Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 15.07.2008
LArbG Mainz: ordentliche kündigung, wiederholungsgefahr, interessenabwägung, form, arbeitsgericht, kündigungsfrist, beschwerdekammer, daten, megaphon, verfassung
LAG
Mainz
15.07.2008
3 TaBV 22/08
Beleidigende Äußerungen
Aktenzeichen:
3 TaBV 22/08
3 BV 28/07
ArbG Koblenz
Beschluss vom 15.07.2008
Tenor:
1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 (= Arbeitgeberin) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
Koblenz vom 12.02.2008 - 3 BV 28/07 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
01.07.1992 ein Arbeitsverhältnis. Seit dem Jahre 1994 ist der Beteiligte zu 3 anhaltend
Betriebsratsmitglied. Der Hauptvorstand der Gewerkschaft X beschloss für das Werk der Beteiligten zu 1 in
A-Stadt die Durchführung eines Warnstreiks für den 03.05.2007 (von 6:00 bis 8:00 Uhr). Unter der
Streikleitung des Geschäftsführers der X, Region X, R. H., wurde der Warnstreik - wie beschlossen -
durchgeführt. Während des Warnstreiks hielt u.a. der Beteiligte zu 3 - damals (noch)
Betriebsratsvorsitzender - eine Rede. Im Verlaufe seiner über Megaphon gehaltenen Rede bezeichnete
der Beteiligte zu 3 den (damals nicht anwesenden) Leiter der Abteilung Personal und Recht der
Beteiligten zu 1, M. D., als "der D., dieser Idiot …".
Mit dem Schreiben vom 10.05.2007 (Bl. 12 f. d.A.) bat die Beteiligte zu 1 den Beteiligten zu 2 um
Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3. Mit der am 16.05.2007 bei
dem Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift vom 15.05.2007 leitete die Beteiligte zu 1 das
gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren ein.
Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im übrigen wird
auf den tatbestandlichen Teil des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 12.02.2008 - 3 BV 28/07 - (dort S.
3 bis 7 = Bl. 180 ff. d.A.) Bezug genommen.
In dem vorbezeichneten Beschluss hat das Arbeitsgericht den Zustimmungsersetzungsantrag der
Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Gegen den ihr am 28.03.2008 zugestellten Beschluss vom 12.02.2008 -
3 BV 28/07 - hat die Beteiligte zu 1 am 22.04.2008 Beschwerde eingelegt und diese am 23.05.2008 mit
dem Schriftsatz vom 23.05.2008 begründet. Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der
Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 23.05.2008 (Bl. 211 ff. d.A.) verwiesen.
Dort greift die Beteiligte zu 1 insbesondere die Einschätzung des Arbeitsgerichts an, der Beteiligte zu 3
habe sich von der im Rahmen der Tarifverhandlungen angespannten Stimmung anstecken und sich
unbedacht zu seiner Äußerung hinreißen lassen. Dem hält die Beteiligte zu 1 entgegen, dass der
unstreitige Sachverhalt für eine derartige Vermutung keinerlei Indizien enthalte. Auch die Einschätzung
des Arbeitsgerichts - so führt die Beteiligte zu 1 aus -, es sei von einem auf den Eifer des Gefechts
zurückzuführenden einmaligen Fehlverhalten auszugehen, entbehre jeder Tatsachengrundlage. Dazu
trägt die Beteiligte zu 1 ebenso weiter vor, wie dazu, dass hier von einer Wiederholungsgefahr und damit
verbunden von einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auszugehen sei. Die
Beteiligte zu 1 vermag nicht zu erkennen, inwiefern im Rahmen der Interessenabwägung ihr
Beendigungsinteresse hinter dem Fortbestandsinteresse des Beteiligten zu 3 zurückzustehen habe.
Ergänzend äußert sich die Beteiligte zu 1 im Schriftsatz vom 08.07.2008 (Bl. 250 ff. d.A.), auf den Bezug
genommen wird. Dort nimmt die Beteiligte zu 1 insbesondere zu den Beschwerdebeantwortungen der
Beteiligten zu 2 und 3 Stellung.
Die Beteiligte zu 1 beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.02.2008 (- 3 BV 28/07 -) abzuändern und zu
beschließen,
die Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds C. (Beteiligter zu 3) zu ersetzen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragen,
die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 verteidigen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12.02.2008 - 3 BV 28/07 -
gegen die Beschwerde der Beteiligten zu 1 nach näherer Maßgabe des Inhaltes ihrer
Beschwerdebeantwortungen vom 30.06.2008, worauf jeweils verwiesen wird (- Beschwerdebeantwortung
des Beteiligten zu 1 = Schriftsatz vom 30.06.2008, Bl. 231 ff. d.A.; Beschwerdebeantwortung des
Beteiligten zu 3 = Schriftsatz vom 30.06.2008, Bl. 245 ff. d.A.; s. dazu auch den Schriftsatz des Beteiligten
zu 3 vom 01.07.2008, Bl. 249 d.A.).
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug
genommen.
II. 1.
und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die hiernach zulässige Beschwerde erweist sich als
unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Zustimmungsersetzungsantrag zu recht zurückgewiesen. Unter
Berücksichtigung aller Umstände des gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 ArbGG erforschten Sachverhalts und unter
Abwägung der Interessen der Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 3 liegen nicht genügend Tatsachen
vor, aufgrund derer der Beteiligten zu 1 die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3
nicht zugemutet werden könnte. Vielmehr ist der Beklagten die Einhaltung der ordentlichen
Kündigungsfrist - wäre das Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar - zuzumuten.
2.
Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts und stellt dies hiermit ausdrücklich bezugnehmend fest.
Das Vorbringen der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren rechtfertigt im Ergebnis keine von der
Beurteilung des Arbeitsgerichts abweichende rechtliche Bewertung des verfahrensgegenständlichen
Lebenssachverhaltes.
a)
Rechtsprechung, die das Arbeitsgericht zitiert hat, liegt hier ein Verhalten des Beteiligten zu 3 vor, das an
sich zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung geeignet ist. Dies gilt erst recht
dann, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass der Beteiligte zu 3 im Nachgang zu seiner Bemerkung
"der D., dieser Idiot …" auch noch die Frage aufgeworfen hat: "Wie der denn wohl an seine schwarze
Robe gekommen ist?"
Auch unter Einbeziehung dieser zusätzlich beleidigenden Äußerung überwiegt im Rahmen der
Interessenabwägung das Bestandsinteresse des Beteiligten zu 3 das Beendigungsinteresse der
Beteiligten zu 1. Die oben erwähnte Bezugnahme auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe
erstreckt sich auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.02.2008 - 3 BV 28/07 - dort ab S. 7 bis unter II. A.
2. b) bb) (1) und (2) Seite 12 - oben - (… anderweitig zu informieren).
b)
von "Entscheidend …" bis "… entscheidungserheblich an" nicht (uneingeschränkt) zu eigen macht,
überwiegt aus den folgenden Gründen gleichwohl das Bestandsinteresse des Beteiligten zu 3.
Unterstellt man es zu Gunsten der Beteiligten zu 1 als richtig, dass der Sachverhalt damals nicht so
gestaltet war, dass sich der Beteiligte zu 3 von einer im Rahmen der Tarifverhandlungen angespannten
Stimmung hätte anstecken und unbedacht zu seiner Äußerung hatte hinreißen lassen, bleibt es doch bei
der Feststellung, dass es sich damals (lediglich) um einmalige (- singulär gebliebene -) verbale
Entgleisungen in Form beleidigender Äußerungen gehandelt hat, wie sie sich der Beteiligte zu 3 weder
vor dem Vorfall vom 03.05.2007, noch danach in ähnlicher oder vergleichbarer Weise hat zu Schulden
kommen lassen. Bereits im weiteren Verlauf seiner Rede vom 03.05.2007 hat der Beteiligte zu 3 - nach
näherer Maßgabe der Darstellung der Beteiligten zu 1 - eingeräumt, "wohl zu weit gegangen" zu sein. Da
sich der Beteiligte zu 3 am 12.02.2008 ausdrücklich entschuldigt hat und es weder in all den Jahren vor
dem 03.05.2007 noch in der Zeit danach zu beleidigenden Äußerungen oder verbalen Entgleisungen des
Beteiligten zu 3 gekommen ist, wird die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit der
Unternehmensleitung der Beteiligten zu 1 mit den Beteiligten zu 2 und 3 letztlich nicht ernsthaft in Frage
gestellt, - zumal dem Verhalten des Beteiligten zu 3 eine besondere Verwerflichkeit nicht innewohnt.
(Gerade auch) im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB gilt das kündigungsrechtliche Prognose-Prinzip.
Insoweit reichen die von der Beteiligten zu 1 vorgetragenen Umstände nicht aus, um darauf gestützt die
Prognose stellen zu können, es sei zu befürchten, der Beteiligte zu 3 werde in Zukunft seine
beleidigenden Äußerungen wiederholen oder sich in ähnlicher Form beleidigend äußern. In diesem
Zusammenhang stellt die Frage, ob es sich bei der dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Pflichtverletzung
lediglich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat oder ob eine Wiederholung in dieser oder ähnlicher
Form zu befürchten ist, anerkanntermaßen einen zu beachtenden Gesichtspunkt bei der
Interessenabwägung dar. Zwar kommt es bei schweren Pflichtverletzungen auf eine Wiederholungsgefahr
regelmäßig nicht an. Bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr kann sich (aber) - wie hier - der
Gesichtspunkt der längeren bzw. langfristigen Vertragsbindung durchaus zugunsten des Arbeitnehmers
auswirken. Aus dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt lässt sich eine ernsthafte Besorgnis, das
Geschehen vom 03.05.2007 werde sich künftig so oder in ähnlicher Form wiederholen, nicht ableiten.
Soweit die Beteiligte zu 1 aufgrund wertender Erwägungen doch zur Annahme einer
Wiederholungsgefahr gelangt, teilt die Beschwerdekammer diese Wertungen, - an die sie nicht gebunden
ist -, nicht. Insoweit greift die Beteiligte zur Prognosebegründung ein Zitat auf, das sich aus dem
Aktenvermerk vom 16.10.2007 (= Anlage 8 zum Schriftsatz der Beteiligten zu 1 vom 15.11.2007 = Bl. 119
d.A.) ergibt ("… daraufhin sprach Herr C. in das Megaphon, dass er wohl zu weit gegangen sei und
begründete dies mit seiner emotionalen Verfassung …"). Alleine daraus und aus dem damit
zusammenhängenden Vorbringen der Beteiligten zu 1 ergibt sich aber noch nicht, dass der Beteiligte zu 3
charakter- bzw gefühlsmäßig so strukturiert ist, dass deswegen eine Wiederholungsgefahr objektiv
begründet wäre. (Auch) aus sonstigen Umständen ergibt sich hier eine derartige Wiederholungsgefahr
nicht.
Nach näherer Maßgabe der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind in einem Fall der
vorliegenden Art bei der Interessenabwägung weiterhin die sozialen Daten des zu kündigenden
Arbeitnehmers von Bedeutung. Diese Daten hat die Beschwerdekammer deswegen ebenfalls im Rahmen
der Interessenabwägung berücksichtigt.
Weiter wurde im Rahmen der Interessenabwägung der Gesichtspunkt der Betriebsdisziplin unter
Berücksichtigung vor allem des Umstandes beachtet, dass bei dem Geschehen vom 03.05.2007 die
Medien zugegen waren. Die letztgenannten Gesichtspunkte sprechen für das Beendigungsinteresse der
Beteiligten zu 1. Auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist jedoch im Ergebnis aufgrund
entsprechender Abwägung festzustellen, dass der Beteiligten zu 1 bei einem vergleichbaren ordentlich
kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (- hier der
fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Monatsende) noch zumutbar wäre. Dieser
Prüfungsmaßstab ist im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB bei außerordentlichen Kündigungen gegenüber
Arbeitnehmern, bei denen die ordentliche Kündigung kraft Gesetzes (- im Falle des Beteiligten zu 3
gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG -) ausgeschlossen ist, anzulegen. Mit Rücksicht auf die bereits langjährig,
nämlich seit dem 01.07.1992, bestehende Betriebszugehörigkeit und die schweren (finanziellen) Folgen
des sofortigen Verlustes des Arbeitsplatzes, nämlich Wegfall der für den eigenen Unterhalt notwendigen
Einkünfte, die drohende Sperrfrist nach dem Arbeitsförderungsrecht (SGB III), die möglichen
Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle im Zusammenhang mit dem Alter des am
11.02.1955 geborenen Beteiligten zu 3 und dem mit einer fristlosen Kündigung einhergehenden
Ansehensverlust (des Beteiligten zu 3) ist der Beteiligten zu 1 die Einhaltung der ordentlichen
Kündigungsfrist - wäre das Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar - doch (noch) zuzumuten.
3.
ABR 14/91 - juris Rz 31) - festzustellen, dass die sich aus § 626 Abs. 1 BGB ergebende Voraussetzung,
unter der die Zustimmung gemäß § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu ersetzen ist, vorliegend nicht erfüllt ist.
Folglich bleibt die Beschwerde erfolglos.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde
durch das Landesarbeitsgericht kann nach näherer Maßgabe der §§ 72a und 92a ArbGG und unter den
dort genannten Voraussetzungen selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde
ist bei dem Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt oder Bundesarbeitsgericht, Postfach,
99113 Erfurt, Telefaxnummer: 0361/26 36 - 2000 innerhalb von einem Monat nach Zustellung des
vorliegenden Beschlusses einzulegen.
Auf diesen Rechtsbehelf wird die Beteiligte zu 1 hiermit hingewiesen.