Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 20.09.2005
LArbG Mainz: nichteinhaltung der frist, arbeitsgericht, verschulden, rechtsschutzversicherung, hindernis, post, beförderung, sorgfalt, akte, beschwerdekammer
LAG
Mainz
20.09.2005
5 Ta 176/05
nachträgliche Klagezulassung
Aktenzeichen:
5 Ta 176/05
4 Ca 725/05
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 20.09.2005
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom
15.06.2005 - 4 Ca 725/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 7.200,00 festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Beklagte kündigte dem Kläger mit dem - dem Kläger am 17.12.2004 zugegangenen - Schreiben vom
16.12.2004 (Bl. 31 d. A.) ordentlich zum 31.07.2005. Am 29.12.2004 beauftragte der Kläger seinen
früheren Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt A. G., mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage.
Die Kündigungsschutzklage vom 23.02.2005 ist an diesem Tag zunächst beim Sozialgericht Koblenz und
dann beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangen. Zur Begründung des Antrages auf nachträgliche
Klagezulassung hat der Kläger u. a. vorgetragen:
Am 30.12.2004 sei die Kündigungsschutzklage gefertigt und unterschrieben worden. Am selben Tag sei
die Klage per Fax an die Rechtsschutzversicherung mit der Bitte um Deckungszusage versandt worden.
Die Deckungszusage sei am 05.01.2005 eingegangen. Da sowohl die Klage wie auch die
Deckungsschutzanfrage gegenüber der Rechtsschutzversicherung am 30.12.2004 ausgefertigt und
unterschrieben worden seien, seien die Schreiben im Fristenkalender als erledigt notiert und
entsprechend zum Einwurf in den Briefkasten des Arbeitsgerichts fertig gestellt worden. Sowohl am
30.12.2004 wie auch am 06.01.2005 sei die Erledigung der Frist durch Rechtsanwalt G. nachgeprüft
worden. Aus der Akte ergebe sich, dass die Klage am 30.12.2004 fertig gestellt und am selben Tag
sowohl dem Gericht wie auch dem Kläger in Abschrift zugeleitet worden sei. Eine Möglichkeit, den
unterbliebenen Einwurf der Klageschrift bei Gericht festzustellen, habe es nicht gegeben. Wegen aller
Einzelheiten der Antragsbegründung wird auf die Antrags- und Klageschrift vom 23.02.2005 (Bl. 1 ff. d. A.
nebst eidesstattlicher Versicherung der Auszubildenden T. H. vom 23.02.2005, Bl. 7 d. A.) sowie auf die
Schriftsätze vom 31.05.2005 (Bl. 57 ff. d. A.) und vom 13.07.2005 (Beschwerdeschrift; Bl. 77 ff. d. A.)
verwiesen.
Die Beklagte ist dem Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagezulassung mit den Schriftsätzen vom
17.03.2005 (Bl. 27 ff. d. A.), vom 08.06.2005 (Bl. 65 d. A.) und vom 01.08.2005 (Bl. 90 f. d. A.;
Beschwerdebeantwortung) entgegengetreten.
Mit dem Beschluss vom 15.06.2005 - 4 Ca 725/05 - hat das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche
Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen ("abgewiesen"). Gegen den am 29.06.2005
zugestellten Beschluss vom 23.06.2005 - 4 Ca 725/05 - hat der Kläger am 13.07.2005
sofortige
Beschwerde
aller Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 13.07.2005 verwiesen. Dort
heißt es u. a.:
Es möge auf den ersten Blick tatsächlich nicht von der Hand zu weisen sein, dass die vorgetragene
Büroorganisation hinsichtlich ihres Fristen- und Vorlagesystems unter Umständen nicht den zu
erwartenden Anforderungen entspreche, - allerdings habe das Arbeitsgericht einen mehr als erheblichen
Aspekt außer Acht gelassen. Zu diesem Aspekt führt der Kläger weiter aus. Er meint, dass es offensichtlich
sei, dass die Fristversäumung nicht auf groben Sorgfaltspflichtverletzungen beruhe, sondern eben auf
Grund unglücklicher Umstände tatsächlich unvermeidbar gewesen sei und dass ein dem Kläger
zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nicht vorliege.
Die Beklagte beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird in entsprechender Anwendung des
§ 69 ArbGG auf den tatbestandlichen Teil des Beschlusses vom 15.06.2005 - 4 Ca 725/05 - sowie auf den
übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde musste kostenpflichtig gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
1. Der Kläger hat bereits nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er die Antragsfrist des §
5 Abs. 3 S. 1 KSchG gewahrt hat. Nach dieser Bestimmung ist der Antrag, die Klage nachträglich
zuzulassen, nur innerhalb von 2 Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Die Antragsfrist
beginnt also spätestens mit der Kenntnis vom Hindernis bzw. vom Wegfall des Hindernisses für die
(rechtzeitige) Klageerhebung. Die Antragsfrist kann aber auch schon vorher beginnen, wenn die Kenntnis
vom Hindernis bzw. vom Wegfall des Hindernisses bei Aufbieten der zumutbaren Sorgfalt hätte früher
erlangt werden können, - also die fortbestehende Unkenntnis nicht mehr unverschuldet ist. Deshalb
dürfen der Antrag auf nachträgliche Zulassung und die verspätete Klageerhebung nicht schuldhaft
hinausgezögert werden. Bei der Frage, ob und inwieweit das Weiterbestehen eines Hindernisses nicht
mehr als unverschuldet angesehen werden kann, steht das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten
nach § 85 Abs. 2 ZPO dem eigenen Verschulden der Partei gleich. Das Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten muss sich eine Partei insbesondere dann zurechnen lassen, wenn der
Bevollmächtigte erkannt hat oder nach den Umständen hätte erkennen müssen, dass eine Frist
abgelaufen ist.
Unter den gegebenen Umständen liegt eine verschuldete Nichteinhaltung der First des § 5 Abs. 3 S. 1
KSchG vor. Dabei entlastet es den Kläger nicht, dass die Nichteinhaltung der Frist alleine seinem
(früheren) Prozessbevollmächtigten anzulasten ist. Abzustellen ist nämlich im Rahmen des § 5 Abs. 3 S. 1
KSchG auf den (möglichen) Kenntnisstand des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO; LAG Hessen
vom 04.12.2002 - 15 Ta 203/02 - und vom 11.03.2005 - 15 Ta 638/04 -; vergleiche auch BAG vom
13.08.1992 - 2 AZR 92/92 A - ).
Augrund der besonderen Umstände, wie sie sich für den früheren Prozessbevollmächtigten des
Klägers am 06.01.2005 darstellten, hätte es zu einer sorgfältigen Prozessführung gehört, dass sich der
Prozessbevollmächtigte zeitnah beim Arbeitsgericht danach erkundigte, ob die Kündigungsschutzklage
tatsächlich dort eingegangen war. Zumindest hätte eine entsprechende, angemessen kurz bemessene
Wiedervorlagefrist notiert werden müssen, vor deren Ablauf dann die rechtzeitige Klageerhebung hätte
überprüft werden müssen. Unter den gegebenen Umständen hätte diese Wiedervorlagefrist so bemessen
werden müssen, dass sie nicht über Ende Januar 2005 hinaus reichte. Bei der dann erfolgten
Aktenvorlage wäre festgestellt worden, dass im vorliegenden Verfahren - anders als in dem gleichzeitig
betriebenen Verfahren - 4 Ca 2/05 -
(- Uectepe -) - noch keine gerichtliche Terminsladung vorlag. Dies hätte wiederum Veranlassung dafür
sein müssen, sich spätestens dann beim Arbeitsgericht nach dem Eingang der Klageschrift vom
30.12.2004 zu erkundigen. Wäre diese Erkundigung erfolgt, wäre noch im Verlaufe des Monats Januar
2005 das Hindernis i. S. des § 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S.1 KSchG behoben gewesen.
Zwar soll sich sowohl am 30.12.2004 als auch am 06.01.2005 aus der Akte ergeben haben, dass die
Kündigungsschutzklage (schon) am 30.12.2004 sowohl dem Gericht wie auch dem Mandanten in
Abschrift zugeleitet worden sei. Darauf durfte sich der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hier
aber nicht verlassen. Daran, dass bereits am 30.12.2004 die Klageschrift tatsächlich beim Arbeitsgericht
eingereicht worden sei, hätten sich dem früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers durchgreifende
Zweifel aufdrängen müssen. Die entsprechenden Vermerke hätte er nicht ungeprüft hinnehmen dürfen.
Insoweit ist zu bedenken, dass am 30.12.2004 dadurch eine missverständnisträchtige Situation für die
Mitarbeiterin/Auszubildende H. gegeben war, als zeitgleich mit der Fertigung der Kündigungsschutzklage
vom 30.12.2004 erst noch die Rechtsschutzversicherung um Erteilung der Deckungszusage gebeten
wurde. Es ist nicht ersichtlich, dass der frühere Prozessbevollmächtigte der Mitarbeiterin H. inhaltlich
zweifelsfrei den Auftrag erteilt hätte, die Kündigungsschutzklage gleichwohl unabhängig von der Frage,
ob die Deckungszusage von der Rechtsschutzversicherung erteilt wurde oder nicht, beim Arbeitsgericht
einzureichen. Aus diesem Grunde hätte er sich bei der Aktenvorlage am 06.01.2005 keineswegs auf den
Vermerk verlassen dürfen, wonach die Klageschrift am 30.12.2004 am selben Tag dem Gericht zugeleitet
worden sein soll. Anhaltspunkte für entsprechende Zweifel bestanden umso mehr als es sich bei der
Mitarbeiterin H. noch um eine Auszubildende handelte. In diesem Zusammenhang wirkt es sich weiter
zum Nachteil des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers - und damit über § 85 Abs. 2 ZPO auch
zum Nachteil des Klägers - aus, dass nicht dargetan ist, wie im Büro der früheren
Prozessbevollmächtigten des Klägers überhaupt - und speziell am
30.12.2004 - die weitere Beförderung ausgehender Post organisatorisch im Einzelnen vorbereitet wird
bzw. wurde. Es ist anerkanntes Recht, dass es - zur Sicherung des rechtzeitigen Eingangs
fristgebundener Schriftsätze bei Gericht - zu den Aufgaben von Prozessbevollmächtigten gehört, eine
zuverlässige Fristenkontrolle nebst Ausgangskontrolle zu organisieren. Diese Organisation muss nicht nur
vorsehen, dass der jeweilige Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird, - es muss auch
gewährleistet sein, dass die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig
vorbereitet ist. Dieses gilt insbesondere auch dann, wenn der fristgebundene Schriftsatz für eine Partei
aufgegeben werden soll, deren Rechtsschutzversicherung erst noch um Deckungszusage gebeten wird.
Hätte der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers am 06.01.2005 - oder jedenfalls zeitnah dazu
noch im Januar 2005 - sorgfältig nach dem Verbleib der für das Arbeitsgericht bestimmten Klageschrift
geforscht und sich insbesondere bei dem Arbeitsgericht nach dem Eingang der Klageschrift erkundigt,
hätte er ohne weiteres das "Hindernis" im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3 S. 1 KSchG erkennen
können. Zumindest hätte er diese Kenntnis - bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt -
anlässlich der gebotenen Wiedervorlage der Akte, die für die Zeit vor Ablauf des Monats Januar 2005
hätte angeordnet werden müssen, gewinnen können und müssen.
Da hiernach die Wahrung der Antragsfrist nicht schlüssig dargetan ist, erweist sich der Antrag auf
nachträgliche Zulassung bereits als unzulässig.
2. Unabhängig davon erweist sich der Antrag aus den vom Arbeitsgericht und von der Beklagten
genannten Gründen jedenfalls als unbegründet. (Auch) im Rahmen des § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG muss sich
die Partei das Verschulden von Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, - und zwar aus den Gründen,
die sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur genannt werden (s. dazu LAG Rheinland-Pfalz
vom 19.05.1992 - 9 Ta 83/92 -; LAG Bremen vom 26.05.2003 - 2 Ta 4/03-; LAG Bayern (Nürnberg) vom
12.03.2002 - 5 Ta 177/01 -; LAG Berlin vom 30.06.2003 - 6 Ta 1276/03 - sowie vom 08.01.2002 - 6 Ta
2245/01 - und LAG Sachsen vom 09.05.2000 - 4 Ta 120/00 -; Griebeling NZA 2002, 838 (842 f.) und
Dresen NZA-RR 2004, 7). Ein - mit einem arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzmandat beauftragter -
Rechtsanwalt trägt die Verantwortung dafür, dass die Klageschrift rechtzeitig bei dem zuständigen
Arbeitsgericht eingeht. Die Sicherung des rechtzeitigen Eingangs fristgebundener
Kündigungsschutzklagen bei Gericht macht eine zuverlässige Fristen- und Ausgangskontrolle notwendig.
In diesem Zusammenhang teilt die Beschwerdekammer die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die vom
Kläger vorgetragene Büroorganisation (seiner früheren Prozessbevollmächtigten) hinsichtlich des Fristen-
und Vorlagesystems nicht den zu erwartenden Anforderungen entspricht. Die diesbezüglichen
und Vorlagesystems nicht den zu erwartenden Anforderungen entspricht. Die diesbezüglichen
Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts macht sich die Beschwerdekammer in entsprechender
Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG zu Eigen und stellt dies hiermit ausdrücklich fest. Bei
missverständnisträchtigen Situationen, wie sie bei gleichzeitiger Fertigung von Klageschrift und der Bitte
um (Rechtsschutz-)Deckungszusage gegeben sind, muss die Beförderung fristgebundener ausgehender
Post organisatorisch besonders zuverlässig organisiert sein.
Davon, dass das Fristen- und Vorlagesystem der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers - so
wie dargelegt - nicht den zu stellenden Anforderungen entspricht, geht erkennbar auch die Beschwerde
aus (vergl. S. 2 oben der Beschwerdeschrift = Bl. 81 d. A.). Freilich entlastet der vom Kläger dann weiter
angeführte Aspekt weder ihn, noch seinen früheren Prozessbevollmächtigten. Im Gegenteil:
Wurden seinerzeit die beiden Parallelmandate - wie dort geltend gemacht - tatsächlich "quasi fortan nur
noch als eine Angelegenheit betrachtet" und demgemäß bei der Bearbeitung gerade auch des
Kündigungsschutzmandates des Klägers "in der Summe ein geringerer Aufwand betrieben", so würde
auch gerade dieser Umstand dem früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Verschulden
gereichen. Wenn ein Rechtsanwalt mehrere - hier sogar nur zwei - tatsächlich oder vermeintlich ähnlich
gelagerte Fälle zu bearbeiten hat, so mindert dies das Maß der anzuwendenden Sorgfalt nicht. Anderes
kann - wenn überhaupt - allenfalls für Massenverfahren gelten, - um ein derartiges Verfahren geht es
vorliegend jedoch eindeutig nicht.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß den §§ 42 Abs. 4 S. 1 Halbsatz 1 und 63 Abs. 2
GKG festgesetzt.
In Fällen der vorliegenden Art darf die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden (vergl. BAG vom
20.08.2002 - 2 AZB 16/02 -).