Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 07.04.2004

LArbG Mainz: treu und glauben, beendigung, abfindungsbetrag, arbeitsgericht, arbeitsamt, sperrfrist, aufhebungsvertrag, rechtshängigkeit, krankenkasse, arbeitslosigkeit

LAG
Mainz
07.04.2004
10 Sa 16/04
Aktenzeichen:
10 Sa 16/04
1 Ca 1701/03
ArbG Ludwigshafen
Verkündet am: 07.04.2004
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom
11.11.2003, AZ: 1 Ca 1701/03, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Höhe einer dem Kläger zustehenden Abfindung.
Der Kläger war in der Zeit vom 01.09.1980 bis 31.03.2003 bei der Beklagten als Verpacker beschäftigt. In
einem ärztlichen Attest vom 13.08.2002, zur Vorlage beim Arbeitgeber bestimmt, wurde dem Kläger, bei
dem ein Grad der Behinderung von 40 besteht, die Aufgabe seiner bisher ausgeübten Tätigkeit und ein
Wechsel auf einen Arbeitsplatz mit leichteren Tätigkeiten empfohlen. Der Kläger wandte sich daraufhin an
die Beklagte und bot an, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen.
Bei der Beklagten besteht ein Sozialplan vom 14.04.2000 (Bl. 45 bis 54 d. A.), der vorsieht, dass
Mitarbeiter, die - wie der Kläger - das 56. Lebensjahr bereits vollendet, das 63. Lebensjahr aber noch nicht
vollendet haben, bei einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund Personalabbaus eine
Abfindung in Höhe der errechneten Differenz zwischen Lohn- und Gehaltsersatzleistungen des
Arbeitsamtes und 80 % ihres letzten Nettoeinkommens für die Dauer der Arbeitslosigkeit bis zu einem
frühestmöglichen Rentenbezug erhalten.
Am 20.09.2002 schlossen die Parteien einen Vertrag, der u. a. folgende Bestimmungen enthält:
1. Ihr Arbeitsverhältnis endet im beiderseitgen Einvernehmen aus gesundheitlichen Gründen am
31.03.2003. Bis dahin werden Sie ihren restlichen Urlaub nehmen. Eine Abgeltung des Urlaubs ist
ausgeschlossen.
2. Für den Verlust Ihres Arbeitsplatzes zahlen wir Ihnen eine Abfindung in Höhe von
€ 26.864, netto.
Weiterhin erhalten Sie aufgrund der gesetzlichen Rentenminderung einen weiteren Abfindungsbetrag in
Höhe von
€ 21120, brutto.
Darüber hinaus trafen die Parteien - ebenfalls unter dem 20.09.2002 - Bezug nehmend auf den
Aufhebungsvertrag eine "Sondervereinbarung". Diese enthält u. a. folgende Regelungen:
1. Sollten Sie im Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes eine Sperrfrist gem. § 119 I Satz 1, Nr. 1 AFG
erhalten, mit der Rechtsfolge einer weitergehenden Leistungsverkürzung beim Arbeitslosengeld sowohl
nach § 110 I Nr. 2, als auch nach § 117 a AFG, so erklärt sich K bereit, Ihnen einen weiteren
Abfindungsbetrag in Höhe von max.
€ 4.863, netto
zu zahlen.
Diese Abfindung verringert sich um den Betrag, um den die oben genannte Leistungsverkürzung nicht in
vollem Umfang eintritt.
2. Der Betrag nach Ziffer 1 gilt als zusätzlicher Bestandteil des in dem Aufhebungsvertrag vom 10.06.2002
genannten Abfindungsbetrages. Soweit dadurch der Höchstbetrag für die steuerfreie Abfindung
überschritten wird, ist der übersteigende Betrag steuerpflichtig. Eine evtl. Auszahlung des Betrages nach
Ziffer 1 ist fällig nach Vorlage des Bescheides des Arbeitsamtes über Arbeitslosengeld.
Vor Abschluss dieser Verträge fanden zwischen den Parteien mehrere Gespräche statt, die seitens der
Beklagten von einem Betriebsratsmitglied geführt wurden und an denen auch der Sohn des Klägers
teilnahm. Gegenstand zumindest eines dieser Gespräche war auch eine von der Beklagten erstellte
schriftliche Berechnung der Abfindungsbeträge. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf Blatt 57 d.
A. Bezug genommen.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellte das Arbeitsamt mit Bescheiden vom 01.04.2003 und
vom 07.08.2003 das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2003
bis einschließlich 10.08.2003 fest.
Im Hinblick auf das vom Arbeitsamt festgestellte Ruhen seines Arbeitslosengeldanspruchs hat der Kläger
mit seiner am 19.05.2003 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage die Zahlung einer zusätzlichen
Abfindung aus der am 20.09.2002 geschlossenen Sondervereinbarung geltend gemacht. Die Beklagte
hat diesbezüglich nach Klageerhebung an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.012,- € (für den
Zeitraum vom 01.07.2003 bis 26.07.2003) gezahlt und darüber hinaus in der letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Arbeitsgericht einen weiteren Betrag in Höhe von 544,- € (für den Zeitraum vom
27.07.20003 bis 10.08.2003) anerkannt.
Der Kläger ist der Ansicht, die in der Sondervereinbarung vom 20.09.2002 enthaltene
Abfindungsregelung sei nicht nur im Falle einer Sperrfrist sondern auch bei einem Ruhen des
Arbeitslosengeldanspruchs anzuwenden. Dies ergebe sich im Wege einer ergänzenden
Vertragsauslegung. Es treffe auch nicht zu, dass jedenfalls die ersten drei Monate des Ruhenszeitraums
bereits vom Abfindungsbetrag in Höhe von 26.864,- € abgedeckt seien. Die von der Beklagten
diesbezüglich vorgelegte Berechnung sei ihm zwar von dem Betriebsratsmitglied, welches die Gespräche
seitens der Beklagten geführt habe, vorgelesen worden; da er jedoch der deutschen Sprache nur
eingeschränkt mächtig sei, habe er diese - auch angesichts ihrer Unübersichtlichkeit - nicht verstanden.
Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes. Bei
Kenntnis der nunmehr von der Beklagten behaupteten Sachlage und bei richtiger Beratung durch das
Betriebsratsmitglied hätte er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnet.
Der Kläger hat erstinstanzlich (zuletzt) beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.122,80 € zuzüglich 5 % Zinsen aus einem Betrag hieraus
seit Rechtshängigkeit zu bezahlen und die hierauf anfallenden Krankenkassen- und
Pflegeversicherungsbeiträge an die zuständige Krankenkasse und Steuern an das Finanzamt
abzuführen.
Die Beklagte hat die Klage in Höhe von 544,- € anerkannt und im Übrigen beantragt,
die Klage
abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, zwar treffe es zu, dass die in der Sondervereinbarung enthaltene Regelung
auch für die Zeiten eines Ruhens des Arbeitslosengeldanspruches des Klägers gelte, jedoch insoweit die
ersten drei Monate, d. h. die Zeit vom 01.04.2003 bis einschl. 30.06.2003 von dem an den Kläger
ausgeteilten Abfindungsbetrag in Höhe von 26.864,- € abgedeckt seien. Dies ergebe sich insbesondere
aus dem Inhalt der dem Kläger vorgelegten und erläuterten Berechnung seiner Abfindung und entspreche
darüber hinaus auch dem Inhalt des Sozialplans vom 14.04.2000, der auch Grundlage für die mit dem
Kläger getroffenen Vereinbarungen gewesen sei. Mit den an den Kläger gezahlten und anerkannten
Beträgen seien die ihm entstandenen Nachteile exakt in dem im Soziaplan vereinbarten Umfang
ausgeglichen worden. Ausgleichszahlungen, die dazu führen würden, dass der Kläger mehr als 80 %
seines letzten Nettoeinkommens erzielen würde, seien nicht vereinbart worden.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.11.2003 die Beklagte gemäß ihrem Anerkenntnis verurteilt, an
den Kläger 544,- € zu zahlen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der
maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 9 bis 14 dieses Urteils (= Bl. 80 bis 85 d. A.)
verwiesen.
Gegen das ihm am 12.12.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.01.2004 Berufung beim
Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese am 10.02.2004 begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein insoweit aufzuheben, als die Klage
abgewiesen wurde und die Berufungsbeklagte zu verurteilen, weitere 3.578,80 € zuzüglich 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit an
den Berufungskläger zu bezahlen und die hierauf anfallenden Krankenkassen- und
Pflegeversicherungsbeiträge an die zuständige Krankenkasse und Steuern an das Finanzamt
abzuführen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 74 bis 79 d. A.), auf
die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 09.02.2004 (Bl. 104 bis 107 d. A.) sowie auf die
Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 18.03.2004 (Bl. 129 bis 139 d. A.).
Entscheidungsgründe:
I.
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagten über die unstreitig gezahlten Abfindungsbeträge von insgesamt
48.996,- € sowie über den anerkannten Betrag von 544,- € hinaus keinen Anspruch auf Zahlung einer
weiteren Abfindung.
Das Berufungsgericht folgt den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2
ArbGG fest. Von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe kann daher abgesehen werden. Im
Hinblick auf das Berufungsvorbringen erscheinen lediglich folgende ergänzende Klarstellungen
angezeigt:
Der im Berufungsverfahren noch geltend gemachte Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus
der Sondervereinbarung vom 20.09.2002. Zwar trifft es zu und entspricht auch der insoweit
übereinstimmenden Rechtsansicht der Parteien, dass die in dieser Sondervereinbarung enthaltene
Abfindungsregelung nicht nur im Falle einer vom Arbeitsamt verhängten Sperrfrist sondern auch - wie
vorliegend - bei einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs eingreift. Die betreffende Regelung ist
jedoch nur für diejenigen leistungsminderten Maßnahmen des Arbeitsamtes anwendbar, die über den
Zeitraum der ersten drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinausgehen. Soweit der
Arbeitslosengeldanspruch des Klägers hingegen in den ersten drei Monaten, d. h. in der Zeit vom
01.04.2003 bis einschl. 30.06.2003 geruht hat, so sind die daraus resultierenden Nachteile des Klägers
bereits durch Zahlung des in Ziffer 2 des Aufhebungsvertrages vom 20.09.2002 genannten Betrages von
26.864,- € abgegolten. Dies ergibt sich bei der nach §§ 133, 157 BGB durchzuführenden Auslegung des
Aufhebungsvertrages.
Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte es erfordern. Die Auslegung muss vom Wortlaut der Erklärung ausgehen, wobei der
allgemeine Sprachgebrauch maßgebend ist. Nach der Ermittlung des Wortsinns sind in einem zweiten
Auslegungsschritt die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung mit-
einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Bei
empfangsbedürftigen Willenserklärungen sind dabei nur die Umstände zu berücksichtigen, die dem
Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren. Letztlich ist auch die Entstehungsgeschichte eines
Vertrages mit zu berücksichtigen. Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts sowie
der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck und die Interessenlage sind zu beachten (vgl. BAG, AP Nr. 32
zu § 133 BGB).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für den vorliegenden Streitfall, dass diejenigen finanziellen
Nachteile, welche der Kläger infolge des Ruhens seines Arbeitslosengeldanspruchs in den ersten drei
Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlitten hat, bereits in den vereinbarten
Abfindungsbetrag von 26.864,- € eingerechnet worden sind. Dies ergibt sich aus der schriftlichen
Berechnung der dem Kläger zustehenden Abfindungsbeträge (Bl. 57 d. A.). Diese Berechnung war
unstreitig Gegenstand der zwischen den Parteien im Hinblick auf die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses
geführten Verhandlungen und ist daher bei der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu
berücksichtigen. Die betreffende Berechnung enthält u. a. unter der Bezeichnung "Abfindungsbetrag" 2,
Sperrzeit (3 Monate x Arbeitslosengeld)" einen Betrag von 3.502,- €. Die Einbeziehung dieses Betrages
soll den Kläger erkennbar vor leistungsminderten Maßnahmen des Arbeitsamtes für die ersten drei
Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schützen. Die betreffende Summe entspricht exakt
dem für einen Zeitraum von drei Monaten zu erwartenden Arbeitslosengeld des Klägers. Zutreffend gehen
beide Parteien davon aus, dass die Festsetzung dieses Betrages nicht nur zum Ausgleich einer Sperrzeit,
sondern auch zum Ausgleich eines Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs dient. Nach Sinn und Zweck
der Gesamtregelung die sich unstreitig an den Bestimmungen des Sozialplans vom 14.04.2000 orientiert,
sollte der Kläger umfassend vor einer etwaigen Verkürzung seines Arbeitslosengeldanspruchs geschützt
werden. Hieraus folgt zugleich, dass der in der Berechnung der Abfindung des Klägers als
"Zusatzabfindung bei Sperrzeit" bezeichnete und in der Sondervereinbarung vom 20.09.2002 genannte
Betrag von 4.863,- € nur diejenigen finanziellen Nachteile ausgleichen soll, die dem Kläger für einen über
drei Monate hinausgehenden Zeitraum ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen konnten. Ein
doppelter Ausgleich derjenigen Nachteile, die dem Kläger wegen des Fehlens oder des Wegfalls eines
Arbeitslosengeldanspruchs in den ersten drei Monaten entstehen, war erkennbar nicht gewollt. Es ist
zwischen den Parteien auch unstreitig, dass man sich bei der Berechnung der an den Kläger zu
zahlenden Abfindung an den Regelungen des Sozialplans vom 14.04.2000 zumindest orientiert hat. Die
zwischen den Parteien vereinbarte Abfindungssumme sollte die Differenz zwischen den Leistungen des
Arbeitsamtes und 80 % des letzten Nettoeinkommens für die Dauer der Arbeitslosigkeit bis zu einem
frühstmöglichen Rentenbezug ausgleichen. Diesem Zweck dient erkennbar die Festsetzung des Betrages
von 3.502,00 € für den zu erwartenden Wegfall eines Arbeitslosengeldanspruchs des Klägers während
der ersten drei Monate und die weitere Festsetzung des in der Sondervereinbarung genannten
Höchstbetrages von 4.863,- €, der eine Verkürzung des Arbeitslosengeldanspruchs auch noch für die Zeit
nach Ablauf von drei Monaten ausgleichen soll.
Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Schadensersatzanspruch. Die Beklagte hat im
Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht gegen ihre gegenüber dem Kläger
bestehenden Verpflichtungen verstoßen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Beklagte in
irgendeiner Weise den Kläger im Rahmen der geführten Verhandlung falsch beraten hat oder etwaigen
Aufklärungspflichten nicht nachgekommen ist. Im Übrigen ist diesbezüglich den zutreffenden
Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil nichts hinzuzufügen.
III.
Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung.