 1. hat dieser selbst,
von den außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Klägers haben dieser und der Beklagte zu 1. jeweils
die Hälfte zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu 1. die Kosten der Beweisaufnahme, im
Übrigen haben der Kläger und der Beklagte zu 1. die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zu ½ zu
tragen,
die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. im Berufungsverfahren hat der Kläger,
die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. im Berufungsverfahren hat dieser selbst,
von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren haben dieser und der Beklagte zu
1. jeweils die Hälfte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten - nach Erlass eines rechtskräftigen Teilurteils vom 10. September 2009 - noch über
die Wirksamkeit der von dem Beklagten zu 1) jeweils durch zwei gleich lautende Schreiben
ausgesprochenen Kündigungen vom 6. Februar 2008 (außerordentlich) sowie vom 8. Februar 2008
(ordentlich zum 30. September 2008) im Zusammenhang mit der Begehung der Straftat der Untreue durch
eine Mitarbeiterin.
Der am 30. Januar 1954 geborene Kläger ist verheiratet und Vater dreier unterhaltsberechtigter Kinder,
die sich noch in der Schule/Ausbildung befinden. Er ist aufgrund Anstellungsvertrages vom 20. Juni 1996
(Bl. 4 d. A.) seit dem 1. September 1996 als Geschäftsführer der Beklagten zu 2., einer Unterorganisation
des Beklagten zu 1., angestellt. Zuvor war der Kläger ununterbrochen seit 1985 in vergleichbarer Position
als Bildungsreferent und Jugendsekretär der Sr R bei dem Sportbund R e. V., der wiederum Mitglied des
Beklagten zu 1. ist, beschäftigt.
Gemäß Ziffer 2 des Anstellungsvertrages richtet sich das Angestelltenverhältnis „nach den Vorschriften
des Bundesangestellten-Tarifvertrages BAT vom 23.01.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden
oder ersetzenden Tarifverträgen, soweit nachfolgend keine Sonderbestimmungen festgelegt sind“. Der
Kläger erzielt ein Bruttojahresgehalt in Höhe von 68.000,00 €.
Der Kläger war - gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Beklagten zu 1. -zeichnungsberechtigt für das
Konto Nr. 75382 der Beklagten zu 2. Im Fall der Abwesenheit des Klägers konnte sein Stellvertreter G
gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Beklagten zu 1. verfügen.
Mit Datum vom 8. Dezember 2004 (Anlage B 10, Bl. 297 ff. d. A.) wurde dem Kläger eine Abmahnung
„wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Organisation des Olympischen Jugendlagers in A“
erteilt. Zu dieser nahm der Kläger mit Schreiben ohne Datum (Anlage K 24, Bl. 330 d. A.) Stellung.
In den Jahren 2000 bis 2006 kam es zu einer Vielzahl von finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der
Beklagten zu 2., verursacht durch Untreuehandlungen der für die Buchhaltung der Beklagten zu 2.
zuständigen Mitarbeiterin, der Zeugin E, in Form der Unterschlagung von Bargeld durch die Ausstellung
von Barschecks, die Ausstellung von Verrechnungsschecks und deren Einlösung auf von der Zeugin E
und deren Ehemann unterhaltene Konten sowie Entnahmen von Bargeld aus der Barkasse sowie die
Einlage gefälschter/fingierter Kassenausgabebelege in die Barkasse. Hierdurch entstand ein finanzieller
Schaden in Höhe von 943.106,59 €, dies bei Gesamteinnahmen der Beklagten zu 2. beispielsweise im
Haushaltsjahr 2005 in Höhe von 2.465.488,39 €.
Unter dem 20. April 2007 (Bl. 5 d. A.) sprach der Beklagte zu 1. gegenüber dem Kläger eine unwirksame
außerordentliche Kündigung aus (vgl. Teilurteil des Landesarbeitsgerichts vom 10. September 2009, Bl.
972 ff. d. A.). Daneben sprach die Beklagte zu 2. Kündigungen unter dem 4. Februar 2008
(außerordentlich) und 8. Februar 2008 (ordentlich zum 30 September 2008) aus. Soweit die Klage gegen
diese Kündigungen gerichtet war, hatte sie keinen Erfolg, da die Beklagte zu 2. nicht Arbeitgeber des
Klägers war (rechtskräftiges Teilurteil vom 10. September 2009, Bl. 972 ff. d. A.).
Weitere Kündigungen sprach der Beklagte zu 1. mit jeweils zwei identischen Kündigungsschreiben unter
dem 6. Februar 2008, dem Kläger zugegangen am 11. Februar 2008 (außerordentlich) sowie unter dem 8.
Februar 2008, dem Kläger zugegangen am 11. Februar 2008 (ordentlich zum 30. September 2008) aus.
Unter anderem gegen diese wandte sich der Kläger mit seiner am 22. Februar 2008 beim Arbeitsgericht
eingegangenen Klageerweiterung. Diese Kündigungen sind Gegenstand des vorliegenden
Schlussurteils.
Der Betriebsrat hatte der Kündigung durch den Beklagten zu 1. vom 6. Februar 2008 durch Schreiben vom
1. Februar 2008 ausdrücklich widersprochen. In dieser Stellungnahme des Betriebsrats (Bl. 387 f. d. A.)
heißt es auszugsweise:
„Grund der neuerlichen außerordentlichen Kündigung soll die Erhärtung des Verdachtes
einer erheblichen Pflichtverletzung aufgrund eines graphologischen Gutachtens sein, das nach Ihrer
Mitteilung bestätigt, dass vorliegende Schecks von Herrn F. – z. T. auch blanko – unterschrieben wurden.
Das graphologische Gutachten liegt dem Betriebsrat nicht vor; genaue Angaben aus dem Gutachten
erhielten wir nicht. Der Eingang dieses Gutachtens war lt. Aussage des Geschäftsführers der Sr, Pe D., am
16.1.2008 und wurde am 16. oder 17.1.2008 u. a. mit dem Vizepräsidenten Finanzen und Wirtschaft, Th
Wa, (das Amt des ehrenamtlichen Präsidenten ist derzeit vakant) und Ihnen besprochen. Seit der
Kenntnisnahme des Gutachtens durch Vertreter des Ldes ist nach Meinung des Betriebsrats so viel Zeit
verstrichen, dass keine Notwendigkeit einer außerordentlichen Kündigung mehr gesehen wird.
Der Betriebsrat widerspricht der fristlosen Kündigung von F..
· Der Geschäftsführer F. hatte keine Alleinverantwortung. Die Jahresabschlüsse der Sr wurden durch
ehrenamtliche Kassenprüfer geprüft, den zuständigen Gremien der Sr vorgelegt und von diesen
verabschiedet. Außerdem fanden die Jahresabschlüsse der Sr Eingang in die Haushaltsnachweise des
Ldes und wurden auch dort von den zuständigen Gremien abgenommen.
Eine Änderung seiner Auffassung vermag der Betriebsrat durch die Existenz des graphologischen
Gutachtens nicht zu ziehen.
(…).“
Der Kündigung des Beklagten zu 1. vom 8. Februar 2008 hat der Betriebsrat durch Schreiben vom 5.
Februar 2008 (Bl. 392 d. A.) ausdrücklich widersprochen. Er führte auszugsweise aus:
„Grund der ordentliche Kündigung soll die Erhärtung des Verdachtes einer erheblichen Pflichtverletzung
aufgrund eines grafologischen Gutachtens, das nach Ihrer Mitteilung bestätigt, dass vorliegende Schecks
von Herrn F. – z. T. auch blanko – unterschrieben wurden. Das grafologische Gutachten liegt dem
Betriebsrat nicht vor; genaue Angaben aus dem Gutachten erhielten wir nicht.
Der Betriebsrat widerspricht der Kündigung von F., weil er der Meinung ist, dass die Weiterbeschäftigung
des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen – auch unter Berücksichtigung eines
unbestrittenen entstandenen Vertrauensverlustes und der Höhe des finanziellen Schadens des
Arbeitgebers – möglich ist.
Außerdem ist der Betriebsrat der Meinung, dass soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt
wurden. (…)“
Unter dem 25. Februar 2008 wandte sich der Hauptgeschäftsführer des Beklagten zu 1., der Zeuge B.
erneut an den Betriebsrat und führte aus (Bl. 955 f. d. A.):
„unter Bezugnahme auf Ihre Schreiben vom 01. d. M., insbesondere Ihren Widerspruch gegen die fristlose
Kündigung von F., sehen wir uns veranlasst, der guten Ordnung halber auf zwei Dinge hinzuweisen:
(…)
Im Übrigen hatte Herr D. Ihnen mitgeteilt, dass der Grund der außerordentlichen Kündigung die nunmehr
nach Einsicht in die Ermittlungsakte feststehende Pflichtverletzung von F. insbesondere aufgrund der
eigenhändigen Unterzeichnung von Schecks sowie der fehlenden Kontrolle der Mittelverwendung war. Es
ist also nicht etwa so, dass die Pflichtverletzungen in erster Linie durch das graphologische Gutachten
nachgewiesen worden sind, sondern aus der Ermittlungsakte im Allgemeinen. Das Gutachten alleine ist
für sich genommen nicht sehr aussagekräftig. Erst in Verbindung mit den in der Ermittlungsakte
enthaltenen Zeugenaussagen bzw. der Einlassung von Frau E ist der Sachverhalt erkennbar. Danach war
es bei der Sr üblich, Frau E Blanko-Schecks zu überlassen. Die Ermittlungsakte ist unserem Rechtsanwalt,
Herrn Dr. B., am 22. Januar 2008 zugestellt worden. Daraufhin besprach er den Inhalt der Akten umge-
hend am 24. Januar 2008 mit dem geschäftsführenden Vorstand der Sr bzw. am 29. Januar 2008 im
Rahmen der ordentlichen Sitzung des Präsidiums des Ldes mit dem Präsidium. Darum ist Ihre
Darstellung, dass seit Kenntnisnahme des Gutachtens durch einen Vertreter der Sr zu viel Zeit verstrichen
wäre, so dass keine Notwendigkeit für eine außerordentliche Kündigung mehr gesehen werde, so nicht
richtig. Entscheidend sind die Erkenntnisse, die sich aus den Ermittlungsakten ergeben haben.
Vor diesem Hintergrund mag der Betriebsrat nochmals erörtern, ob die Zustimmung zur Kündigung in
Betracht kommt.“
Der Kläger hat – in Bezug auf die von dem Beklagten zu 1. unter dem 6. und 8. Februar 2008
ausgesprochenen Kündigungen – erstinstanzlich vorgetragen,
die Kündigungen seien wegen der mangelhaften Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Dem Betriebsrat
sei vor Ausspruch der Kündigungen lediglich mündlich mitgeteilt worden, dass nunmehr ein
graphologisches Gutachten vorliege, welches seine, des Klägers, Unterschrift unter Schecks bestätigen
würde. Über den Inhalt dieses Gutachtens habe der Betriebsrat keine weiteren Informationen erhalten. Er
war der Ansicht, der Beklagte zu 1. habe erneut eine Verdachtskündigung ausgesprochen, vor deren
Ausspruch er – unstreitig – nicht angehört worden sei. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1.
bereits vor dem 22. Januar 2008 Kenntnis von der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte gehabt habe. Da die
mündliche Anhörung des Betriebsrats am 29. Januar 2008 tagsüber stattgefunden habe, könne das
Präsidium des Beklagten zu 1. nicht am Abend dieses Tages über den Inhalt der Ermittlungsakte informiert
worden sein und im Anschluss daran das Anhörungsverfahren eingeleitet worden sein.
Er habe nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, schon gar nicht in einer Art und Weise,
die einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen könnte. Er habe – soweit ihm
aufgrund seiner sonstigen Aufgaben möglich – die Tätigkeit der Zeugin E überwacht. Wegen der
Kassenorganisation der Beklagten zu 1. sei eine Kontrolle der Zeugin E in einer Art und Weise, dass die
Manipulationen entdeckt würden, nicht möglich gewesen. Konkrete Direktiven oder Vorgaben von dem
Beklagten zu 1. wie er eine effektive Kontrolle habe bewerkstelligen sollen, habe es nicht gegeben. Die
Kontoauszüge betreffend das Bankkonto der Beklagten zu 2. beträfen jährlich über 20.000 Buchungen. Er
habe Barschecks und Verrechnungsschecks zur Befriedigung von Forderungen Dritter unterschrieben,
nicht aber solche, die auf Frau E ausgestellt gewesen seien und von ihr eingelöst hätten werden können.
Blankoschecks habe er nicht unterschrieben und der Zeugin E zur Verfügung gestellt. Vielmehr habe sich
die Zeugin gegenüber der weiteren Mitarbeiterin C. V. darüber beklagt, dass zwar der Zeuge G, nicht aber
er Blankoschecks zur Verfügung stellen würde. Sehr wohl habe er kontrolliert, ob das Geld in die
Barkasse eingelegt worden sei. Die Zeugin E sei häufig als Letzte im Büro verblieben. Deshalb habe
durchaus die Möglichkeit bestanden, Geld aus der Barkasse zu entnehmen und für diese Entnahmen
Belege zu fälschen. Hinsichtlich der Untreuehandlungen der Zeugin E bestehe auch ein erhebliches
Mitverschulden der S. Bank. Die Kündigungen seien schließlich wegen eines Verstoßes gegen § 242 BGB
unwirksam, da gegenüber dem Stellvertreter des Klägers G keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen
ausgesprochen worden seien.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen dass das zwischen ihm und dem Beklagten zu 1. bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch
die Kündigung vom 20. April 2007, ihm am gleichen Tage zugegangen, beendet wurde,
festzustellen, dass das zwischen ihm und der Beklagten zu 2. bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch
die Kündigung vom 20. April 2007, ihm am gleichen Tage zugegangen, beendet wurde,
festzustellen, dass sein durch den Anstellungsvertrag vom 20. Juni 1996 begründetes Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung der Beklagten zu 2. vom 4. Februar 2008 nicht beendet wird,
festzustellen, dass sein durch den Anstellungsvertrag vom 20. Juni 1996 begründetes Arbeitsverhältnis
nicht durch die Kündigungen des Beklagten zu 1. vom 6. Februar 2008 beendet wird,
festzustellen, dass sein durch den Anstellungsvertrag vom 20. Juni 1996 begründetes Arbeitsverhältnis
nicht durch die Kündigungen der Beklagten zu 2. vom 8. Februar 2008 zum 30. September 2008 beendet
wird,
festzustellen, dass sein durch den Anstellungsvertrag vom 20. Juni 1996 begründetes Arbeitsverhältnis
nicht durch die Kündigungen des Beklagten zu 1. vom 8. Februar 2008 zum 30. September 2008 beendet
wird,
festzustellen, dass sein durch den Anstellungsvertrag vom 20. Juni 1996 begründetes Arbeitsverhältnis
über den 30. September 2008 hinaus ungekündigt fortbesteht.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben – im Hinblick auf die von dem Beklagten zu 1. unter dem 6. und 8. Februar 2008
ausgesprochenen Kündigungen – vorgetragen,
am 22. Januar 2008 habe ihr Prozessbevollmächtigter die ihm mit Schreiben der Staatsanwaltschaft
Mainz vom 17. Januar 2008 übersandten Ermittlungsakten 3852 Js 11101/07 ./. E erhalten. Der Beklagte
zu 1. sei hiervon in Kenntnis gesetzt worden. Im Rahmen der turnusmäßigen Präsidiumssitzung des
Beklagten zu 1. vom 29. Januar 2008 habe das Präsidium beschlossen, das Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger außerordentlich, hilfsweise fristgerecht erneut nunmehr aufgrund erwiesener Pflichtverletzungen
des Klägers zu kündigen. Auch für den Beklagten zu 1. sei das Betriebsratsanhörungsverfahren
eingeleitet worden. Nachdem der - ohnehin bereits durch den Geschäftsführer der Beklagten zu 2.
sachlich informierte - Betriebsrat mit Schreiben vom 1. Februar 2008 der außerordentlichen Kündigung
durch den Beklagten zu 1. und mit Schreiben vom 5. Februar 2008 auch der ordentlichen Kündigung
durch den Beklagten zu 1. widersprochen habe, habe der Beklagte zu 1. die beiden Kündigungen
ausgesprochen. Diese seien wegen erwiesener Pflichtverletzungen des Klägers erfolgt, der weder die
Kasse kontrolliert noch hierfür Interesse gezeigt habe. Er habe Barschecks ausgestellt und die
Verwendung des so von der bezogenen Bank ausgezahlten Bargeldes in keiner Weise kontrolliert.
Hierbei handele es sich um die Barschecks
28.02.2002, Scheck Nr. 19826438, Betrag 6.000,- €,
23.05.2002, Scheck Nr. 20159101, Betrag 6.000,- €,
14.01.2003, Scheck Nr. 20159124, Betrag 6.000,- €,
14.07.2004, Scheck Nr. 20241705, Betrag 9.000,- €,
18.08.2005, Scheck Nr. 20241737, Betrag 12.000,- €,
08.02.2006, Scheck Nr. 20241748, Betrag 14.000,- €,
05.05.2006, Scheck Nr. 20275706, Betrag 14.000,- €,
09.11.2006, Scheck Nr. 20275724, Betrag 10.000,- €.
Bei einer Kontrolle der Barkasse hätten dem Kläger die enormen „Umsätze“ der Barkasse auffallen und er
hätte entsprechende Nachforschungen betreiben müssen. Die Zeugin E habe auch Barschecks als
Verrechnungsschecks gekennzeichnet direkt ihrem Konto gutschreiben lassen. In diesem Fall habe sie
blanko unterschriebene Schecks benutzt. Es handele sich dabei im Einzelnen um folgende Schecks:
12.10.2001, Scheck Nr. 5468346, Betrag 8.468,00 DM,
15.10.2002, Scheck Nr. 19826444, Betrag 5.000,- €,
02.02.2004, Scheck Nr. 5468367, Betrag 8.750,- €,
25.02.2004, Scheck Nr. 5464962, Betrag 8.160,- €,
11.06.2004, Scheck Nr. 20216297, Betrag 7.000,- €,
23.02.2005, Scheck Nr. 5564981, Betrag 12.751,50 €,
26.04.2005, Scheck Nr. 5564980, Betrag 11.000,- € und
28.10.2005, Scheck Nr. 5564988, Betrag 14.386,90 €.
In der Regel hätten sich bis zu 10 blanko unterschriebene Scheckformulare im Safe im Büro dieser Zeugin
befunden. Für die ausgestellten Bar- und Verrechnungsschecks habe der Kläger von der Zeugin E
niemals Verwendungsnachweise verlangt. Die Kontrolle über die Finanzen der Beklagten zu 2. sei Kern
der arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Klägers gewesen, wie ihm aus der Abmahnung vom 8.
Dezember 2004 bekannt gewesen sei. Bei den Unterschriften auf den vom Kläger zugunsten der Zeugin E
unterzeichneten Verrechnungsschecks handele es sich nach Aussage des von der Staatsanwaltschaft
beauftragten Sachverständigen „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ um Originalunterschriften des
Klägers. Entweder habe der Kläger damit auf die Zeugin E ausgestellte Verrechnungsschecks
unterzeichnet und hierdurch eine Untreuehandlung, jedenfalls aber eine schwere Vertragsverletzung
begangen und die Verwendung der Beträge anschließend nicht kontrolliert. Oder aber der Kläger habe so
genannte Blankoschecks hinsichtlich des Empfängers ausgefüllt und hierdurch eine schwere
Vertragsverletzung begangen. Auch habe er weder anschließend die Kontoauszüge überprüft noch in
sonstiger Weise, beispielsweise durch die Einsichtnahme in Belege die Verwendung der von ihm
freigegebenen Mittel kontrolliert. Dem Kläger seien außerdem die vielen von seinem
Abwesenheitsvertreter unterzeichneten Verrechnungsschecks nicht aufgefallen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen. Weiter wird ergänzend auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom
28. August 2008 (Bl. 645 ff. d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die staatsanwaltliche
Ermittlungsakte 3853 Js 11101/07 StA Mainz beigezogen.
Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht Mainz unter anderem die Klage betreffend die von dem
Beklagten zu 1. unter dem 6. Februar 2008 und 8. Februar 2008 ausgesprochenen Kündigungen
abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht insoweit – zusammengefasst – ausgeführt, im
Verhältnis des Klägers zu dem Beklagten zu 2. könne das (Fort-)Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht
festgestellt werden, da es an der Arbeitgebereigenschaft des Beklagten zu 1. fehle. Wegen der
Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils
des Arbeitsgerichts Mainz vom 28. August 2008 (Bl. 656 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das genannte Urteil ist dem Kläger am 14. Oktober 2008 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem
am 30. Oktober 2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 29. Oktober 2009
Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 9. Januar 2009, beim Landesarbeitsgericht innerhalb
der durch Beschluss vom 1. Dezember 2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 9. Januar 2009
eingegangen, begründet.
Der Beklagten zu 2) ist das Urteil am 10. Oktober 2008 zugestellt worden. Sie hat hiergegen durch
Schriftsatz vom 6. November 2008, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen Berufung
eingelegt und diese mit am 9. Januar 2009 innerhalb der durch Beschluss vom 10. Dezember 2008
verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.
Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes (Bl. 699 ff.
d. A.) sowie der weiteren Schriftsätze vom 13. Februar 2009 und 8. Juni 2009, auf die jeweils ergänzend
Bezug genommen wird (Bl. 780 ff. und 895 ff. d. A.) - soweit für die vorliegende Entscheidung von
Bedeutung - im Hinblick auf die Kündigungen des Beklagten zu 1. vom 6. und 8. Februar 2008
zusammengefasst geltend:
Auch wenn der Beklagte zu 1. Arbeitgeber des Klägers sei, so hätten dennoch die mit der Klage
angegriffenen Kündigungen dieses Arbeitsverhältnis nicht beendet. Die ausgesprochenen Kündigungen
seien sowohl wegen unterbliebener oder fehlerhafter Betriebsratsanhörung bereits unwirksam, aber auch
wegen Nichtbestehens eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB, als auch im Sinne des KSchG nicht
gerechtfertigt. Der Beklagte zu 1. habe den Betriebsrat über den zur Kündigung führenden neuen
Sachverhalt nicht informiert und angehört.
Er, der Kläger sei in keinster Weise „gesamtverantwortlich“ für den Bereich Finanzen der Beklagten zu 2.
gewesen. Die Verantwortung hierfür habe beim Vorstand, dem damaligen Vorsitzenden E., gemeinsam
mit den Schatzmeistern B. R. bzw. Jo. Au. gelegen. Er sei für den Bereich Finanzen ausschließlich
dahingehend verantwortlich gewesen, dass er dem Vorstand eine Entscheidungsvorlage für den
Jahresetat gemacht habe. Im so genannten „Tagesgeschäft“ sei er nicht allein zeichnungsberechtigt und
daher auch nicht allein verantwortlich gewesen, zum Beispiel lediglich gemeinsam mit dem Schatzmeister
der Beklagten zu 2. oder mit dem jeweiligen Vorsitzenden. Der Finanzbereich sei nur ein kleiner Teil
seiner Tätigkeit gewesen. Hauptaufgabe sei zunächst die inhaltliche Konzeption der gesamten sportlichen
Arbeit der Beklagten zu 2. gewesen, die Führung der Geschäftsstelle sowie die gesamte sonstige
Vorstandsarbeit. Er habe Vertrauen in die Tätigkeit der Zeugin E haben können. Die stichprobenartige
Überprüfung, die er immer vorgenommen habe, habe als ausreichend angesehen werden können. Nicht
von ihm, sondern vom Vorstand der Beklagten zu 2. sei beschlossen worden, die Barkasse ab dem Jahr
2000 selbst in den Räumlichkeiten er Beklagten zu 2. durch die frühere Mitarbeiterin E führen zu lassen.
Das Ausstellen von Verrechnungsschecks sei in den 90er Jahren eher selten gewesen. In den letzten 10
Jahren habe sich das Ausgabevolumen verdreifacht. Er habe eingehende Rechnungen auf ihre
Korrektheit geprüft und die Zeugin E mit der Begleichung beauftragt. Nach Prüfung der
Sammelüberweisungen durch ihn und die entsprechende Freigabe durch Unterzeichnung sei eine
Vorlage an den Schatzmeister erfolgt. Dieser habe Überweisungen freizugeben gehabt. Blankoschecks
habe er nicht ausgefüllt und solche nie der Zeugin E zur Verfügung gestellt. Die Zeugin E habe sich
mehrfach bei der Kollegin V. über ihn, den Kläger, beschwert, dass er der Zeugin keine Blankoschecks
aushändigen würde. Gemeinsam mit dem Schatzmeister der Beklagten zu 2. habe er die Belege und den
Zahlungseingang regelmäßig, das heißt turnusgemäß alle zwei Monate geprüft. Unregelmäßigkeiten
seien nicht festgestellt worden, für sämtliche Ausgaben seien die entsprechenden Belege vorhanden
gewesen. Zusätzliche Prüfungen seien im Rahmen der jährlich stattfindenden Kassenprüfung durch zwei
gewählte Kassenprüfer der Beklagten zu 2. erfolgt. Aufgrund der Auftragsbearbeitung durch den
Beklagten zu 1. sei ein Zeitverzug zwischen Rechnungseingang, Zahlung und Buchung von 2 bis 3,
manchmal 4 Wochen üblich gewesen. Diese Intransparenz habe er gegenüber seinem Vorstand
regelmäßig bemängelt und nicht zu verantworten.
Der Kläger beantragt nach Erlass des inzwischen rechtskräftigen Teilurteils vom 10. September 2009,
durch das das Urteil des Arbeitsgericht Mainz vom 28. August 2008 – 3 Ca 905/07 – teilweise abgeändert
und festgestellt worden ist, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. bestehende
Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 20. April 2007 beendet wurde und die gegen die
Beklagte zu 2. gerichtete Klage abgewiesen wurde, nunmehr weiter,
1. unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung festzustellen, dass das zwischen dem
Kläger und dem Beklagten zu 1. bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des
Beklagten zu 1. vom 6. Februar 2008 beendet wurde;
2. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts festzustellen,
dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. auch nicht durch die
Kündigung vom 8. Februar 2008 zum 30. September 2008 beendet wurde.
Die Beklagte beantragt noch,
die (weitergehende) Berufung des Klägers zurückzuweisen.
In Erwiderung auf das Berufungsvorbringen des Klägers macht der Beklagte zu 1. nach Maßgabe der
Schriftsätze vom 9. Januar 2009, 16. Februar 2009 und 6. Mai 2009, auf die jeweils ergänzend Bezug
genommen wird (Bl. 725 ff., 788 ff. und 843 ff. d. A.) im Wesentlichen und zusammengefasst geltend,
der neue Geschäftsführer der Beklagten zu 2., der Zeuge D. habe am 25. Januar 2008 kurz bei der
Betriebsratsvorsitzenden A. vorgesprochen und diese informiert, dass der Vorstand der Beklagten zu 2.
erneut die außerordentliche als auch hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses
beschlossen habe. Grund sei neben den bereits bekannten Umständen, dass nunmehr aufgrund des
graphologischen Gutachtens und der Aussage der Zeugin E feststehe, dass der Kläger – entgegen
seinem Vortrag – eben gerade doch selbst Bar- bzw. Verrechnungsschecks blanko unterzeichnet habe
und darüber hinaus die Zeugin E in ihrer Aussage ausgeführt habe, dass sie regelmäßig Blankoschecks
zur Verfügung gehabt habe und sie im Übrigen überhaupt nicht durch den Kläger kontrolliert worden
wäre. Der Kläger habe seine elementaren Pflichten zur Kontrolle der Beklagten zu 2. nicht erfüllt.
Entsprechend sei für den Ausspruch der Kündigung entscheidend, dass der Kläger Blankoschecks
ausgestellt und Fehlbeträge insgesamt aufgrund mangelnder Kontrollen nicht bemerkt habe. Daher wolle
man das Arbeitsverhältnis erneut vorsorglich außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich und
fristgerecht kündigen. Am Dienstag, den 29. Januar 2008 habe erneut eine ausführliche Besprechung
dieser Problematik durch den Zeugen D. mit dem Betriebsrat stattgefunden.
Am 30. Januar 2008 habe der Zeuge B. sodann die Vorsitzende des Betriebsrats auch von der von dem
Beklagten zu 1. beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzende
des Betriebsrats habe dabei dem Zeugen B. erklärt, eine ausführlichere Information des Betriebsrats
nochmals auch durch den Beklagten zu 1. sei nicht mehr erforderlich, da dem Betriebsrat die
Angelegenheit durch die frühere ausführliche Anhörung zur ersten Kündigung vom 29. Januar 2008
hinlänglich bekannt wäre, der Betriebsrat aufgrund der vorhergehenden Erörterungen also bereits
umfassend informiert sei und ein weiteres Klärungsbedürfnis nicht mehr bestehe. Er werde sich daher in
Kürze schriftlich zu den beabsichtigten Kündigungen äußern.
Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie auf den Tatbestand des Teilurteils vom 10. September 2009 (Bl. 973 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Akte der StA Mainz 3853 Js 11101/07 ./. E beigezogen. Es hat Beweis
erhoben durch die Vernehmung der Zeugen B., A. und D.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird Bezug genommen auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 10. September 2009 und 17. Mai
2010 (Bl. 940 ff. und 1052 ff. d. A.).
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.
und dem Beklagten zu 1. ist weder durch die mit zwei identischen Schreiben vom 6. Februar 2008
ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. noch durch die mit zwei identischen
Schreiben des Beklagten zu 1. ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 8. Februar 2008 (zum 30.
September 2008) beendet worden.
Die beiden Kündigungen wurden vom Kläger durch die beim Arbeitsgericht am 22. Februar 2008
eingegangene Klageerweiterung in der Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7, 13 KSchG angegriffen.
1.
6. Februar 2008 beendet worden. Die mit zwei identischen Kündigungsschreiben ausgesprochene
Kündigung ist als eine Kündigung anzusehen. Die beiden gleich lautenden Kündigungsschreiben sind –
vom Empfängerhorizont aus gesehen – eine einheitliche Kündigung. Der Beklagte zu 1. hat durch die
Schreiben lediglich eine (doppelt verlautbarte) Kündigungserklärung abgegeben, deren Zugang er auf
zwei verschiedenen Wegen sicherstellen wollte (vgl. BAG, Urt. v. 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 –
NZA 2008, 636; DLW/Dörner, 8. Aufl. 2009, Kap. 4 Rn. 377).
Die außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1. vom 6. Februar 2008 ist gemäß § 102 Abs. 1 S. 3
BGB unwirksam. Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der
Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 S. 2
BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (§ 102 Abs. 1
S. 3 BetrVG). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat zwar beteiligt hat, ihm
bei der ihm obliegenden Einleitung und Durchführung der Anhörung aber Fehler unterlaufen sind
(ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG, Urt. v. 27. November 2003 – 2 AZR 654/02 – AP Nr. 136 zu § 102
BetrVG 1972; Urt. v. 27. September 2001 – 2 AZR 236/00 – BB 2002, 1914; Urt. v. 16. September 1993 – 2
AZR 267/93 – AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972), er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102
Abs. 1 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG, Urt. v. 18. Oktober 2006 – 2 AZR 434/05 –
NZA 2007, 552, 558; v. 17. Februar 2000 – AP Nr. 113 zu § 102 BetrVG 1972)
§ 102 Abs. 1 BetrVG enthält zwingendes Recht, das nur zugunsten des Arbeitnehmers durch eine
Erweiterung in ein Zustimmungsrecht (§ 102 Abs. 6 BetrVG) geändert werden kann. Auf das
Anhörungsrecht können vorab weder der Betriebsrat noch der von der Kündigung betroffene
Arbeitnehmer wirksam verzichten (Busemann/Schäfer, Kündigung und Kündigungsschutz im
Arbeitsverhältnis, 5. Aufl. 2006, Rn. 216; GK-BetrVG/Raab, 8. Aufl. 2005, § 102 Rn. 85).
Eine wirksame Anhörung des Betriebsrats erfordert, dass der Arbeitgeber bei Einleitung des
Anhörungsverfahrens einen aktuellen Kündigungsentschluss gefasst hat und den Betriebsrat zu einer
bestimmten beabsichtigten Kündigung anhört (Busemann/Schäfer, a. a. O., 5. Aufl. 2006, Rn. 238;
Richardi/Thüsing, BetrVG, 12. Aufl. 2010, § 102 Rn. 117). Eine gleichsam „auf Vorrat“ eingeleitete
Anhörung ist unwirksam (Preis in Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl. 2009, § 102 Rn. 34).
Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung ist weiter, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat
schriftlich oder mündlich über seine Kündigungsabsicht unterrichtet. Der Betriebsrat muss aus dieser
Mitteilung entnehmen können, dass die Kündigung des betreffenden Arbeitnehmers beabsichtigt ist und
seine Anhörung im Rahmen des § 102 BetrVG Absicht dieser Mitteilung sein soll. Der Arbeitgeber darf
sich nicht darauf beschränken, den Betriebsrat „allgemein“ zu einer Kündigung zu hören. Die
Unterrichtung soll dem Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand vermitteln, damit er zu der konkret
beabsichtigten Kündigung eine Stellungnahme abgeben kann. Der Betriebsrat muss im Rahmen des §
102 Abs. 1 S. 2 BetrVG vom Arbeitgeber so viel erfahren, dass er – auch unter Rückgriff auf vorhandene
Kenntnisse – die ihm in § 102 BetrVG eingeräumten Rechte, bezogen auf die konkret beabsichtigte
Kündigung ausüben kann. Er muss also selbst dann, wenn er alles weiß, was der Arbeitgeber weiß,
darüber informiert werden, auf welchen kündigungsrechtlich relevanten Tatsachenkomplex die Kündigung
gestützt wird. Es kommt darauf an, dass für den Betriebsrat der „Kündigungsgrund“ im Sinn eines aus
mehreren Tatsachen und einer groben rechtlichen Einordnung gebildeten Begründungszusammenhangs
erkennbar wird, auf den der Arbeitgeber sich stützen will. Der Arbeitgeber muss also zumindest deutlich
machen, auf welche dem Betriebsrat bekannten Fakten er die Kündigung stützen will (Richardi/Thüsing, a.
a. O., § 102 Rn. 48). Der Arbeitgeber genügt der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den
Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt, ohne die für seine
Bewertung maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen (BAG, Urt. v. 17. Februar 2000 – 2 AZR 913/98 – AP Nr.
113 zu § 102 BetrVG 1972). Andererseits sind an die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der
Betriebsratsanhörung nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast im Kündi-
gungsschutzprozess, sondern der Grundsatz der sog. „subjektiven Determinierung“ gilt, dem zufolge der
Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört worden ist, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht
tragenden Umstände unterbreitet hat (ständige Rechtsprechung, etwa BAG, Urt. v. 17. Februar 2000 - 2
AZR 913/98 - AP Nr. 113 zu § 102 BetrVG 1972 m. w. N.). Teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat objektiv
kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen nicht mit, weil er die Kündigung darauf (zunächst) nicht stützen
will oder weil er sie bei seinem Kündigungsentschluss für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist die
Anhörung selbst ordnungsgemäß. Die in objektiver Hinsicht unvollständige Unterrichtung hat lediglich
mittelbar die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn der mitgeteilte Sachverhalt zur sozialen
Rechtfertigung der Kündigung nicht ausreicht, weil es dem Arbeitgeber verwehrt ist, Gründe
nachzuschieben, die nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren (BAG, Urt. v. 27. September 2001
– 2 AZR 236/00 – BB 2002, 1914; Urt. v. 17. Februar 2000 – 2 AZR 913/98 – AP Nr. 113 zu § 102 BetrVG
1972 m. w. N.). Damit der Betriebsrat eine richtige Stellungnahme abgeben kann, muss der Arbeitgeber
ihm auch Umstände mitteilen, die im konkreten Fall den Arbeitnehmer entlasten (vgl. BAG, Urt. v. 2.
November 1983 – 7 AZR 65/82 – AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972). Versäumt er dies, so war die
Anhörung nicht ordnungsgemäß und daher die Kündigung unwirksam.
Weil es Aufgabe des Arbeitgebers ist, das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß einzuleiten und dem
Betriebsrat innerhalb der Anhörungsfrist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, fällt die
ordnungsgemäße Unterrichtung in seinen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich. Ist die Anhörung
des Betriebsrats eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung, trägt der Arbeitgeber im
Kündigungsrechtsstreit die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er den Betriebsrat ordnungsgemäß
beteiligt hat.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Beklagte zu 1. den Betriebsrat vor Ausspruch der
Kündigung vom 6. Februar 2008 nicht ordnungsgemäß im Sinn des § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.
Eine Anhörung des Betriebsrats war nicht bereits deshalb entbehrlich, weil sich der Zeuge B. und die
Betriebsratsvorsitzende, die Zeugin A. vor Ausspruch der Kündigung darauf geeinigt hätten, dass es
keiner (weiteren) Anhörung des Betriebsrats bedürfe. Die Anhörung des Betriebsrats steht nicht zur
Disposition von Arbeitgeber und Betriebsrat. Der Betriebsrat kann nicht auf das Anhörungsrecht verzichten
(GK-BetrVG/Raab, 8. Aufl. 2005, § 102 Rn. 85). Ein Verzicht setzt voraus, dass die jeweilige
Rechtsposition zur Disposition des Verzichtenden steht. Dies wiederum ist nur dann der Fall, wenn es sich
um ein subjektives Recht handelt, das dem Verzichtenden ausschließlich in seinem eigenen Interesse
eingeräumt worden ist. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind aber keine subjektiven, im eigenen
Interesse des Betriebsrats auszuübenden Rechte, sondern Kompetenzen, die diesem im Interesse und
zum Schutz der von ihm repräsentierten Arbeitnehmer verliehen worden sind. Schon deshalb ist ein
Verzicht des Betriebsrats auf die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts nicht zulässig. § 102 Abs. 1 S. 3
BetrVG ist daher jedenfalls insoweit zwingendes Recht (GK-BetrVG/Raab, a. a. O., § 102 Rn. 85; vgl.
Wiese, RdA 1968, 455, 457 allgemein zum Verzicht auf Befugnisse aus dem Betriebsverfassungsgesetz).
Der Betriebsrat wurde auch nicht am 29. Januar 2008 durch den Geschäftsführer der Beklagten zu 2., den
Zeugen D. wirksam zu einer von dem Beklagten zu 1. beabsichtigten Kündigung angehört.
Die Anhörung durch den Zeugen D. erfolgte am 29. Januar 2008 tagsüber und damit bevor – nach dem
Vortrag des Beklagten zu 1. – am Abend des 29. Januar 2008 das Präsidium des Beklagten zu 1. im
Rahmen der turnusmäßigen Präsidiumssitzung des Beklagten zu 1. erstmals vom neuen
Kündigungssachverhalt Kenntnis erhielt und beschloss, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger
außerordentlich zu kündigen. Der Kläger hat insoweit bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass –
da die Anhörung des Betriebsrats am 29. Januar 2008 tagsüber stattgefunden habe – das Präsidium nicht
am Abend dieses Tages über den Inhalt der Ermittlungsakte informiert worden sein und im Anschluss
daran das Anhörungsverfahren eingeleitet sein könne. Vor Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom
Kündigungssachverhalt kann jedoch eine wirksame Anhörung des Betriebsrats nicht erfolgen. Vorher
steht der Kündigungssachverhalt nicht fest und kann damit dem Betriebsrat seitens des
Kündigungsberechtigten nicht mitgeteilt werden.
Die Mitteilung an den Betriebsrat durch den Zeugen D. am 24. bzw. 29. Januar 2008 genügte im Übrigen
auch inhaltlich nicht den Anforderungen an eine Information des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG.
Die vom Zeugen D. in dem von ihm geschilderten circa fünfminütigen Gespräch mit dem Betriebsrat
gemachten Angaben, „der Grund der Kündigung sei der Einblick in das graphologische Gutachten, nach
dem mehrere Schecks blanko vom Kläger unterschrieben sein sollen. Das stimme mit dem Ergebnis der
Ermittlungsakte überein“, genügen den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen im Hinblick
auf die Komplexität des Sachverhaltes nicht. Der Kenntnisstand des Betriebsrats muss aktuell sein, das
heißt er muss mit der konkret beabsichtigten Kündigung sachlich und zeitlich in Zusammenhang stehen
(BAG, Urt. v. 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – NZA 1986, 426, 427). Aufgrund der Angaben des Zeugen D.
konnte der Betriebsrat nicht erkennen, auf welchen konkreten Kündigungssachverhalt die Kündigung
nunmehr gestützt werden sollte. Da aufgrund neuer Erkenntnisse eine Tat- nach der vorangegangenen
Verdachtskündigung ausgesprochen werden sollte, hätte seitens der Beklagten zu 1. deutlich gemacht
werden müssen, auf welche – aus ihrer Sicht – erwiesenen Tatsachen die Kündigung jetzt gestützt
werden sollte. Soweit dem Betriebsrat mitgeteilt wurde, mehrere Schecks seien nach dem
graphologischen Gutachten blanko unterschrieben, fehlen jegliche zeitliche Einordnung der Vorwürfe
sowie Angaben zur Anzahl der Schecks („mehrere“), ihrer Verwendung und der Höhe der
Schecksummen. Auch Angaben zu entlastenden Gesichtspunkten wurden nicht gemacht, etwa dazu, dass
das graphologische Gutachten – anders als vom Zeugen D. geschildert – keine Aussage zur Reihenfolge
Ausfüllen – Unterschrift oder umgekehrt macht. Soweit die Betriebsratsvorsitzende, die Zeugin A.,
Kenntnisse über den Inhalt des graphologischen Gutachtens hatte, kann dieses Wissen dem Betriebsrat
nicht zugerechnet werden. Die Zeugin A. erhielt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Einblick in das
Gutachten nicht zum Zweck der Weitergabe der hieraus gewonnenen Erkenntnisse an den
Gesamtbetriebsrat, sondern mit der Maßgabe, dass der Gutachteninhalt nicht weitergegeben werden
dürfte. Dementsprechend teilte sie dem Betriebsrat nichts über den Inhalt des graphologischen
Gutachtens mit. Insoweit hat der Zeuge B. vor dem Landesarbeitsgericht ausgesagt, er habe der
Betriebsratsvorsitzenden gesagt, er könne ihr das Gutachten nicht offiziell zur Verfügung stellen, aber sie
solle sich hinsetzen und es durchsehen. Er habe nicht gewusst, ob zu diesem frühen Zeitpunkt das von
der Staatsanwaltschaft an den Anwalt übermittelte Gutachten bereits habe offen gelegt werden dürfen. Er
habe es unter dem Siegel der Verschwiegenheit der Betriebsratsvorsitzenden zu lesen gegeben. Er gehe
daher davon aus, dass die Betriebsratsvorsitzende das ihren Betriebsratskollegen nicht hätte weitergeben
dürfen. Er habe ihr zumindest sinngemäß gesagt, dass sie nicht aus dem Gutachten zitierten dürfe, dass
sie aber sehr wohl dem Betriebsrat mitteilen dürfe, dass sie über die Geschäftsführung Einsicht in das
Gutachten gehabt und welche Schlüsse sie daraus gezogen habe. Die Betriebsratsvorsitzende, die
Zeugin A. hat ausgesagt, sie habe dem Betriebsrat nichts vom Inhalt des Gutachtens berichtet. Das
graphologische Gutachten sei vertraulich gewesen und sie habe nicht den Auftrag gehabt, das
weiterzuleiten. Die vom Betriebsrat begehrte Einsicht in das Gutachten wurde diesem durch den Zeugen
D. am 29. Januar 2008 verweigert. Hierauf hat der Betriebsrat im Rahmen seiner Stellungnahme
hingewiesen. Diesen Sachverhalt hat auch der Zeuge D. vor Gericht bestätigt. Zwar muss dem Betriebsrat
grundsätzlich ein Einblick in Beweismittel und damit auch in ein Sachverständigengutachten nicht
gestattet werden (vgl. BAG, Urt. v. 26. Januar 1995 – 2 AZR 386/94 – NZA 1995, 672, 674; v. 27. Juni 1985
– 2 AZR 412/84 – AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972). Der Arbeitgeber wird durch die Existenz des
Gutachtens aber auch nicht von seiner Verpflichtung befreit, dem Betriebsrat den Kündigungssachverhalt
als solchen darzustellen.
Bei der Anforderung, der Arbeitgeber müsse auch bei Vorkenntnissen des Betriebsrats deutlich machen,
auf welchen konkreten Kündigungssachverhalt die Kündigung gestützt wird, handelt es sich auch nicht um
eine bloße Förmelei. Nur wenn der Betriebsrat weiß, welche erwiesenen Tatsachen der Arbeitgeber
nunmehr zum Anlass einer Tatkündigung nehmen will, kann er seine Überlegungen zur
Kündigungsabsicht vorbringen und erwägen, ob diese Tatsachen einen wichtigen Grund für eine
außerordentliche Kündigung darstellen und Überlegungen zur Interessenabwägung anstellen. Darüber
hinaus ist die Angabe eines konkreten Kündigungssachverhalts auch unabdingbare Voraussetzung für
die Prüfung, ob ein Vortrag im Kündigungsschutzverfahren lediglich zulässigerweise die Kündigungs-
gründe konkretisiert oder ein – nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässiges – Nachschieben
anderer neuer Kündigungsgründe vorliegt. Auch für die Prüfung der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist
des § 626 Abs. 2 BGB ist die Kenntnis erforderlich, welcher Kündigungssachverhalt der Kündigung
zugrunde liegt. Nur dann kann beurteilt werden, zu welchem Zeitpunkt der kündigende Arbeitgeber
ausreichende Kenntnis von diesem Kündigungssachverhalt hatte.
Zeitlich nach dem Beschluss des Präsidiums am Abend des 29. Januar 2008 wurde das
Anhörungsverfahren von Seiten des Beklagten zu 1. nicht eingeleitet. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Zeuge B. den Betriebsrat nicht über
die Kündigungsabsicht des Beklagten zu 1. informiert und zu erkennen gegeben hat, dass aufgrund
seiner Mitteilung der Betriebsrat eine Stellungsnahme abgeben soll, insbesondere nicht am 30. Januar
2008. Der Zeuge B. hat in seiner Zeugenaussage vom 10. September 2009 ausgesagt, er habe den
Betriebsrat nicht angehört, sondern nur ein Gespräch mit der Zeugin A. geführt. Er habe lediglich
nachgefragt, ob die Auskünfte des Herrn D. gegenüber dem Betriebsrat hinreichend seien oder ob der
Betriebsrat noch Informationen durch ihn, den Zeugen B., benötige.
Auch die Zeugin A. hat vor Gericht ausgesagt, die Information des Betriebsrats sei durch den
Geschäftsführer der Beklagten zu 2., den Zeugen D. erfolgt. Da der Betriebsrat sich damit einverstanden
erklärt habe, dass die Anhörung für beide Beklagte gelten solle, habe nicht noch mal eine Anhörung durch
den Beklagten zu 1. erfolgen müssen.
Die nicht ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrates über die maßgeblichen Kündigungstatsachen
wird im Streitfall nicht dadurch geheilt, dass der Betriebsrat abschließend zu der beabsichtigten
Kündigung Stellung genommen hat (BAG, Urteil vom 2. November 1983 - 7 AZR 65/82, - AP Nr. 29 zu §
102 BetrVG 1972). Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG besteht aus zwei Verfahrensabschnitten.
Erfüllt der Arbeitgeber seine Pflichten, insbesondere die Mitteilungspflicht nicht oder nicht ausreichend,
dann ist die Kündigung kraft Gesetzes unwirksam, und zwar unabhängig davon, ob und wie der
Betriebsrat auf die beabsichtigte Kündigung reagiert. Die ablehnende Stellungnahme des Betriebsrates ist
nicht dazu geeignet, die Fehler des Beklagten zu 1. bei der Einleitung des Anhörungsverfahrens zu heilen
(vgl. BAG, Urt. v. 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – AP § 102 BetrVG Nr. 37; v. 2. November 1983 - 7 AZR
65/82 - AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972; Urt. v. 28. September 1978 – 2 AZR 2/77 – AP Nr. 19 zu § 102
BetrVG 1972). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Betriebsrat ausdrücklich und
vorbehaltlos der Kündigung zugestimmt hat. Davon kann aber angesichts des Widerspruchs des
Betriebsrats im Streitfall nicht die Rede sein.
Der Mangel der fehlenden bzw. fehlerhaften Anhörung wurde auch nicht durch eine nächträgliche
Anhörung des Betriebsrats nach Ausspruch der Kündigung, etwa durch das Schreiben des Zeugen B. vom
25. Februar 2008 - geheilt. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BAG, Urt. v. 28. Februar 1974 – 2
AZR 455/73 – AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972) ist eine Heilung durch die nachträgliche Anhörung des
Betriebsrats nicht einmal dann möglich, wenn der Betriebsrat der Kündigung nachträglich zustimmt. Der
Zweck der Anhörung wird nicht mehr erfüllt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat erst ordnungsgemäß
informiert, nachdem er die Kündigungsabsicht verwirklicht, das heißt die Kündigung erklärt hat. Die
rechtzeitige Beteiligung des Betriebsrats bei der Willensbildung des Arbeitgebers muss sichergestellt
bleiben. Es ist nicht dasselbe, ob der Betriebsrat vorher zur Kündigung eines noch zur Belegschaft
gehörenden Arbeitnehmers angehört wird oder ob dem Arbeitnehmer ohne Zutun des Betriebsrats
gekündigt worden ist und der Betriebsrat noch mehr oder weniger formal darüber befindet, ob es dabei
bleiben soll (BAG, Urt. v. 28. Februar 1974 – 2 AZR 455/73 – AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972).
Einer weiteren Beweisaufnahme bedurfte es entgegen der Ansicht des Beklagten zu 1. nach Auffassung
der Kammer nicht. Eine gegenbeweisliche Vernehmung der Zeugin A. zur Anhörung durch den Zeugen D.
bedurfte es nicht, da der Kläger auf die gegenbeweisliche Vernehmung dieser Zeugin verzichtet hat. Auch
eine weitere Beweisaufnahme entsprechend dem Antrag des Beklagten zu 1. in der öffentlichen Sitzung
vom 17. Mai 2010 war nicht veranlasst, ohne dass es auf die Frage der Verspätung des Vorbringens (§§
67, 56, 61 a ArbGG, 282 ZPO)ankäme. Die von dem Beklagten zu 1. benannten Zeugen Frau A. und Herr
B. wurden bereits aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10. September 2009 (Bl. 941 d. A.) in der Sitzung
vom selben Tag über die Behauptung des Beklagten zu 1., der Betriebsrat sei am 30. Januar 2008 zu
einer beabsichtigten Tatkündigung gegenüber dem Kläger angehört worden, vernommen. Eine erneute
ergänzende Vernehmung des Zeugen B. erfolgte durch die Kammer in der Sitzung am 17. Mai 2010.
Weitere Fragen an den Zeugen bestanden seitens der Kammer, der Parteien und deren Prozessbevoll-
mächtigten zum Beweisthema nicht mehr. Der weitere Inhalt des Beweisantrags des Beklagten zu 1. vom
17. Mai 2010 ist nach Auffassung der Kammer nicht entscheidungsrelevant. Insbesondere ist der Vortrag
des Beklagten zu 1. unerheblich, wenige Tage vor der Anhörung am 30. Januar 2008 habe der Zeuge
dann die Zeugin A. davon informiert, dass aufgrund eines in dem Ermittlungsverfahren gegen die Zeugin
E eingeholten graphologischen Gutachtens nunmehr für den Beklagten zu 1. feststehe, dass der Kläger
die Schecks persönlich unterzeichnet habe (was er zuvor in seiner Anhörung abgestritten hatte) und er
somit die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen, hier die unterlassene Kontrolle der Ausgaben
des Beklagten zu 2. sowie die persönliche Unterzeichnung der Schecks durch den Kläger für
nachgewiesen erachte, und daher der Beklagte zu 1. beabsichtige, das gegebenenfalls noch bestehende
Arbeitsverhältnis vorsorglich abermals fristlos hilfsweise ordentlich zu kündigen. Denn auch diese
Information durch den Zeugen B. soll einige Tage vor der Anhörung am 30. Januar 2008 erteilt worden
sein, damit ebenfalls vor der Kenntnisnahme des Präsidiums des Beklagten zu 1. vom neuen
Kündigungssachverhalt am 29. Januar 2008.
Da die außerordentliche Kündigung vom 6. Februar 2008 bereits mangels ordnungsgemäßer
Betriebsratsanhörung unwirksam ist, bedarf es keiner Entscheidung der Kammer zu den Fragen, ob der
Beklagte zu 1. substantiiert hinsichtlich der Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB durch
die dem Kläger erst am 11. Februar 2008 zugegangene Kündigung vorgetragen hat, ein wichtiger Grund
im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, und wie im Rahmen der durchzuführenden
Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, dass gegenüber dem Stellvertreter des Klägers Herrn G, dem
im größerem Umfang Blankounterschriften und Unterschriften unter Barschecks vorgeworfen werden,
lediglich eine Ermahnung ausgesprochen worden ist.
2.
identischen Kündigungsschreiben vom 8. Februar 2008 ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet
worden. Die ordentliche Kündigung vom 8. Februar 2008 ist ebenfalls gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG
unwirksam. Auch im Hinblick auf diese Kündigung ist das Anhörungsverfahren durch den Beklagten zu 1.
nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden.
Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung hat der Beklagte zu 1. aus den unter I.1 dargelegten Gründen
ebenfalls das Anhörungsverfahren bereits nicht ordnungsgemäß eingeleitet. Insoweit erfolgte die
Anhörung durch den Zeugen D. zeitlich vor der Kenntnisnahme des Präsidiums des Beklagten zu 1. am
Abend des 29. Januar 2008 vom neuen Kündigungssachverhalt. Außerdem hat der Beklagte zu 1. auch
im Hinblick auf die ordentliche Kündigung den Kündigungsgrund im Sinn eines aus mehreren Tatsachen
und einer groben rechtlichen Einordnung gebildeten Begründungszusammenhangs nicht dargelegt.
Darüber hinaus steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer weiter nicht
fest, dass der Zeuge D. den Betriebsrat überhaupt hinsichtlich einer beabsichtigten vorsorglichen
ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses informiert hat.
Beabsichtigt der Arbeitgeber, neben einer außerordentlichen Kündigung vorsorglich eine ordentliche
Kündigung auszusprechen, so muss er das in der Mitteilung an den Betriebsrat deutlich machen, damit
dieser die Absichten des Arbeitgebers erkennen kann. Die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung
ersetzt nämlich nicht die notwendige Anhörung des Betriebsrats zur ordentlichen Kündigung. Der
Gegenstand des Anhörungsverfahrens und der Beschlussfassung durch den Betriebsrat wird durch den
Antrag des Arbeitgebers bestimmt. Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der Art der beantragten
Kündigung. Eine wirksame Anhörung nach Maßgabe des § 102 BetrVG setzt voraus, dass der Arbeitgeber
auch mitteilt, ob er eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung aussprechen will. Der
Arbeitgeber kann sich nicht darauf beschränken, den Betriebsrat allgemein zu „einer“ Kündigung
anzuhören. Eine genaue Kennzeichnung der Art der beabsichtigten Kündigung ist vielmehr schon wegen
der unterschiedlich ausgestalteten Beteiligungsrechte des Betriebsrats erforderlich. Einer fristgemäßen
Kündigung kann der Betriebsrat unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 BetrVG mit den sich aus §
102 Abs. 5 BetrVG und § 1 Abs. 2 KSchG ergebenden Rechtsfolgen widersprechen. Demgegenüber ist
ein Widerspruch gegen eine außerordentliche Kündigung im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach §
102 BetrVG rechtlich unerheblich. Schließlich darf in diesem Zusammenhang die Fristenregelung des §
102 Abs. 2 BetrVG nicht unbeachtet bleiben. Bei der außerordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat
eine Überlegungsfrist von höchstens 3 Tagen; bei der ordentlichen Kündigung kann er sich dagegen für
die Beratung und Beschlussfassung immerhin eine Woche Zeit lassen. Wenn die Anhörung zu einer
außerordentlichen Kündigung stets als Anhörung auch zu einer etwaigen ordentlichen Kündigung
ausreichte, dann müsste denknotwendig entgegen der Vorschrift des § 102 Abs. 2 BetrVG die Frist für die
Stellungnahme zur ordentlichen Kündigung von einer Woche auf 3 Tage verkürzt werden. Eine derartige
zeitliche Beschränkung berührt aber das Anhörungsrecht in seinem Kern. Das Gewicht der
Stellungnahme des Betriebsrats wird regelmäßig davon abhängig sein, welche Zeit ihm zur Verfügung
steht. Müsste sich der Betriebsrat in allen Fällen, in denen es in erster Linie um eine außerordentliche
Kündigung geht, innerhalb von 3 Tagen auch zur ordentlichen Kündigung äußern, würde das einer
Aushöhlung des Anhörungsrechts des Betriebsrats gleich kommen (BAG, Urt. v. 16. März 1978 – 2 AZR
424/76 – AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG 1972). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat daher klar zu erkennen
geben, ob er eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung aussprechen will (BAG, Urt. v. 12.
August 1976 – 2 AZR 311/75 – AP Nr. 10 zu § 102 BetrVG 1972). Will der Arbeitgeber, der eine
außerordentliche Kündigung beabsichtigt, sicherstellen, dass im Falle der Unwirksamkeit dieser
Kündigung die von ihm vorsorglich erklärte oder dahin umgedeutete ordentliche Kündigung nicht an der
fehlenden Anhörung des Betriebsrats scheitert, dann muss er den Betriebsrat deutlich darauf hinweisen,
dass die geplante außerordentliche Kündigung hilfsweise als ordentliche Kündigung gelten soll. Die
Anhörung allein zur außerordentlichen Kündigung ersetzt nicht die Anhörung zu einer ordentlichen
Kündigung; in diesem Falle ist die ordentliche Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist dann zuzulassen, wenn der Betriebsrat, der lediglich zu einer
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung angehört wird, dieser ausdrücklich und vorbehaltlos
zugestimmt hat und auch aus sonstigen Umständen nicht zu ersehen ist, dass der Betriebsrat für den Fall
der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der dann verbleibenden ordentlichen Kündigung
entgegengetreten wäre (BAG, Urt. v. 16. März 1978 – 2 AZR 424/76 – AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG).
Dafür, dass der Beklagte zu 1. den Betriebsrat nicht nur zu einer beabsichtigten außerordentlichen,
sondern auch zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung angehört hat, mag zwar sprechen, dass
der Betriebsrat ebenfalls zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung Stellung genommen hat. Der
Zeuge D. konnte in seiner Vernehmung als Zeuge jedoch nicht angeben, ob er den Betriebsrat (auch)
über eine beabsichtigte vorsorgliche ordentliche Kündigung in Kenntnis gesetzt hat. Er hat zunächst auf
Fragen des Klägervertreters, ob er mit dem Betriebsrat von einer oder mehreren Kündigungen
gesprochen habe, erklärt, er habe nur von einer außerordentlichen Kündigung gesprochen. Auf Fragen
des Beklagtenvertreters, ob der Zeuge auch von einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung gesprochen
habe, erklärte der Zeuge D. lediglich: “Möglich“. Aufgrund dieser Aussage steht zur Überzeugung der
Kammer nicht fest, dass der Zeuge D. am 29. Januar 2008 den Betriebsrat nicht nur über eine
beabsichtigte außerordentliche Kündigung, sondern auch über eine beabsichtigte ordentliche Kündigung
informiert hat.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz war daher auf die Berufung des Klägers weiter dahingehend
abzuändern, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. weder durch die
außerordentliche Kündigung vom 6. Februar 2008 noch durch die ordentliche Kündigung vom 8. Februar
2008 beendet worden ist.
II.
ZPO. Die Kosten der Beweisaufnahme zweiter Instanz waren dem Beklagten zu 1. gemäß § 96 ZPO
aufzuerlegen.
Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.