Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 06.07.2005

LArbG Mainz: praktische ausbildung, arbeitsgericht, firma, kausalität, beweislast, form, berufsausbildung, grenzbereich, verordnung, quelle

LAG
Mainz
06.07.2005
9 Sa 842/04
Nichtbestehen der Gesellenprüfung und Schadensersatz
Aktenzeichen:
9 Sa 842/04
4 Ca 1186/03
ArbG Kaiserslautern
- AK Pirmasens -
Verkündet am: 06.07.2005
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige
Kammern Pirmasens, Az.: 4 Ca 1186/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Leistung von Schadensersatz.
Zwischen den Parteien bestand während der Zeit vom 01.09.2001 bis 31.06.2003 ein
Ausbildungsverhältnis, in dessen Rahmen die Klägerin zur Hörgeräteakustikerin ausgebildet werden
sollte; die Einzelheiten des Vertragsverhältnisses sind in dem schriftlichen Ausbildungsvertrag vom
31.08.2001 (Bl. 90 d.A.) geregelt.
Am 27.06.2003 unterzog sich die Klägerin der Gesellenprüfung vor dem Prüfungsausschuss für das
Hörgeräteakustikerhandwerk an der Handwerkskammer Rheinhessen. Die Prüfung bestand aus zwei
Teilen: Im praktischen Prüfungsteil erzielte die Klägerin von 1.000 möglichen Punkten 421 und erhielt
hierfür die Note 5. Im schriftlichen Prüfungsteil konnte sie von 600 möglichen Punkten 307 verbuchen und
erhielt die Note 4. Damit waren der praktische Prüfungsteil nicht bestanden und der schriftliche
Prüfungsteil bestanden; insgesamt blieb die Klägerin damit in dieser Gesellenprüfung erfolglos (vgl. die
Mitteilung über das Ergebnis der Gesellenprüfung vom 27.06.2003; Bl. 89 d.A.).
Ab dem 29.06.2003 setzte die Klägerin ihre Ausbildung bei der Firma X. fort und bestand am 28.01.2004
die Gesellenprüfung.
Aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.02.2003 war die Klägerin bei der Firma X. sodann ab
dem 01.07.2003 als Hörgeräteakustikergeselle gegen Zahlung einer monatlichen Arbeitsvergütung in
Höhe von 1.540,00 EUR brutto beschäftigt.
In dem vorliegenden Rechtsstreit macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie wegen
unzureichender Ausbildung durch die Beklagte die erste Gesellenprüfung nicht bestanden habe und
daher einen Anspruch auf Leistung von Schadensersatz gegen diese habe, wobei sich der Schaden
daraus ergebe, dass sie bei ordnungsgemäßer Ausbildung und Bestehen der ersten Prüfung bereits
während der Zeit von Juli 2003 bis einschließlich Januar 2004 bei der Firma X. eine Arbeitsvergütung in
Höhe von insgesamt 1.780,00 EUR erzielt hätte; die tatsächlich während dieser Zeit verdiente
Ausbildungsvergütung in Höhe von 4.642,75 EUR brutto wirke sich schadensmindernd aus, so dass die
Beklagte 6.137,25 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen habe.
Von einer wiederholenden Darstellung des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2
ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern -
Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 07.07.2004 (dort S. 2 bis 10 = Bl. 55 bis 63 d.A.) Bezug
genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.137,25 EUR brutto sowie 90,00 EUR netto nebst Zinsen in Höhe
von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat mit Urteil vom 07.07.2004 (Bl.
54 ff. d.A.) die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 90,00 EUR netto nebst 5% Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 05.01.2004 zu zahlen; im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung des klageabweisenden Teiles der Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen
ausgeführt, dem Vortrag der Klägerin lasse sich eine Kausalität des behaupteten Ausbildungsmangels für
das Prüfungsversagen nicht entnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf S. 11 ff. des
Urteils vom 07.07.2004 (= Bl. 64 f. d.A.) verwiesen.
Die Klägerin, der die Entscheidung des Arbeitsgerichts am 21.09.2004 zugestellt worden ist, hat am
13.10.2004 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 21.12.2004 ihr
Rechtsmittel begründet nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 21.12.2004 verlängert
worden war.
Die Klägerin macht geltend,
das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der gescheiterte Prüfungsversuch allein auf
das Nichtbestehen des praktischen Prüfungsteiles zurückzuführen gewesen sei; den schriftlichen
Prüfungsteil habe die Klägerin bestanden. Des Weiteren habe das Arbeitsgericht die Anforderungen an
die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin überspannt; diese habe nämlich die Ausbildungsmängel
erstinstanzlich konkret und substantiiert vorgetragen. Im Zusammenhang mit der haftungsbegründenden
Kausalität, trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein bestimmter Schaden auch bei einem
rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre, einzig und allein der Schädiger. Durch das
Fehlverhalten der Beklagten, nämlich durch die unterlassene bzw. unzureichende praktische Ausbildung,
habe die Klägerin das Ausbildungsziel im praktischen Teil nicht erreicht. Es sei nicht ihre Sache, alle
hypothetisch möglichen anderen Ursachen auszuschließen, solange die Beklagte nicht dargelegt habe,
dass sie eine ordnungsgemäße Ausbildung tatsächlich durchgeführt habe. Sie sei selbst stets lernwillig
gewesen und hätte die Prüfung am 27.06.2003 im praktischen Teil bestanden, wenn ihr die Beklagte
vorher entsprechende Ausbildungsinhalte tatsächlich vermittelt hätte. Auch die weitere berufliche
Entwicklung der Klägerin gebe einen deutlichen Anhaltspunkt dafür, dass das Prüfungsziel nicht etwa
aufgrund mangelnden Interesses oder schlichter Unlust nicht erreicht worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom
21.12.2004 (Bl. 81 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 07.07.2004 - 4
Ca 1186/03 - teilweise, soweit die Klage abgewiesen wurde, abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, an die Klägerin weitere 6.137,25 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über
dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus,
Voraussetzung für Schadensersatz sei im vorliegenden Fall, dass die Klägerin lückenlos darlegt, dass sie
alles getan habe, um den Erfolg der Prüfung zu ermöglichen und dieses Vorhaben von der Beklagten
unterlaufen worden sei. Hierzu gehöre auch die Mitteilung der praktischen und theoretischen
Zwischenleistungen an der Schule, damit gegebenenfalls weitere Maßnahmen durch die Hinzuziehung
eines Ausbildungsberaters hätten in die Wege geleitet werden können. Die Klägerin habe zwar den
schriftlichen Prüfungsteil in der ersten Gesellenprüfung bestanden, in der Theorie habe sie jedoch derart
eklatante Schwächen offenbart, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese theoretischen
Schwächen das Scheitern der praktischen Prüfung verursacht hätten. Insbesondere habe die Klägerin im
theoretischen Prüfungsfach "Technische Grundlagen" gerade einmal 24% der Maximalpunktzahl erreicht.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Fehlverhalten der Beklagten und dem Nichtbestehen der
Prüfung sei von der Klägerin nicht dargelegt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Beklagten
vom 20.01.2005 (Bl. 103 ff. d.A) verwiesen.
Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die von beiden Parteien eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nach §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der
Sache jedoch nicht begründet.
Der Klägerin steh ein Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1 BGB, 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBiG auf Leistung von
Schadensersatz in Höhe von 6.137,25 EUR brutto zuzüglich Zinsen nicht zu.
Nach § 6 BBiG hat der Ausbildende dafür zu sorgen, dass dem Auszubildenden die Fertigkeiten und
Kenntnisse vermittelt werden, die zum Erreichen des Ausbildungszieles erforderlich sind, und die
Berufsausbildung in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert
so durchzuführen, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann;
darüber hinaus hat er selbst auszubilden oder einen Ausbilder ausdrücklich damit zu beauftragen. Falls
der Ausbilder einer dieser Pflichten verletzt, kann ein Auszubildender Ersatz des hierdurch entstehenden
Schadens verlangen. Mithin muss also eine haftungsbegründende Kausalität zwischen der Verletzung der
Ausbildungsverpflichtung und dem eingetretenen Schaden bestehen; das heißt, ein pflichtgemäßes
Verhalten darf nicht hinzugedacht werden können, ohne dass der Schaden entfiele. Die Darlegungs- und
Beweislast für diesen kausalen Zusammenhang trägt derjenige, der den Ersatz des Schadens verlangt.
Im vorliegenden Fall kann - ohne eine ins Einzelne gehende rechtliche Prüfung - unterstellt werden, dass
die Beklagte, welche die Klägerin an zahlreichen Tagen allein und auf sich gestellt in auswärtigen Filialen
eingesetzt hat, ihrer Ausbildungspflicht verletzt hat; hierfür ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte aus
dem Sachvortrag beider Parteien.
Der Klägerin ist es aber nicht gelungen, die haftungsbegründende Kausalität zwischen dieser zu
unterstellenden Pflichtverletzung und dem Nichtbestehen der Gesellenprüfung für das
Hörgeräteakustiker-Handwerk vom 27.06.2003 schlüssig darzulegen. Selbst wenn ein pflichtgemäßes
Ausbildungsverhalten der Beklagten hinzugedacht wird, steht nicht fest, dass die Klägerin die
Gesellenprüfung bestanden hätte. Laut der Mitteilung des Gesellenprüfungsausschusses vom 27.06.2003
erzielte die Klägerin im theoretischen Teil der Gesellenprüfung die Note 4 (307 von 600 möglichen
Punkten) und im praktischen Teil die Note 5 (421 von 1.000 möglichen Punkten). Das Bestehen des
praktischen Teils einer solchen Gesellenprüfung hängt generell nicht nur von der praktischen Ausbildung
eines Auszubildenden ab, sondern auch von seinen subjektiven Fähigkeiten und theoretischen
Kenntnissen. Dies zeigt schon der Umstand, dass erfahrungsgemäß auch ordnungsgemäß praktisch
ausgebildete Prüflinge die praktische Prüfung nicht bestehen.
Den Darlegungsanforderungen, welche im vorliegenden Zusammenhang an die Klägerin gestellt werden,
liegt nicht die Überlegung zugrunde, ob das Nichtbestehen der Prüfung auch bei "rechtmäßigem
Alternativverhalten" (vgl. Palandt, BGB, 64. Aufl., § 249 Anmerkung 107) eingetreten wäre, sondern ob
überhaupt ein Zusammenhang zwischen der schlechten Ausbildung und dem Nichtbestehen der Prüfung
besteht. Dies muss aber die Klägerin darlegen.
Hierfür reicht es auch nicht aus, wenn die Klägerin darauf hinweist, dass sie nach Fortführung der
Ausbildung bei der Firma X. die anschließende Gesellenprüfung bestanden habe. Denn oftmals ist es,
insbesondere bei Prüflingen, die - wie die Klägerin - Punktezahlen im Grenzbereich zwischen Bestehen
und Nichtbestehen erzielen, mehr oder weniger zufällig, ob eine Prüfungsaufgabe bewältigt werden kann
oder nicht. Es ist durchaus möglich, dass ein Auszubildender bestimmte Aufgaben einer Prüfung nicht
erledigen kann und später, ohne dass es an seinem Ausbildungstand etwas geändert hätte - andere
Prüfungsaufgaben erfolgreich löst. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Verletzung der
Ausbildungspflicht und dem Misserfolg bei einer Prüfung könnte im vorliegenden Fall allenfalls damit
begründet werden, dass genau jene praktischen Fertigkeiten, welche nach dem Ausbildungsplan hätten
vermittelt werden müssen, dem Auszubildenden nicht beigebracht wurden, und er eine konkrete
Prüfungsaufgabe gerade wegen des Fehlens dieser bestimmten Fertigkeiten nicht bewältigen konnte. Die
Klägerin hat zwar erstinstanzlich ausgeführt, inwiefern der Beklagte konkret gegen die Verordnung über
die Berufsausbildung für Hörgeräteakustiker/Hörgeräteakustikerinnen vom 12.05.1997 in Verbindung mit
dem schriftlichen Ausbildungsrahmenplan verstoßen hat; sie hat aber nicht dargelegt, welche Fertigkeiten
ihr bei den konkret gestellten Prüfungsaufgaben gefehlt haben, um den praktischen Prüfungsteil zu
bestehen.
Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung betont, sie sei lernwillig gewesen, soll dies nicht in
Abrede gestellt werden. Aber allein hierauf kann der notwendige kausale Zusammenhang zwischen der
Verletzung der Ausbildungspflicht und dem Nichtbestehen der Gesellprüfung nicht gestützt werden.
Soweit sie darüber hinaus meint, es sei nicht ihre Sache alle möglichen anderen hypothetischen
Ursachen für die Erfolglosigkeit bei der ersten Gesellenprüfung auszuschließen, berücksichtigt sie nicht
hinreichend, dass sie aber zumindest nicht davon entbunden ist, die praktischen Defizite einerseits und
die hierdurch eingetretenen Fehler beim Lösen der konkreten praktischen Prüfungsaufgaben andererseits
darzulegen. Einen solchen kausalen Zusammenhang vermochte sie aber nicht darzustellen.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Gegen die vorliegende Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben; für die Zulassung der Revision fehlte
es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.