Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 15.07.2004
LArbG Mainz: einstweilige verfügung, arbeitsgericht, hauptsache, auflage, akte, erlass, berechtigung, rechtshängigkeit, quelle, notbedarf
LAG
Mainz
15.07.2004
11 Sa 245/04
einstweilige Verfügung
Aktenzeichen:
11 Sa 245/04
2 Ga 4021/03
ArbG Koblenz
Verkündet am: 15.07.2004
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.01.2004 -
Az.: 2 Ga 4017/03 - wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten der Berufung hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob dem Kläger der geltend gemachte
Anspruch auf Entgeltzahlung zusteht.
Der Verfügungskläger war ab 26.08.2003 im Arbeitsverhältnis bei der Verfügungsbeklagten als Kraftfahrer
beschäftigt. Die Verfügungsbeklagte kündigte mit Schreiben vom 26.11.2003 zum 11.12.2003. Für
November 2003 hat die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger eine Lohnabrechnung über einen
Bruttolohn von 2.215,78 Euro erstellt.
Eingehend beim Arbeitsgericht am 18.12.2003 hat der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen
Verfügung dahingehend beantragt, dass die Verfügungsbeklagte verurteilt werde, hinsichtlich des
Novemberlohnes 2003 940,-- Euro netto an ihn zu zahlen. Am Nachmittag des 19.12.2003 gegen 16.30
Uhr zahlte die Verfügungsbeklagte an den Verfügungskläger auf den Lohn für November 2003 insgesamt
878,04 Euro.
Der Verfügungskläger hat vorgetragen, die Verfügungsbeklagte habe trotz mehrfacher telefonischer
Anfragen die Auszahlung des Novemberentgeltes abgelehnt. Erst nach nochmaliger dringender
telefonischer Anfrage am Vormittag des 19.12.2003 habe letztlich die Geschäftsführerin der
Verfügungsbeklagten erklärt, dass er - der Verfügungskläger - am Nachmittag des 19.12.2003 ab 14.00
Uhr das Geld abholen könne, wobei allerdings Abzüge gemacht würden. Die Nichtzahlung des Lohnes
bringe ihn in erhebliche wirtschaftliche Not. Er werde erst zum 05.01.2004 ein neues Arbeitsverhältnis
eingehen und verfüge über keine weitergehenden Bezüge. Er verfüge über keinerlei Reserven und
Ersparnisse und sei dringendst auf das Geld angewiesen, da ihm von sonstigen Stellen (Arbeitsamt,
Sozialamt etc.) keine Mittel zur Verfügung gestellt würden. Der Verfügungskläger hat bezüglich seines
Vortrages Eidesstattliche Versicherungen vom 18.12.2003 und 09.01.2004 zur Akte gereicht.
Am 19.12.2003 erließ das Arbeitsgericht Koblenz am Vormittag folgenden Beschluss:
1. Im Wege der Einstweiligen Verfügung wird die Antragsgegnerin verpflichtet, an den Antragsteller
939,99 Euro netto zu zahlen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Verfügungsbeklagte legte gegen diesen Beschluss Widerspruch ein.
Der Verfügungskläger hat zuletzt beantragt,
den Beschluss vom 19.12.2003 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Antragsgegnerin
verpflichtet wird, dem Antragsteller 939,99 € netto abzgl. am 19.12.2003 gezahlter € 878,04 zu bezahlen.
Soweit am 19.12.2003 Teilzahlung erfolgte, hat er Erledigung erklärt.
Die Verfügungsbeklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und beantragt,
den Beschluss vom 19.12.2003 aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte hat vorgetragen, bereits am Vormittag des 18.12.2003 habe die
Geschäftsführerin der Verfügungsbeklagten dem Verfügungskläger einen Termin zur Abholung des
Geldes für Freitag, den 19.12.2003 um 14.00 Uhr vorgeschlagen. Vom Novemberlohn 2003 seien
berechtigt Abzüge vorgenommen worden. Im Übrigen ergebe sich aus dem eigenen Vortrag des
Verfügungsklägers, dass ein Verfügungsgrund nicht vorgelegen habe. Die Verfügungsbeklagte hat
Eidesstattliche Versicherungen vom 05.01.2004 und 23.01.2004 zur Akte gereicht.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz wird auf die beim Arbeitsgericht
eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 23.01.2004 den Beschluss vom 19.12.2003 mit der Maßgabe
einer Verurteilung der Beklagten nach dem zuletzt gestellten Antrag des Klägers bestätigt und den
Streitwert auf 939, 99 EUR festgesetzt.
Gegen dieses ihr am 05.03.2004 zugestellte Urteil, auf das Bezug genommen wird, wendet sich die
Beklagte mit ihrer am 02.04.2004 eingegangenen und am 27.04.2004 begründeten Berufung.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten ihres Vortrags im
Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze vom 21.04.2004 und 15.06.2004 verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Berufung für unzulässig und verteidigt im übrigen das arbeitsgerichtliche Urteil in seiner
Berufungserwiderung vom 25. Mai 2004, auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 II c) ArbGG unstatthaft, weil
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteigt. Die Beklagte ist allenfalls in Höhe eines
Wertes von 83,95 € durch das angegriffene Urteil beschwert. Im einzelnen gilt folgendes:
1.
Der Beschwerdewert entspricht nicht unbedingt dem im erstinstanzlichen Urteil festgesetzten Streitwert; er
wird festgelegt durch die Anträge des Berufungsklägers, dieser bestimmt den Umfang der Nachprüfung.
Legt die bei dem Arbeitsgericht in vollem Umfang unterlegene Partei uneingeschränkt Berufung ein, so
stimmt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Wert der Beschwer
grundsätzlich mit dem im Urteil des Arbeitsgerichts festgesetzten Streitwert überein. Etwas anderes gilt nur
dann, wenn diese Streitwertfestsetzung offensichtlich unzutreffend ist oder wenn der Beschwerdewert des
§ 64 Abs. 2 ArbGG nach anderen Kriterien als der festgesetzte Streitwert zu ermitteln ist (BAG 27.05.1994 -
5 AZB 3/94 AP Nr. 17 zu § 64 ArbGG 1979).
2.
Die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts kann zwar nicht als offensichtlich unzutreffend angesehen
werden, sie bindet aber das Berufungsgericht nicht, weil sich nach dem Inhalt der Entscheidung des
Arbeitsgerichts keine der darin getroffenen Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts entsprechende Beschwer
ergibt.
a)
Es ist umstritten, wie im Falle einseitiger Erledigungserklärung der Streitwert zu bemessen ist. Teils wird
der Wert der Hauptsache angenommen, teils wird befürwortet, daß der Streitwert sich nur noch wie bei
einer positiven Feststellungsklage auf einen um bis zu 50 Prozent verringerten Prozentsatz des
Hauptsachewertes belaufe und schließlich wird – wohl überwiegend – die Auffassung vertreten, dass
regelmäßig der Wert der bisherigen Kosten maßgebend sei, bei teilweiser Erledigungsklärung
dementsprechend der Wert der verbleibenden Hauptsache zuzüglich der Kosten (so Th-P ZPO 24.Auflage
§ 91 a ZPO Rn 61 f unter Hinweis auf die Rspr. des BGH und Darstellung des Meinungsstandes unter Rn
59 f). Dem Gebot, den Streitwert mit Blick auf das vom Kläger mit dem Erledigungsantrag verfolgte
Interesse zu bestimmen, entspricht es nach Auffassung der Kammer allein, grundsätzlich für den
Erledigungsstreit auf die bislang aufgelaufenen Kosten abzustellen. Dem die Erledigung anzeigenden
Kläger geht es - abstrahiert man vom insoweit irrelevanten Interesse am Prozessgewinn als solchem - in
aller Regel nur darum, nicht mit den Kosten des vom Beklagten veranlassten Rechtsstreits belastet zu
werden; nur ausnahmsweise erstrebt er aus Gründen der Rechtskraft- und Präjudizwirkung die
rechtskraftfähige Feststellung der ursprünglichen Berechtigung des Klagbegehrens. Dem Beklagten kann
es auch nur um die Frage der Kostentragung gehen (LAG Bremen 21.Oktober 1997 – 1 Sa 101/97 – juris).
Im Regelfall fehlt ihm ein besonderes Feststellungsinteresse an einer Entscheidung über die Zulässigkeit
und Begründetheit der Klage bis zum Erledigungsereignis, die Sperrwirkung für eine etwaige Neuklage
mit nämlichem Streitgegenstand (§ 322 ZPO) und Präjudizwirkung entfaltet, soweit die Frage, ob die
Klageforderung zunächst berechtigt war, in einem Folgeprozess mit anderem Streitgegenstand
vorgreiflich wird (Vgl dazu Hess LAG 21.Juli 1997 – 16 Sa 291/97 – juris). Das wirtschaftliche Interesse
des Beklagten, dass die Feststellung der Hauptsacheerledigung nicht getroffen wird, kann sich deshalb
nur auf die Kostentragungspflicht beziehen und ist damit auf die bisher angefallenen Kosten begrenzt.
Im Hinblick auf den Meinungsstreit zur Wertfestsetzung bei einseitiger Erledigungserklärung wird
allerdings die Wertfestsetzung im erstinstanzlichen Urteil nicht als offensichtlich falsch eingeordnet
werden können. Dies gilt wohl auch, wenn man weiterhin berücksichtigt, dass es sich bei dem
vorliegenden Verfahren um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, in dem die soeben
angeführte Rechtskraftwirkung der Erledigungsfeststellung, die zur Begründung einer Wertfestsetzung
entsprechend dem Wert der Hauptsache angeführt werden kann (Hess LAG aaO) nicht zu erwarten ist.
Die Frage der Zulässigkeit und Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs wäre in einem
Hauptsacheverfahren zu klären (LAG Bremen aaO).
b)
Auch wenn man die Streitwertfestsetzung im Urteil nicht als offensichtlich unzutreffend ansieht, ergibt sich
aus ihr nicht der Wert der Beschwer. Denn das Arbeitsgericht hat über die beantragte Feststellung der
Erledigung, die die Wertfestsetzung allenfalls rechtfertigen könnte, nicht entschieden, weshalb die
Beklagte auch nicht entsprechend beschwert ist.
Der Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteil nach § 61 ArbGG liegt der im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung (noch) anhängige Streitgegenstand zu Grunde (Vgl. nur HaucK ArbGG
2.Auflage § 61 Rn 6). Das war im Streitfall zum einen die Frage, ob die Beklagte verpflichtet war, den von
der geltend gemachten Gesamtforderung noch ausstehenden Betrag im Eilverfahren als Notbedarf zu
zahlen. Im Hinblick auf die Erledigungserklärung im übrigen war darüber hinaus Streitgegenstand die
Frage, ob die Hauptsache – das vom Kläger eingeleitete Eilverfahren – tatsächlich erledigt ist, also nach
dessen Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, dass dem bisher zulässigen und begründeten
Antrag die Zulässigkeit oder Begründetheit genommen hat ( Vgl. nur Hess LAG aaO m.w.N).
Das Arbeitsgericht hat aber über die den Streitgegenstand in der letzten mündlichen Verhandlung
wesentlich ausmachende – teilweise - Erledigung der Hauptsache nicht entschieden. Es hat die
Erledigungserklärung des Klägers in den Tatbestand aufgenommen, jedoch findet sich weder im Tenor
noch in den Entscheidungsgründen die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist. Aus der
Entscheidung ergibt sich für die Beklagte lediglich die Verpflichtung, an den Kläger die Differenz aus 939,
99 € und 878, 04 €, also 61, 95 € zu zahlen sowie die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, das heißt
gemäß §§ 12 und 12 a ArbGG die Auslagen und Gebühren des Gerichts. Letztere sind mit 22 € in
Rechnung gestellt worden. Da die Beschwer des Beklagten sich nach dem Interesse bemisst, eine für ihn
günstigere Entscheidung zu erreichen (Vgl Hauck aaO § 64 Rn 4), überschreitet sie vorliegend den oben
angeführten Wert, der sich aus dem Wert der Verurteilung zuzüglich des Betrages der zu tragenden
Gerichtskosten ergibt, nicht.
Nach alledem ergibt sich, dass die Berufung der Beklagten nicht statthaft und deshalb gemäß
§ 522 I 2 ArbGG als unzulässig mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zu verwerfen war.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG