Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 08.05.2009

LArbG Mainz: ratio legis, ordentliche kündigung, vertreter, zugang, arbeitsgericht, diagnose, gutachter, psychose, geschäftsfähigkeit, abgabe

LAG
Mainz
08.05.2009
6 Sa 55/09
Kündigungserklärung gegenüber einem Geschäftsunfähigem
Aktenzeichen:
6 Sa 55/09
3 Ca 1929/07
ArbG Ludwigshafen
Urteil vom 08.05.2009
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom
5.11.2008 - 3 Ca 1929/07 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Parteien streiten insbesondere um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, welche
erstinstanzlich nach einem eingeholten Gutachten wegen Geschäftsunfähigkeit des Gekündigten für
nichtig erklärt wurde.
Der 1956 geborene Kläger, der verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, wurde
von der Beklagten ab 01.5.1988 als Chemiker beschäftigt.
Zur Genese des Arbeitsverhältnisses wird auf den umfassenden Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 05.11.2008 - 3 Ca 1929/07 - gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG
Bezug genommen.
Dem Kläger wurde am 15.05.2006 eine Kündigung zum 30.06.2007 übergeben. Eine hiergegen
gerichtete Klage nahm der Kläger am 24.11.2006 persönlich zurück.
Unter dem 17.09.2007 bestellte das Amtsgericht Speyer Herrn Rechtsanwalt D. zum gesetzlichen
Betreuer. Dieser teilte der Beklagten mit Schreiben vom 25.09.2007 mit, dass er von der Kündigung
Kenntnis erhalten habe. Am 05.10.2007 wiederholte der Betreuer des Klägers die
Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen holte ein Sachverständigengutachten zur Geschäftsfähigkeit des
Klägers ein und erkannte daraufhin durch Teil-Urteil vom 05.11.2008 für Recht, dass das Arbeitsverhältnis
der Parteien nicht durch die mit Schreiben vom 12.05.2006 ausgesprochene Kündigung beendet worden
sei und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits,
längstens jedoch bis 31.03.2009, als Chemiker zu unveränderten Arbeits- und Vertragsbedingungen
weiterzubeschäftigen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt,
aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens stünde fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung vom 12.05.2006 geschäftsunfähig gewesen sei; die Kündigungserklärung sei
daher nicht rechtswirksam zugegangen; sie sei auch nicht an den gesetzlichen Vertreter des Klägers
gerichtet gewesen. Dessen bloß zufällige Kenntnis genüge nicht. § 131 Abs. 1 BGB sei eng auszulegen.
Der ursprünglich geführte Rechtsstreit 4 Ca 1193/06 berühre weder das Arbeitsverhältnis noch den
vorliegenden Rechtsstreit, da der Kläger den ursprünglich beauftragten Prozessbevollmächtigten wegen
der fehlenden Geschäftsfähigkeit nicht habe ordnungsgemäß mandatieren können. Es habe eine akute
schizophrene Psychose vorgelegen. Dem Kläger könne auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten
vorgeworfen werden, wenn er sich auf § 131 Abs. 1 ZPO berufe. Es könne dahingestellt bleiben, inwieweit
die Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit im Sommer 2008 zum Zugang der unter dem 12.05.2006
ausgesprochenen Kündigung führe. Der Weiterbeschäftigungsanspruch bestünde nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Kammerverhandlung am
05.11.2008 wieder arbeitsfähig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des
vorbezeichneten Teil-Urteils sowie die erstinstanzlich gestellten Anträge (S. 9 bis 19 = Bl. 231 bis 241 d.
A.) Bezug genommen. Gegen das der Beklagten am 12.01.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am
26.01.2009 eingelegte und am 12.03.2009 begründete Berufung der Beklagten.
Diese beanstandet insbesondere, dass das Ergebnis des Gutachters Dr. Z. nicht nachvollziehbar sei. Es
zitiere überwiegend aus Schreiben von anderen Ärzten. Außerdem fehlten Originalberichte der Kliniken.
Der Sachverständige habe den Kläger am 15.05.2006 nicht gekannt. Das Gutachten beruhe auf
Einschätzungen anderer Ärzte, die zeitlich - überwiegend - nach dem Beurteilungszeitpunkt entstanden
seien und im Übrigen auch keine Geschäftsunfähigkeit festgestellt hätten. Das Gutachten sei auch mehr
als drei Jahre nach dem Kündigungsausspruch erstellt worden. Auch die Ärzte der Univ. Kliniken
Heidelberg hätten keine Geschäftsunfähigkeit am 22.08.2006 festgestellt. Der Kläger selbst habe damals
einen Rechtsanwalt beauftragt, um gegen die Kündigung vorzugehen. Dieser habe in der
Klagebegründung vom 29.05.2006 ausgeführt, der Kläger sei gesundheitlich in der Lage, eine
vertragsgerechte Arbeitsleistung zu erbringen. Selbst wenn Geschäftsunfähigkeit vorgelegen hätte, wäre
die Kündigung an den gesetzlichen Vertreter am 26.09.2007 wirksam zugegangen. Dieser - Herr
Rechtsanwalt D. - habe entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht bloß zufällig von der Kündigung
erfahren, sondern in Ausübung seiner Betreuungsaufgaben. Hierzu habe er sich im Schreiben vom
25.09.2007 entsprechend erklärt. Das Verhalten des Betreuers würde sich außerdem als
rechtsmissbräuchlich darstellen, wenn er sich nunmehr auf den nicht rechtswirksam Zugang der
Kündigung beriefe. Im Übrigen sei die Kündigung auch sozial gerechtfertigt. Es läge eine negative
Gesundheitsprognose vor, die sich insbesondere aus den bisherigen Arbeitsunfähigkeitszeiten ergäbe,
der Heilungsprozess sei langwierig und nicht absehbar; darüber hinaus sei der Kläger vom 13.11.2007
bis 14.01.2008 stationär im Pfalzklinikum und vom 15.01.2008 bis 02.05.2008 teilstationär in der
Tagesklinik in Speyer gewesen.
Zu den weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom
12.03.2009 (Bl. 378 bis 432 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen/Rhein vom 05.11.2008 - Az: 3 Ca 1929/07 - wird abgeändert
und die Klage kostenpflichtig abgewiesen.
Der Kläger beantragt
Zurückweisung der Berufung
und erwidert, mindestens sechs Monate vor der Kündigung habe eine Arbeitsunfähigkeit wegen der vom
Gutachter eindeutig diagnostizierten Krankheit vorgelegen. Das Gutachten könne nicht bezweifelt werden.
Bei der Auswahl des Prozessbevollmächtigten der gegen die Kündigung zunächst Klage erhoben hat,
habe die krankhafte Vorstellung zugrunde gelegen, den Sohn des früheren Vorstandsvorsitzenden
kennen zu lernen, weil er an einer geheime Intension des Unternehmens geglaubt habe. Im Übrigen sei
das Kündigungsschreiben nicht an den Betreuer gerichtet gewesen. Es habe eine nur zufällige
Kenntnisnahme im Rahmen der Wahrnehmung der Betreuung vorgelegen. Die Beklagte trage fehlerhafte
Zitate und falsche Zeiten vor. Dr. Y. habe bereits im Juni 2006 eine schizophrene Psychose und nicht nur
eine allgemein psychische Erkrankung diagnostiziert. Das Gutachten Z. sei durch eine ausführliche
Exploration am 08.05., 15.05. und 21.05.2008 und nicht drei Jahre später erstellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom
09.04.2009 (Bl. 446 bis 453 d. A.) Bezug genommen.
Zugleich wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom
08.05.2009 (Bl. 473 bis 475 d. A.) verwiesen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
I.
auch gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht
eingelegt sowie begründet worden.
II.
Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Teil-Urteil rechtlich zutreffend festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben vom 12.05.2006 ausgesprochene ordentliche Kündigung
beendet wurde und ein zeitlich begrenzter Weiterbeschäftigungsanspruch als Folge hieraus bestand.
Auch nach Auffassung der Berufungskammer ist die streitgegenständliche Kündigung unter Verstoß
gegen die allgemein rechtsgeschäftlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 131 BGB erklärt worden.
Das Berufungsgericht folgt zunächst den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts,
stellt dies fest und sieht hier von einer wiederholenden Darstellung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
III.
1.
überwiegend aus Schreiben von anderen Ärzten zitiere, die dortigen Einschätzungen zeitlich -
überwiegend - nach dem Beurteilungszeitpunkt lägen und keine Feststellungen zu einer
Geschäftsunfähigkeit enthielten, sowie schließlich, dass das Gutachten mehr als drei Jahre nach dem
Kündigungsausspruch erstellt worden sei, vermag dem die Berufungskammer nicht beizutreten. Sie hält
die Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Z. für überzeugend. Unabhängig
davon, dass das Gutachten bereits unter dem 10.07.2008 und damit nicht drei Jahre, sondern ca. zwei
Jahre nach dem Ausspruch der Kündigung vom 15.05.2006 erstattet wurde, sind nach Auffassung der
Kammer Einschränkungen der Verlässlichkeit der vom Gutachter getroffenen Feststellungen zu einer zum
Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gegebene Geschäftsunfähigkeit des Klägers nicht anzunehmen.
Das psychiatrische Gutachten stützt sich nicht nur auf die dem Gutachter zur Verfügung gestellten
Unterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte, sondern auch auf Untersuchungsgespräche am 07.05.,
15.05. und 21.05.2008. Die Kombination aus beiden "Elementen" und darüber hinaus die Entwicklung der
Auffälligkeiten beim Kläger lassen nach Meinung der Berufungskammer durchaus die vom Gutachter
getroffene Schlussfolgerung zu einer Geschäftunfähigkeit des Klägers zu. Nicht nur aus dem Schreiben
der Beklagten vom 12.05.2006, in welchem bereits gesundheitliche Ursachen für die unzureichenden
Arbeitsleistungen des Klägers vermutet werden, der Klageerwiderung vom 06.10.2006 mit der gleichen
Vermutung - "dass dem auffälligen Verhalten von Herrn Dr. I. gesundheitliche, psychische Schwierigkeiten
zugrunde liegen könnten" -, dem Schreiben der psychiatrischen Univ. Klinik Heidelberg vom 19.09.2006 -
"gehen wir jedoch von der Diagnose einer Erkrankung aus den schizophrenen Formenkreis aus und
empfahlen Herrn I. dringend die stationäre Aufnahme zur weiteren Diagnostik und Therapieeinleitung",
dem Bericht des Gesundheitsamtes Ludwigshafen vom 09.08.2007 - "Psychiatrische Diagnose:
Dringender Verdacht auf floride Psychose am ehesten aus dem schizophrenen Formenkreis" -, der
Diagnose während eines Klinikaufenthaltes in der Zeit vom 13.11.2007 bis 14.01.2008 mit der Diagnose:
"Paranoid-desorganisiertes Syndrom bei paranoider Schizophrenie" sowie den dargestellten Reaktionen
des Klägers in der Notiz vom 09.11.2005 und schließlich der Reaktion des Amtsgerichts Speyer zur
Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers lassen in Verbindung mit der durchgeführten Exploration
des Klägers die getroffene nachträgliche Feststellung zu einer Geschäftsunfähigkeit des Klägers durchaus
zu. Daran ändert auch nichts, dass - wie die Berufung ausführt - der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte
des Klägers in der Klagebegründung vom 29.05.2006 ausgeführt hat, der Kläger sei gesundheitlich in der
Lage, eine vertragsgerechte Arbeitsleistung zu erbringen. Es handelt sich hierbei um eine nicht näher
belegte und nicht von einer medizinischen Kenntnis getragenen Beurteilung des ursprünglichen
Prozessbevollmächtigten des Klägers und damit letztlich um eine formelhafte Begründung. Sie ist nicht
geeignet, die Feststellungen des Gutachters zu widerlegen.
2.
der angegriffenen Kündigung ausgegangen werden könne, weil der Betreuer - Herr Rechtsanwalt D. - in
Ausübung seiner Betreuungsaufgaben vom Vorliegen des Kündigungsschreibens auch aufgrund seiner
eigenen Erklärung ausgegangen sei, vermag dies ebenfalls zu keiner vom Arbeitsgericht abweichenden
Beurteilung des Sachverhaltes zu führen. Unabhängig davon, ob man dem Ansatz des Arbeitsgerichts zu
einer engen Auslegung der maßgeblichen Vorschrift des § 131 BGB folgt, ergibt die ratio legis der
Vorschrift, dass eine Erklärung nicht wirksam werden soll, wenn sie gegenüber einer Person erfolgt, die
hierauf nicht rechtlich wirksam reagieren kann (vgl. Einsele, Münchener Kommentar BGB, AT § 131, Rz.
1). § 131 BGB verlangt, dass die Abgabe der empfangsbedürftigen Willenserklärung gegenüber dem
Geschäftsunfähigen erfolgt, der Zugang aber beim gesetzlichen Vertreter eintritt. Dies ist dahin zu
verstehen, dass die Abgabe der Erklärung mit dem Ziel erfolgt, den Wirksamkeitseintritt beim gesetzlichen
Vertreter herbeizuführen; der Erklärende bei der Abgabe an den Geschäftsunfähigen also zugleich den
Willen hat, die Erklärung an den gesetzlichen Vertreter zu richten (vgl. Staudinger-Dilcher, Kommentar
zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1. Buch, Rz. 3, sowie APS - Kündigungsrecht, 3. Auflage,
D, 36, 69, 70; a. A. Reichhold, jurisPK - BGB, 4. Auflage 2008, § 131, Rz. 6). Hieraus folgt, dass die bloß
zufällige Kenntniserlangung vom Vorliegen einer Kündigung durch den Betreuer im Rahmen seiner
Betreuungsfunktion - auch insoweit in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - keinen wirksamen Zugang
einer Erklärung gegenüber Geschäftsunfähigen begründen zu konnte (vgl. auch BGH Beschluss vom
13.04.1989, V. ZR 145/88, m. w. N.).
3.
Angriffe der Berufung (vgl. hierzu ErfK-Kiel, § 430 KSchG, § 4, Rz. 66).
IV.
zurückzuweisen.
V.
Veranlassung gegeben.