Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 15.03.2006

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, dringender tatverdacht, fristlose kündigung, arbeitsgericht, gespräch, zusammenarbeit, abfindung, halle, warenlager, firma

LAG
Mainz
15.03.2006
9 Sa 944/05
Fristlose Kündigung und Straftatsverdacht
Aktenzeichen:
9 Sa 944/05
10 Ca 1406/05
ArbG Mainz
Entscheidung vom 15.03.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 05.10.2005, Az. 10 Ca
1406/05 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer fristlos sowie hilfsweise ordentlich erklärten
Kündigung und um die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers während des Kündigungsrechtsstreites.
Von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen
Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des
Arbeitsgerichts Mainz vom 05.10.2005 (dort S. 2 bis 6 = Bl. 74 bis 78 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose, hilfsweise
ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. Mai 2005 aufgelöst worden ist,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen
Bedingungen als Paketzusteller weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Urteil vom 05.10.2005 (Bl. 73 ff. d. A.) der Klage vollumfänglich
stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, sowohl die fristlose als auch die hilfsweise
ordentliche Kündigung sei, mangels des gesetzlich notwendigen Kündigungsgrundes, rechtsunwirksam.
Die von der Beklagten vorgetragenen Indizien würden nicht für einen hinreichenden dringenden Verdacht
der Unterschlagung von Paketsendungen durch den Kläger ausreichen. Der Kläger sei zwar signifikant
häufig als Paketzusteller im Dienst gewesen, wenn im Bereich der Zustellbasis X. Pakete verschwunden
seien. Hieraus folge aber kein Verdacht, der hinreichend dringend sei. Soweit der Kläger mit drei anderen
marokkanischen Paketzustellern während einer Zigarettenpause zusammengestanden und geredet habe,
rechtfertige auch dies nicht den dringenden Verdacht, der Kläger sei Mitglied einer Diebesbande.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 7 ff.
des Urteils vom 05.10.2005 (= 79 ff. d. A.) verwiesen.
Die Beklagte, der die Entscheidung des Arbeitsgerichts am 28.10.2005 zugestellt worden ist, hat am
28.11.2005 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 20.01.2006 ihr
Rechtsmittel begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.01.2006 verlängert worden
war.
Die Beklagte macht geltend,
der vorliegende Tatverdacht sei dringend, da hierfür - wie vom Arbeitsgericht aber zugrunde gelegt - nicht
nur die häufige Anwesenheit des Klägers im Dienst, wenn im Bereich der Zustellbasis X. Pakete
verschwunden seien, sprächen, sondern darüber hinaus weitere Umstände. Der Kläger weise nämlich bei
weitem das auffälligste Verhältnis zwischen Anwesenheit einerseits und Sendungsverlusten im Vergleich
zu anderen Arbeitnehmern auf. So sei er bei insgesamt 68 Falldaten (Taten) in Bezug auf den Absender
W. 49-Mal als Zusteller und Ladepartner anwesend und im Einsatz gewesen. Der zweitplatzierte
Mitarbeiter V. sei bei insgesamt 68 Falldaten (Taten) des Absenders W. lediglich 29-Mal in Erscheinung
getreten.
Im Monat Dezember 2004 sei es zu keinerlei Verlusten im Firmenzustellbezirk U. gekommen, wobei
weder der Kläger noch die drei anderen Tatverdächtigen zu diesem Zeitpunkt Zugriff auf Sendungen
dieses Firmenzustellbezirkes gehabt hätten. Darüber hinaus ergebe sich auch ein dringender Tatverdacht
aus den Videoaufzeichnungen zu dem Prozedere im Zusammenhang mit dem Rollbehälter (vgl. Anlage B
3 und B 4 aus dem Parallelrechtsstreit T. gegen Firma A., Az. 9 Sa 945/05) und dem des weiteren
aufgenommen Gespräch zwischen dem Kläger und den weiteren drei vormaligen Mitarbeitern in der Zeit
von 7.49 Uhr bis 8.02 Uhr. Die letztgenannte Videoaufzeichnung sei insbesondere deshalb relevant, weil
der Kläger behaupte, mit dem ehemaligen Mitarbeiter S. überhaupt keinen Kontakt gehabt zu haben.
Der auf diesen Umständen beruhende Verdacht habe das Vertrauensverhältnis zwischen den
Prozessparteien zerstört, zumal die Beklagte auf die Ehrlichkeit ihrer Mitarbeiter angewiesen sei, da eine
Totalüberwachung der Frachthalle nicht möglich sei.
Schließlich erscheine der Tatverdacht gegen den Kläger auch deshalb als dringend, weil anlässlich der
polizeilichen Hausdurchsuchung bei dem vormaligen Mitarbeiter der Beklagten R. eine große Anzahl von
Gegenständen sichergestellt worden sei, die mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden könnten (vgl.
die hierzu aufgelisteten Sendungsverluste auf S. 4 f. des Schriftsatzes der Beklagten vom 13.03.2006 = Bl.
162 f. d. A.). Jedes Mitglied der dreiköpfigen Ladegruppe, welche im Zusammenhang mit den
aufgelisteten Sendungsverlusten tätig geworden sei, habe den etwa sieben bis acht Rollbehältern, in
welche die Sendungen für die gesamte Ladegruppe gelagert gewesen seien, Pakete entnommen. So
habe z.B. ein Mitarbeiter sich einen Rollbehälter vorgenommen und ihm die Sendungen für den
Zustellbezirk Q. entnommen. Sodann habe er den Rollbehälter an den nächsten Mitarbeiter
weitergegeben, der ihm seinerseits die Sendungen für den Zustellbezirk P. entnommen und den Behälter
sodann an den dritten Mitarbeiter der Ladegruppe weitergegeben habe, der schließlich die Sendungen für
den Zustellbezirk O. entnommen habe. Auf diese Art und Weise sei jeder Mitarbeiter mit allen Sendungen
für alle drei Zustellbezirke in Berührung gekommen. Mithin sei es ohne Belang, welchem konkreten
Zustellbezirk ein abhanden gekommenes Paket zuzuordnen gewesen sei. Nach den Ermittlungen der
Strafverfolgungsbehörden stehe fest, dass jeweils ein Mitglied der Ladegruppe die jeweilige Sendung
entwendet und über den vormaligen Mitarbeiter der Beklagten R., dessen Warenlager in seiner
Zweitwohnung zugeführt habe. Der Kläger passe in das von den Ermittlungsbehörden erstellte Täterprofil.
Für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung nicht als sozial gerechtfertigt
ansehe, werde der Hilfsantrag auf gerichtliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses gestellt. Eine
den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien könne nämlich, aufgrund
der dargestellten Verdachtsmomente, nicht mehr erwartet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz, Az.: 10 Ca 1406/05 abzuändern und
1. die Klage abzuweisen,
2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird, aufzulösen.
Der Kläger beantragt,
1. die Berufung zurückzuweisen,
2. den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag ebenfalls zurückzuweisen.
Der Kläger führt aus,
hinsichtlich der Anzahl der Falldaten und der Anwesenheitszeiten des Klägers wiederhole die Beklagte
lediglich ihren erstinstanzlichen Vortrag, welcher vom Arbeitsgericht bereits vollständig verwertet worden
sei. Soweit die Beklagte auf eine Rangfolge abstelle, gemessen an der Anzahl der Anwesenheitszeiten
und der Falldaten, treffe es zwar zu, dass der Kläger an erster Stelle stehe, jedoch ergebe sich hieraus
kein dringender Tatverdacht, zumal die Beklagte gegenüber dem zweitplatzierten Mitarbeiter Herrn V. (29-
Mal) keine Kündigung erklärt habe, im Gegensatz zu dem drittplatzierten Mitarbeiter, Herrn S., gegenüber
dem, trotz der geringen Anzahl der Anwesenheitszeiten, ebenfalls eine fristlose Kündigung
ausgesprochen worden sei. Aus der Berufungsbegründung vom 20.01.2006 ergebe sich auch nicht, in
welchem Umfang der Zustellbezirk Q., also jener des Klägers, von Sendungsverlusten betroffen gewesen
sei. Sendungen, die an Samstagen nicht bei Firmen zugestellt werden könnten, blieben in der Halle
zurück, sodass jeder, der Zugang zur Halle habe, auch auf diese Sendungen zugreifen könne.
Die Rollbehälter, in denen die Postpakete verstaut seien, seien zwar mit Zetteln gekennzeichnet, auf
denen sich die Nummern der jeweiligen Zustellbezirke befinden würden, es komme aber bei der
Zuordnung regelmäßig zu Fehlern, entweder dadurch, dass die Zettel mit den Nummern des
Zustellbezirkes an dem falschen Rollbehälter angebracht seien oder dass teilweise Pakete in den
Rollbehältern seien, die für den jeweiligen Bezirk überhaupt nicht bestimmt seien. Darüber hinaus würden
Rollbehälter auch falsch geleitet. In Folge dessen hätten alle in der Halle anwesenden Mitarbeiter Zugriff
auf die darin befindlichen Sendungen.
Dass es im Dezember 2004 zu keinen Verlusten im Firmenzustellbezirk U. gekommen sei, könne einen
dringenden Tatverdacht gegen den Kläger nicht begründen, zumal der Kläger mit diesem
Firmenzustellbezirk nichts zu tun gehabt habe.
Soweit auf Videoaufzeichnungen festgehalten sei, dass der Kläger mit mehreren marokkanischen
Arbeitskollegen während eines Zeitraumes von 13 Minuten zusammengestanden habe, ergebe sich auch
hieraus kein dringender Unterschlagungsverdacht, zumal die Transportfahrzeuge mit den eingehenden
Paketen oft nicht zu den vorgesehen Uhrzeiten in X. eintreffen würden, sodass Wartezeiten für die
Beschäftigten entstünden. Mit seinem Kollegen S. habe der Kläger zwar keinen direkten Streit gehabt,
beide Arbeitnehmer seien sich aber nicht sympathisch und wollten daher grundsätzlich keinen Kontakt
untereinander. Mit dem Warenlager, das in der Zweitwohnung des Mitarbeiters R. gefunden worden sei,
habe der Kläger nichts zu tun; soweit die Beklagte von einem "gemeinsamen Warenlager" spreche,
handele es sich um eine bloße Unterstellung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Kläger vom
24.02.2006 (Bl. 151 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nach §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der
Sache jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht Mainz hat zu Recht auf die zulässige Klage festgestellt, dass das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise erklärte
ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist. Darüber hinaus ist auch die Verurteilung der Beklagten zur
Weiterbeschäftigung des Klägers während des Kündigungsrechtsstreites rechtlich nicht zu beanstanden.
Auf die vollumfänglich zutreffenden Entscheidungsgründe im Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom
05.10.2005 (Bl. 79 ff. d. A.) wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen und von einer
wiederholenden Darstellung abgesehen. Die mit der Berufung geltend gemachten Einwendungen
rechtfertigen eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht (1.); zudem war auch der
zweitinstanzlich erstmals gestellte Auflösungsantrag der Beklagten, mangels Begründetheit,
zurückzuweisen (2.).
1.
Die im Rahmen der Berufungsbegründung - zum größten Teil unter Wiederholung des erstinstanzlichen
Vortrages - von der Beklagten hervorgehobenen Tatsachen vermögen nach wie vor nicht einen objektiv
begründeten, dringenden Verdacht der Unterschlagung von Postsendungen durch den Kläger zu
rechtfertigen.
a)
Dass der Kläger bei insgesamt 68 Falldaten in Bezug auf den Absender W. 49-Mal als Zusteller oder
Ladepartner anwesend und im Einsatz war, ist ein statistischer Wert, der - wie bereits das Arbeitsgericht
zutreffend ausgeführt hat - ein Verdachtsmoment durchaus zu belegen vermag; er kann allerdings nicht
als dringend gewertet werden. Dass dies sogar die Beklagte so einschätzt, ergibt sich bereits aus dem
Umstand, dass lediglich den marokkanischen Mitarbeitern, die an erster (der Kläger), dritter und vierter
Stelle der statistischen Auflistung beim Vergleich der Anzahl der Falldaten mit den Anwesenheitszeiten
stehen, gekündigt wurde, während der deutsche Mitarbeiter (Herr V.), der an zweiter Stelle steht, von der
Beklagten ohne weiteres weiterbeschäftigt wurde.
Hierauf von der Berufungskammer angesprochen, führte die Beklagte während der mündlichen
Berufungsverhandlung aus, lediglich der Kläger und die beiden anderen marokkanischen Mitarbeiter
entsprächen dem Täterprofil, das von der Ermittlungsbehörde erstellt worden sei - nicht aber Herr V.. Da
das erstmals während der Berufungsverhandlung pauschal angesprochene Täterprofil, welches die
Staatsanwaltschaft erstellt haben soll, im Kündigungsrechtsstreit von der darlegungsbelasteten Beklagten
nicht konkret vorgetragen wurde und darüber hinaus auch nicht ersichtlich ist, welche Eigenschaften des
Klägers mit diesem Profil
übereinstimmen sollen, lässt sich für das Berufungsgericht hieraus überhaupt nichts für einen gegen den
Kläger gerichteten Unterschlagungsverdacht ableiten.
b)
Auch der von der Beklagten in der Berufungsbegründung hervorgehobene Umstand, dass im Monat
Dezember 2004 im Firmenzustellbezirk U. keinerlei Verluste aufgetreten seien, da weder der Kläger noch
die drei anderen marokkanischen Mitarbeiter Zugriff auf Sendungen dieses Firmenzustellbezirkes gehabt
hätten, kann den gegen den Kläger erhobenen Unterschlagungsverdacht nicht stützen. Der Kläger hat
demgegenüber nämlich ausgeführt, dass er sowieso nicht in dem Firmenzustellbezirk U. gearbeitet habe,
wobei die Beklagte diesem Sachvortrag nicht entgegen getreten ist. Da der Kläger mithin unstreitig nicht in
dem Firmenzustellbezirk U. tätig geworden ist, kann aus dem Rückgang der Sendungsverluste im Monat
Dezember 2004 innerhalb dieses Firmenzustellbezirkes nichts abgeleitet werden, das zu seinen Lasten
ginge.
c)
Soweit die Beklagte in ihrem zweitinstanzlichen Schriftsatz vom 13.03.2006 auf Seite 4 ff. (= Bl. 162 d. A.)
insgesamt acht Sendungsverluste aufgelistet hat, bei denen der Kläger als Teilnehmer einer Ladegruppe
aktiv geworden ist, rechtfertigt auch dies keinen hinreichend dringenden Unterschlagungsverdacht. Wie
die Beklagte des Weiteren selbst ausgeführt hat, hatte jeder der drei Teilnehmer der Ladegruppe Zugriff
auf die sieben bis acht Rollbehälter, in welchen die Sendungen für die Zustellbezirke O., P. und Q.
verstaut waren. Unabhängig davon, ob - wie vom Kläger in der Berufungserwiderung behauptet - generell
alle Mitarbeiter innerhalb des Frachtraumes die Möglichkeit eines Zugriffs auf den Inhalt der Rollbehälter
hatten, ist - selbst wenn lediglich die drei Teilnehmer der Ladegruppe eine Zugriffsmöglichkeit gehabt
haben sollten - noch nicht einmal ansatzweise feststellbar, auf welche Person oder welche Personen aus
der Ladegruppe der Unterschlagungsverdacht fällt.
Dies ist letztlich auch das generelle Problem im Zusammenhang mit dem Vortrag der Beklagten zu dem
gegen den Kläger erhobenen Unterschlagungsverdacht. Die Umstände, welche die Beklagte anführt,
lassen nämlich in der Regel einen Verdacht gegenüber zumindest drei bis vier Personen zu, ohne dass
dieser Verdacht durch objektive Umstände individualisiert und konkretisiert werden könnte.
d)
Die von der Beklagten auch im Rahmen des Berufungsverfahrens wieder angesprochenen
Videoaufzeichnungen geben kaum etwas dafür her, das den Unterschlagungsverdacht gegen den Kläger
aus objektiver Sicht stärken könnte. Die von der Beklagten angesprochene Videoaufzeichnung, welche in
dem Parallelrechtsstreit T. gegen Firma A., LAG Rheinland-Pfalz, Az. 9 Sa 945/05 erwähnt wird, soll nach
dem dortigen Vortrag der Beklagten belegen, dass der dortige Kläger, Herr S. eine Postsendung mit Ware
der Firma N. hat verschwinden lassen. Was aus diesem behaupteten Vorgang wie den dazugehörigen
Videoaufzeichnungen für ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers abgeleitet werden soll, wurde von der
Beklagten im vorliegenden Verfahren nicht vorgetragen und ist für das Berufungsgericht nicht
nachvollziehbar.
Die des Weiteren erwähnte Videoaufzeichnung, auf welcher nach dem Vortrag der Beklagten zu sehen ist,
dass der Kläger mit drei weiteren marokkanischen Mitarbeitern zusammen steht und ein Gespräch führt,
ist - wobei unterstellt wird, dass die Videoaufzeichnung tatsächlich den von der Beklagten behaupteten
Vorgang wiedergibt - nicht geeignet, Verdachtsmomente zu begründen. Dass vier Mitarbeiter ein
Gespräch führen, belegt noch nicht einmal ansatzweise, dass sie gemeinsam eine Straftat begehen
wollen oder begangen haben. Dabei ist es auch unerheblich, ob der Kläger den Kontakt mit seinem
marokkanischem Arbeitskollegen S. normalerweise meidet und bei diesem Gespräch unter anderen auch
mit diesem Mitarbeiter zusammengestanden haben soll. Insgesamt hat dieser Vorgang einen zu neutralen
Charakter, als dass Rückschlüsse auf die Unterschlagung von Postpaketen gezogen werden könnten.
e)
Auch wenn alle von der Beklagten vorgetragenen Umstände im Rahmen einer Gesamtwertung
berücksichtigt werden, ergibt sich nach Überzeugung der Berufungskammer kein hinreichend dringender,
objektiv begründeter Tatverdacht gegen den Kläger.
2.
Der zweitinstanzlich erstmals gestellte Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch
das Landesarbeitsgericht gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes
gestellt worden ist, ist unbegründet.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis
aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn das
Gericht zuvor festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist und
Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dahingehende Gründe sind vorliegend nicht
ersichtlich. Der von der Beklagten erhobene Unterschlagungsverdacht findet allein in den oben
dargelegten statistischen Erwägungen eine Stütze, die aus Sicht eines objektiven Arbeitgebers aber nicht
geeignet sein können, die weitere Zusammenarbeit in Frage zu stellen. Hierzu sind die tatsächlichen
Anhaltspunkte, die den Tatverdacht gegen den Kläger stützen sollen, nicht schwerwiegend genug. Im
Übrigen kann die statistische Häufung von Falldaten und Anwesenheiten des Klägers auch durchaus auf
einem Zufall beruhen. Solange das Gegenteil durch individualisierende Verdachtsumstände nicht
nachweisbar ist, steht einer weiteren Zusammenarbeit der Prozessparteien nichts Entscheidendes
entgegen.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Gegen die vorliegende Entscheidung ist kein Rechtmittel gegeben. Für die Zulassung der Revision fehlte
es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.